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Offenbachiade chez Max Reinhardt

13.402 Byte hinzugefügt, 11:48, 28. Aug. 2020
keine Bearbeitungszusammenfassung
Was ist eine Offenbachiade:  Spiel im Spiel,  das Spiel mit der Maske; die Inversion, denn nichts ist so wie es scheint – Umkehrung einer Realität in die Irrealität. Gepaart mit der Lust am Schaugepränge,  an der Illusion  …  ein schwereloses,  unterhaltsames Spiel, doch nie nur Unterhaltung an sich, ironische – satirische Kritik am Zeitgeschehen, an den Zeitgenossen.
In „Orpheus in der Unterwelt“ geht es um außereheliches Vergnügen aus Langeweile, Frustration; Orpheus ist ein langweiliger Konservatoriumsprofessor, der auch zu allem Überdruß auch noch komponiert und mit seinen Kompositionen Euridike, seine Frau quält, worauf sie sich anderweitig – als Revanche – vergnügen will. In der „Schönen Helena“ geht es nur noch um Sex, Liebe und Vergnügen. Musikalisch ist „Orpheus“ eher ein Pasticcio, mit musikalischen Zitaten, Anspielungen auf Volkslieder u.a. Lieder (Zitat der „Marseillaise“ beim Aufstand der Götter), Komponisten – Verstorbene wie Zeitgenossen(Meyerbeer). „ Die Schöne Helena“ hat Offenbach musikalisch „befreit“, er hat an musikalischer Ausdruckskraft gewonnen (das soll genügen, alle weiteren Details findet man in der einschlägigen Literatur). Anders als im Orpheus – die Verführung setzt die Handlung erst in Gang – ist in der „Schönen Helena“ die Verführungszene , d.i, die Traumszene – „Es ist ein Traum …“ der Höhepunkt und Drehpunkt der Handlung.
War es diese veränderte dramaturgische Situation „ Die Schöne Helena“ hat Offenbach musikalisch „befreit“, er hat an musikalischer Ausdruckskraft gewonnen (das soll genügen, alle weiteren Details findet man in der einschlägigen Literatur). Anders als im „Orpheus“  – die Verführung setzt die Reinhardts Entscheidung  zur Inszenierung Handlung erst in Gang – ist in der  „Helena“ für „Schönen Helena“ die Verführungszene , d.i, die Sommerfestspiele in München 1911 bestimmte?Traumszene – „Es ist ein Traum …“ der Höhepunkt und Drehpunkt der Handlung. Und sie ist im Sinne Offenbachs keine Offenbachiade. Sie ist ein Spiel um Sex und Liebe mit etwas Zeitsatire.    
 ''Erich Mühsam bekommt von Max Pallenberg  „ein prächtiges Freibillett“ in dem fast ausverkauften Haus und notiert in seinem Tagebuch (Heft 5) am 16.Juli 1911:''
 
'' ''''… Die Schöne Helena von Offenbach ist unter Reinhardts Regie zu einer ganz köstlichen Humorleistung geworden. Man mag gegen Reinhardt sagen was man will, er ist doch der einzige, der Theater spielen kann, und das ist wohl sein wervollstes Verdienst, daß er einem wieder ins Bewußtsein gebracht hat, daß Theater Theater und nicht Wirklichkeitskopie ist. Er arbeitet mit Farben, Bewgung, Tönen, Abstimmungen – und so gehört es sich auf der Bühne. Es gab Bühnenbilder (Ausstattung von Ernst Stern), die ganz blenden schön waren.  Die Offenbachsche Musik klang herrlich durch den Raum, eine so einschmeichelnde, tänzerische, zierliche Musik, wie sie wohl nie wieder geschrieben werden wird. Und gespielt wurde köstlich. Der Menelaus von Pallenberg wird mir in seiner Komik unvergesslich sein. Den Agamemmnon gab Zettl in meiner Maske, sogar der Kneifer fehlte nicht, blos war er viel länger als ich. Die Helena spielte Mizzi Jeritza , die eine sehr schöne Stimme hat, den Calchas Gustav Charlé sehr lustig. Rudolf Ritter ssah als Paris sehr gut aus und sang recht schön. … Die Inszenierung war  ganz glänzend. Sehr wirksam ein Steg, der durch den Zuschauerraum auf die  Bühne führte, und von dem aus – also mitten durch die Zuschauer hindurch ein großer Teil der Mitwirkenden auftrat.. Lustige einfälle in hellen Haufen. Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht. …''
 
'' ''''Erich Mühsam ist kein berufsmäßiger Theaterrezensent, sondern Schriftsteller, er notiert spontan und kreativ seine Eindrücke  … Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht. … und überliefert ein sehr lebendiges, fast greifbares Theatererlebnis. ''
 
''Der Steg durch den Zuschauerraum , der ihn so sehr beeindruckt, hat Reinhardt schon in der Inszenierung des „Orpheus“ 1906 als „Überraschungseffekt“ eingesetzt – in „Sumurûn“ 1910, von Reinhardt erneut verwendet, wird  in der einschlägigen Literatur als „japanischer Blumensteg“ definiert.  ''
 
'' Für „Die schöne Helena“ von 1911 und später liegt kein Material im Nachlaß Reinhardt,  bis 1931 - wie beim „Orpheus“ ein ähnliches Bild: kein Zensurexemplar (vor 1918, danach wurde die Zensur abgeschafft), kein musikalisches Material.''
 
''Aber ähnlich wie beim „Orpheus in der Unterwelt“ gibt der Ullstein – Verlag eine für  Klavier arrangierte Fassung mit Text für die Hausmusik  in der Reihe „Musik für alle “ heraus, mit dem Copyrigth Vermerk 1911.  Ob dieses Notenmaterial nach der Vorlage der Reinhardt-Inszenierung, der dazugehörigen Textbearbeitung und musikalischen Fassung zusammengestellt wurde, verrät der Begleittext leider nicht.''
 
''1911, nach dem Münchner Erfolg gastiert die Inszenierung in Wien im Theater in der Josefstadt . Es folgt eine Aufführungserie in Berlin, im Theater des Westens (93) 1912.''
 
''Ende 1912/Anfang 1913  zeigt das Theater am Nollendorfplatz eine „Helena“, die – so die Angaben (bei Huesman) - die Replik einer Reinhardt-Inszenierung ist,  mit der Massary als Helena und Pallenberg als Menelaus .''
 
''Ende der 20er Jahre, zu Beginn der 30er Jahre bietet sich das  Bild einer völlig veränderte Theaterlandschaft – nicht nur in Berlin, hier ganz besonders. Sondern auch in anderen deutschsprachigen Städten. Der Theaterkonzern Max Reinhardt ist in größerem Ausmaß davon betroffen. ''
 
''Dazu ein Rückblick:  ''
 
''1920 gibt Max Reinhardt die Direktionsgeschäfte seiner  Berliner Theater auf, die Leitung übernehmen wechselnde Direktoren, die Geschäftsführung verbleibt bei Edmund Reinhardt. 1929 stirbt Edmund Reinhardt und Max Reinhardt übernimmt die „Oberhoheit“ über seinen Berliner Theaterimperium( Deutsches Theater und die Kammerspiele, Komödie und Theater am Kurfürstendamm ,  Großes Schauspielhaus). ''
 
''Das Große Schauspielhaus ist Teil der Deutsche Nationaltheater AG (DNT) Die DNT AG, d.s. Max Reinhardt und 59 Aktionäre, Vorstand und Vorsitz Edmund Reinhardt,  erwirbt 1918 das Areal des Zirkus Schumann (Am Zirkus 1, Berlin-Mitte), der als Großes Schauspielhaus umgebaut wird, als Spielstätte für das Massentheater „Volkstheater“ genutzt werden soll – für die Reinhardt’schen Großraum-Inszenierungen  (nach seiner Idee einens „Volkstheaters“, vgl. dazu den Brief an Berthold Held von 1894). ''
 
Den Umbau übernimmt Hans Poelzig , 1919 ; das neue Haus wird von den Berliner spöttisch-liebevoll „Tropfsteinhöhle“ getauft.
 
1924 verpachtet die Theaterdirektion Reinhardt das Schauspielhaus an Erik Charell. Erik Charell hatte Reinhardt auf dessen ausgedehnter Tournee „Mirakel “ ( sie startet in New York , 15.1.1924) in den USA begleitet; er nutzte diese Zeit auch um sich ausführlich mit dem amerikanischen Revuetheater zu beschäftigen.  Nach der Übernahme von Reinhardt führte Charell das Große Schauspielhaus als Revuetheater und Operettentheater weiter, bis er 1930/31 aufgeben mußte. Die Ära Charell endet mit dem Serienerfolg der Operette „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ (Ralph Benatzky u.a.). Dieser Publikumserfolg konnte das sich abzeichnende finanzielle Desaster nicht aufhalten. Die Gründe für den finanziellen Niedergang (der betraf auch andere Revuetheater)  sind vor allem in innerbetrieblichen Abläufen sowie einem enormen Kostenaufwand für die opulenten Ausstattungen zu finden. (Mehr dazu in der einschlägigen Literatur, s. dazu vor allem in Wolfgang Jansen, Glanzrevuen der Zwanziger Jahre).
 
Nach dem Ende der Ära Charell übernimmt Reinhardt erneut die Direktionsgeschäfte und bespielt das Große Schauspielhaus für eine kurze Zeit wieder in Eigenregie.
 
''Am 19. April 1932  heißt es „Bühne frei“ für die „Schöne Helena“ im Großen Schauspielhaus als „Burleske Operette“ für 43 Vorstellungen.''
 
''Doch bevor die „Schöne Helena“ den Weg in das Große Schauspielhaus findet, muß sie einige Umwege in Kauf nehmen.''
 
''Zunächst startet sie erfolgreich am 15.Juni 1931 im Theater am Kurfürstendamm.  Als Buffo-Oper in zwei Teilen und lief mit 144 Vorstellungen bis zum 15. November 1931.''
 
'' ''
 
''… gleich zu Anfang  - der „Schönen Helena“ - wurde zu den Klängen der Ouvertüre auf der Vorderbühne aus einer Kiste (über der Versenkung) tänzerisch ein Arsenal homerischer Klamotten gefischt … die Requisiten des Abends  - das Spiel kann beginnen …   das ist der Reinhardt’sche Auftakt .''
 
''  … Die alabasterne Schönheit und glockenreine Stimme der Novotna verlieh der Heldin … Noblesse und Lyrik, aber keinen Sex-Appeal. Hans Moser war ein zwerchfellerschütternder Menelaus, aber kein KÖNIGLICH komischer. ''
 
'' … Ein Meistergriff: das Urteil des Paris – nicht die ursprüngliche Arie, keine Erzählung, sondern aufgelöst in ein Quartett mit den drei visionär erscheinenden Göttinnen – mit einem Knalleffekt: das Striptease der aus dem Schaum des Berliner Landwehrkanals geborenen La Jana. …''
 
 
Gottfried Reinhardt über die Aufführung von 1931, aber er ist nicht wirklich zufrieden mit dieser Aufführung im Theater am Kurfürstendamm; seiner Meinung nach  sei sie „zerflattert“, weil zu episodisch,  de große alles verbindende Bogen fehlt; auch die Besetzung ist seiner Meinung nach nicht gut gewählt .
 
Die musikalische Bearbeitung lag in den Händen von Erich Wolfgang Korngold.  Wie diese Bearbeitung geklungen hat, davon gibt eine kurze Aufnahme des Traumduetts zwischen Helena (Jarmila Novotna)und Paris (Gerd Niemar) eine sehr oberflächlichen (eben weil zu kurz) Eindruck. Zu dieser Aufnahme, die 1932 in Berlin entstanden ist, mit der Korngold’schen Bearbeitung. Das Eingangssolo des Paris läßt Offenbach ahnen – mit den Koloraturparaphrasen. Offenbach setzte den Koloraturgesang als Stilmittel ein – nicht erst mit der „Schönen Helena“.  Stilistisch jedenfalls klingt das Duett so als sängen beide ein Duett von Franz Lehàr.
 
Charles B. Cochran, der berühmte englische Theatermanager „and starmaker“ lädt Max Reinhardt ein, die „Schöne Helena“ im Adelphi-Theatre, London zu inszenieren; dafür muß allerdings eine völlig neue Textfassung erstellt werden, die von A.P.Herbert geschrieben wird auf der Basis der Fassung von Egon Friedell und Hans Sassman. Außer dem Plot ist von der Offenbach’schen Opéra bouffe wohl kaum noch etwas übrig geblieben. (Textvergleiche mögen andere durchführen, jedenfalls liest sich die englische Fassung sehr puritanisch. In dem von ihm geschriebenen neuen dritten Akt kehrt das königliche Paar Helena und Menelaus nach Sparta zurück, friedlich vereint, aber genervt, grantig. Der Krieg ist vorbei; der graue alte Alltag hat uns wieder! )
 
Offenbachs Komposition wurde von Erich Wolfgang Korngold für London neu bearbeitet; da es keine überliefertes musikalisches Material gibt, bleibt es bei dem Hinweis, auf der Grundlage von Rezensionen und Programmen.
 
Die Premiere, nach einer Voraufführung in Manchester(26.12.1931),  in London war am 30.1.1932. Die Kritiken gerieten eher ablehnend, wenig positiv, Zustimmung gab es zu der opulenten Ausstattung von Oliver Messel  und zu dem Star Evelyn Laye. (von Charles B. Cochran aufgebaut), die die Helen(a) gab.
 
Dennoch: Charles B. Cochran, ständig  auf der Suche neuen, erfolgsträchtigen Revuen, Musicals, Varietés, bietet Max Reinhardt ein weiteres Offenbach-Projekt an: „Les Brigands“ /Die Banditen, eine dreiaktige opéra bouffe, die 1869 im Théâtre Varietés, Paris,  uraufgeführt worden war und noch im gleichen Jahr in London unter dem Titel „Falsa Cappa“.
 
Danach übersiedelte die Londoner Fassung der „Schönen Helena“ nach Berlin, an das Große Schauspielhaus , Premiere war am 19. April 1932.
 
Für die Textbearbeitung oder besser gesagt Neufassung des Textes (der alten Übersetzung) liegen im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek mehrere Typoskripte, laut Titelblatt als „Regiebuch“ Max Reinhardt bezeichnet.  Es sind unkorrigierte, vor allem undatierte Textexemplare im Teilnachlaß  Hans Sassman.
 
Kein Regiebuch von Max Reinhardt; vielleicht sollte das Typoskript die Vorlage für ein Regiebuch Max Reinhardts werden,  in das der Regisseur dann akribisch seine Anweisungen – wie gewohnt eintragen würde und  es mit seinem berühmten Signet als endgültig zeichnen.
 
Das autographe  musikalischen Material von Erich Wolfgang Korngold(Bearbeitung für die Aufführung von 1931, oder zu späteren, der Londoner Bearbeitung von 1932), ist bisher nicht nachweisbar.
 
Für die New Yorker Fassung „Helen goes to Troye“ (auf die ich nicht eingehen werde) von 1943/44 liegt das Material gedruckt  vor: gedruckt erschienen bei Chappel & Co. Das dazugehörige autographe Material in der Public Library, New York.
 
 
1929 ist Max Reinhardt erneut auf der Suche nach einem Erfolgsstück für die Sommerwochen; er denkt erneut an „ La Vie Parisienne“, ein alter Plan aus seinen Anfängen als Regisseur. 1913  wird es für das Deutsche Theater angekündigt, aber nicht realisiert.
 
Nach den erfolgreichen Erfahrungen mit „Orpheus in der Unterwelt“ 1906, und der „Schönen Helena“, 1911,  möchte  Reinhardt diese Idee endlich realisieren. Erich Wolfgang Korngold redet ihm diese Idee  erfolgreich aus, und daraus wird dann eine „Fledermaus“ – als Offenbachiade.
 
Korngold, der Spätromantiker, hat – so steht zu vermuten – zu der leichtfüßigen, ironischen Eleganz der Offenbach‘schen Musik keinen wirklichen Zugang. Johann Strauß und dessen  wiegende Melancholie lagen ihm da wohl näher. Entre parenthèse: nicht zuletzt  auch seine große Nähe zur Witwe Adele Strauß.
 
Ich habe mir die Frage gestellt, was Reinhardt an „La Vie Parisienne“ so fasziniert haben könnte, daß er dieses Projekt wie einen unerfüllten Traum immer wieder versuchte zu realisieren, zu inszenieren.
 
Theaterpraktisch: die Story, (Musik war für Reinhardt nur „Illustration“, kein realer Mitspieler), mit vielen größeren und kleineren Ensembleszenen – vom kammermusikalischen Quartett bis zur Massenszene , mit denen es sich reizvoll spielen ließ.  Anders als im „Orpheus“ oder in der „Schönen Helena“ – in beiden gibt es die doch einigermaßen klaren Trennung zwischen Solo, Duo und Ensemble . 
 
Vielleicht auch ein wenig Nostalgie, in Erinnerung  an den eigenen Beginn in Berlin,  einer Stadt im Aufbruch – und für Reinhardt der Aufbruch ins Leben, in seine Theaterträume.
 
„La Vie Parisienne“ spielt in einem Paris der Aufbruchsstimmung – mit  der Projektion auf Zukunft, ihr Symbol ist die Eisenbahn. „ La Vie parisienne“ wurde komponiert, als Hausmann auf Befehl Napoleon III. aus dem mittelalterlichen Paris eine moderne Großstadt werden ließ – so wie wir es heute kennen – mit einer perfekten Infrastruktur
 
(Métro), Kanalisation, breiten Boulevards, Gasbeleuchtung und all den Errungenschaften, die „Aufbruch“ bedeuten. Wollte Reinhardt mit dieser Regie vielleicht seine eigenen Erfahrungen, Beobachtungen widerspiegeln, verarbeiten, als er 1894 nach Berlin, in die Stadt des Aufbruchs, kam?
 
 
 
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