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Max Reinhardt-Helene Thimig, ein Briefwechsel

421 Byte hinzugefügt, 25 Juli
keine Bearbeitungszusammenfassung
Helene Thimig spielt immer wieder kleinere (stumme)Filmrollen um das benötigte Budget aufrecht zu erhalten (davon später).  Sie ist mit der Film-Crew von Warner-Brothers nach Carmel gereist; Film: "Edge of Darkness".  
Bevor ich auf die Briefe eingehe, einzelne auch herausgreife, einige Notate zur Edition.  Die Briefe, die Max Reinhardt und Helene Thimig zwischen 1937 - 1943 von Hollywood nach New York und umgekehrt sandten,  werden von einem chronologisch aufgebauten Anmerkungsapparat begleitet (etliche Anmerkungen sind als [-] in den Text eingebaut), es gibt eine tabellarische Kurzvita beider Protagonisten, den Bildnachweis und das Namensregister, einen editorischen Hinweis sowie die obligatorische Danksagung.  Undatierte  Nur teilweise datierte  Abbildungen(mit zum Teil etwas fragwürdigen, weil nicht wirklich korrekten poetischen Bildunterschriften) „lockern“ den Textteil auf; S.30 meint der/die Verfasser/in der Bildunterschrift:
''Der Erfolgsregisseur bei der Ankunft: er kennt New York, die Stadt hat ihn gefeiert. Da kommt man nicht als Emigrant ...''
Bedauerlicherweise ist dieses Photo Er kam als Emigrant; sein Berliner Theaterimperium hatte er bereits in den 20er Jahren entstandenverloren, und er wußte, daß er, als Reinhardt mehrfach zu Gastspielener 1937 nach seiner letzten Wiener Inszenierung (In jener Nacht, auch Gesamtgaststpielen in den USA von Franz Werfel, Th.i.d.Josefstadt) Wien verließ, es eine Reise ohne Wiederkehr war.    Der Untergang des Staates Österreich, der Ersten Republik, war nur noch eine Frage der Zeit.  
Reinhardt kam 1937 mit einem Besuchervisum, wie zahlreiche andere Emigranten vor und nach ihm.  Schon beim ersten, sehr kursorischen“ Quer-Lesen fielen mir etliche Details auf, in den Bildunterschriften (s.o.), in den begleitenden Kommentaren, in den Anmerkungen, die mich „stolpern „ ließen.
Da lese ich z.B. auf  S. 551 (d.i. der editorische Hinweis) :
Die Briefe "wandern" von Ost nach West und umgekehrt, ihr Weg ist lang – sie müssen einen ganzen Kontinent queren, für die rasche Kommunikation wählen beide nicht selten die Western Union – das „Kabel“, wie im Buch genannt. Diese Kommunikation hat den großen Vorteil, daß der Text auch telephonisch übermittelt werden kann; der Zeitunterschied zwischen Ostküste und Westküste wird damit noch einmal verkürzt. – Zum besseren Verständnis: die Entfernung Los Angeles- New York etwas mehr als 4.600 km, der Zeitunterschied beträgt drei(3) Stunden.
Dieser Hinweis könnte ein eiliger Leser als quantité négligeable beiseite schieben;  aber: in so manchem Brief geht es inhaltlich um wichtige, oft zeitlich begrenzte Entscheidungen - ein nicht zu unterschätzender Faktor. 
Eine weitere Informationslücke: Der editorische Hinweis gibt als Provenienz-Vermerk an, der Briefbestand des Reinhardt-Nachlasses der Wienbibliothek wäre um einige Briefe und Kabel aus dem Reinhardt-Archiv der State University of New York, Binghamton ergänzt und erweitert worden. Am Ende eines jeden  Dokuments/Objekts verweisen Zahlen/Buchstabenkombinationen auf die Provenienz. Für den archivarisch nicht geschulten Leser sind diese Ziffern – und Buchstabenfolgen allerdings ein „Buch mit sieben Siegeln“, daher wenig aussagekräftig. Ein Hinweis wo welche Signatur zu verorten ist, fehlt.
Die Familie Goldmann, Max Goldmann, änderte '''1904''' mit der Bewilligung des königl.ungarischen Innenministeriums den Namen Goldmann offiziell in den Namen '''Reinhardt'''.
Das „poetisch-journalistische“ Vorwort von Frau Zehle  unternimmt den Versuch für den interessierten Leser sehr kursorisch und sehr pauschal etwas von der komplexen Zeit der Weimarer Republik (9.11.1918-1933, 30.1.) zu berichten, vor allem über die „glänzenden“ schwierigen Theaterverhältnisse nach einer kurzen Phase der Konsolidierung (nach , mit dem Ende der Inflation, nach 1924 beginnt, und die bis ungefähr 1929 anhält um dann mit den immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen ein abruptes Ende zu finden.
Mit dem 30.Januar 1933 (Hitler wird Reichskanzler, das Datum firmiert unter dem Etikett „Machtergreifung“) übernehmen die Nationalsozialisten die Macht  und die Gleichschaltung aller Institutionen (und das betrift sämtliche Theater) wird unmittelbar in Gang gesetzt, sowie die Verfolgung der jüdischen Minderheit.
Max Reinhardt verließ Berlin wenige Tage nach der Premiere von Hugo von Hofmannsthals „Großem Welttheater“, Deutsches Theater am 1.März 1933. Helene Thimig folgte ihm wenig später; der Berliner Haushalt wird komplett aufgelöst.
Reinhardt und Helene Thimig hatten im Schloß im Gartenhaus(abgerissen) des Schlosses Bellevue im Tiergarten-Viertel (heute Wohnsitz des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland)  ihren Wohnsitz; um aus dem Mietvertrag entlassen zu werden sorgten sie für einen Nachmieter. Dieser Nachmieter war Paul von Mendelssohn und seine Frau Elsa, die auch das gesamte Inventar übernahmen. Im Gegenzug zahlten sie 16 000 Reichsmark an das Deutsche Theater; mit dieser Summe bezahlte das Theater Sozialabgaben, ausstehende Gehälter sowie Unterstützungszahlungen für Familienmitglieder und Else Heims. 
Max Reinhardt finanzierte aus den Gewinnen seines Theatergeschäfts auch diverse Familienmitglieder; diese Zahlungen waren Teil der hohen finanziellen Belastung, die er auch in der Emigration zu leisten hatte.   
Weitere Details dazu in:
'''Julius H.Schoeps''',  Das Erbe der Mendelssohns, Biographie einer Familie, Frankfurt/M.³, S. 354f.
Der viel diskutierte, immer wieder neu interpretierte „'''Oxford-Brief'''“ vom 16.Juni 1933 (Max Reinhardt schenkt dem Deutschen Volk sein Theater, Kurzfassung) ist eine sehr berührende, ergreifende poetische Geste, traumwandlerisch, in die Zukunft weisend vergleichbar einer der Weissagungen der Seherin Kassandra. Reinhardt weiß, daß ihm sein Lebenswerk gewaltsam und illegal gestohlen wurde. Er weiß, was er verloren hat, er weiß, was diese Stadt, dieses Land mit der Errichtung ''„Diktatur des Hausknechts“''(Alfred Kerr) für immer und unwiederbringlich verloren hat.
Als ich diesen dicken Briefband in die Hände nahm, war meine erste Reaktion – wie schon gesagt - ZU SPÄT! Vieles, was in diesen Briefen oft nur andeutungsweise erwähnt wird, kann entschlüsselt werdenist eine weitere, doch welcher Leser, anno 2023 - trotz immer mehr sich ausbreitendem Antisemitismussehr wichtige Quelle zur Exil-Forschung.   ist historisch so informiert, daß er den historischen Wert dieser Korrespondenz in seinem vollen Umfang erfassen kann.
Wer diese Dokumente ohne Wissen um den historischen Hintergrund (gleichermaßen für Europa wie für die USA) liest, wird wie ein Rezensent so freundlich nach dem Erscheinen des Briefbandes anmerkte, diese Briefe sehr persönlich, sehr berührend finden, nicht aber ihre tatsächliche historische Bedeutung erkennen.   
 
Als ich die Briefe von Max Reinhardt gelesen hatte, fiel mir - ungewollt - der Text von''' Arthur Kahane''' ein, den er in seinem Buch" Tagebuch des Dramaturgen", 1928, veröffentlicht hatte. Er schildert sein Zusammentreffen mit Max Reinhardt im Café Monopol, 1902, und den Monolog des jungen aufstrebenden Theatermannes Reinhardt: ''"Was mir vorschwebt, ist ein Theater, das den Menschen wieder Freude macht ..."''
 
Arthur Kahane, Tagebuch des Dramaturgen, Berlin 1928, S. 112ff.  
'''Max Reinhardt''' übersiedelt nach New York – SEINE Theaterträume ließen sich nur in New York, am Broadway verwirklichen – europäisches Theater dem kommerziell bestimmten amerikanischen Theater kontrastierend gegenüberzustellen?  - war es so?
'''Helene Thimig''' bleibt in Hollywood, versucht den „Workshop“ zu retten, unterrichtet, auch Privatschüler und spielt kleine Filmrollen um das tägliche Überleben, den Alltag abzusichern.
Die Briefe, die Reinhardt zwischen 1937 – 1943 geschrieben hat – sind - jeder für sich – ein Dokument der Einsamkeit eines Menschen, der seine Welt verloren hat und sich in der neuen nicht wiederfindet. Reinhardts Briefe wie auch die Briefe von Helene Thimig mit ihrem verstörenden Inhalt sind – kennt man nur einiges aus den vielen überlieferten Korrespondenzen der Emigranten von 1933-1945 - kein EinzelfalEinzelfall;  die Ausführlichkeit, das Ausmaß der Verstörung verleiht ihnen die Aura des Besonderen.
Der Wohnort Hollywood, Santa Monica, wird in der Retrospektive häufig als „Neu-Weimar“ beschrieben; die „deutsche Kolonie“( gemeint sind die deutschsprachigen Emigranten) , folgt man der Beschreibung von '''Salka Viertel''', bestand aus mehreren Gruppen.