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Hermann Scherchen dirigiert Gustav Mahler

13.263 Byte hinzugefügt, 19:24, 11. Nov. 2021
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Zit. Lucchesi, S. 225 f.?
Fortsetzung folgt'''DAS MUSICA VIVA – ORCHESTER  - EIN WIENER ZWISCHENSPIEL  1937/38'''  Mit den beginnenden 30er Jahren zeichnen sich die veränderten und verändernden politischen Ereignisse, Gefahren immer stärker ab; der zunehmende Antisemitismus, das Erstarken der extremen Rechtsnationalen, der Nationalsozialisten, schaffen ein zerrissenes gesellschaftliche und kulturelles Klima. In diesen Sog gerät auch die Rezeption von Mahlers Musik. Nach dem Februaraufstand 1934, der Ermordung des Bundeskanzler Dollfuß, entsteht der Ständestaat, ein autoritäres Regime mit einem demokratischen Mäntelchen. Das kulturelle Wien brauchte neue Impulse und so meinen ''Gerhard Scheit, Wilhelm Svoboda ''in ihrer Publikation'' „Feindbild Gustav Mahler“ (''s. Lit.angaben) wäre der Komponist Gustav Mahler, der ehemaliger Hofoperndirektor reine ideale Identifikationsfigur. Treibende Kraft war Alma Mahler, die Witwe. Bruno Walter, als behutsamer Sachwalter Mahlers, als Vertreter einer älteren Generation (in den Augen einer jüngeren Generation: konservativ), genügte diesem Anspruch nicht mehr. Eine jüngere Generation, nüchtern und kühl, mit einem anderen Musikverständnis sollte sich mit Mahler beschäftigen. In der Person von Hermann Scherchen glaubte man die Gegenposition gefunden zu haben, die zu einer veränderten Auseinandersetzung mit der Musik Mahlers führen sollte, ihr den neuen notwendigen Drive geben. 21) Man könnte auch so argumentieren, daß sich die Highlights der prominenten Dirigentengarde lieber mit dem Wohlbekannten, Vertrauten – wie etwa Beethoven und Brahms – dem Publikum präsentierten. Es  war erst diese jüngere Generation, freilich keineswegs noch prominent genug, die dem weit verbreiteten Vorurteil  von der „hypertrophen Kapellmeistermusik“, wie man Mahlers Musik gerne etikettierte, vehement widersprach. In diesem zerrissenen musikalische Klima im Wien der 30er Jahre wirkte eine Persönlichkeit wie Hermann Scherchen quasi als Kristallisationspunkt – wenigstens in den vielversprechenden Ansätzen, die auch zukunftsweisend waren, bis zum abrupten Ende mit dem 12.März 1938. Ende Juli 1937 kommt Scherchen von seiner in Budapest abgehaltenen Arbeitstagung/Dirigierkurs nach Wien um mit dem soeben zusammen-gestellten Musica Viva –Orchester zu arbeiten. Vorausgegangen war die Gründung eines Vereins der Musicophilen, mit Sitz in Zürich, der das <span style="font-size: 0.939em;">Projekt auch finanziell unterstützte. 22)</span> Alma Mahler übernahm die Ehrenpräsidentschaft, das war die Voraussetzung für die Zustimmung zu einem Mahler-Zyklus; zusätzlich ergab sich damit die Möglichkeit langfristiger Planung. Dieses ambitionierte Unternehmen fand am 12.3.1938 mit dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich sein abruptes Ende – aus der Republik wurde die Ostmark. Alles was nicht in „''Die Diktatur des Hausknechts''“ (Alfred Kerr) paßte, verschwand – quasi über Nacht. 23) Die Programmplanung  bis 1938/39 sah drei wichtige Schwerpunkte vor: zu dem geplanten Mahler-Zyklus kommt ein Zyklus der Brandenburgischen Konzerte und anderer Kompositionen von J.S. Bach, den dritten Schwerpunkt bilden die sogen. „Manuskriptkonzerte“, d.s. Konzerte zeitgenössischer Komponisten deren Werke im Konzert sozusagen „aus dem Manuskript“ gespielt werden sollten.  ''Der Mahler-Zyklus: Aufführungen sämtlicher Mahler-Symphonien, ausgenommen die VIII. (wegen des zu großen Aufwands an Mitwirkenden, damit auch ein zu hoher finanzieller Einsatz). Geplant waren sieben Konzerte im Großen Musikvereinssaal, die zwischen dem 6.11. 1937 und dem 22.5.1938 stattfinden sollten.'' ''''' ''''' ''Der Mahler- Zyklus  25)'' # '' Konzert im Mahler-Zyklus'' ''6.11.1937 Großer Saal des Musikverein'' ''Musica Viva-Orchester'' ''Dirigent: Hermann Scherchen'' ''Alt: Enid Szantho'' # '' Mahler, 9. Sinfonie in D'' ''               Kindertotenlieder'' ''''' ''''' Neues Wiener Journal, 8.11.1937, Nr. 15.795 Hans E. Heller ''… er hat Wien um ein hochwertiges Orchester reicher gemacht, er hat aber auch das ewige Programmeinerlei mit schöpferischer Kraft durchbrochen und gezeigt, daß auch in dieser Zeit Erfolg erzielt werden kann, wenn man an Stelle des Betriebes eine Überzeugung setzt und sie – allen hämischen Nörgleien zum Trotz – in die Tat umzusetzen bereit ist. …'' ''Das zweite Konzert des Musica Viva Orchesters war das erste des angekündigten Mahler-Zyklus. Scherchen machte es sich und den Höreren nicht leicht. Er stürzte kopfüber in den Ozean Mahlerscher Musik und begann dort, wo Mahler aufhörte: bei der „Neunten“ …'' ''Man wird bis jetzt vielleicht eine kritische Würdigung der Dirigierleistung Scherchens gesucht haben. Es wird aber beim Suchen bleiben, denn angesichts solcher Vollkommenheit muß jedes kritische Wort wie kindliches Gestammel wirken. Es war eine Apotheose der Vollendung.'' '' '' Neue Freie  Presse, 10.11.1937, Nr. 26282 Gez. U. ''Hätte Scherchen keine anderen Verdienste als die Wiedergabe des symphonischen Werkes Mahlers in meisterlich studierten Aufführungen, sein Wirken mußte in der Konzertgeschichte unserer Stadt bedeutsam bleiben. …. Seit Clemens Krauss Abgang ist es um Mahlers Symphonien recht still geworden … Die Aufführung, völlig erfüllt vom Geiste des genialen Werkes, hatte technische Vollkommenheit, tiefe und einen unnachahmlichen Zug ins überdimensionale. Mochte man vielleicht in Einzelheiten des Orchesterklanges noch Wünsche haben, etwa stärkere Besetzung und größere Fülle des Streicherkörpers, weichere Rundung des Hörnerklanges, als Gesamtleistung war diese Aufführung so schön, daß man ihrer nur mit aufrichtiger Bewunderung und Dankbarkeit  gedenken kann. …''  # '' Konzert im Mahler-Zyklus'' ''15.12 1937 Großer Saal des Musikverein'' ''Musica Viva-Orchester, Musica Viva Frauenchor, Wiener Sängerknaben'' ''Dirigent: Hermann Scherchen'' ''Alt: Maria Basilides'' # '' Mahler, 3. Sinfonie in d –moll 26)'' ''''' ''''' ''Alma Mahler, nach der Aufführung der III. Symphonie:'' ''… gestern erlebte ich eine unbeschreiblich herrliche Aufführung von Gustav Mahlers 3. Symphonie. Alles wird daneben zu Nichts, wenn man das erleben kann, was ich erlebte. Dieses unvergleichliche Werk unter Hermann Scherchens Leitung: Das Wiedererstehen meiner damaligen starken Erschütterung im Jahre 1903 bei den Aufführungen in Köln und Krefeld… .   '' ''Scherchen wird dem Werk vollkommen gerecht. Seine mangelnde Genialität hindert ihn nicht, durch Fleiß, Subtilität und äußerste Hingabe an das Werk wirkliche genialische Wirkungen hervorzubringen. .. ''''27)'' Neues Wiener Journal, 16.12.1937, Nr. 15.833 Hans E. Heller ''… Großartig musizierte Scherchen den ersten Satz. Es ziemt sich wohl, daß man hier die phänomenale Leistung des ersten Posaunisten Hoffmann gebührend erwähnt. Klar klangen die Holzbläser und volle Anerkennung dem Schlagwerk …'' Reichspost, 17.12.1937, Nr. 346 Gez. R.T. ''Gustav Mahlers dritte Symphonie unter Hermann Scherchen '' ''… Bruno Walter, … sucht krasses und Grelles gerne etwas zu mildern und die echt romantischen Gefühlswerte dieser Musik voll zur Wirkung zu bringen. Hermann Scherchen dagegen unterstreicht eher all das, was sich gegen ein Zusammenzufügen zu sträuben scheint, noch besonders. Die romantische Ironie, die Selbstpersiflage bleibt ungemildert stehen. Das Posaunensolo im ersten Satz, das vom Komponisten die Bezeichnung „sentimental“ erhalten hat, wird sozusagen übersentimental gebracht, so daß es an die Saxophonmanier in der Jazzmusik erinnert. Dagegen läßt der langsame Satz am Schluß, der zum Schönsten gehört, was Gustav Mahler geschrieben hat, den Glanz und die Wärme der Streicher vermissen, wohl auch darum, weil diesen durch eine übertonte (sic!, gemeint ist: überbetonte) Forderung des Pianissimo die Kraft zum Ausschwingen genommen wird. …''  Neue Freie Presse, 19.12.1937, Nr.26321 gez. U. Die Rezension der ''Neuen Freien Presse'' erklärt die ungeglätteten Dissonanzen, Härten und Schärfen mit der geringen Erfahrung und mangelndem Können des Orchesters, lobt dagegen den schönen Streicherklang.  '' '' # '' Konzert im Mahler-Zyklus'' ''21.1.1938 Großer Saal des Musikverein '' ''Musica Viva-Orchester'' ''Dirigent: Hermann Scherchen'' ''Bass: Alexander Kipnis'' # '' Mahler, 1. Sinfonie in D'' ''             Vier Orchesterlieder'' ''             Adagio aus der 10. Sinfonie'' '' '' Neues Wiener Journal, 30.1.1938 Hans E. Heller ''Das dritte Konzert … brachte neben der Erste Symphonie noch das Adagio aus der Fragment gebliebenen Zehnten Symphonie. …'' ''Hermann Scherchen hat mit dem jungen Orchester ein Wunder zustande gebracht. … Freilich Scherchen ist ein durchaus eigener Kopf. Seine Auffassung von Mahler deckt sich nicht mit der verschiedener Mahler-Interpreten. Aber was besagt das? Scherchens geistige Spannkraft ist eine so ungeheure, daß auch er bis auf den tiefsten Grund der Musik Gustav Mahler dringt, daß er sie ausschöpft, aber in seinem Sinn, in dem Sinn eines großen Musikers von heute. …'' '' '' ''4.Konzert im Mahler-Zyklus'' ''24.2.1938'' ''Gustav Mahler: 2. Symphonie  c-moll '' ''Das Konzert wurde abgesagt. 28)'' ''''' ''''' '''''Anmerkungen''''' 21) s. Scheit, S. 90 ff., besonders das Kapitel: ''Willi Reich, Ernst Krenek, Theodor W. Adorno, Hermann Scherchen – Mahler und die Moderne im Ständestaat.'' ''22) Scherchen trifft Alma Mahler 1937 in Wien, (dazu vgl. Elias Canetti, Das Augenspiel, S. 50 ff., die erste Begegnung mit Alma Mahler dürfte schon 1932/33 gewesen sein, vor der Erkrankung Manons, + 1935)'' ''Verein der Musicophilen'''': '' ''Ehrenpräsidentin war Alma Mahler, das Comité, das das Projekt „Musica Viva“ unterstützte, setzte sich zusammen u.a. aus: Adolf Busch, Pablo Casals, Gerda Busoni. Rolf Liebermann trug zur Finanzierung des Orchesters ebenfalls bei.vgl. Klemm, S. 56f.'' ''Als eine weitere Mäzenin wird Tona Sheppard (auch Shepperd geschrieben) genannt. Sie war Präsidentin der Amerikanischen Sektion der ‚‚Freunde der Salzburger Festspiele“. Auskunft von Myriam Scherchen: ihre chinesische Schwester Tona, Komponistin, erhielt aus Verehrung und Dankbarkeit für die Unterstützung den Vornamen Tona. '' ''23) Alfred Kerr, Die Diktatur des Hausknechts. Brüssel 1934. Neuausgabe: Hamburg 1981. Bibliothek der verbrannten Bücher '' ''24) Die Geschichte dieses Orchesters MUSICA VIVA ist noch nicht geschrieben; die bisher aufgefundenen wenigen Quellen geben nur ein ungefähres Bild der ganzen Unternehmung. '' ''Schon während dieser ersten Spielzeit hat sich das Orchester bedingt durch Abwanderung von Musikern in ein anderes Land – Wien war auch “Durchgangsstation“ für die Wartezeit auf ein Visum – in seiner Zusammensetzung immer wieder verändert. '' ''Vgl. Klemm, S. 56f. sowie Nachlaß Hermann Scherchen, Archiv der Akademie der Künste, Berlin  '' ''Die Programme der Musica Viva - Konzerte enthalten Namenslisten.'' ''Der Bratschisten Richard Goldner, Andergasse 50, Wien – Hernals, emigrierte 1939 nach Australien. '' ''Hermann Scherchen an Richard Goldner, undat. und ohne Ort (vermutlich 1937), Durchschrift'' ''… bin gerne bereit, die Propaganda Ihres Daemp(f)ers in der Musica VIVA (''''gemeint'''' ist hier die Zeitschrift oder der Verlag) … zu übernehmen … Welches ist Ihr Verkaufspreis ?'' ''Der Brief endet mit der Frage Scherchens nach dem Orchester'' ''31.3.1938 schreibt Hermann Scherchen an Richard Goldner aus Winterthur:'' ''… sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir einmal einen unverblümten Bericht darüber geben würden, wie die einstigen unserer 40 Mitglieder mit ihrem Herzen … eingestellt geblieben sind. Kann zum Beispiel Klose als Tscheche weiterhin substituieren ? …'' Wenn man diesen Briefinhalt interpretieren wollte, so denkt Scherchen, daß das Unternehmen „''Musica Viva''“ – wenn auch in veränderter Besetzung ? – vielleicht doch noch weiter spielen würde? Nachrichten über die tatsächlichen Vorgänge in dem nunmehr nationalsozialistischen Österreich/der Ostmark dürften ihm nicht in ihrem ganzen Ausmaß bekannt gewesen sein – darin war er allerdings nicht der einzige. ''Nach Kriegsende nimmt Hermann Scherchen mit seinem ehemaligen Bratschisten Kontakt auf, er frägt ihn in einem Brief , 2.7.1946 nach seinem neuen Leben, seinen Vorhaben usw., eine Antwort ist leider nicht erhalten.'' ''Alle: Hermann Scherchen Archiv 968'' ''25) Die Programm-Sammlung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. '' ''1937-1987. Hg. Otto Biba. Bearb. Teresa Hrdlicka. Tutzing 2001'' ''26) lt. Bouclet, TAHRA 338/339: Rolf Liebermann dirigierte das Orchester hinter der Bühne (das Fernorchester). '' ''Scherchen hat die III. das erste Mal am 23.11.1919 in Berlin mit dem Berliner Philharmonischen Orchester dirigiert.'' '' 27) Alma Mahler-Werfel,  Mein Leben, Frankfurt/M. Fischer 1960, S. 226'' ''28)  Das Konzert wurde abgesagt wegen der Rede des Bundeskanzler  Kurt Schuschnigg zur geplanten Volksabstimmung am 11.3.1938; es wurde auf den 18.3.1938 verschoben.''  
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