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Offenbachiade chez Max Reinhardt

326 Byte hinzugefügt, 11:57, 24. Sep. 2020
keine Bearbeitungszusammenfassung
: [[Datei:1orpheus.jpg|thumb|right|295x193px]] <span style="color: #800000;">"Orpheus in der Unterwelt", Neues Theater, 13.Mai 1906</span>
: <span style="color: #800000;">2. Bild: Im Olymp</span>
: <span style="color: #800000;">aus: Hugo Fetting, Max Reinhardt, Schriften. Berlin 1974, vor S. 65, Boeser/Vatkova, Max Reinhardt in Berlin, Berlin 1996</span> : <span style="color: #800000;">Bildbeschreibung bei Fetting: die Rolle des Ganymed(li. Oskar Sabo lt. Bildangabe) wird in der  erweiterten Bearbeitung von 1922 für das Große Schauspielhaus genannt, u.zw. nur im Programmbuch; die nähere Rollenbezeichnung: Pikkolo</span> : Die Kritiker mäkeln, das Publikum jubelt .: Die Kritik in der "Vossischen Zeitung " ist auch eine ausführliche Auseinandersetzung zwischen dem Oeuvre Offenbachs als Operettenkomponist, wie man es anno 1906 verstand und der Inszenierung von Max Reinhardt, die als  Experiment erkannt – in dem Sinn „kann ich auch Musiktheater?“ 
[[Datei:gusti_adlerScan_0003.jpg|thumb|right|325x273px]]
: „Orpheus in der Unterwelt“ so hat es Offenbach erdacht und komponiert,  endet in der Unterwelt mit einem Bacchanal, mit dem  „Galop infernal“ , der unerkannt als  „Cancan“ durch die Literatur, die Gazetten etc. wandert. Getanzt mit Spitzenhöschen, Röcke  und Beine  werfen, so wie es eben die Touristen(und nicht nur diese!)  vom Montmartre gerne sehen. WIE Offenbach das Finale erdacht, gespielt hatte, überliefert eine Zeichnung nach einem Gemälde von Gustave Doré.  Alle, die Solisten, der Chor tragen völlig  ver- rückte Kostüme und sie feiern ein Bacchanal unter der Regie des Höllenfürsten Pluto.  
: <span style="color: #800000;">aus: Alexandre Faris, Jacques Offenbach, S.70 </span>
: Musikalisch (kurz skizziert)ist der Galop infernal im 2/4   Takt, ein rascher um-pa, umpa-Rhythmus in Achteln, im Baß in Vierteln (1/4=2 1/8) also: um-pa –gegen um= ¼ (als pochender beat), Melodik in 4 oder 8er Gruppen.  Die Inszenierung von „Orpheus in der Unterwelt“ wird Reinhardt bis Anfang der 20 Jahre immer wieder auf die Bühne bringen; in München, in Berlin, im Großen Schauspielhaus und bei Gastspielen in  Dänemark und Schweden, den Bühnenverhältnissen angepaßt, in Übersetzung für die Gastspiele in Dänemark und Schweden. Grundlage ist die von ihm 1906 erarbeitete Fassung. Die im Nachlaß überlieferte notierte szenische Abfolge habe ich mit einer französischen CD-Einspielung von 1953 verglichen – es ist die gebräuchliche Spielfassung, wie sie in „Musik für alle“ für die Hausmusik  vom Ullstein-Verlag gedruckt wurde . : Das Copyrigth vermerkt 1911. Die Szenenfolge, eine Kurzfassung ohne Zwischenspiele und Textteile/Rezitative?, ist vermutlich nach der Reinhardt-Aufführung entstanden. (Der Copyright-Vermerk 1911 sagt nichts über das tatsächliche Erscheinungsdatum aus.): Einar Nilson, Komponist und ein langjähriger Mitarbeiter von Max Reinhardt, von Gottfried Reinhardt auch als Reinhardts Musikmanager apostrophiert,  stellt sehr nüchtern fest, welchen Stellenwert und welche Rolle Reinhardt, der Sprechtheaterregisseur der Musik als Teil/Bestandteil eines Werkes, das er inszenierte zuordnete: Musik übernahm die Rolle des Funktionsträgers, illustriert, überhöht die Bildwirkung. Geräusche werden gleichwertig wie Musik eingesetzt. : Donnern, Heulen o..ä. erzeugt Angst und Schrecken; ein Impromptu von Franz Schubert oder Frédéric Chopin versetzt den Zuschauer in Träumerei, Verliebtheit o.ä. – vergleichbar  der Programmmusik oder der Filmmusik. : Aus dieser Perspektive sei die Frage gestellt: hat Reinhardt  Musik  also nicht eigenständige Sprache gewertet, erkannt, was aber oder vielmehr wie stand er zum  Musiktheater als  Gesamtkunstwerk ?    
Gottfried Reinhardt war ein treuer Chronist der Arbeit seines Vaters, und wenn das folgende auch aus der Zeit der „Fledermaus“ stammt, so decouvriert es doch erbarmungslos  den Umgang des Regisseurs mit einem Gesamtkunstwerk „Musiktheater“:
: '''<span style="color: #0000ff;">''"Er nahm der Musik das Dominierende, das Störende“'' .</span>''' 
: Wenn Gottfried Reinhardt mit seiner Einschätzung recht hat, warum aber inszenierte Reinhardt - in Abständen zwar - immer wieder Musiktheater?  Diese Frage mag berechtigt sein, trifft aber nicht unbedingt zu, ich möchte der Behauptung von Gottfried Reinhardt mit einem knappen Briefzitat  von Max Reinhardt, von 1912, widersprechen. 
 
Max Reinhardt an Berthold Held vom 21. August 1912
: Dennnoch: Der Erfolg der „Fledermaus“ füllte die Kasse, das Publikum strömte ins Theater. Die Krise der Theater, die um 1930 ausbrach,   lag  – scheinbar – noch in weiter Ferne.  '' ''
: Erste Anzeichen wurden aber bereits 1930 spürbar. Erik  Charell  gab wegen finanzieller Probleme trotz des großen Erfolgs mit dem  „Weißen Rössl“ auf;  Reinhardt übernahm kurzfristig wieder die Leitung des Hauses  – und mußte nun das Große Schauspielhaus bespielen. Diesen Riesenraum mit den 3000 Sitzplätzen zu füllen – aber mit welchem Stück?  Seine Wahl fiel auf „Hoffmanns Erzählungen“.
: [[Datei:programmbuch_0003.jpg|180px|thumb|right|180px]]
======'''"Hoffmanns Erzählungen"'''======
: Nach der erfolgreichen Uraufführung in Paris 1881 (101 Aufführungen) unterbrach der Ringtheaterbrand in Wien, vom Dezember 1881 den Siegeszug der Oper.  Erst mit der Jahrhundertwende wird das letzte Werk von Offenbach zu einer der am meisten aufgeführten Opern.
: <span style="font-size: 0.939em;">Bevor ich mit Reinhardt beginne, muß ich etwas weiter ausholen, die Werkgeschichte von "Hoffmann's Erzählungen" kurz skizzieren, damit die Einwände, Argumente zur Reinhardt-Inszenierung transparent werden. </span><span style="font-size: 0.939em;"> </span>
: <span style="font-size: 0.939em;">Zur Einstimmung in das Folgende ein Zitat aus dem quellenkritischen Bericht von Fritz Oeser für den Klavierauszug, Kassel 1978, Ed. Alkor:</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Offenbach hinterließ „Hoffmanns Erzählungen „ unvollendet. … Keine '''''</span> [[Datei:offenbachportr_0002.jpg|thumb|right|235x284px]] 
: <span style="color: #0000ff;">'''''Druckausgabe gibt Offenbachs Willen und Absicht wieder, weder der Erstdruck von 1881, noch die am weitesten von ihm abweichenden Editionen nach 1907. …'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Der französische Brauch, im ersten gedruckten Klavierauszug eine Oper so zu veröffentlichen, wie sie dem Uraufführungspublikum präsentiert worden war, hat diese Eingriffe ['''''Bearb.etc. Anm.d.Verf.'']''' in die Werksubstanz zementiert''' …''</span>
: Diese Rahmenhandlung, der erste Handlungsstrang ('''erzählt von Hoffmann''') ist das zerbrochene Liebesverhältnis zwischen ihm, Hoffman, dem erfolglosen Dichter und Stella, der gefeierten, erfolgsverwöhnten Primadonna. Nach einem Zerwürfnis sucht Stella das Gespräch und sendet Hoffmann ein Billett mit dem Schlüssel zu ihrer Garderobe; dieses Billett wird abgefangen und erreicht Hoffmann nie.
: Stella, die verlorene Geliebte , bleibt während der ganzen Oper präsent, wenn auch nicht ad personam, sondern in der Aufspaltung in drei andere Frauengestalten, Phantasiefrauen, Improvisationen des Dichters wie des Mannes , der mit und an der Liebe gescheitert ist. 
: '''Stella''' ist: '''Olympia''', die Puppe-Automat, die Kunstfigur,.  '''Antonia''', die Sängerin, die an und mit ihrer Begabung und Kunst stirbt ,''' GiuliettaGiulietta''', die Kurtisane, die „demi-monde“ (in der Rolle der Giulietta verbirgt sich die einzige zeitkritische Anspielung: Sängerinnen, Schauspielerinnen galten gesellschaftlich als demi-monde, auf deutsch Frauen, die sich aushalten ließen  – vgl. dazu''' Alexandre Dumas''' jun. La dame aux camélias/Die Kameliendame, besser bekannt durch die Oper von Giuseppe Verdi, La traviata.  Das Vorbild der Kameliendame ist die Schauspielerin '''Marie Duplessis'''.)  : Der zweite Handlungsstrang ist die '''Muse''' in der Maske des Freundes Niklausse und dem Gegenspieler Hoffmanns Lindorf, das Prinzip des Bösen, der „Übermächte“ (Hofmannsthal).: Die Muse möchte den Dichter nicht an ein allgemeines bürgerliches Leben verlieren, sie kämpft darum ihn seiner eigentlichen Berufung als Künstler zu erhalten, auch wenn ihm der öffentliche Erfolg versagt bleibt. Lindorf verachtet alles Erfolglose, ihn reizt nur der Erfolg – verkörpert durch Stella. 
Die beiden, Muse und Lindorf,  werden – unwissentlich zu Verschwörern/Verbündeten, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven: eine Versöhnung Hoffmann und Stella darf nicht stattfinden.
: '' <span style="color: #0000ff;">'''           … Hoffmanns Erzählungen zu inszenieren ist schon ein alter Traum von mir. Ich  glaube überhaupt, daß die nächste Zukunft eine engere Verbindung von Schauspiel  und Musik bringen wird. In der phantastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist  Gelegenheit diese beiden Elemente  des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge diese Kunst(gattung) einem großen Publikum nahezu bringen so wäre die  wesentliche Aufgabe eines Volksstücks erfüllt. […] '''</span>''<span style="color: #0000ff;">'''''daß die nächste Zukunft eine  [[Datei:Erzählungen2.jpg|thumb|right|333x209px]]engere Verbindung von Schauspiel und Musik bringen wird …'''''</span>
: <span style="color: #800000;">"Hoffmanns Erzählungen", Olympia- Akt, Spalanzani stellt der Gesellschaft den Automaten als seine Tochter Olympia vor .</span>
: <span style="color: #800000;">Berlin, Großes Schauspielhaus 1931</span>
''M''it dem letzten Satz beschreibt Reinhardt den Trend der Zeit, wie auch seinen angestrebten, immer wieder formulierten  Anspruch „Wort und Ton“ dem Drama gemäß  zusammenzubringen. Reinhardt schreibt nicht expressis verbis von Musiktheater/Oper, Operette; ich spekuliere – vielleicht tendierte Reinhardt doch dahin Musiktheater zu inszenieren?
Nicht vergessen werden soll, daß zur Zeit der Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" die Beliebtheit der Oper vor allem aus der Sangbarkeit der Melodien, der Schauerromantik, der Liebesgeschichten resultierte; von dem heute weit verbreiteten Credo der Werktreue war man noch meilenweit entfernt.
Musik war für Reinhardt dramaturgisches  Element und Vehikel der Szene, Movens. Gusti   Gusti Adler, die  in der den  Proben neben Max Reinhardt saß, oder die Vorstellungen verfolgte, [[Datei:callot.jpg|thumb|right|228x322px]] gab die Probennotate oder die kritischen Vorstellungsnotate an die Darsteller weiter.
[[Datei:callotSie schreibt über die Inszenierung im „Großen Schauspielhaus“ , S.jpg|thumb|right|228x322px]]278
Regel in den Proben neben Max Reinhardt saß, oder die Vorstellungen verfolgte, seine Probennotate an die Darsteller weitergab, schreibt über die Inszenierung im „Großen Schauspielhaus“ , S. 278<span style="color: #800000;">Umschlagbild der Klavierbarbeitung aus "Musik für alle"</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Da war alles: das Romantische,  das Hintergründige E.T.A.Hoffmanns – das Unheimliche des Olympia-Aktes, Spalanzani, die Puppen, das Zerbrechen lebendiger Liebe an der Marionette. Venedig, Reinhardts Venedig, das er von Strnad in die Weite des Großen Schauspielhauses zaubern ließ: Kanäle, Brücken, Palazzi, die im warmen Mondlicht aus grünblauem Wasser aufstiegen. Gondeln, Gesang. Und dazwischen das Erlebnis des verlorenen Spiegelbildes, die phantastische Szene  vor dem altersblinden, irisierenden großen Spiegel im Palazzo der Giulietta, in unerbittlichen Wiederholungen einstudiert, bis die Illusion vollkommen war. Reinhardt ließ die Spiegelbilder durch''''' '''''Menschen spielen. Das steigerte dann noch das Grauen der Szene, in der es Hoffmann zur Gewißheit wird, daß er sein Spiegelbild verloren hat.'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Nichts aber kam dem Antonia-Akt gleich: musikalisch und darstellerisch. … [''''''''darin stimmen auch alle Rezensenten überein, Anm.d.Verf.]'''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Leo Blech dirigierte. In seinen Händen lag auch die heikle Aufgabe der Adaptierung der Musik an die neue Bearbeitung, die von Egon Friedell und Hans Sassmann stammte. …'''''</span>
: <span style="font-size: 0.939em; color: #000000;">Gusti Adler fährt fort, S.281</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… das Geheimnis der Wirkung einer Reinhardt'schen Inszenierung war die Transparenz. Ihm war gegeben, Geschehen von innen heraus zum Leuchten zu bringen. Da war kein Aneinanderreihen von Szenen: Im Ineinanderfließen wuchs und verging der Traum.'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''In diesem Zusammenschauen entstand ein Ganzes, das den Zuschauer mit einschloß. Zum Klang kam dann noch Bewegung, Tanz. Das war gerade bei dieser Aufführung, in diesem großen Haus (mit 3000 Plätzen), bei diesem Publikum eine Notwendigkeit. Verbindend rankten sich Tanzszenen zwischen hochdramatischem Geschehen ,  gewährten Atemholen und kurze Entspannung'''''. </span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Wenn Reinhardt Werke inszenierte, die von Musik getragen waren, verfiel er ihrem Rhythmus vollkommen. Seine Freude daran übertrug sich auf Sänger und Schauspieler, brachte dramatische Steigerungen  und führte in Tiefen, die bis dahin unerschlossen geblieben waren. …… „Alles auf Noten“ gesetzt, von der bekannten Musik getragen, aber unendlich bereichert, durchleuchtet. ...'''''</span>
: Sie beschreibt den Olympia-Akt sehr präzise: die Koloraturarie der Puppe Olympia endet lt. szenischer Anweisung im Textbuch/Klavierauszug  mit dem Zerbrechen der Puppe in den Armen Hoffmanns.  Reinhardt  jagt  die Sängerin richtiggehend  über die Bühne, bis sie zerbricht (gedoubelt von einer Tänzerin).  In der Offenbach-Version singt und tanzt sie sich (wie rasend) um sich selbst, bis sie zerbricht, keiner ihrer "Schöpfer" kann den rasenden Tanz stoppen.  Die Koloraturen sind Stilmittel, sie unterstreichen: hier produziert ein  Automat Töne. 
: Dazu aus Alexander Faris, Jacques Offenbach , S. 227
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Koloraturgesang  ist so offensichtlich eine Zurschaustellung von vokaler Technik, daß er bei wahlloser Anwendung dramatisch bedeutungslos wird und keine andere andere Aussage vermittelt als die Fähigkeit der Sängerin[des Sängers, Anm.d.Verf.]  seinen Anforderungen zu genügen. … Koloratur [ist] ein Mittel um eine Gestalt zu enthumanisieren; die Königin der Nacht ist böse, Lucia di Lammermoor ist wahnsinnig, Olympia ist ein Automat. …'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">''' G'''</span>ottfried Reinhardt beschreibt, daß Reinhardt auf sängerische Bedürfnisse oder Anforderungen keinerlei Rücksicht nahm; worauf die Beschreibung der Szene (durch Gusti Adler) teilweise zutrifft (immerhin wird gedoubelt). Musik als Klangrede (um ins 21.Jahrhundert zurückzukehren) wurde zu Lebzeiten Reinhardts noch nicht in diesem Sinn verstanden. Entweder gab es Oper (verkürzt formuliert Konzert im Kostüm, auch oder trotz Richard Wagner. Der Weg zum Musiktheater nach heutigem Verständnis stand erst am Beginn. Experimente wie die Krolloper wurden nur von einem geringen Teil des Publikums verstanden und auch angenommen. Aus meiner Sicht steht Reinhardt mit seinen Musiktheaterinszenierungen zwischen den Zeilen.