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Offenbachiade chez Max Reinhardt

7.861 Byte hinzugefügt, 11:27, 8. Sep. 2020
keine Bearbeitungszusammenfassung
Ich gehe zurück in die Anfänge des Regisseurs, in das Jahr 1893. Auf dem Spielplan des  Volkstheaters in Rudolfsheim steht neben anderen Unterhaltungsstücken „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan.
Das Theater war Teil des Vergnügungsareals „Schwenders Colosseum“ in Rudolfsheim-Fünfhaus. Rudolfsheim war Ende des 19.Jh. ein Arbeiterviertel, mit vielen kleinen Handwerksbetrieben. ( Von 1880 – 1886 wohnt die Familie  Reinhardt in der Schönbrunnerstraße 22 , d.i. heute Äußere Mariahilferstraße 150,  - unweit von „Schwenders Colosseum“.)  Nicht vergessen:  Rudolfsheim liegt  in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schloß Schönbrunn und seinen ausgedehnten Gartenanlagen.
 
Das Vorstadttheater spielt alles, was unterhält, von der Klassik bis zur Operette; 1893 stand  „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan. Die Besetzungsliste verzeichnet  für die Rolle Merkur  - Max Reinhardt/Goldmann. Anzunehmen, daß das Vorstadttheater keine erstklassigen Gesangskräfte engagiert hatte, sondern mit dem hauseigenen Personal besetzt hatte, das sang und tanzte, spielte.  Die Anregung  Operette mit Schauspielern zu besetzen könnte Reinhardt aus  dieser eigenen Erfahrung von diesem Engagement in Rudolfsheim mitgenommen haben.
Für die Textbearbeitung oder besser gesagt Neufassung des Textes (der alten Übersetzung) liegen im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek mehrere Typoskripte, laut Titelblatt als „Regiebuch“ Max Reinhardt bezeichnet.  Es sind unkorrigierte, vor allem undatierte Textexemplare im Teilnachlaß  Hans Sassman.
Kein Regiebuch von Max Reinhardt; vielleicht sollte das Typoskript die Vorlage für ein Regiebuch Max Reinhardts werden,  in das der Regisseur dann akribisch seine Anweisungen – wie gewohnt eintragen würde und  es mit seinem berühmten Signet als endgültig zeichnen.
 
Das autographe  musikalischen Material von Erich Wolfgang Korngold(Bearbeitung für die Aufführung von 1931, oder zu späteren, der Londoner Bearbeitung von 1932), ist bisher nicht nachweisbar.
: Erste Anzeichen wurden aber bereits 1930 spürbar. Erik  Charell  gab wegen finanzieller Probleme trotz des großen Erfolgs mit dem  „Weißen Rössl“ auf;  Reinhardt übernahm kurzfristig wieder die Leitung des Hauses  – und mußte nun das Große Schauspielhaus bespielen. Diesen Riesenraum mit den 3000 Sitzplätzen zu füllen – aber mit welchem Stück?  Seine Wahl fiel auf '''„Hoffmanns Erzählungen“.'''
Im Laufe der Jahre waren „Hoffmanns Erzählungen“ zu einer sehr beliebten Oper geworden. 1905 erreichte Hans Gregor (der spätere Direktor der Hofoper, Wien)  mit „Hoffmanns Erzählungen einen Serienerfolg von 400 Aufführungen in der Komischen Oper an der Weidendammer Brücke.  Seit 1915 stand das letzte Werk von Jacques Offenbach auch im ständigen Repertoire der Hofoper/Staatsoper Unter den Linden.  
 
1929 hatte die Krolloper eine zeitgenössische Interpretation mit Bühnenbildern von Moholy-Nagy herausgebracht.
:: <span style="color: #0000ff;">'''…'' Sein großer Zaubermeister ist Jacques Offenbach, der zuerst mit Einaktern hervortrat … In diesen Werken , erlesenen Bijous einer komplizierten Luxuskunst, ist, ähnlich wie dies Watteau für das Paris des Rokoko  vollbracht hat, der Duft der Ville des Lumière zu einer starken haltbaren Essenz destilliert, die aber um vieles beißender, salziger, stechender geriet. Sie sind Persiflagen der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart, aber eigentlich nur immer der Gegenwart, und im Gegensatz zur Wiener Operette, die erst eine Generation später ihre Herrschaft antrat, gänzlich unkitschig, amoralisch, unsentimental, ohne alle kleinbürgerliche Melodramatik, vielmehr von eine rasanten Skepsis und exhibitionistischen Sensualität , ja geradezu nihilistisch. Daß Offenbach, unbekümmert um psychologische Logik und künstlerische Dynamik, eigentlich nur „Einlagen“ bringt, wie ihm oft vorgeworfen worden ist, war ebenfalls nur der Ausfluß eines höchsten, nämlich ästhetischen Zynismus, einer Freigeisterei und Selbstparodie, die sogar die Gesetze der eigenen Kunst verlacht. Daß er aber auch ein tiefes und zartes Herz besaß, würde allein schon die Barcarole seines letzten Werkes beweisen, der „Contes d’Hoffmann“, in denen die deutsche Romantik der Vorlage, durch die Raffinade der Pariser Décadence verkünstelt und veredelt, ein wundersam ergreifendes Lied anstimmt. Hier klagt der Radikalismus des modernen Weltstädters um die verschwundene Liebe: die Frau ist Puppe oder Dirne; die wahrhaft liebt, eine Todgeweihte. Es ist, als ob Offenbach in seinem Abschiedsgesang den Satz aus dem Tagebuch der Goncourts instrumentiert hätte: '''''</span>
:: <span style="color: #0000ff;">'''''„Ah, il faut avoir fait le tour de tout et ne croire à rien. Il n’y a de vrai que la femme.“ Und selbst dieser letzte Satz entpuppt sich als trügerisch. …'''''</span>
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: ''Egon Friedell, Das Zeitalter Offenbachs, in:  Hoffmanns Erzählungen. Ein Sonderdruck der deutschen Buch-Gemeinschaft anläßlich der Max Reinhardt-Inszenierung von Offenbachs Hoffmanns Erzählungen im Großen Schauspielhaus, Berlin. Berlin o.J., S. 68 ff. '' '' ''Bevor ich mit Reinhardt beginne, muß ich etwas weiter ausholen, die Werkgeschichte kurz skizzieren, damit die Einwände, Argumente zur Reinhardt-Inszenierung transparent werden. Ich beginne mit einem Zitat aus dem quellenkritischen Bericht von Fritz Oeser für den Klavierauszug, Kassel 1978, Ed. Alkor: :  <span style="color: #0000ff;">'''''… Offenbach hinterließ „Hoffmanns Erzählungen „ unvollendet. … Keine Druckausgabe gibt Offenbachs Willen und Absicht wieder, weder der Erstdruck von 1881, noch die am weitesten von ihm abweichenden Editionen nach 1907. …'''''</span>: <span style="color: #0000ff;">'''''Der französische Brauch, im ersten gedruckten Klavierauszug eine Oper so zu veröffentlichen, wie sie dem Uraufführungspublikum präsentiert worden war, hat diese Eingriffe [''Bearb.etc. Anm.d.Verf.''] in die Werksubstanz zementiert …'''''</span> Erst 1905 kam durch die Initiative Hans Gregors an der Komischen Oper Berlin eine gegenläufige Unternehmung in Gang: der Versuch, Lücken vor allem im 4. Akt auszufüllen und Fehlendes zu ergänzen. … Choudens bringt 1907 eine „Cinquième Edition“ (mit den Veränderungen, Kürzungen etc.) heraus, es folgt basierend auf dieser Ausgabe dann die deutschsprachige Edition bei Peters , Leipzig. … 1905, Berlin Komische Oper: Hans Gregor inszneiert „Hoffmanns Erzählungen gemeinsam mit Max Morris. Basis für die Inszenierung ist die Fassung von 1904, die Roaul Gounsbourgh und André Bloch für Monte Carlo erarbeitet haben. Gounsbourough leitet die Oper in Monte Carlo. André Bloch bearbeitet eine ältere Fassung erschienen bei Choudens, fügt apokryph neue Teile und damit auch neue Musik ein, wie z.B. die berühmte Spiegelarie „Scintille diamant“ . Die Musik (der Text wird von Pierre Barbier, Sohn des Librettisten beigesteuert) wählt Bloch aus „Le voyage de la lune“. Eigentlich haben die Bearbeiter, und dies bezieht sich nicht nur auf die beiden genannten, sich das „Prinzip Offenbach“ zu eigengemacht.  Offenbach schöpfte aus dem unendlichen Fundus seiner komponierten Operetten, opéra comique oder bouffes, wenn es die Bühnenpraxis erforderte, daß gekürzt, gestrichen erweiter, umgestellt werden mußte, Musik fehlte – und der Premierentermin drohte! –oder weil das Opus erfolglos in den Fundus gewandert war. Das berühmteste Beispiel für diese Arbeitsweise ist zweifellos die „Barcarole“. Eigentlich ist die Melodie das Lied der Feen aus der erfolglosen Oper „Die Rheinnixen“, 1864 an der Wiener Hofoper als Auftragswerk uraufgeführt(anstelle von „Tristan und Isolde“). Offenbach wollte diese wunderbare Melodie nicht verschwinden lassen und übernahm sie für den Giulietta-Akt. Der Antonia-Akt, so hatte es Offenbach geplant, sollte nach dem Giulietta-Akt gespielt werden, als Finale der Traumerzählung von Hofffmann. Bei der Pariser Uraufführung hatte man den Giulietta-Akt ganz gestrichen(angeblich war er zu lang, tatsächlich noch nicht aufführungsreif); anschließend an die Uraufführung  übernahmen die nachspielenden Bühnen die Version mit dem Giulietta- Akt als Finale. Beim Verlag Peters, Leipzig erschien auf der Basis der Fassung  des Pariser Verlags Choudens von 1907 eine deutschsprachige Fassung – die etwas weitläufig formuliert – aus der Fassung  Gounsbourough und Choudens besteht. Sie wurde die für den deutschsprachigen  Raum  die verbindlich-spielbare Fassung,  bis 1944 Hans Haug und Otto Maag, Basel, eine neue Fassung erarbeiteten. 1958 folgte dann die Fassung von Walter Felsenstein, Komische Oper Berlin. Zwischenzeitlich könnte man etwas überspitzt formulieren: so viele Theater ebenso viele Hoffmann-Fassungen. Nicht unerwähnt bleiben darf: zwischen 1933 – 1945 galt Jacques Offenbachs Oeuvre als „entartet“, war verboten, er selbst – der Jude Offenbach - ein Verfemter!  --[[Benutzer:Dagmarsaval|Dagmarsaval]] ([[Benutzer Diskussion:Dagmarsaval|Diskussion]]) 11:27, 8. Sep. 2020 (CEST)--[[Benutzer:Dagmarsaval|Dagmarsaval]] ([[Benutzer Diskussion:Dagmarsaval|Diskussion]]) 11:27, 8. Sep. 2020 (CEST) Offenbach hatte mit seinem Librettisten '''Jules Barbier''' die Grundstruktur vorgegeben und festgelegt: Rahmenhandlung als Klammer für den gesamten Ablauf der Oper. Die reale und die fiktive Erzählebene werden von Hoffmann und der Muse sowie von Lindorf und Stella zusammengebunden. Diese Rahmenhandlung, der erste Handlungsstrang ('''erzählt von Hoffmann''') ist das zerbrochene Liebesverhältnis zwischen ihm, Hoffman, dem erfolglosen Dichter und Stella, der gefeierten, erfolgreichsverwöhnten Primadonna. Nach einem Zerwürfnis sucht Stella das Gespräch und sendet Hoffmann ein Billet mit dem Schlüssel zu ihrer Garderobe (dieses Billett wird abgefangen und erreicht Hoffmann nie). Stella, die verlorene Geliebte , bleibt während der ganzen Oper präsent, wenn auch nicht ad personam, sondern in der Aufspaltung in drei andere Frauengestalten, Phantasiefrauen, Improvisationen des Dichters wie des Mannes , der mit seiner Liebe gescheitert ist.  Stella ist: Olympia, die Puppe-Automat,  Antonia, die Sängerin, die an und mit ihrer Begabung und Kunst stirbt , Giulietta, die Kurtisane, die „demi-monde“ ( in Giulietta verbirgtsich die einzige zeitkritische Anspielung – Sängerinnen, Schauspielerinnen galten gesellschaftlich als demi-monde, auf deutsch Frauen, die sich aushalten ließen  – (vgl. dazu Alexandre Dumas jun. La dame aux camélias/Die Kameliendame, besser bekannt durch die Oper von Giuseppe Verdi, La traviata.  Das Vorbild der Kameliendame ist die Schauspielerin Marie Duplessis.)   Hoffman erlebt passiv das Scheitern seiner Liebe bei Olympia (er sieht tatenlos zu wie sie zerbricht, er findet Antonia sterbend und bleibt inaktiv. Den Tod Giuliettas erlebt er als Zuschauer; sie stirbt versehentlich, denn sie trinkt das Gift, das für Hoffmann bestimmt war. Der zweite Handlungsstrang ist die Muse in der Maske des Freundes Niklausse und dem Gegenspieler Hoffmanns Lindorf, das Prinzip des Bösen, der „Übermächte“ (Hofmannsthal). Die Muse möchte den Dichter nicht an ein allgemeines bürgerliches Leben verlieren, sie kämpft darum ihn seiner eigentlichen Berufung als Künstler erhalten auch wenn ihm der öffentliche Erfolg versagt bleibt. Lindorf verachtet alles Erfolglose, ihn reizt nur der Erfolg – verkörpert durch Stella. Die beiden, Muse und Lindorf,  werden – unwissentlich zu Verschwörern, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven: eine Versöhnung Hoffmann und Stella darf nicht stattfinden. Der 5. Akt führt diese unterschiedliche Stränge oder Handlungsebenen zusammen: der betrunkene Hoffmann (der Weinkeller als Topos für das „Außer sich sein“, das Heraustreten aus dem Alltäglichen Ich und Welt) nimmt Stella, die erst im 5.Akt als handelnde Person in Erscheinung tritt, nicht wahr; noch weniger ihren Abgang mit Lindorf. Die Muse /der verwandelte Niklausse/ behält den Dichter „soit poète!“ Die Muse, Stella und Lindorf sind die mit Masken handelnden Figuren, ebenso die Diener. Muse= Niklausse Stella = Olympia, Antonia‚ Giulietta Lindorf = Coppelius, Mirakle, Dapertutto Andres = Cochenille, Frantz, Pitichinaccio Das Maskenspiel funktioniert allerdings nur dann für den Zuschauer/Zuhörer, wenn diese Figuren von einer Person gesungen werden. Offenbach hatte die Frauenpartien zuletzt für eine bestimmte Sängerin neu gesetzt; auch die Hoffmann wurde vom Bariton zum Tenor. Theaterpraktis !   Die genannten Orte sind Fiktion, topoi für , z.B. Venedig für Kunst, Musik, Literatur. Und Offenbach wäre nicht Offenbach wenn es keine ironische Brechung gäbe: Der Chor der Weingeister – „glou, glou, glou“ – steht für das Unsichtbare, Unsagbare, und aus dem Weinfaß schlüpft die Muse/Niklausse – das Spiel im Spiel kann beginnen.
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