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Aus Dagmar Saval Wünsche
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Für ein Reinhardt-Symposium in Bratislava sollte ich über Max Reinhardt und seine Musiktheater-Inszenierungen, seine „musikalische Prägungen“ wie ich es nannte, mit einer tour d'horizon in knapp 20 Minuten einem sehr gemischten Publikum nahebringen. Ich habe mich 2018 für vier ausgewählte Inszenierungen entschieden. Der innere Zusammenhang war evident: dreimal Offenbach und einmal Johann Strauß. Offenbach und Johann Strauß haben sich 1864 in Wien getroffen, Offenbach gab Strauß die musikalische Anregung: Warum komponieren Sie nicht Operette ? – und zehn Jahre später kam die Operette aller Operetten auf die Bühne des Theater an der Wien: „'''Die Fledermaus“'''. Nichts ist so wie es scheint, wie in einer OFFENBACHIADE - das ist „Die Fledermaus“. 1)
Die Werke Offenbachs waren in der zweiten Hälfte des 19.Jh. auf den Wiener Bühnen sehr präsent voneinem Ereigenis für lange <zeit, auch lange noch nach Nestroys Tod; wenn auch nicht mehr mit der Frequenz wie zu seinen Lebzeiten. Die glanzvolle Wiener Erstaufführung von „Hoffmanns Erzählungen" schon nach der zweiten Aufführung von einem tragischen Ereignis für lange <zeit vom Spielplan verdrängt, verschüttet: die Katastrophe des Ringtheater-Brands, vom 8. Dezember 1888. Der Brand stigmatisierte das Offenbach’sche Werk für viele Jahre. Erst im 20.Jahrhundert begannen deutschsprachige Bühnen zögernd das letzte Werk von Offenbach aufzuführen. 2)
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: '' <span style="color: #0000ff;">'''… ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung weit eher entsprächen …'''</span>''
: Im '''Neuen Theater am Schiffbauerdamm''' wird eifrig probiert … ganz ungewohnte Klänge kommen aus dem kleinen Orchestergraben, der eigentlich keiner ist, es geigt, es trommelt, es flötet, Koloraturen perlen durch den Raum … Max Reinhardt bereitet mit seinen Schauspielern die Abschiedsvorstellung vor, bevor er als Direktor ein paar Straßen weiter zieht – in das Deutsche Theater , Schumannstraße 5. 5)
: „'''Orpheus in der Unterwelt'''“ von Jacques Offenbach setzt mit 49 Vorstellungen einen triumphalen Zwischenpunkt unter den furiosen Beginn seiner Karriere als Regisseur und Schauspieldirektor. Aber „Orpheus in der Unterwelt“ - eine Operette, eine „opéra bouffe/bouffon“, so bezeichnet sie der Komponist – in einem Sprechtheater ? Ich gehe zurück in die Anfänge des Regisseurs, in das Jahr 1893. Auf dem Spielplan des Volkstheaters in Rudolfsheim steht neben anderen Unterhaltungsstücken „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan. Das Theater war Teil des Vergnügungsareals „Schwenders Colosseum“ in Rudolfsheim-Fünfhaus. Rudolfsheim war Ende des 19.Jh. ein Arbeiterviertel, mit vielen kleinen Handwerksbetrieben. ( Von 1880 – 1886 wohnt die Familie Reinhardt in der Schönbrunnerstraße 22 , d.i. heute Äußere Mariahilferstraße 150, - unweit von „Schwenders Colosseum“, ein allgemein beliebter Vergnügungspark - von der Spielhalle bis zum Tanzparkett, der Bierhalle bis zum Theater wurde dem Besucher jede nur denkbare Unterhaltung angeboten.) Nicht vergessen: Rudolfsheim liegt in unmittelbarer Nachbarschaft Wollte er sich im Grünen entspannen, dann hatte er es nicht weit zu der weitläufigen Parklandschaft rund um das Schloß Schönbrunn und seinen ausgedehnten Gartenanlagen. Das (Die heutige Parkanlage ist nur noch das "Herzstück" der ursprünglichen Anlagen. : Das Vorstadttheater spielt Rudolfsheim spielte alles, was unterhält, von der Klassik bis zur Operette; 1893 stand „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan. Die Besetzungsliste verzeichnet für die Rolle Merkur - Max Reinhardt/Goldmann. Anzunehmen, daß das Vorstadttheater keine erstklassigen Gesangskräfte engagiert hatte, sondern mit dem hauseigenen Personal besetzt hatte, das sang und tanzte, spielte. Die Anregung Operette mit Schauspielern zu besetzen könnte Reinhardt aus dieser eigenen Erfahrung von diesem Engagement in Rudolfsheim mitgenommen haben. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Wiener Vorstadtbühnen – wie z.B. das Carltheater eine ausgeprägte Offenbachtradition hatten; der Komponist war häufiger Gast in Wien. Johann Nestroy war der erste „Offenbach-/Darsteller/ Fan“ – und da er über einen ausgebildeten Bariton verfügte, auch als Sängerdarsteller dafür prädestiniert war. Soviel zur Tradition Wien und Offenbach. Die Spieltradition für die sogen. leichte Muse verlangte Sängerdarsteller – sie mußten singen, sprechen und tanzen können. : „Alles „Alles ist nur Theater“ … für den Bühnenmenschen Reinhardt gibt es keine Genregrenzen. Wie der Puppenspieler, der an allen seinen Fäden zieht um – „die Puppen tanzen zu lassen“ – oder wie der Theaterdirektor in Goethes „Faust“ greift Reinhardt nach allem, was seine Gestaltungsphantasie und seine Spiellaune aufblühen läßt – und wenn nötig, biegt er sich das Material zurecht. Doch bei der Durchsicht der Aufführungsdaten fällt eine merkwürdige Koinzidenz ins Auge: am 30. Dezember 1905 hatte in Wien, im Theater an der Wien eine Uraufführung stattgefunden, "Die lustige Witwe" von Franz Lehár und nach einem etwas zögerlichen Start trat diese "Witwe" eine bis dahin nie erlebten Siegeszug über die Operettentheaterbühnen an. Wollte der aufstrebende, erfolgsorientierte junge Theaterdirektor und Regisseur zu dieser neuen opulenten, sentimentalen Operettengattung ein Gegenmodell präsentieren ?
Wenn Gottfried Reinhardt mit seiner Behauptung recht hat, daß Reinhardt "Musik als störend nur empfunden " ( ich höre Wilhelm Busch), dann hat er diesem Imperativ alles untergeordnet, Musik ausschließlich als Spielelement seiner Inszenierungen einzusetzen, wie bei seinen Sprechtheaterinszenierungen oder später bei den Pantomimen, dann zerbricht Reinhardt die angestrebte Verschmelzung von Wort und Ton, die Musiktheater intendiert.
War "Orpheus in der Unterwelt“ – als Experiment initiiert, als eine „Offenbachiade“ mit Schauspielern besetzt, die singen, zu spielen? Er wagte den Versuch die Rollen mit Schauspielern zu besetzen, denn nach dem Textbuch, der Partitur müssen sie singen und sprechen können( das wäre der Rückgriff auf alte Spieltraditionen der Unterhaltungstheater). Ganz ging dieses Konzept nicht auf, denn allein die Rolle der Euridike (unerheblich welche Fassung Reinhardt als Spielvorlage gewählt haben mochte) verlangt einen leichten, hohen Koloratursopran in der heutigen Diktion würde man eine „Soubrette“ für die Besetzung wählen. Reinhardt mußte also - wollte er den Erfolg des Abends nicht verspielen und versingen - mit einer Sängerin besetzen, denn in seinem Ensemble gab es keine Darstellerin, die den sängerischen Anforderungen auch nur im entferntesten entsprochen hätte.
: '' ''<span style="color: #0000ff;">'''''… Die Schöne Helena von Offenbach ist unter Reinhardts Regie zu einer ganz köstlichen Humorleistung geworden. Man mag gegen Reinhardt sagen was man will, er ist doch der einzige, der Theater spielen kann, und das ist wohl sein wertvollstes Verdienst, daß er einem wieder ins Bewußtsein gebracht hat, daß Theater Theater und nicht Wirklichkeitskopie ist. Er arbeitet mit Farben, Bewegung, Tönen, Abstimmungen – und so gehört es sich auf der Bühne. Es gab Bühnenbilder (Ausstattung von Ernst Stern), die ganz blendend schön waren. Die Offenbach'sche Musik klang herrlich durch den Raum, eine so einschmeichelnde, tänzerische, zierliche Musik, wie sie wohl nie wieder geschrieben werden wird. Und gespielt wurde köstlich. Der Menelaus von Pallenberg wird mir in seiner Komik unvergesslich sein. Den Agamemnon gab Zettl in meiner Maske, sogar der Kneifer fehlte nicht, blos war er viel länger als ich. Die Helena spielte Mizzi Jeritza , die eine sehr schöne Stimme hat, den Calchas Gustav Charlé sehr lustig. Rudolf Ritter sah als Paris sehr gut aus und sang recht schön. … Die Inszenierung war ganz glänzend. Sehr wirksam ein Steg, der durch den Zuschauerraum auf die Bühne führte, und von dem aus – also mitten durch die Zuschauer hindurch ein großer Teil der Mitwirkenden auftrat.. Lustige Einfälle in hellen Haufen. Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht. …'''''</span>
''''' ''Erich Mühsam''' Erich Mühsam ist kein berufsmäßiger Theaterrezensent, sondern Schriftsteller, er notiert spontan und kreativ seine Eindrücke … ''Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht''. … und überliefert ein sehr lebendiges, fast greifbares Theatererlebnis.
Der Steg durch den Zuschauerraum , der ihn so sehr beeindruckt, hat Reinhardt schon in der Inszenierung des „Orpheus“ 1906 als „Überraschungseffekt“ eingesetzt – in „Sumurûn“ 1910, von Reinhardt erneut verwendet, wird in der einschlägigen Literatur als „japanischer Blumensteg“ definiert.
: '''1928/29''' hält sich Reinhardt wieder einmal in Wien auf und lädt '''Erich Wolfgang Korngold''' zu sich ein ins Theater in der Josefstadt; er möchte ihm anbieten für seine Inszenierung die musikalische Bearbeitung und Leitung zu übernehmen.
Aber Korngold kann dieser Idee leider gar nichts abgewinnen und lehnt ab. Doch Reinhardt läßt nicht locker.
Lucie Korngold, die Frau des Komponisten, erinnert sich:
: Choudens bringt 1907 eine „Cinquième Edition“ (mit den Veränderungen, Kürzungen etc.) heraus, es folgt basierend auf dieser Ausgabe dann die deutschsprachige Edition bei Peters , Leipzig. …
1905, Berlin Komische Oper: Hans Gregor inszneiert „Hoffmanns Erzählungen gemeinsam mit Max Morris. Basis für die Inszenierung ist die Fassung von 1904, die Roaul Gounsbourgh und André Bloch für Monte Carlo erarbeitet haben. Gounsbourough leitet die Oper in Monte Carlo.
André Bloch bearbeitet eine ältere Fassung erschienen bei Choudens, fügt apokryph neue Teile und damit auch neue Musik ein, wie z.B. die berühmte Spiegelarie „Scintille diamant“ . Die Musik (der Text wird von Pierre Barbier, Sohn des Librettisten beigesteuert) wählt Bloch aus „Le voyage de la lune“.
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Leo Blech dirigierte. In seinen Händen lag auch die heikle Aufgabe der Adaptierung der Musik an die neue Bearbeitung, die von Egon Friedell und Hans Sassmann stammte. …'''''</span>
Gusti Adler fährt fort, S.281
: <span style="color: #0000ff;">'''''… das Geheimnis der Wirkung einer Reinhardtschen Inszenierung war die Transparenz. Ihm war gegeben, geschehen von innen heraus zum Leuchten zu bringen. Da war kein Aneinanderreihen von Szenen: Im Ineinanderfließen wuchs und verging der Traum.'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''In diesem Zusammenschauen entstand ein Ganzes, das den Zuschauer mit einschloß. Zum Klang kam dann noch Bewegung, Tanz. Das war gerade bei dieser Aufführung, in diesem großen Haus (mit 3000 Plätzen), bei diesem Publikum eine Notwendigkeit. Verbindend rankten sich Tanzszenen zwischen hochdramatischem Geschehen ( das Schauspielhaus war zuletzt Revuetheater), gewährten Atemholen und kurze Entspannung'''''. </span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''… Wenn Reinhardt Werke inszenierte, die von Musik getragen waren, verfiel er ihrem Rhythmus vollkommen. Seine Freude daran übertrug sich auf Sänger und Schauspieler, brachte dramatische Steigerungen und führte in Tiefen, die bis dahin unerschlossen geblieben waren. …… „Alles auf Noten“ gesetzt, von der bekannten Musik getragen, aber unendlich bereichert, durchleuchtet. ...'''''</span>
'' ''Sie beschreibt den Olympia-Akt sehr präzise: die Koloraturarie der Puppe Olympia endet lt. szenischer Anweisung im Textbuch/Klavierauszug mit dem Zerbrechen der Puppe in den Armen Hoffmanns. Reinhardt jagt die Sängerin richtiggehend über die Bühne, bis sie zerbricht (gedoubelt von einer Tänzerin).
Offenbach setzt den Koloraturgesang ein, um eine Gestalt zu enthumanisieren
: <span style="color: #0000ff;">''' '''</span>
Gottfried Reinhardt beschreibt, daß Reinhardt auf sängerische Bedürfnisse oder Anforderungen keinerlei Rücksicht nahm; worauf die Beschreibung der Szene (durch Gusti Adler) teilweise zutrifft (immerhin wird gedoubelt).
Musik als Klangrede (um ins 21.Jahrhundert zurückzukehren) wurde zu Lebzeiten Reinhardts noch nicht in diesem Sinn verstanden. Entweder gab es Oper (verkürzt formuliert Konzert im Kostüm, auch oder trotz Richard Wagner. Der Weg zum Musiktheater nach heutigem Verständnis stand erst am Beginn. Experimente wie die Krolloper wurden nur von einem geringen Teil des Publikums verstanden und auch angenommen. Aus meiner Sicht steht Reinhardt mit seinen Musiktheaterinszenierungen zwischen den Zeilen.
: <span style="color: #0000ff;">'''''… wie soll bearbeitet werden ? … Ich hatte immer das Gefühl , daß dieses Werk szenisch noch nicht ausgeschöpft wurde – ausgeschöpft mit den Mitteln der heutigen Bühnenmöglichkeiten und durch die treibende Kraft einer reich und neu gestaltenden Phantasie …'''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''('''''Offenbach, Anm.d.Verf.'') ... so wie das Werk vorlag, hätte er es nicht den Bühnen übergeben. '''''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Was hat '''''allein''''' die Rahmenhandlung nicht alles mit sich durchmachen müssen! Mahler strich sie bei seiner Aufführung des Werkes völlig weg und ließ nur … die Erzählungen. ..''' ''</span>
: <span style="color: #0000ff;">'''''Ich griff nur da ein, wo Reinhardt für seine Bühnenvisionen keine oder nicht genügend auswertbare Musik vorfand . … Ich mußte feststellen, daß Reinhardt mit geradezu hellseherischem Instinkt immer gerade da einhakte, wo die vorhandene Musik seltam unausgiebig war. …'''''</span>
'' ''Leo Blech, Ob überhaupt und wenn ja, wie!, Programmbuch zu Hoffmanns Erzählungen, S. 116 ff.
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