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Offenbachiade chez Max Reinhardt

10.370 Byte hinzugefügt, 12:02, 8. Sep. 2020
keine Bearbeitungszusammenfassung
Das Vorstadttheater spielt alles, was unterhält, von der Klassik bis zur Operette; 1893 stand  „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan. Die Besetzungsliste verzeichnet  für die Rolle Merkur  - Max Reinhardt/Goldmann. Anzunehmen, daß das Vorstadttheater keine erstklassigen Gesangskräfte engagiert hatte, sondern mit dem hauseigenen Personal besetzt hatte, das sang und tanzte, spielte.  Die Anregung  Operette mit Schauspielern zu besetzen könnte Reinhardt aus  dieser eigenen Erfahrung von diesem Engagement in Rudolfsheim mitgenommen haben.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Wiener Vorstadtbühnen – wie z.B. das Carltheater  eine ausgeprägte Offenbachtradition hatten; der Komponist war häufiger Gast in Wien. Johann Nestroy war der erste „Offenbach-/Darsteller/ Fan“ – und da er über einen ausgebildeten Bariton verfügte, auch als Sängerdarsteller dafür prädestiniert war.   Soviel zur Tradition Wien und Offenbach. Die Spieltradition für die sogen. leichte Muse verlangte Sängerdarsteller – sie mußten singen, sprechen und tanzen können.  
 
„Alles ist nur Theater“ … für den Bühnenmenschen Reinhardt gibt es keine Genregrenzen. Wie der Puppenspieler, der an allen seinen Fäden zieht um – „die Puppen tanzen zu lassen“ – oder wie der Theaterdirektor in Goethes „Faust“ greift Reinhardt nach allem, was seine Gestaltungsphantasie und seine Spiellaune aufblühen läßt – und wenn nötig, biegt er sich das Material zurecht. Doch bei der Durchsicht der Aufführungsdaten fällt eine merkwürdige Koinzidenz ins Auge: am 30. Dezember 1905 hatte in Wien, im Theater an der Wien eine Uraufführung stattgefunden, "Die lustige Witwe" von Franz Lehár und nach einem etwas zögerlichen Start trat diese "Witwe" eine bis dahin nie erlebten Siegeszug über die Operettentheaterbühnen an. Wollte der aufstrebende, erfolgsorientierte junge Theaterdirektor und Regisseur zu dieser neuen opulenten, sentimentalen Operettengattung  ein Gegenmodell präsentieren ? 
Das autographe  musikalischen Material von Erich Wolfgang Korngold(Bearbeitung für die Aufführung von 1931, oder zu späteren, der Londoner Bearbeitung von 1932), ist bisher nicht nachweisbar.
Für die New Yorker Fassung „Helen goes to Troye“ (auf die ich nicht eingehen werde) von 1943/44 liegt das Material gedruckt  vor: gedruckt erschienen bei Chappel & Co. Das dazugehörige autographe Material in der Public Library, New York.
 
'''1928/29''' hält sich Reinhardt wieder einmal in Wien auf und lädt Erich Wolfgang '''Korngold''' zu sich ein ins Theater in der Josefstadt; er möchte ihm anbieten für seine Inszenierung die musikalische Bearbeitung und Leitung zu übernehmen.
1929 hatte die Krolloper eine zeitgenössische Interpretation mit Bühnenbildern von Moholy-Nagy herausgebracht.
In den 20er Jahren begann sich außerdem die Wertschätzung für Offenbach (das betrifft auch ETA Hoffmann) zu ändern; er galt nicht länger nur als „Spaßmacher“, als „Operettenkomponist“, - möglich daß auch die ausführliche Biographie von Anton Henseler dazu beigetragen hatte,  man verstand ihn nun vielmehr als den Komponisten   - DER romantischen Oper. (Es gibt Zeitgenossen, die Hoffmanns Erzählungen als „Schaueroper“ klassifizieren wie den „Vampir“ von Heinrich Marschner – vergessen dabei aber auf das halbe Jahrhundert und den anderen Kulturraum)
 
Dazu '''Egon Friedell''':
: ''Egon Friedell, Das Zeitalter Offenbachs, in:  Hoffmanns Erzählungen. Ein Sonderdruck der deutschen Buch-Gemeinschaft anläßlich der Max Reinhardt-Inszenierung von Offenbachs Hoffmanns Erzählungen im Großen Schauspielhaus, Berlin. Berlin o.J., S. 68 ff. ''
'' ''Bevor ich mit Reinhardt beginne, muß ich etwas weiter ausholen, die Werkgeschichte kurz skizzieren, damit die Einwände, Argumente zur Reinhardt-Inszenierung transparent werden.
 
Ich beginne mit einem Zitat aus dem quellenkritischen Bericht von Fritz Oeser für den Klavierauszug, Kassel 1978, Ed. Alkor:
: <span style="color: #0000ff;">'''''Der französische Brauch, im ersten gedruckten Klavierauszug eine Oper so zu veröffentlichen, wie sie dem Uraufführungspublikum präsentiert worden war, hat diese Eingriffe ['''''Bearb.etc. Anm.d.Verf.''] in die Werksubstanz zementiert …''</span>
Erst 1905 kam durch die Initiative Hans Gregors an der Komischen Oper Berlin eine gegenläufige Unternehmung in Gang: der Versuch, Lücken vor allem im 4. Akt auszufüllen und Fehlendes zu ergänzen. …
 
Choudens bringt 1907 eine „Cinquième Edition“ (mit den Veränderungen, Kürzungen etc.) heraus, es folgt basierend auf dieser Ausgabe dann die deutschsprachige Edition bei Peters , Leipzig. …
Und Offenbach wäre nicht Offenbach wenn es keine ironische Brechung gäbe: Der Chor der Weingeister – „glou, glou, glou“ – steht für das Unsichtbare, Unsagbare, und aus dem Weinfaß schlüpft die Muse/Niklausse – das Spiel im Spiel kann beginnen.
Wann die ersten V''orgespräche, Vorbereitungen stattgefunden haben, ist nicht belegt. ''
 
Max Reinhardt schreibt in einem undatierten Briefentwurf (im Teilnachl. in Wien erhalten) an '''Leo Blech''': 
 
:  '' <span style="color: #0000ff;">'''           […] Hoffmanns Erzählungen zu inszenieren ist schon ein alter Traum von mir. Ich  glaube überhaupt, daß die nächste Zukunft eine engere Verbindung von Schauspiel  und Musik bringen wird. In der phantastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist  Gelegenheit diese beiden Elemente  des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge diese Kunst(gattung) einem großen Publikum nahezu bringen so wäre die  wesentliche Aufgabe eines Volksstücks erfüllt. […] '''</span>''<span style="color: #0000ff;">'''''daß die nächste Zukunft eine             engere Verbindung von Schauspiel und Musik bringen wird …'''''</span>
:  
 
''M''it dem letzten Satz beschreibt Reinhardt den Trend der Zeit, wie auch seinen angestrebten, immer wieder formulierten  Anspruch „Wort und Ton“ dem Drama gemäß  zusammenzubringen. Reinhardt schreibt nicht ex pressis verbis von Musiktheater/Oper, Operette; ich spekuliere – vielleicht tendierte Reinhardt doch dahin Musiktheater zu inszenieren?
 
Dafür spricht auch ein im Nachlaß Reinhardt überlieferter  Brief von Heinz Tietjen (aus dieser Zeit) mit dem Angebot den „Don Giovanni“ an der Staatsoper Unter den Linden zu inszenieren.
 
Das oben auszugsweise zitierte Schreiben enthält noch mehr:  er geht  anfänglich sehr nüchtern auf die alltäglichen Überlegungen zur Regie ein,  zur Zusammenarbeit,  auf die „Publikumsverführung“ durch gesteigerte Wirkung des Szenischen erzielt wird. Es folgen Bemerkungen zur Gattung Oper, Steigerung der Wirkung  durch die Bearbeitung des Textbuchs mit den eingestreuten (neuen) Prosaszenen, in den Nebensätzen verbergen sich Reinhardt’sche Visionen zum Theater.
 
Bereits in seinen Anfängen hat sich Reinhardt intensiv mit der Frage nach einem „volkstümlichen“ Theater auseinandergesetzt (daß er später eher  für die Elite Theater machte, gehört zu den Widersprüchen seines Theaterlebens) , er schreibt am 4.Dezember 1894 an Berthold Held (ich zitiere nochmals aus die''sem Brief):''
 
:  <span style="color: #0000ff;">'''''... ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung weit eher entsprächen …'''''</span>
 
<span style="font-size: 0.939em;">In dem Briefentwurf von 1931 erweitert Reinhardt seine Vorstellung:</span>
 
:  ''    <span style="color: #0000ff;">'''... In der phan''''''<span style="color: #0000ff;">tastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist Gelegenheit diese beiden Elemente des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge</span> diese Kunst(gattung) einem großen Publikum nahezu bringen, so wäre die wesentliche Aufgabe eines Volksstückes erfüllt.  ...'''</span>''<span style="color: #0000ff;">''''' '''''</span>
 
War es das Fragment des Offenbach’schen Oeuvre, das den Sprechtheaterregisseur Reinhardt, der sich immer wieder zum Musiktheater hingezogen fühlte, das er als Herausforderung der besonderen  Art annehmen wollte ?   
 
Die Antwort darauf muß offenbleiben, von Reinhardt gibt es dazu keine, zumindest ist bis heute keine aufgefunden worden.
 
Gottfried Reinhardt meint, es wäre das Phantastische, das Groteske gewesen, das eine geheimnisvolle geradezu magische Faszination auf ihn ausgeübt hätte;  allerdings in seiner Schilderung  läßt er(Gottfried Reinhardt)  wohlweislich offen, ob er nun von der Oper, dem Theaterstück, das Offenbach zur Oper angeregt hat oder von den Erzählungen von E.T.A. Hoffmann spricht.
 
Aber konnte der Showman Reinhardt, dem alles, was er in die Hände nahm zum phantastischen Spiel geriet, im Fall von „Hoffmanns Erzählungen“ diesen Spieltrieb zügeln , der Versuchung widerstehen aus dem rätselhaften Torso des Komponisten Offenbach das herauslösen, was sein innerstes Wesen ausmacht ?  Das Unbewußte, der Traum, der Albtraum, das Böse , die Gratwanderung zwischen Kunst und Wahn?
 
Ich meine, es ist die komponierte Grenzüberschreitung,  „Kunst und Wahn“, das „Unbewußte“ , der „Traum“, die „Phantasie“ -  all das fesselte den Künstler Reinhardt , war die magische Herausforderung ?  
 
Reinhardt nutzte Musik seit seinen Anfängen als Regisseur als dramaturgisches  Element und Vehikel der Szene, als Movens.
 
Gusti Adler, die meistens in den Proben neben Max Reinhardt saß, oder die Vorstellungen verfolgte, seine Probennotate an die Darsteller weitergab, schreibt über die Inszenierung im „Großen Schauspielhaus“ , S. 278
 
:  <span style="color: #0000ff;">'''''… Da war alles: das Romantische,  das Hintergründige E.T.A.Hoffmanns – das Unheimliche des Olympia-Aktes, Spalanzani, die Puppen, das Zerbrechen lebendiger Liebe an der Marionette. Venedig, Reinhardts Venedig, das er von sTrnad in die Weite des Großen Schauspielhauses zaubern ließ: Kanäle, Brücken, Palazzi, die im warmen Mondlicht aus grünblauem Wasser aufstiegen. Gondeln, Gesang. Und dazwischen das Erlebnis des verlorenen Spiegelbildes, die phantastische Szene  vor dem altersblinden, irisierenden großen Spiegel im Palazzo der Giulietta, in unerbittlichen Wiederholungen einstudiert, bis die Illusion vollkommen war. Reinhardt ließ die Spiegelbilder durch'' ''Menschen spielen. Das steigerte dann noch das Grauen der Szene, in der es Hoffmann zur Gewißheit wird, daß er sein Spiegelbild verloren hat.'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Nichts aber kam dem Antonia-Akt gleich: musikalisch und darstellerisch. … [''darin stimmen auch alle Rezensenten überein, Anm.d.Verf.]'''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Leo Blech dirigierte. In seinen Händen lag auch die heikle Aufgabe der Adaptierung der Musik an die neue Bearbeitung, die von Egon Friedell und Hans Sassmann stammte. …'''''</span>
 
Gusti Adler fährt fort, S.281
 
: <span style="color: #0000ff;">'''''… das Geheimnis der Wirkung einer Reinhardtschen Inszenierung war die Transparenz. Ihm war gegeben, geschehen von innen heraus zum Leuchten zu bringen. Da war kein Aneinanderreihen von Szenen: Im Ineinanderfließen wuchs und verging der Traum.'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''In diesem Zusammenschauen entstand ein Ganzes, das den Zuschauer mit einschloß. Zum Klang kam dann noch Bewegung, Tanz. Das war gerade bei dieser Aufführung, in diesem großen Haus (mit 3000 Plätzen), bei diesem Publikum eine Notwendigkeit. Verbindend rankten sich Tanzszenen zwischen hochdramatischem Geschehen ( das Schauspielhaus war zuletzt Revuetheater), gewährten Atemholen und kurze Entspannung''. '''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Wenn Reinhardt Werke inszenierte, die von Musik getragen waren, verfiel er ihrem Rhythmus vollkommen. Seine Freude daran übertrug sich auf Sänger und Schauspieler, brachte dramatische Steigerungen  und führte in Tiefen, die bis dahin unerschlossen geblieben waren. …… „Alles auf Noten“ gesetzt, von der bekannten Musik getragen, aber unendlich bereichert, durchleuchtet. ...'''''</span>
 
'' ''Sie beschreibt den Olympia-Akt sehr präzise: die Koloraturarie der Puppe Olympia endet lt. szenischer Anweisung im Textbuch/Klavierauszug  mit dem Zerbrechen der Puppe in den Armen Hoffmanns.  Reinhardt  jagt  die Sängerin richtiggehend  über die Bühne, bis sie zerbricht (gedoubelt von einer Tänzerin).
 
Offenbach setzt den Koloraturgesang ein, um eine Gestalt zu enthumanisieren
 
Dazu Alexander Faris, S. 227
 
:  <span style="color: #0000ff;">'''''… Koloraturgesang  ist so offensichtlich eine Zurschaustellung von vokaler Technik, daß er bei wahlloser Anwendung dramatisch bedeutungslos wird und keine andere andere Aussage vermittelt als die Fähigkeit der Sängerin[des Sängers, Anm.d.Verf.]  seinen Anforderungen zu genügen. … Koloratur [ist] ein Mittel um eine Gestalt zu enthumanisieren; die Königin der Nacht ist böse, Lucia di Lammermoor ist wahnsinnig, Olympia ist ein Automat. …'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">''' '''</span>
 
Gottfried Reinhardt beschreibt, daß Reinhardt auf sängerische Bedürfnisse oder Anforderungen keinerlei Rücksicht nahm; worauf die Beschreibung der Szene (durch Gusti Adler) teilweise zutrifft (immerhin wird gedoubelt).
 
Musik als Klangrede (um ins 21.Jahrhundert zurückzukehren) wurde zu Lebzeiten Reinhardts noch nicht in diesem Sinn verstanden. Entweder gab es Oper (verkürzt formuliert Konzert im Kostüm, auch oder trotz Richard Wagner. Der Weg zum Musiktheater nach heutigem Verständnis stand erst am Beginn. Experimente wie die Krolloper wurden nur von einem geringen Teil des Publikums verstanden und auch angenommen. Aus meiner Sicht steht Reinhardt mit seinen Musiktheaterinszenierungen zwischen den Zeilen.
 
Reinhardt ließ das Offenbachsche Fragment – wie es damals einfach gängige theaterpraxis war – bearbeiten- textlich wurde es ergänzt, erweitert, umgeformt – und dafür war musikalische Bearbeitung nötig:
 
'''Leo Blech''', der die musikalische Leitung und die Bearbeitung übernommen hatte, schreibt im Programmbuch:
 
: <span style="color: #0000ff;">'''''… wie soll bearbeitet werden ? … Ich hatte immer das Gefühl , daß dieses Werk szenisch noch nicht ausgeschöpft wurde – ausgeschöpft mit den Mitteln der heutigen Bühnenmöglichkeiten und durch die treibende Kraft einer reich und neu gestaltenden Phantasie …'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''(''Offenbach, Anm.d.Verf.'') ... so wie das Werk vorlag, hätte er es nicht den Bühnen übergeben. '''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Was hat ''allein'''''''' die Rahmenhandlung nicht alles mit sich durchmachen müssen! Mahler strich sie bei seiner Aufführung des Werkes völlig weg und ließ nur … die Erzählungen. ..''' ''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Ich griff nur da ein, wo Reinhardt für seine Bühnenvisionen keine oder nicht genügend auswertbare Musik vorfand .  … Ich mußte feststellen, daß Reinhardt mit geradezu hellseherischem Instinkt immer gerade da einhakte, wo die vorhandene Musik seltam unausgiebig war. …'''''</span>
 
'' ''Leo Blech, Ob überhaupt und wenn ja, wie!, Programmbuch zu Hoffmanns Erzählungen, S. 116 ff.
 
'' ''
'' ''
 '' '''''F''''''ortsetzung folgt'''  '' ''