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Offenbachiade chez Max Reinhardt

179 Byte hinzugefügt, 12:28, 22. Sep. 2020
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Max Reinhardt kam 1894 in eine Stadt, die im Begriff war sich einer gewaltigen Metamorphose zu unterziehen.  Aus einer gemütlichen, langweiligen Residenzstadt mit ehemals  880.000 Einwohnern wurde zwischen 1880 und 1914 eine Millionenmetropole. Im Osten, im Norden entstanden riesige  Im Zentrum, in Mitte pulsierte das Industrieanlagen mit rauchenden Schloten, tristen Mietskasernen, Massenquartieren für die Arbeiter.
[[Datei:kaffee_könig2Scan_0002.jpg|285x179px|thumb|right|285x179px]]
[[Datei:nachtasylkrausestr.jpg|311x202px|thumb|right|311x202px]]
<span style="color: #800000;">Café Nachtasyl, in der Krausestraße, Berlin-Mitte, um 1900 </span>
: '' <span style="color: #0000ff;">'''… ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung   weit eher entsprächen …'''</span>''
====<span style="color: #000000;">"Orpheus in der Unterwelt"</span>====
<span style="color: #000000;">[[Datei:orlikgusti_adlerScan_0003.jpg|180px|thumb|right|180px]]</span>
: Im '''Neuen Theater am Schiffbauerdamm''' wird eifrig probiert … ganz ungewohnte Klänge kommen aus dem kleinen Orchestergraben, der eigentlich keiner ist, es geigt, es trommelt, es flötet, Koloraturen perlen durch den Raum … Max Reinhardt bereitet mit seinen Schauspielern die Abschiedsvorstellung vor, bevor er als Direktor ein paar Straßen weiter zieht – in das Deutsche Theater , Schumannstraße 5. 
: Seine Wahl fiel auf einen jungen aufstrebenden lyrischen Sopran von der Dresdner Hofoper, Eva von der Osten. Sie kam aus einer Schauspielerfamilie, kannte auch die darstellerischen Anforderungen einer Rolle. Beide, Sängerin und Regisseur, sollten sich bei Uraufführung des „Rosenkavalier, 1911 in Dresden wieder begegnen.  
: Ich habe in zeitgenössischen Berichten, Rezensionen geblättert: das Experiment mit Schauspielern Gesangspartien zu  realisieren um eine  Operette aus einem anderen Blickwinkel zu präsentieren – nicht als verkappte Spieloper -  wird nicht verkannt, aber nicht unbedingt positiv gewürdigt.
:  [[Datei:orpheus.jpg|thumb|right|292x201px]]
: <span style="color: #800000;">"Orpheus in der Unterwelt", Skizze von Ernst Stern , 1.Bild. </span>
: <span style="color: #800000;">aus: Ernst Stern, Bühnenbildner bei Max Reinhardt, S.32</span>
: [[Datei:1orpheus.jpg|thumb|right|295x193px]] <span style="color: #800000;">"Orpheus in der Unterwelt", Neues Theater, 13.Mai 1906</span>
<span style="color: #800000;">2. Bild: Im Olymp</span>
 
<span style="color: #800000;">aus: Hugo Fetting, Max Reinhardt, Schriften. Berlin 1974, vor S. 65, Boeser/Vatkova, Max Reinhardt in Berlin, Berlin 1996</span>
Die Kritik in der "Vossischen Zeitung " ist auch eine ausführliche Auseinandersetzung zwischen dem Oeuvre Offenbachs als Operettenkomponist, wie man es anno 1906 verstand und der Inszenierung von Max Reinhardt, die als  Experiment erkannt – in dem Sinn „kann ich auch Musiktheater?“
[[Datei:gusti_adlerScan_0003.jpg|325x273px|thumb|right|325x273px]]
: Vossische Zeitung, 14.Mai 1906, Nr.233, Zweite Beilage
[[Datei:doré_orpheus.jpg|thumb|right|362x279px]]
 
: „Orpheus in der Unterwelt“ so hat es Offenbach erdacht und komponiert,  endet in der Unterwelt mit einem Bacchanal, mit dem  „Galop infernal“ , der unerkannt als  „Cancan“ durch die Literatur, die Gazetten etc. wandert. Getanzt mit Spitzenhöschen, Röcke  und Beine  werfen, so wie es eben die Touristen(und nicht nur diese!)  vom Montmartre gerne sehen. WIE Offenbach das Finale erdacht, gespielt hatte, überliefert eine Zeichnung nach einem Gemälde von Gustave Doré.  Alle, die Solisten, der Chor tragen völlig  ver- rückte Kostüme und sie feiern ein Bacchanal unter der Regie des Höllenfürsten Pluto.  
: <span style="color: #800000;">aus: Alexandre Faris, Jacques Offenbach, S.70 </span>
Musikalisch (kurz skizziert)ist der Galop infernal im 2/4   Takt, ein rascher um-pa, umpa-Rhythmus in Achteln, im Baß in Vierteln (1/4=2 1/8) also: um-pa –gegen um= ¼ (als pochender beat), Melodik in 4 oder 8er Gruppen.
 
Die Inszenierung von „Orpheus in der Unterwelt“ wird Reinhardt bis Anfang der 20 Jahre immer wieder auf die Bühne bringen; in München, in Berlin, im Großen Schauspielhaus und bei Gastspielen in  Dänemark und Schweden, den Bühnenverhältnissen angepaßt, in Übersetzung für die Gastspiele in Dänemark und Schweden. Grundlage ist die von ihm 1906 erarbeitete Fassung. Die im Nachlaß überlieferte notierte szenische Abfolge habe ich mit einer französischen CD-Einspielung von 1953 verglichen – es ist die gebräuchliche Spielfassung, wie sie in „Musik für alle“ für die Hausmusik  vom Ullstein-Verlag gedruckt wurde .
: Lucie Korngold, die Frau des Komponisten, erinnert sich:
: '' <span style="color: #0000ff;">'''           … Max Reinhardt ließ anfragen , ob Erich „La Vie Parisienne“ von Offenbach für das  Deutsche Theater in Berlin bearbeiten und dirigieren wolle.   … um nicht  unhöflich zu erscheinen , ging er doch zu Reinhardt ins Theater in der Josefstadt; er  kam mit einem amüsiert-verlegenen Lächeln und einem Kontrakt von dort zurück. Er  hatte Reinhardt seine Zweifel an „La Vie Parisienne “ mitgeteilt und die Sache damit für erledigt gehalten . Der erwiderte aber nur ruhig: Was würden Sie sonst vorschlagen? Darauf Korngold: … warum machen Sie nicht die Fledermaus ? …'''</span>''
: Korngold, der Spätromantiker, hatte – so steht zu vermuten – zu der leichtfüßigen,  durchsichtigen, ironischen Eleganz der Offenbach‘schen Musik keinen wirklichen Zugang. Johann Strauß und dessen  wiegende Melancholie lagen ihm da wohl näher. Entre parenthèse:  Vielleicht spielte nicht zuletzt   auch seine große Nähe zur Witwe Adele Strauß mit. [[Datei:operette_sich_wernkann.jpg|thumb|right|239x156px]] Ich   Ich habe mir die Frage gestellt, was Reinhardt an '''„La Vie Parisienne'''“ so fasziniert haben könnte, daß er dieses Projekt wie einen unerfüllten Traum immer wieder versuchte zu realisieren, zu inszenieren. Theaterpraktisch: die Story, (Musik war für Reinhardt nur „Illustration“, kein realer Mitspieler), mit vielen größeren und kleineren Ensembleszenen – vom kammermusikalischen Quartett bis zur Massenszene , mit denen es sich reizvoll spielen ließ.  Anders als im „Orpheus“ oder in der „Schönen Helena“ – in beiden gibt es die noch einigermaßen klaren Trennung zwischen Solo, Duo und Ensemble.  Vielleicht auch ein wenig Nostalgie, in Erinnerung  an den eigenen Beginn in Berlin,  einer Stadt im Aufbruch – und für Reinhardt der Aufbruch ins Leben, in seine Theaterträume.„La   „La Vie Parisienne“ spielt in einem Paris der Aufbruchsstimmung – mit  der Projektion auf Zukunft, ihr Symbol ist die Eisenbahn. „ La Vie parisienne“ Parisienne“ wurde komponiert, als Hausmann auf Befehl Napoleon III. aus dem mittelalterlichen Paris eine moderne Großstadt werden ließ – so wie wir es heute kennen – mit einer perfekten Infrastruktur (z..B. Métro), Kanalisation, breiten Straßen und Plätzen, Kaufhäusern, viel Grün … Wollte Reinhardt mit dieser Regie vielleicht seine eigenen Erfahrungen, Beobachtungen widerspiegeln, verarbeiten, als er 1894 nach Berlin, in die Stadt des Aufbruchs, kam? Doch der Wunsch blieb ein Wunschtraum … Reinhardt nahm den Vorschlag von Erich Wolfgang Korngold an, statt „La Vie Parisienne“ zu inszenieren, die ''' „Fledermaus“ ''' herauszubringen. Es ist müßig nun zu spekulieren, welche Beweggründe  ihn zu dieser Entscheidung geführt haben. Eines aber läßt sich mit Sicherheit sagen: die „Fledermaus“ kam als „Offenbachiade“ über die Rampe .
Gottfried Reinhardt  behauptet zwar nach der Premiere
: Dennnoch: Der Erfolg der „Fledermaus“ füllte die Kasse, das Publikum strömte ins Theater. Die Krise der Theater, die um 1930 ausbrach,   lag  – scheinbar – noch in weiter Ferne.  '' ''
: Erste Anzeichen wurden aber bereits 1930 spürbar. Erik  Charell  gab wegen finanzieller Probleme trotz des großen Erfolgs mit dem  „Weißen Rössl“ auf;  Reinhardt übernahm kurzfristig wieder die Leitung des Hauses  – und mußte nun das Große Schauspielhaus bespielen. Diesen Riesenraum mit den 3000 Sitzplätzen zu füllen – aber mit welchem Stück?  Seine Wahl fiel auf „Hoffmanns Erzählungen“.
======'''"Hoffmanns Erzählungen"'''======: Im Laufe Nach der Jahre waren „Hoffmanns Erzählungen“ erfolgreichen Uraufführung in Paris 1881 (101 Aufführungen) unterbrach der Ringtheaterbrand in Wien, vom Dezember 1881 den Siegeszug der Oper.  Erst mit der Jahrhundertwende wird das letzte Werk von Offenbach zu einer sehr beliebten Oper gewordender am meisten aufgeführten Opern. : 1905 erreichte '''Hans Gregor''' (der spätere Direktor der Hofoper, Wien)  mit „Hoffmanns Erzählungen einen Serienerfolg von 400 Aufführungen in der Komischen Oper an der Weidendammer Brücke.  Seit 1915 stand das letzte Werk von Jacques Offenbach auch im ständigen Repertoire der Hofoper/Staatsoper Unter den Linden.  1929 hatte die Krolloper eine zeitgenössische Interpretation mit Bühnenbildern von Moholy-Nagy herausgebracht.
: In den 20er Jahren begann sich außerdem die Wertschätzung für Jacques Offenbach ganz allgemein zu ändern, ebenso - quasi parallel wurde auch das Interesse am Werk von E.T.A. Hoffmann zunehmend lebendiger. 
: Anton Henseler hatte in Bonn über den Komponisten Offenbach promoviert;  danach publizierte er die erste fundierte, dokumentarisch belegte Biographie des Komponisten 1930. Offenbach wurde nicht länger als "nur" Operetten schreibender Musiker gewertet; das Opernwerk von Offenbach wurde neu gesehen, und seine letzte Oper, das Fragment "Hoffmanns Erzählungen" wurde zum  Prototyp DER romantischen Oper. (Es gibt Zeitgenossen, die "Hoffmanns Erzählungen " als „Schaueroper“ klassifizieren wie den vergleichbar dem „Vampir“ von Heinrich Marschner – vergessen brei ihrer Einschätzung dabei aber auf das halbe Jahrhundert und Zeitabstand sowie den anderen Kulturraum).
: '''Egon Friedell''':
:: <span style="color: #0000ff;">'''…'' Sein großer Zaubermeister ist Jacques Offenbach, der zuerst mit Einaktern hervortrat … In diesen Werken , erlesenen Bijous einer komplizierten Luxuskunst, ist, ähnlich wie dies Watteau für das Paris des Rokoko  vollbracht hat, der Duft der Ville des Lumière zu einer starken haltbaren Essenz destilliert, die aber um vieles beißender, salziger, stechender geriet. Sie sind Persiflagen der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart, aber eigentlich nur immer der Gegenwart, und im Gegensatz zur Wiener Operette, die erst eine Generation später ihre Herrschaft antrat, gänzlich unkitschig, amoralisch, unsentimental, ohne alle kleinbürgerliche Melodramatik, vielmehr von eine rasanten Skepsis und exhibitionistischen Sensualität , ja geradezu nihilistisch. Daß Offenbach, unbekümmert um psychologische Logik und künstlerische Dynamik, eigentlich nur „Einlagen“ bringt, wie ihm oft vorgeworfen worden ist, war ebenfalls nur der Ausfluß eines höchsten, nämlich ästhetischen Zynismus, einer Freigeisterei und Selbstparodie, die sogar die Gesetze der eigenen Kunst verlacht. Daß er aber auch ein tiefes und zartes Herz besaß, würde allein schon die Barcarole seines letzten Werkes beweisen, der „Contes d’Hoffmann“, in denen die deutsche Romantik der Vorlage, durch die Raffinade der Pariser Décadence verkünstelt und veredelt, ein wundersam ergreifendes Lied anstimmt. Hier klagt der Radikalismus des modernen Weltstädters um die verschwundene Liebe: die Frau ist Puppe oder Dirne; die wahrhaft liebt, eine Todgeweihte. Es ist, als ob Offenbach in seinem Abschiedsgesang den Satz aus dem Tagebuch der Goncourts instrumentiert hätte: '''''</span>
Offenbach hatte mit seinem Librettisten '''Jules Barbier''' die Grundstruktur vorgegeben und festgelegt:
Eine Rahmenhandlung als Klammer für den gesamten Ablauf der Oper, d.i. die reale und die fiktive Erzählebene  von Hoffmann, die begleitende Muse/Niklausse sowie Auftritt Lindorf;  Stella tritt nur im Schlußbild auf, zu Beginn der Oper wird nur über sie gesprochen.
 
Diese Rahmenhandlung, der erste Handlungsstrang ('''erzählt von Hoffmann''') ist das zerbrochene Liebesverhältnis zwischen ihm, Hoffman, dem erfolglosen Dichter und Stella, der gefeierten, erfolgsverwöhnten Primadonna. Nach einem Zerwürfnis sucht Stella das Gespräch und sendet Hoffmann ein Billett mit dem Schlüssel zu ihrer Garderobe; dieses Billett wird abgefangen und erreicht Hoffmann nie.