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Offenbachiade chez Max Reinhardt

97 Byte hinzugefügt, 10:52, 24. Sep. 2020
keine Bearbeitungszusammenfassung
Für ein Reinhardt-Symposium in Bratislava sollte ich über Max Reinhardt und seine Musiktheater-Inszenierungen, seine „musikalische Prägungen“ wie ich es nannte, mit einer tour d'horizon in knapp 20 Minuten einem sehr gemischten Publikum  nahebringen. Ich habe mich 2018 für vier ausgewählte  Inszenierungen entschieden. Der innere Zusammenhang war evident: dreimal  Jacques Offenbach und einmal Johann Strauß. Offenbach und Johann Strauß haben sich 1864 in Wien getroffen; und - so wird berichtet, sich ausgezeichnet verstanden. Im gemeinsamen, sehr musikalischen Gespräch, meinte Offenbach ganz spontan: Monsieur Strauße, warum komponieren Sie nicht Operette ? Zehn Jahre später kam die Operette aller Operetten auf die Bühne des Theater an der Wien: „Die Fledermaus“. Nichts  ist so wie es scheint, wie in einer OFFENBACHIADE  - das ist „Die  Fledermaus“. 
Die Werke Offenbachs waren in der zweiten Hälfte des 19.Jh. auf den Wiener Bühnen sehr präsent, auch auch  [[Datei:operette_sich_wernkann.jpg|272x177px|thumb|right]] <span style="font-size: 0.939em;">lange noch nach Nestroys Tod; wenn auch nicht mehr mit der Frequenz  wie zu seinen Lebzeiten.  Die glanzvolle Wiener Erstaufführung von „Hoffmanns Erzählungen" schon nach der zweiten Aufführung von einem tragischen Ereignis, dem Ringtheaterbrand am 8.Dezember 1888 während der zweiten Vorstellung der Oper, für Jahrzehnte stigmatisiert im deutschsprachigen Raum, wurden "Hoffmanns Erzählungen" nicht aufgeführt. 3)</span>
Eines Tages habe ich diesen alten Text wieder gelesen, fand ihn etwas "kurzatmig"; es folgte eine neue Auseinandersetzung mit Musik und Text der drei Inszenierungen von Max Reinhardt:  „Orpheus in der Unterwelt“, „Die schöne Helena“ und „Hoffmann‘s Erzählungen“ von Jacques Offenbach sowie  “ Die Fledermaus“ von Johann Strauß, die bei Reinhardt wie eine Offenbachiade über die Rampe kam.
: <span style="color: #800000;">aus: Hugo Fetting, Max Reinhardt, Schriften. Berlin 1974, vor S. 65, Boeser/Vatkova, Max Reinhardt in Berlin, Berlin 1996</span>
<span style="color: #800000;">Bildbeschreibung bei Fetting: die Rolle des Ganymed(li. Oskar Sabo lt. Bildangabe) wird in der  erweiterten Bearbeitung von 1922 für das Große Schauspielhaus genannt, u.zw. nur im Programmbuch; die nähere Rollenbezeichnung: Pikkolo</span>
 
Die Kritiker mäkeln, das Publikum jubelt .
Das Copyrigth vermerkt 1911. Die Szenenfolge, eine Kurzfassung ohne Zwischenspiele und Textteile/Rezitative?, ist vermutlich nach der Reinhardt-Aufführung entstanden. (Der Copyright-Vermerk 1911 sagt nichts über das tatsächliche Erscheinungsdatum aus.)
Einar Nilson, Komponist und ein langjähriger Mitarbeiter von Max Reinhardt, von Gottfried Reinhardt auch als Reinhardts Musikmanager apostrophiert,  stellt sehr nüchtern fest, welchen Stellenwert und welche Rolle Reinhardt, der Sprechtheaterregisseur der Musik als Teil/Bestandteil eines Werkes, das er inszenierte zuordnete: Musik übernahm die Rolle des Funktionsträgers, illustriert, überhöht die Bildwirkung. Geräusche werden gleichwertig wie Musik eingesetzt.
 
Donnern, Heulen o..ä. erzeugt Angst und Schrecken; ein Impromptu von Franz Schubert oder Frédéric Chopin versetzt den Zuschauer in Träumerei, Verliebtheit o.ä. – vergleichbar  der Programmmusik oder der Filmmusik.
: <span style="color: #0000ff;">'''''... Man vergesse den Riesenraum der Rotunde nicht und daß die Musik das Einzige ist, was an diesem Abend gehört werden soll. ... Ich habe  schon ... angedeutet, daß ... das Ganze als Oratorium wie die "hl.Elisabeth" von Liszt ('''''die 1915 in der Berliner Volksbühne aufgeführt wurde''''') besonders einzuführen ist. Die Musik muß unantastbar, und ich muß das Wort immer wieder brauchen, außergewöhnlich sein . ... '''''</span>
 
<span style="color: #000000;">(Die Datierungsdivergenz  geht zu Lasten des Herausgebers Hugo Fetting: der Brief ist mit 21. August 1912 datiert, die Aufführung des Oratorium "Die Legende von der hl. Elisabeth von Franz Liszt an der Berliner Volksbühne war am 17.11.1915, in der Anmerkung 133, S. 471). </span>
: In den 20er Jahren begann sich außerdem die Wertschätzung für Jacques Offenbach ganz allgemein zu ändern, ebenso - quasi parallel wurde auch das Interesse am Werk von E.T.A. Hoffmann zunehmend lebendiger. 
: Anton Henseler hatte in Bonn über den Komponisten Offenbach promoviert;  danach publizierte er die erste fundierte, dokumentarisch belegte Biographie des Komponisten 1930. Offenbach wurde nicht länger als "nur" Operetten schreibender Musiker gewertet; das Opernwerk von Offenbach wurde neu gesehen, und seine letzte Oper, das Fragment "Hoffmanns Erzählungen" wurde zum  Prototyp DER romantischen Oper. (Es gibt Zeitgenossen, die "Hoffmanns Erzählungen" als „Schaueroper“ klassifizieren vergleichbar dem „Vampir“ von Heinrich Marschner – vergessen brei ihrer Einschätzung dabei aber auf das halbe Jahrhundert Zeitabstand sowie den anderen Kulturraum).
: [[Datei:programmbuch_0005.jpg|180px|thumb|right|180px]]
: '''Egon Friedell''':
:: <span style="color: #0000ff;">'''…'' Sein großer Zaubermeister ist Jacques Offenbach, der zuerst mit Einaktern hervortrat … In diesen Werken , erlesenen Bijous einer komplizierten Luxuskunst, ist, ähnlich wie dies Watteau für das Paris des Rokoko  vollbracht hat, der Duft der Ville des Lumière zu einer starken haltbaren Essenz destilliert, die aber um vieles beißender, salziger, stechender geriet. Sie sind Persiflagen der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart, aber eigentlich nur immer der Gegenwart, und im Gegensatz zur Wiener Operette, die erst eine Generation später ihre Herrschaft antrat, gänzlich unkitschig, amoralisch, unsentimental, ohne alle kleinbürgerliche Melodramatik, vielmehr von eine rasanten Skepsis und exhibitionistischen Sensualität , ja geradezu nihilistisch. Daß Offenbach, unbekümmert um psychologische Logik und künstlerische Dynamik, eigentlich nur „Einlagen“ bringt, wie ihm oft vorgeworfen worden ist, war ebenfalls nur der Ausfluß eines höchsten, nämlich ästhetischen Zynismus, einer Freigeisterei und Selbstparodie, die sogar die Gesetze der eigenen Kunst verlacht. Daß er aber auch ein tiefes und zartes Herz besaß, würde allein schon die Barcarole seines letzten Werkes beweisen, der „Contes d’Hoffmann“, in denen die deutsche Romantik der Vorlage, durch die Raffinade der Pariser Décadence verkünstelt und veredelt, ein wundersam ergreifendes Lied anstimmt. Hier klagt der Radikalismus des modernen Weltstädters um die verschwundene Liebe: die Frau ist Puppe oder Dirne; die wahrhaft liebt, eine Todgeweihte. Es ist, als ob Offenbach in seinem Abschiedsgesang den Satz aus dem Tagebuch der Goncourts instrumentiert hätte: '''''</span>
: ''Egon Friedell, Das Zeitalter Offenbachs, in:  Hoffmanns Erzählungen. Ein Sonderdruck der deutschen Buch-Gemeinschaft anläßlich der Max Reinhardt-Inszenierung von Offenbachs Hoffmanns Erzählungen im Großen Schauspielhaus, Berlin. Berlin o.J., S. 68 ff.''
: <span style="font-size: 0.939em;">Bevor ich mit Reinhardt beginne, muß ich etwas weiter ausholen, die Werkgeschichte von "Hoffmann's Erzählungen" kurz skizzieren, damit die Einwände, Argumente zur Reinhardt-Inszenierung transparent werden. </span><span style="font-size: 0.939em;"> </span>
: <span style="font-size: 0.939em;">[[Datei:offenbachportr_0002.jpg|235x284px|thumb|right|235x284px]]</span>
: <span style="font-size: 0.939em;">Zur Einstimmung in das Folgende ein Zitat aus dem quellenkritischen Bericht von Fritz Oeser für den Klavierauszug, Kassel 1978, Ed. Alkor:</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Offenbach hinterließ „Hoffmanns Erzählungen „ unvollendet. … Keine Druckausgabe gibt Offenbachs Willen und Absicht wieder, weder der Erstdruck von 1881, noch die am weitesten von ihm abweichenden Editionen nach 1907. …'''''</span>
: Der Antonia-Akt, so hatte es Offenbach geplant, sollte nach dem Giulietta-Akt gespielt werden, als Finale der Traumerzählung von Hoffmann. Bei der Pariser Uraufführung hatte man den Giulietta-Akt ganz gestrichen (angeblich war er zu lang, tatsächlich war er noch nicht aufführungsreif). Kuriosum am Rande: aber auf die Barcarole wollte man nicht verzichten - zu publikumswirksam !, also wurde sie in den Antonia-Akt eingebaut. 
: Beim Verlag Peters, Leipzig erschien auf der Basis der Fassung  des Pariser Verlags Choudens von 1907 eine deutschsprachige Fassung – die etwas weitläufig formuliert – aus der Fassung  Gounsbourough (Monte Carlo 1904) und Choudens besteht. Sie wurde die für den deutschsprachigen  Raum  die verbindlich-spielbare Fassung;  1944 erarbeiteten Hans Haug und Otto Maag, Basel, eine neue Fassung. 1958 folgte dann die Fassung von Walter Felsenstein, Komische Oper Berlin. Zwischenzeitlich könnte man etwas überspitzt formulieren: so viele Theater ebenso viele Hoffmann-Fassungen. Nicht unerwähnt bleiben darf: zwischen 1933 – 1945 galt Jacques Offenbachs Oeuvre als „entartet“, war verboten, er selbst – der Jude Offenbach - ein Verfemter!  
======Der Aufbau des Werkes.  ======
: Offenbach hatte mit seinem Librettisten '''Jules Barbier''' die Grundstruktur vorgegeben und festgelegt:  
: Eine Rahmenhandlung als Klammer für den gesamten Ablauf der Oper, d.i. die reale und die fiktive Erzählebene  von Hoffmann, die begleitende Muse/Niklausse sowie Auftritt Lindorf;  Stella tritt nur im Schlußbild auf, zu Beginn der Oper wird nur über sie gesprochen.
: Stella, die verlorene Geliebte , bleibt während der ganzen Oper präsent, wenn auch nicht ad personam, sondern in der Aufspaltung in drei andere Frauengestalten, Phantasiefrauen, Improvisationen des Dichters wie des Mannes , der mit und an der Liebe gescheitert ist. 
'''Stella''' ist: '''Olympia''', die Puppe-Automat, die Kunstfigur,  '''Antonia''', die Sängerin, die an und mit ihrer Begabung und Kunst stirbt ,''' Giulietta''', die Kurtisane, die „demi-monde“ (in der Rolle der Giulietta verbirgt sich die einzige zeitkritische Anspielung: Sängerinnen, Schauspielerinnen galten gesellschaftlich als demi-monde, auf deutsch Frauen, die sich aushalten ließen  – vgl. dazu''' Alexandre Dumas''' jun. La dame aux camélias/Die Kameliendame, besser bekannt durch die Oper von Giuseppe Verdi, La traviata.  Das Vorbild der Kameliendame ist die Schauspielerin '''Marie Duplessis'''.)  
 
Der zweite Handlungsstrang ist die '''Muse''' in der Maske des Freundes Niklausse und dem Gegenspieler Hoffmanns Lindorf, das Prinzip des Bösen, der „Übermächte“ (Hofmannsthal).
Max Reinhardt schreibt in einem undatierten Briefentwurf (im Teilnachl. in Wien erhalten) an '''Leo Blech''': 
: '' <span style="color: #0000ff;">'''           … Hoffmanns Erzählungen zu inszenieren ist schon ein alter Traum von mir. Ich  glaube überhaupt, daß die nächste Zukunft eine engere Verbindung von Schauspiel  und Musik bringen wird. In der phantastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist  Gelegenheit diese beiden Elemente  des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge diese Kunst(gattung) einem großen Publikum nahezu bringen so wäre die  wesentliche Aufgabe eines Volksstücks erfüllt. […] '''</span>''<span style="color: #0000ff;">'''''daß die nächste Zukunft eine  [[Datei:Erzählungen2.jpg|333x209px|thumb|right|333x209px]]engere Verbindung von Schauspiel und Musik bringen wird …'''''</span>
''M''it dem letzten Satz beschreibt Reinhardt den Trend der Zeit, wie auch seinen angestrebten, immer wieder formulierten  Anspruch „Wort und Ton“ dem Drama gemäß  zusammenzubringen. Reinhardt schreibt nicht expressis verbis von Musiktheater/Oper, Operette; ich spekuliere – vielleicht tendierte Reinhardt doch dahin Musiktheater zu inszenieren?
Musik war für Reinhardt dramaturgisches  Element und Vehikel der Szene, Movens. Gusti Adler, die  in der 
[[Datei:callot.jpg|228x322px|thumb|right|228x322px]]
Regel in den Proben neben Max Reinhardt saß, oder die Vorstellungen verfolgte, seine Probennotate an die Darsteller weitergab, schreibt über die Inszenierung im „Großen Schauspielhaus“ , S. 278