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Hermann Scherchen dirigiert Gustav Mahler

11.531 Byte hinzugefügt, 10:04, 11. Nov. 2021
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''Die Folge - ein Engagement als zweiter Dirigent nach Dubbeln (Lettland) mit dem Symphonischen  Orchester  Riga.''
''10) Klemm, S. 71 ff.   Wjatka: eine kleine Stadt(40.000 Einwohner) im Ural ''
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'' '''Dirigieren, Lehren, Forschen 1920 – 1933'''''
 
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''Hermann Scherchen übersiedelt 1920 nach Leipzig, nachdem er ein Engagement als Dirigent des Grotrian-Steinweg-Orchesters, Leipzig angenommen hatte; dieses Engagement bot ihm – endlich – die Möglichkeit, seine in Rußland gewonnenen Erkenntnisse als Orchestererzieher auszuprobieren. 11)''
 
''Auf Leipzig folgte Frankfurt/M., die Museums-Konzerte, 1922 -1924,  dann Königsberg,  O(stmarken) R(undfunk)AG 1928 -1932,  dazu kamen Chorleitung und –dirigate usw. 12)''
 
''1922 wurde er ständiger Gastdirigent für das Stadtorchester Winterthur. Diese Verpflichtung endete 1950 mit seiner Entlassung wegen des Verdachts  kommunistischer Umtriebe. 13)''
 
''Scherchen, der Autodidakt, hatte einen ausgeprägten Zug zum Lehren, Lernen, Erfinden. Verfolgt man die Lebenslinien des Musikers, gewinnt man den Eindruck, daß diese Facetten seiner Begabung ihm oft wesentlicher waren als das praktische Musizieren, das Dirigieren. Der Didaktiker Scherchen plante Arbeitstagungen, Orchestergründungen, publiziert, hält Vorträge, betreibt Forschung für alte (damals) vergessene Musik, arbeitete für das neue Medium Rundfunk. ''
 
Im November 1932 dirigierte Hermann Scherchen Konzerte in München, aus Anlaß der „ Münchner Woche“ am 22. und 24. November; er erinnert sich:
 
''… Inzwischen fing jene politische Entwicklung an, die die Jahre von 1933 an gekennzeichnet hat und die ich selbst im Ausland erlebte. ... dann kam mein letztes Konzert im Dezember 1932 in München. … Es war ein unerhörter Triumph für alle Werke: die Erste Sinfonie von Honegger, von Reger, glaube ich, die ‚Romantische Suite‘ und von Mahler das Adagio aus der Zehnten Sinfonie. …  ''14'')''
 
  Es war Scherchens letztes Konzert in Deutschland bis nach Kriegsende.  
 
Scherchen fährt fort in seinen Erinnerungen  an das Jahr 1932/33:
 
 ''… Vorher hatte ich das große Glück zum erstenmal das musikalische Wien zu erleben. Das kam so: Ich war nach Wien eingeladen worden, die neunte Mahler- Sinfonie für den Rundfunk aufzunehmen.  … Bei der ersten Probe erschien plötzlich eine Schar von Jünglingen und jungen Mädchen feierlich mit einem Fürsprecher. Sie fragten mich, ob ich erlauben würde, daß sie der Probe beiwohnen . … Sie seien Schüler von Webern und von Berg, und es sei ''''für sie sehr wichtig, die Arbeit an der „Neunten“ Mahler zu erleben … ''
 
Nach dieser Begegnung entstand das Orchesterstudio Wien; es folgte das Konzert am 31.Januar 1933 im Wiener Konzerthaus.  15)
 
Scherchen wählte die Schweiz als Exil-Land; bis zum Beginn des 2. Weltkriegs am 1. September 1939 war er als Reisedirigent unterwegs, ausgenommen war Deutschland. 1939 dirigierte er in Athen und in Palästina, organisierte in Straßburg und Brüssel Arbeitstagungen,  bis kriegsbedingt der Radius sich ausschließlich auf die Schweiz einengte.  16)
 
1935 kommt es zur Gründung des Verlags „''Ars viva''“ in Brüssel, das Verlagsprogramm verzeichnet die geplanten und auch teilweise realisierten Publikationen alter und neuer Musik. 17)als begleitende Publikation erscheint die Zeitschrift „''Musica Viva''“, die allerdinges (Geldmangel!) nach drei Nummern, 1937 wieder eingestellt wird.
 
Nach Kriegsende wird mit einem etwas veränderten Namen „ ''Ars Viva''“ ein Verlag,1949, in Zürich gegründet; aber wie viele Initiativen dieser Art von Scherchen, endeten diese Projekte  -entweder durch Kapitalmangel oder wurden von anderen Verlagen übernommen.
 
1940 – 1944 leitete er in Bern eine Dirigentenklasse, gab Kurse für Instrumentation und Interpretation am Konservatorium in Bern, veranstaltete Ferienkurse,  - eine Unterbrechung seiner intensiven Tätigkeit bedeuten die Kriegsjahre keineswegs, bestenfalls eine geographische Einengung.
 
1944 bekommt er Kontakt zur S(chweizerischen) R(undspruch)G(esellschaft).
 
1945 Übersiedlung nach Zürich; Radio Beromünster engagiert Scherchen als Dirigent für das Orchester des Senders. Radio Beromünster ist der deutschsprachige Sender der S(chweizerischen) R(undspruch)G(esellschaft) mit Studios in Basel, Bern und Zürich.
 
Mit Kriegsende nahm Scherchen seine umfassende Reisetätigkeit als Dirigent und Lehrender wieder auf, in Ankara, Chile, bei den Darmstädter Ferienkursen 18),  in Prag usw.; dazu kommen Plattenverträge und Rundfunkarbeit.
 
1950 kommt es zur Entlassung aus sämtlichen schweizerischen Positionen; der Vorwurf: kommunistische Umtriebe. Scherchen hatte beim Festival „Prager Frühling“ ein Konzert dirigiert und im Rahmen der tschechoslowakischen Kulturwoche in Basel einen Vortrag über „Die Tschechoslowakei 1950“ gehalten.  Europa in Zeiten des Kalten Krieges -Grund genug um in der deutsprachigen Schweiz einen Skandal zu entfesseln, Scherchen wurde ein – Bauernopfer (?) seiner Kompromißlosigkeit. Erst 1965 kommt es wieder zur Zusammenarbeit mit einer Schweizer Institution, mit Radio Lugano. 19)
 
Ungeachtet dieser Hetzcampagne von 1950 behielt Scherchen den Wohnsitz in Zürich; kommt weiter seinen internationalen Verpflichtungen nach – reist nach Italien, Österreich, Deutschland,  New York usw.
 
''1954 erwarb Scherchen im dem Tessiner Dorf Gravesano ein altes Bauernhaus. Gravesano wurde Wohnsitz und Experimentierzentrum. Scherchen ließ den alten, baufälligen Stall umbauen in schalltotes Studio. Es wurde der ideale Ort für die Experimente und Aufführungen zeitgenössischer elektronischer Musik. 20)  Zwischen 1954 und 1966 war Gravesano das „Mekka“, zeitweise sogar Mittelpunkt der elektronischen Musik, der elektro-akustischen, schallwissenschaftlichen Szene. ''
 
''Am 7. Juni 1966 dirigierte Scherchen im Rahmen des Maggio Musicale Fiorentino  die Premiere  „Orfeide“ (Malipiero). Er stirbt, völlig unerwartet, am 12. Juni 1966 in seinem Hotel in Florenz. ''
 
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''Anmerkungen''
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''11) Grotrian-Steinweg Orchester: auf Initiative des Leipziger Konzertverein gegründet 1920, finanziert von der Klavierbaufirma Grotrian – Steinweg, Leipzig. Scherchen übernimmt im selben Jahr die Orchesterleitung; die dauerhafte finanzielle Absicherung des Orchesters bedeutete das nicht. Das Orchester muß um seinen Erhalt finanziell zu erreichen populäre Konzerte spielen, im Palmengarten, im Leipziger Zoo usw. Die Inflation von 1923 tut ein übriges; das Ensemble löste sich auf.    ''
 
''12) 1924 leitete Scherchen sein erstes Rundfunkkonzert, Arnold Schönberg steht auf dem Programm. Scherchen eignete sich – autodidaktisch – umfangreiches technisches Wissen über das neue Medium Rundfunk an , beschäftigte sich mit Fragen der Akustik – das ging so weit, daß er sich immer wieder aktiv mit Lösungsvorschlägen einschalten konnte.''
 
''13) Winterthur: Das Orchester besteht zunächst aus Amateuren; Scherchen ergänzte das Orchester durch das Engagement professioneller Musiker und formte es zu einem professionellen Klangkörper. Das gespielte Programm reichte von schweizerischer Barockmusik bis zu zeitgenössischer Musik.''
 
''14) Klemm, S. 51f. Nach Recherchen in der Münchner Stadtchronik konnte das Konzert nicht festgestellt werden, weder mit Kritiken noch mit Programmen. Das bedeutet aber nicht, daß das Konzert nicht stattgefunden hätte; es könnte sein, daß die Behauptung des Kritikers Alexander Berrsche(eigentlich Lösch, 1883-1940), Musikschriftsteller, Musikredakteur der Münchner Zeitung zutrifft, - wie es auch Scherchen berichtet - es würden keine Rezensionen über das Scherchen - Konzert erscheinen. Er erklärte Scherchen, Grund wäre dessen Konzert in Hamburg gewesen, das er – Scherchen - im roten Pullover dirigiert haben soll mit propagandistischem Inhalt. Scherchen hatte zu diesem Zeitpunkt kein Konzert in Hamburg dirigiert; derartige Machinationen waren Teil der NS-gesteuerten Diffamierungscampagnen (die lange vor der „ Machtergreifung“ begannen), nicht nur gegen Scherchen. ''
 
15) Klemm, S. 52f. Am 22. August 1932 dirigierte Scherchen in der RAVAG ein Funkkonzert mit dem Wiener Sinfonieorchester/Wiener Symphoniker/. Auf dem Programm stand: Rudolf Mengelberg, Sinfonische Variationen für Violoncello und Orchester, EA, Solist: Rafael Lanes und Gustav Mahler, IX. Symphonie.
 
Wenig später dirigierte er im Rahmen einer Arbeitstagung mit Absolventen der Musikschulen ein sogen. Studio-Konzert; anzumerken wäre, daß in den Rezensionen immer auf ein erstes Konzert hingewiesen wird, zu dem – bis jetzt - keine Unterlagen auffindbar sind.
 
Wien, Orchesterstudio-Konzert im Großen Saal des Wr. Konzerthauses:
 
31.1.1933
 
Beethoven, Große Fuge B-Dur
 
Strawinskij, 1.Klavierkonzert, Solist Jakob Gimpel
 
Mahler, Adagio aus der X. Symphonie /Fassung Krenek
 
Dirigent: Hermann Scherchen
 
NEUE FREIE PRESSE, gez. I., Nr. 24566, 2.2.1933
 
'' … Von einem kleinen Kreis auf den Schild gehoben, hat Hermann Scherchen, der ehemalige Königsberger Rundfunkdirigent, mit einem Orchester, das sich im wesentlichen aus jungen Absolventen der großen Wiener Musikschulen zusammensetzt, nach einem ersten, weniger geglückten Versuche ein zweites Konzert veranstaltet  … den Willen zu interessanter Programmbildung ebenso überzeugend dokumentierte wie den Mut,  mit weniger erprobten Kräften an schwerste Aufgaben heranzugehen. Die Dirigiertechnik Scherchens hat viel Gewaltsames und den Verzicht auf den Taktstock  möchten wir nicht gerade für eine Errungenschaft halten; er ist übrigens ebensowenig neu wie die Orchesteraufstellung (erste und zweite Violinen links, Celli rechts vom Dirigenten) und die zur Verbesserung der Akustik angebrachte Wandverkleidung.  ...''
 
''Die Aufführung ließ an das, noch unter dem Eindruck dieser Reinheit, wohl auch an Exaktheit in den exponierten Partien manches zu wünschen übrig. Wir würden das, noch unter dem Eindruck dieser Musik und der glühenden Begeisterung stehend, mit der die jungen Leute im Orchester bei der Sache waren, nicht hervorheben, wenn nicht gerade Scherchen als das Muster eines'' ''Genauigkeitsfanatikers und Einstudierers mit ostentativer Beflissenheit gegen andere Wiener Dirigenten ausgespielt'' ''würde.''
 
16)Zu den Arbeitstagungen:
 
1933 Straßburg, 193 8 die sechste und letzte in Braunwald/Schweiz. Das Programm dieser Tagungen: jungen Musikern die Möglichkeit der Begegnung mit Musik zu bieten, die in Deutschland verfemt wurde, diese zu studieren, Künstlern zu begegnen, die in Deutschland nicht mehr auftreten durften – in einem Arbeitsklima ohne jede Einschränkung, politischer Repression usw.
 
17) Lucchesi, S.35
 
18) Darmstädter Ferienkurse: Scherchen kommt in Kontakt mit der jungen Musikergeneration des deutschsprachigen Raums.   
 
''19) Seit Scherchen 1944 als Leiter der Musikabteilung von Radio Beromünster ernannt worden war – eine Ernennung, die vonseiten der deutschschweizerischen rechtspopulistischen Presse heftig angegriffen wurde – schwelte dieser Konflikt, der dann mit dem Basler Vortrag von 1950 voll zum Ausbruch kam und zu Scherchens Entlassung aus allen öffentlichen Schweizer Ämtern führte. Scherchen war nicht der einzige, der solchen Angriffen ausgesetzt war; fast ist man versucht zu sagen, sie waren für die in die Schweiz niedergelassenen Exilanten Alltag zwischen 1933-1945.''
 
''20) Klemm, S. 63f.;  Manfred Krause, Das Gravesaner Studio und seine Austrahlung. Erinnerungen eines Außenseiters. S. 116ff. sowie Abb. S. 114 und S. 115  In: Hermann Scherchen. Musiker 1891-1966. Berlin 1986''
 
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