Mit meinen 'Flügeln' komme ich um die ganze Welt. Ludwig Bösendorfer zum 100. Todestag 2019

Aus Dagmar Saval Wünsche

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Ludwig Bösendorfer "Mit meinen 'Flügeln' komme ich überall hin ... "

Ludwig Bösendorfer zum 100. Todestag 2019

Mit meinen "Flügeln" komme ich um die ganze Welt.
Ludwig Bösendprfer zum 100.Todestag 2019
 
s.a. den gleichnamigen Link mit ausführlichem Kommentar, Biographie Ignaz und Ludwig Bösendorfer, Quellenangaben und Literaturangaben

Vorspiel im Vergangenen

Das arpicembalo che fà il piano e forte von Bartolome Cristofori löst ein Erdbeben in der Spielmanier und Spielkultur seiner Zeit aus, animiert die Komponisten neue Wege der  musikalischen Erfindung zu suchen, zu gehen. Töne spielen nun untereinander zwischen leise- piano und forte – laut in allen Abstufungen, Herausforderung auch für den Instrumentenmacher nach mehr technischen Möglichkeiten einer Verbesserung der Tongebung, der Spielmöglichkeiten zu suchen, sie anzoubieten. Instrumentenbauer und Musiker spielen sich die Tasten-Bälle zu. Von diesem neuartigen Instrument begeistert, erzählen Gedichte wie Prosatexte von der Faszination, die Klavierspielen auf den Hörer wie den Spieler gleichermaßen ausübt.

Friedrich Schiller dichtet eine geheimnisvolle Laura an; 1782, in dem Jahr der Uraufführung seines Erstlingswerks „ Die Räuber“ in Mannheim. Der junge Dichter und sein Freund, der Musikus Johann  Andreas Streicher wollten unbedingt bei der Uraufführung anwesend sein, gegen das ausdrückliche Verbot des Herzogs von Württemberg, ihres Souverän. Sie reisten heimlich nach Mannheim; die Insubordination blieb nicht folgenlos. Es drohte Festungshaft, peinliche Bestrafungen es blieb nur nioch eins: Flucht. In Mannheim   trennten sich ihre Wege: Schiller verschlägt es nach Weimar, Johann Andreas Streicher zieht auf dem Umweg über Augsburg, wo er heiratet, nach Wien.

Wien ist um diese Zeit das Zentrum des Klavierbaus;  nach und nach werden mehr als 200   Klaviermanufakturen in der Residenzstadt des Habsburgerreiches ihre hochwertigen Produkte anbieten. Die Manufaktur Johann Andreas Streicher/ Nanette Stein war um 1800 eine der wichtigsten Manufakturen. Besonders bemerkenswert für diese Zeit: nicht ein Mann leitete die Manufaktur und baute die Instrumente, sondern es war eine Frau, Nanette Streicher, Komponistin und Pianistin. Ihr Mann, Johann Andreas Streicher war ihr Associé, auch er Komponist und Pianist. Die hochwertigen Instrumente, die beide fertigten, zog die Aufmerksamkeit von Ludwig van Beethoven auf sich; vor allem Nanette Streicher gehörte in seinen letzten Lebensjahren zu seinem engsten Kreis.

Um 1800 ist das Klavier immer noch ein Instrument des Salons, der Aristokratie, doch die ersten Anzeichen der Veränderung seines gesellschaftlichen Stellenwerts  und Nutzwerts zeichnen sich ab, nehmen zu. Zunächst einmal läßt es sich scheinbar ganz harmlos an, immer mehr Frauen und Mädchen sitzen stundenlang hinter dem Instrument und spielen, singen … Doch dahinter steckt mehr. Aus Spielen wird Dressur. Die Begründung für diese unsägliche Klavierdressur der Frauen und Mädchen ist vielschichtig: Rigide Sittlichkeitsregeln für Mädchen und Frauen greifen in alle ihre Lebensbereiche ein, und dazu gehört auch das Musizieren. Klavierspielen ist erlaubt, denn die Haltung an dem Instrument entspricht den männlichen Visionen von Sittlichkeit für ihr Eigentum, sei es nun die Tochter, die Ehefrau oder sonst eine weibliche Verwandte. Am Klavier sitzt man mit geschlossenen Beinen, den Rock züchtig über die Füße gelegt. Ein anderes Instrument, wie etwa die Geige oder das Violoncello, kam schon wegen der dafür nötigen Körperhaltung erst gar nicht in die engere Auswahl. Also sperrte man die Mädchen vor dem Klavier förmlich ein, wie in „Einzelhaft“ (Grete Wehmeyer).

Zunächst einmal wurde dies so begründet: Wenn sie das Instrument traktierten, kamen sie wenigstens nicht auf „dumme“ Gedanken, vergeudeten nicht ihre Zeit, sondern nutzten sie – immer aus der Sicht des „pater familias“ sinnvoll. Klavierspielende weibliche Familienmitglieder  waren zudem „leichter unter die Haube“ zu bringen.

Lernen für einen Beruf, eine Ausbildung durchlaufen, in dem von uns heute verstandenen Sinn des Wortes, war ihnen versagt; eine Frau, die mehr wußte, als es gesellschaftlich üblich war  – Motto: Küche, Kind und Kirche,  galt als Blaustrumpf, als nicht gesellschaftsfähig – war als Ehefrau, als Mutter der Kinder, vor allem des Stammhalters völlig ungeeignet. Die männlich dominierte Gesellschaft bestimmte es so, und wehe dem armen Mädchen, das ausbrechen wollte! Tat sie es dennoch, weil sie z.B. einen künstlerischen Beruf ergreifen wollte, dann war ihr die gesellschaftliche Ausgrenzung sicher. Die wenigen Frauen, die es trotzdem zu Ruhm und Anerkennung gebracht hatten, bezahlten in der Regel einen sehr hohen Preis.

Der Durchschnitt, "Lieschen Müller", mußte als „Heiratsgut“ sticken, häkeln, stricken,  kochen lernen – und  - Klavier spielen. Das galt als weibliche Tugend, war gleichzusetzen mit der materiellen Mitgift.

Die  daraus entstehende „Klavierseuche“ ging auch auf das Konto ehrgeiziger Mütter, die nichts unversucht ließen um die Tochter möglichst rasch an den „Mann zu bringen“, unter die Haube, sie versorgt zu wissen. Eine junge Frau im 19.Jh., die mit zwanzig noch nicht verheiratet war, galt als unanbringbar mit grausamen Folgen.  Sie wurde als „alte Jungfer“ eingestuft, mußte sich den Lebensunterhalt mühsam verdienen, oft gesellschaftlich heruntergestuft, geduldet als klavierspielende arme Verwandte, als Gouvernante oder als Klavierlehrerin, immer bedroht sich auf der Straße wiederzufinden.

Das Klavier  wurde zum Prestigeobjekt, zum Vorzeigemöbel des gehobenen Bürgerstandes, zeigte, daß man es „zu etwas gebracht hatte“. Diese unselige Allianz dauerte bis weit in das 20.Jahrhundert.

Für die Klavierbauer brachen goldene Zeiten an, sie machten damit gute Geschäfte; in jedem bürgerlichen Haushalt mußte ab sofort ein Möbel namens Klavier stehen.

Das Instrument zur „Verführung“ potentieller Heiratskandidaten mußte natürlich ein Bösendorfer sein! Noch 1905 konnte ein Rezensent zu Bösendorfers 70. Geburtstag und dem 50-jährigen Firmenjubiläum frisch und fröhlich reimen "Ludwig Bösendorfer als Retter des Klaviers:

 

 'Über weiße Tasten   gleitet

Eine weiche Frauenhand,

In ihr glanzerfülltes Auge

Blickt ein Jüngling unverwandt.

Und sie gießen in das Tonmeer

Liebestrunkenen Choral,

Dabei treten ihre Füße

Hübsch gemeinsam das Pedal.

Eine höhre Tochter martert

Mitleidslos das Instrument,

Ihre Mutter meint dann selig:

„Nicht wahr, Elsa hat Talent!“

Bei der neuzeitigen Folter

Mich nur eines nicht verdrießt

Daß vom alten Bösendorfer

Das Klavier gezimmert ist.

 'Meine ramponierten Nerven

Wärn zersägt, zerfressen schon

Hätte nicht der „Bösendorfer“

Seinen wundervollen Ton.

Deshalb ist zu seinem Preise

Höchstes Lob erst groß genug,

Denn sein „Flügel“ hat geschaffen

Des Klavieres „Höhenflug“.

 Da höre ich Busoni protestierend ausrufen: Man achte das Pianoforte !

Seine Nachteile sind offenbar, stark und unwiderruflich. Das Nicht-Halten des Tones, und die unbarmherzige , harte Einteilung in unalterable Halbtöne. Aber seine Vorzüge und Vorrechte sind kleine Wunder.  … Beethoven, der unbestreitbar den größten Fortschritt im Klavier vollführte, ahnte die  Natur des Pedals und ihm verdanken wir die ersten Freiheiten.- Das Pedal ist verrufen. Sinnlose Ungesetzlichkeiten sind daran Schuld. Man versuche es mit sinnreichen Ungesetzlichkeiten. … ( aus: Neue Ästhetik der Tonkunst)

Als Ferruccio Busoni diesen Text schrieb, da hatte er dreißig Jahre lang „Bösendorfer“ gespielt; mit seinem „Claviermacher Ludwig Bösendorfer“ verband ihn mehr als nur eine Geschäftsbeziehung.

Ich blicke zurück in das Jahr 1876, 8. Februar: Auf dem Podium des Bösendorfersaals sitzt vor dem Flügel ein Junge in Samtanzug und weißem Kragen. Er spielt mit Verve und Emphase, reißt die Zuhörer zu begeistertem Applaus. Es ist  der knapp 10-jährige Busoni, der als Pianist, er spielt ein Rondo von W.A. Mozart und als Komponist sowie fünf eigene Kompositionen, sein Debüt gibt. Er tritt in diesem Konzert als Konzertgeber auf, so der Programmzettel, ein für die damalige Zeit übliches Procedere.

Ich blättere weiter in den Briefen zwischen Busoni und Ludwig Bösendorfer; meistens geht es um Klavierleihe, um den Transport zu einem Konzert  - bedeutete jeder Klaviertransport eine logistische Meisterleistung!.

Dann, endlich, finde ich das Credo des Claviermachers Bösendorfer, er schreibt an Ferruccio Busoni, am 16.März 1906

Hochverehrter Meister, Ihr so überaus liebenswürdiger Brief hat mir größte Freude gemacht. Eine so wohlwollende Äußerung und mich schonende Anordnung vonseiten eines so großen Künstlers dem die ganze musikalische Welt Verehrung und Bewunderung zujubelt, würde mich stolz machen können, wenn nicht der Gedanke bei mir feststünde, daß der Claviermacher fortgesetzt verbessern muß um dem vorausgeeilten Künstler dienen zu können. Die großen Pianisten habe ich stets als meine Lehrmeister betrachtet.

              Mit Dankschuld im Herzen begrüße ich Sie in Hochachtung und Vertrauen, Ihr treu  ergebener Bösendorfer

Ein anderes, unumstößliches Credo von Ludwig Bösendorfer: „das Klavier darf nicht gequält werden …!“

Für Ludwig Bösendorfer ist das Instrument, das Klavier, kein Objekt, es ist SUBJEKT. Als solches muß es entsprechend behandelt, gepflegt, gespielt werden.

Nichts konnte ihn mehr irritieren, als ein Instrumentalist, der das Klavier rein technisch behandelte,  mechanisch spielte … und da er auch in der Prüfungskommission des Konservatoriums saß, erlebte er so manches pianistisches Sacrilegium. Was ihm aber besonders gegen den Strich ging, wenn bei Piano oder Pianissimo der Pianist die Verschiebung, das sostenuto-Pedal, einsetzte anstatt tatsächlich piano- pianissimo zu spielen. Das kam seiner Meinung nach einer Mißhandlung des Instruments gleich.

Und dann die jungen Pianisten! unerfahren, von Ängsten aller Art geplagt, besonders von der Prüfungsangst, die waren im „Mißhandeln“ des Instruments sehr erfinderisch.

Dazu aus einem Bericht im „Fremdenblatt“ vom 11.April 1915, der Anlaß war der 80. Geburtstags des Claviermachers Bösendorfer.  

Prüfungstag der Clavierklasse, Ludwig Bösendorfer ist Mitglied der Jury.

Ein Kandidat nach dem anderen absolviert seinen Auftritt, viel Schweiß, viel Nerven. Doch dann muß einer auf das Podium, der vor lauter Angst ganz schweißnasse Finger, Hände hat. Nachdem er seinen Part beendet hat, zeigte die Tastatur sehr sichtbare Spuren dieser nassen Finger. Natürlich muß die Tastatur für den nächsten Prüfling in ihren ursprünglichen – trockenen Zustand - zurückversetzt werden. Auf nassen Tasten tanzen keine Finger! Dem Saaldiener wird der Auftrag erteilt, die Tasten trocken zu wischen.

Der  Saaldiener kommt, wischt mit einem Tuch über die Tasten, geht. Da springt Ludwig Bösendorfer auf, geht mit energischen Schritten zum Klavier, zieht aus seiner Hosentasche ein weiches, weißes Tuch … und fängt an, behandelt, so lange bis sie tatsächlich trocken sind. Jede einzelne Taste, ob schwarz oder weiß, wird liebevoll, sanft und behutsam in voller Länge behandelt - 88 Tasten lang! Danach zieht sich Ludwig Bösendorfer, beruhigt und zufrieden, wieder auf seinen Juryplatz zurück: Das Klavier darf nicht gequält werden.

Nun steht, zur Massenware geworden, das einstmals aristokratische Instrument in den bürgerlichen Wohnungen und dort muß es sich seither allerlei gefallen lassen; das reicht von der  Ablage für Mäntel, Bücher, Blumen, Wassergläser, bis zu …-  die Liste ist beliebig zu erweitern.

Es dient  als „Zimmerzier“, wie „Fipps der Affe“ von Wilhelm Busch meint: 

Mit Recht erscheint uns das Klavier,

Wenn’s schön poliert, als Zimmerzier.

Ob’s außerdem Genuß verschafft,

Bleibt hin und wieder zweifelhaft.

Das Klavier - es ist und bleibt DAS magische Kultobjekt, es entfaltet jenes Pandämonium,  das nicht nur große Pianisten bis heute heraufbeschwören; wann immer jemand es zum Klingen bringt, gerät Jedermann in seinen Bann.

Der Pianist, der Komponist, ein jeder von ihnen ein Zauberlehrling (Goethe) braucht den Meister, und das ist der Klavierbauer. Er baut dem Zauberlehrling das Handwerkszeug, ganz nach seinen, des Zauberlehrlings Vorstellungen, entsteht „sein magisches Instrument“. Einer dieser großen Baumeister war der „Claviermacher“ Ludwig Bösendorfer.

In der großen Fabrikshalle steht Flügel an Flügel, vom „Mignon“ bis zum „Riesenflügel“, vom „Rubinsteinflügel“ bis zum „Imperial“; die Farbpalette reicht von Braun, Mahagoni, Elfenbein, Weiß bis – alle und alles dominierend - Schwarz  - glänzend oder matt - lackiert. Ludwig Bösendorfer geht von Flügel zu Flügel, in Gedanken läßt er die Wünsche der Künstler, der Freunde, an seine Instrumente, in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, Revue passieren.

Moritz Rosenthal, sein ehemaliges Mündel, jetzt ein gefeierter Virtuose, wollte immer schwergängige „Stutz“(flügel) zum Üben, um sein „jeu perlé“ weiter zu perfektionieren.

Franz Liszt forderte am 3.Mai1884 das „Piano-forte Octavier“ an für das Tonkünstler - Treffen des ADMV( Allgemeiner Deutscher Musik Verein), das vom 23. -28.Mai in Weimar stattfinden sollte.

Eine adelige Dame möchte einen Flügel mit besonders dekorativen Füßen ähnlich den Füßen des Kaiserin Elisabeth-Klavier von 1867;

Alice Barbi, Sängerin, Pianistin, nunmehr Baronin Wolff-Stomersee, bestellt einen Flügel, der nach  Vilna, ihrem derzeitigen Wohnsitz geschickt werden soll, usw. usw.

Überhaupt: die Transporte bedeuten trotz der inzwischen allgemein üblichen Eisenbahn noch immer eine große logistische Herausforderung um pünktlich an ihrem Bestimmungsort einzutreffen.

Inzwischen sind die Techniker gekommen; es wird reguliert, intoniert, gestimmt. Bösendorfer setzt sich immer wieder an ein Instrument, spielt, stellt fest: Die Tondauer ist zu kurz. Er winkt dem Techniker – schnalzt mit den Fingern – und der weiß, was er zu tun hat. In einigen Fällen ringt sich der wortkarge Meister zu dem Kommentar durch: Der Diskant muß pfeifen!, denn nur so erreicht man die allerhöchste Brillanz.

Plötzlich eines Tages, schien es mir klar geworden: daß die Entfaltung der Tonkunst  an unseren Musikinstrumenten scheitert. Die Entfaltung des Komponisten an dem Studium der Partituren. Wenn „Schaffen“, wie ich es definierte, ein „Formen aus dem  Nichts“ bedeutet soll, (und es kann nichts anderes bedeuten); wenn Musik … zur  Originalität nämlich zu ihrem eigenen reinen Wesen zurückstreben soll, … wenn sie Konventionen und Formeln wie ein verbrauchtes Gewand ablegen und in schöner  Nacktheit prangen soll; diesem Drange stehen die musikalischen Werkzeuge zunächst   im Wege. Die Instrumente sind an ihren Umfang. Ihre Klangart und ihre           Ausführungsmöglichkeiten festgekettet … abstrakten Klänge, zur hindernislosen  Technik, zur tonlichen Unbegrenztheit. …

Ferruccio Busonis  Gedanken und Forderungen, auf der Suche nach dem idealen Instrument, formuliert 1907 in seinem ersten „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“, lesen sich abgelöst von den technischen Bedingungen der Klavierbaukunst wie eine idealtypische Vorstellung dessen, das Ludwig Bösendorfer formuliert mit “Der Diskant muß pfeiffen“.

Der Claviermacher Ludwig Bösendorfer, in ständigem schöpferischen Dialog mit den Künstlern, die seine Instrumente spielten, versuchte ihren musikalischen Visionen die instrumentalen Möglichkeiten zu schaffen.

Der Name „Bösendorfer“ steht heute nur noch für ein Instrument, eine Klavierproduktions-Firma, für Instrumente mit einem ganz eigenständigen, besonderen Klang, „dem Bösendorfer-Klang“. „Der Bösendorfer“, Ludwig Bösendorfer, wird in der entsprechenden Fachliteratur, in biographischen Werken, in sogenannten „table-books“ präsentiert, geschildert, geehrt, aber nach der Lektüre dieser Texte verdichtete sich – bei mir - die Frage: Wer war er, dieser Ludwig Bösendorfer? Was war das Movens, das ihn die Instrumente wie Kunstwerke zu kreiieren antrieb, mit einem Klang so verzaubernd , intensiv, daß man ihn nie wieder aus dem Ohr, dem Gefühl bekommt, sich unentwegt auf die Suche nach diesem Klang macht.

Für diese Klang-Idee scheute er auch nicht vor Konflikten zurück; die Auseinandersetzungen mit der Konkurrenz, nicht zuletzt auch um die Vorherrschaft auf dem heiß umkämpften Markt. Aus dem Wiener Musikleben seiner Zeit war er nicht wegzudenken,  er spielte eine wichtige Rolle, nahm Einfluß, war Mäzen – und präsidierte, organisierte seinen Konzertsaal,  vier Jahrzehnte lang, den Bösendorfersaal, Wiens wichtigsten Kammermusiksaal, in der Herrengasse 6, Wien - Innere Stadt.  

Als er 1835 geboren wurde, machte die alles beherrschende Zensur des Restaurationsstaates des Kanzler Metternich  aus Staatsbürgern mundtote Schattenwesen. Nach der Revolution von 1848 verwandelte sich das scheinbar gemütlich- biedermeierliche Wien rasant eine Großstadt, alles stand im Zeichen der industriellen Fortschrittsgläubigkeit.

Als Ludwig Bösendorfer im Mai 1919 starb, war diese Welt, seine Welt, brutal und gewaltsam zerstört worden, eine ganze Kultur untergegangen – der Erste Weltkrieg zerbrach nicht nur Staaten, er zerbrach vor allem Menschen. 

Dieser „Vogelflug“ über und quer durch die Ereignisse zwischen 1835 – 1919 gibt die Lebensfolie, die Kulisse, vor der und in der das Leben des Menschen und  Geschäftsmanns Ludwig Bösendorfer spielt, des „Claviermachers“, wie er sich selbst nannte.

Ich möchte mit meiner Zeitreise, aus dem Wissen heraus, daß ich zum Zeitpunkt des Erzählens schon das Ende kenne, den Menschen Ludwig Bösendorfer aus dieser lexikalischen, erzwungenen Zweidimensionalität befreien und ihm wenigstens ansatzweise ein gelebtes Leben mit allen Höhen und Tiefen geben.

Die Geschichte der Firma, die seinen Namen trägt, spielt mit, aber nicht als Hauptrolle; so lange Ludwig Bösendorfer lebte, ist Bösendorfer synonym für Bösendorfer -Klavier.

Meine Zeitreise ist nicht linear, nicht chronologisch, ich suche nach Impressionen, Spotlights, blättere in den Lebensseiten eines Menschen, treffe Menschen und Ereignisse einer anderen Zeit. Möglich, daß den Leser des 21. Jahrhunderts  manches wie Märchen aus 1001 Nacht anmutet, aber Retrospektiven stellen ihre ganz eigenen Regeln auf.


'Start eines Flügels.  Ignaz Bösendorfer'  

 

Liszt spielt! 10.März 1846, im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde, Tuchlauben 12, gibt Liszt wieder ein Konzert, das Publikum bereitet ihm enthusiastische Ovationen, doch der Rezensent, Heinz Adami von der „Allgemeinen Theater-Zeitung“ ist nicht zufrieden; er meint, Liszt solle doch besser statt des „Streicher’schen“ Flügels einen „Bösendorfer“ spielen. Er begründet dies nicht weiter. Neugierig geworden suche ich nach anderen Rezensionen, blättere in anderen Zeitungen und Zeitschriften, gehe einige Jahre zurück und dann finde ich:

… Der Flügel, auf dem der Concertgeber (Anton Rubinstein, knapp 10-jährig, ([Anm.d.Verf.]diesmal spielte, war von Bösendorfer; an schönem Klange in den höheren Octaven den Stein’schen zwar nachstehende, aber durch  Gleichmäßigkeit  der Tonqualität und kräftigerem Baß zum Concertinstrumente  viel mehr geeignet. Gez. A.J.Becher

 Der Weg zum Durchbruch, daß auch der Bösendorfer’sche Flügel zu DEM Konzertinstrument würde, war lang und schwierig, die Konkurrenz im Wien vor 1850 groß und mächtig. Doch Ignaz Bösendorfer, der Klavierbauer, setzte sein Instrument beharrlich durch. Mit 500.- Gulden Startkapital und zwei Gehilfen hatte er angefangen, er etablierte  seine junge Firma in der Werkstatt von Josef Brodmann, seinem Lehrmeister.  1832 zog sich Josef Brodmann ganz aus dem Geschäft zurück; er hinterließ seinem ehemaligen Schüler und nunmehrigen Firmenchef etwas sehr Wertvolles: seine altgedienten Mitarbeiter und mit ihnen auch die Betriebsgeheimnisse seiner Manufaktur. Wie ein Pianist die Musik in seinen Fingern hat, das gilt, meine ich, auch für den Klavierbauer, der Klang, das Geheimnis, wie man dem Holz den Klang entlockt, ihn zum Leben verhilft, das ist Handarbeit, das haben sie in den Händen.  

Der Innovationsschub, den die Klavierindustrie in den Jahren von 1820 und 1850  erlebte, ist enorm, nie wieder wurden so viele und so unterschiedliche Patente, die damals Privilegien genannt wurden, angemeldet, oder auch vergessen anzumelden, jedenfalls registriert wurden sie.

Die Klavierbauerindustrie „explodiert“ förmlich; in kürzester Zeit wurden die Klaviere  zum als Statussymbol der gut bürgerlichen Gesellschaft. Die Klavierbauer betrugen zahlenmäßig  drei Viertel der gesamten Wiener Instrumentenbauer. Wien wurde das Zentrum für den Klavierbau in den deutschsprachigen Ländern, für Mittel- und Osteuropa. Es wurde ohne Unterbrechung experimentiert, gebastelt, erfunden; Klavierbauer und Instrumentalisten, Komponisten beschäftigte die zentrale Frage: Ton und Klang , Qualität und Volumen den immer höheren größeren Anforderungen der Instrumentalisten, der Komponisten anzupassen – sowie den immer größer werdenden Sälen.

Aus der Arbeitssymbiose Klavierbauer – Komponist, Instrumentalist entstanden zahllose Neuerungen, die ihren Niederschlag in den Privilegien fanden: für Saitenmaterial, Resonanzboden, für die Bespannung der Hammerköpfe usw. und sofort. In immer neuer Form, variiert, verbessert, erweitert. Ludwig van Beethoven 5) ist der erste Komponist und Pianist, der dem Instrument mehr abverlangt, es geradezu herausfordert.

Aber es dauerte Jahre, es bedurfte vieler Versuche bis das zart und zierlich klingenden Instrument, das Hammerklavier mit den ätherischen Klängen einer Harfe, robuster wurde, der Ton voluminöser, die Mechanik stabiler, die Saiten stärker, um dem immer größer werdenden Druck  der zupackenden Finger und Hände der Komponisten, Virtuosen standzuhalten ohne zu zerbrechen, zu reißen .

1825 reicht Josef Brodmann, der Lehrherr von Ignaz Bösendorfer ein Privileg ein zur Verbesserung des Resonanzbodens (die mittlere Lage wurde nun quer verleimt).  

1829 wurde zum ersten Mal ein Flügel mit gewölbtem Resonanzboden vorgestellt von einen Klavierbauer mit Namen Carl Schmidt aus Preßburg.

Auch der Gußeisenrahmen wurde auf der Wiener Gewerbs-Productenausstellung 1839 der Öffentlichkeit präsentiert; sein Erfinder war ein gewisser Friedrich Hoxa ; nur leider dürfte er etwas zu leger mit seiner Erfindung umgegangen sein – er ließ sich kein Privilegium erteilen, und so geriet diese so eminent wichtige Erfindung in Vergessenheit. Sehr zum Schaden der Wiener Klavierbauer, die dann  in der 2.Hälfte des 19.Jh. das Privileg, das Patent für den Gußeisenrahmen teuer einkaufen mußten, nachdem die amerikanischen Klavierbaufirmen Chickering 8) sowie Steinway & Sons 9) den Gußeisenrahmen nach Europa gebracht hatten.

Reisen in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war noch sehr beschwerlich, langwierig und kostenaufwendig. Ignaz Bösendorfer scheute aber weder das eine noch das andere, er wollte immer auf dem neuesten Stand der Information und Technik sein. Also bestieg er die  Postkutsche, nahm die Unbequemlichkeit in Kauf um die Innovationen anderer Klavierbauer kennenzulernen.  Wieder in seiner Werkstatt setzte er die Erfahrungen um, entwickelt vieles neu, veränderte, verbesserte. Daraus folgen bei den eigenen Instrumenten verschiedene Änderungen: die Holzkonstruktion des  Corpus wird massiv verstärkt, ebenso der Rahmen, die Saiten; diese werden immer noch parallel gespannt. Die massivere Holzbauweise führt zur Klangveränderung: der zarte, zirpende Klang der alten Instrumente wird umfangreicher, voluminöser, entwickelt eine größere Lautstärke. Die Verstärkung des Rahmens, des Corpus durch mehr Holz führt auch zu dem heute noch charakteristischen Bösendorferklang – reich an Obertönen, sehr warm, sehr gesanglich, schwingend im Bass wie im Sopran, ein sehr lebendiger Klang, der der menschlichen Stimme (wie ein Violoncello) sehr nahe kommt. Um mit Bach zu sprechen - ein wohltemperierter Klang.

 …Schon die Fortepianos an sich werden mit jedem Jahr durch neue Erfindungen und Verfeinerungen veredelt, und noch ist nicht abzusehen, wann dieses complicirte Instrument endlich als vollendet dastehen wird; und in selbigem Verhältnisse haben die Virtuosen unserer Zeit, durch ihr Spiel, sowie durch ihre Compositionen, der Behandlung des Fortepianos eine Vollendung gegeben und dem Vortrage eine Vielseitigkeit abgewonnen, die man früher nicht ahnen konnte“ . …

meint Carl Czerny im Vorwort zur Klavierschule von August Eberhard Müller, 1825.

In einem Bericht von 1844 kann man lesen:

…Es  waren auch fast alle Künstler, die auch auf seinen Flügeln sich hier hören ließen, … Thalberg und Liszt, um nicht bloß für den schönen Gesang seiner Fabrikate, sondern auch für deren Dauerhaftigkeit   (Solidität) vollkommene Garantie  zu haben. … Nicht zu verkennen ist auch, daß Bösendorfer, so wie Streicher mit  besonderer Humanität ihre Säle den Virtuosen zu Privatkonzerten überlassen, und            ersterer auch von Zeit zu Zeit Soirées veranstaltet, wo nicht nur anerkannte Meister,…  sondern auch aufstrebende Kunstjünger von einem sehr gewählten Kunstpublikum  gehört werden …

Ein anderer Zeitgenosse, Wilhelm Lenz, der Liszt und Chopin in Paris nicht nur besucht hat, sondern ein aufmerksamer und intensiver Zuhörer ihrer Kunst war, erinnert sich:

… Liszt spielt nicht etwa Klavier, er erzählt am Klavier seine mit dem Gange unserer Zeiten auf`s engste verknüpfte, sie wider spiegelnden Geschicke. Liszt ist  eine …         Geschichte des Tasteninstrumentes … Liszt ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft  des Pianoforte. …

Mit dem Liszt-Konzert vom 10.März 1846 begann die enge Verbindung, wenn auch mit großen zeitlichen Unterbrechungen zwischen „Bösendorfer“ und Franz Liszt  und damit – möchte ich behaupten - der Höhenflug des „Bösendorfer“ – Klavier. Der „Bösendorfer“ kommt nun mit seinen „Flügeln“ überall hin, seine Flügel werden zu Wanderern zwischen den Welten.

1846: aus der ATHZ (Allgemeine Theaterzeitung, genannt "Der Bäuerle")

 … Liszt spielt mit Karl Maria von Bocklet vierhändig  die Sonate in As-Dur von Hummel, begleitete zwei Lieder von Hoven , … wobei Liszt das erste Mal an einen   Bösendorfer-Klavier spielte …

Über ein Nachtkonzert vom 31,März 1846:

… Er (Liszt) bediente sich diesmal des bekannten Bösendorfer’schen Ausstellungs-Instruments mit der Erard’schen Mechanik, dessen Vortrefflichkeit an diesem heißen  Abende sich eigentlich erst recht bewährte. Nicht nur dessen schöner Klang machte   sich unter solchen Meisterhänden geltend, sondern auch Saiten und Stimmung hielten tüchtig bis zum Schlusse aus, was nach drei solchen Concertstücken und bei der  Energie, womit Liszt das Clavier hernimmt, gewiß nicht wenig zu wundern ist. …

 Das Ende der Gastspieltätigkeit in Wien, 1846, bedeutet keineswegs, daß Liszt erst wieder in den 1870er Jahren nach Wien kommt; jährlich und regelmäßig fährt er nach Wien um hier mit seinem Onkel-Cousin Eduard Liszt , der im Schottenhof  wohnt seinen Namenstag zu feiern, Freunde, Bekannte besuchen, Kontakte pflegen. So kurz diese Aufenthalte auch immer gewesen sind, sie werden aufmerksam registriert, es wird darüber berichtet. Ein Besuch bei Bösendorfer, eine gesellschaftliche Begegnung hat es sicher immer wieder gegeben, wenn auch der nächste tatsächlich nachweisbare Kontakt mit 1870 beginnt; in jenen Jahren, die Liszt als seine „Vie trifurquée“ bezeichnete. Das erste überlieferte Schreiben des Komponisten an Ludwig Bösendorfer datiert vom 17. November 1870. Liszt hält sich in Pest auf.

… Nun haben Sie abermals für mein musikalisches Wohl in Pest trefflichst gesorgt. Ihre beiden Flügel prangen im Salon der Stadt Pfarrei … Schönsten Dank , - zunächst    an Ihre Frau, die mich durch ihre liebenswürdige Blumen-Sendung … sehr erfreute –    und hoffentlich auf baldiges Wiedersehen  …

Um 1850 stand Ignaz Bösendorfer vor einer bedeutsamen Entscheidung: erweitern, anbauen und damit die Verlagerung der Manufaktur in einen anderen Stadtteil, denn in der Josefstadt gab es nicht genügend Baugrund,  - oder in der Josefstadt im angestammten Umfeld bleiben mit dem Endeffekt, weniger Verkaufszahlen zu erwirtschaften, weniger öffentliche Anerkennung zu erhalten. Die Entscheidung fiel zugunsten eines völligen Neubaus, für den Umzug und die Verlagerung der Werkstätten, damit die Produktion nach dem neuesten handwerklich-technischen Standard weitergeführt werden konnte. Ein Konzertsaal für rund 200 Personen wurde in die Planung mit einbezogen. Die Fertigstellung des neuen Hauses, der Werkstätten, der Schauräume und des Konzertsaals hat Ignaz Bösendorfer nicht mehr erlebt; sein Sohn Ludwig führte den Bau in seinem Sinn zu Ende.

In den „Blättern für Musik, Theater und Kunst“ berichtete ein „Flaneur durch Wiens Klaviersäle“  voller Begeisterung über den neuen Bösendorfersaal, das Wohnhaus, die Fabrik, die Schauräume in NeuWien, Türkenstraße 9:

… Wenden wir unsere Schritte nunmehr nach den Ateliers der hervorragenden Clavierindustriellen. …  ein palastähnlicher Prachtbau  … . Imposant durch seine zu vier Stockwerken emporragende Höhe, bietet er mit seinem              symmetrischen Linien und der gediegenen Ornamentik seiner               Facade einen architektonisch bedeutenden Anblick. …. Über dem hohen Bogentore prangt in goldenen Lettern „Bösendorfer“ … im quadratischen Freiraum dieses Stiegenhauses steht die überlebensgroße, …  Zinkstatue Beethoven’s. … gelangt [man] in den Claviersaal, dessen Raum 30-40 Instrumente bequem faßt, die sich da der Auswahl der Käufer präsentieren. … Außer der Büste des verewigten Gründers dieses, von dem Sohne … und Chef der Fabrik Ludwig Bösendorfer, zur Vollendung gebrachten Baues … entbehrt der … Saal jedes weiteren  Einrichtungsschmuckes. …  Über dem Claviersaale, eine Treppe höher, liegt ein zweiter gleich großer Saal, der … zu musikalischen Produktionen dient, … bis der große,  für ein Orchester und 6 – bis 800 Zuhörer Raum bietende Concertsaal zum Ausbau gelangt, …

 Das vielfältige Angebot der Klavierfirma Bösendorfer wurde mit einer besonderen Attraktivität abgerundet: Übemöglichkeiten für minder bemittelte Sänger, Instrumentalisten. 1919, im Nachruf auf Ludwig Bösendorfer, erinnert sich der ehemalige Star der Hofoper, Caroline Gomperz-Bettelheim

… Ich war ein junger Fratz, als ich noch in der Türkenstraße im damaligen Bösendorferschen Klaviersalon üben durfte und mir traumhaft und mit Verehrung        sein Name entgegenklang. Schon damals beglückte er (gemeint ist Ludwig    Bösendorfer, Anm.d.Verf.) arme Spieler mit ins Haus gelieferten „Flügeln“, damit sie          diesen leichter wüchsen. Die Konservatorien erklangen von seinen Fabrikaten und den    Preisgekrönten widmete er ein Bösendorfer-Klavier schenkweise (sic!) .  …

 Das Jahr 1859 wird zum Schicksalsjahr für Familie und Firma. Nach längerer Krankheit stirbt Ignaz Bösendorfer.

Für das musikalische Wien war der 15.April [Todestag von Ignaz Bösendorfer, Anm. d.Verf.] ein Tag begründeter Trauer. In den Abendstunden gab es  der entseelten Hülle  eines Mannes das letzte Geleite … .

Des Künstlers bester Lobredner ist sein Werk. Ein ‚Bösendofer Flügel‘ ist nachgerade  ein Sammelbegriff aller Vorzüge geworden, welche die Erzeugnisse der  Clavierbaukunst aufweisen müssen, sollen sie den Forderungen der vorgeschrittenen     Technik, wie des Kunstgeschmackes  nach jeder Richtung hin entsprechen. Was für …  den Geiger eine Guarneri oder Stradivari, das wurde für Pianisten ein    Bösendorfer’sches Klavier – das Ziel ihrer Wünsche. … Bösendorfer als Menschen, gebührt  aber ein nicht minder ehrenvoller Nachruf. Mit vielseitiger Bildung verband  der Dahingeschiedene eine Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit des Benehmens,  die ihm das Herz eines jeden mit ihm in Berührung Tretenden gewann. Er gehörte aber auch zu den wenigen Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck    tragen. Strengste Rechtlichkeit, Sittlichkeit und echte Humanität  wiederspiegelte sein   ganzes Leben, … Bösendorfer unterstützte die Kunst und ihre Jünger auf eine wahrhaft  chevalereske Weise, und die leidende Menschheit hat nie vergebens an seinen          Wohltätigkeitssinn appelliert. …  

 

Denn das was gelungen ist, konnte auch mißlingen …“

 

…Mein Vater hinterließ einen sehr geachteten Namen, auch für bürgerliche Verhältnisse ein anständiges Vermögen. Ich war aber nicht der alleinige Erbe. 1/6  mußte hinreichen ein großes Geschäft fortzuführen und, wie es mir glücklicherweise  gelungen ist, zu vergrößern.

Ich war damals zweifelhaft, ob ich mit dem 6.Teil des Vermögens ein Unternehmen fortführen soll und darf, oder eine andere Laufbahn suchen soll, um den Namen meines Vaters nicht zu schädigen. Denn das was gelungen ist, konnte auch  mißlingen . … Die Rivalen meines Vaters konnten eine so schöne Gelegenheit nicht vorübergehen lassen. …

 beschreibt Ludwig Bösendorfer die Schwierigkeiten bei der Firmenübernahme 1859. Ludwig Bösendorfer, längst  schon als potentieller Nachfolger eingearbeitet und vorgesehen,  muß quasi über Nacht die Firma übernehmen. Ludwig Bösendorfer muß nun den Gesamtkomplex fertig bauen lassen, übersiedeln, nachdem er sich entschlosssen hatte, das Erbe anzutreten.

Der Entschluß, die Firma zu übernehmen und im Sinne seines Vaters weiterzuführen – individuell, konservativ  (im Sinne von Bewahren) als Manufaktur –  war dem  „jungen Bösendorfer“, wie man ihn fortan nannte, nicht leicht gefallen, er hat lange gezweifelt.

In diesem Jahr der Firmenübernahme, nach dem Tod des Vaters ,1859 ist Wien, die Stadt, in der er Kind war, zur Schule gegangen ist, seine Ausbildung absolviert hat, zu einer ganz neuen Stadt geworden. 1857 wurde per Dekret die mittelalterliche Stadtbefestigung von Wien für den Abriß freigegeben.

Die Folge: Bauboom, Wirtschaftsboom, verstärkte Zuwanderung usw.  Die bisher eher beschauliche Residenzstadt Wien verwandelt sich in kurzer Zeit in eine pulsierende, imperial gestaltete Großstadt. Die Bastionen, der als „Glacis „ bezeichnete Grüngürtel um die alte „Innere Stadt“ werden in Bauland umgewidmet, Straßen werden gebaut, die Ringstraße wird 1865 eröffnet. Öffentliche und private Gebäude verändern das Stadtbild der Inneren Stadt, der alten Vorstädte innerhalb des  Linienwall; der äußere Verteidigungsring der Stadt, die alte Mautzone wird zum „Gürtel“. Was einst „Vorstadt“ war, wie Gumpendorf, die Laimgrube, die Josefstadt, Mariahilf, der Alsergrund wird innerstädtisch.  Die Stadtentwicklung, die gesellschaftlichen, materiellen, politischen Veränderungen geben dem kulturellen Stadtleben ein neues Profil; Wien ist „Musikstadt“ so lautete nun die Kurzformel.

Der Zufall spielt mir eine Lithographie in die Hände; und ich brauche einige Zeit um zu erkennen, daß dieser Mann mit der „Löwenmähne“ Ludwig Bösendorfer  in mittleren Jahren ist. Dieser Mann ist ein „Ohrenmensch“, er lauscht, er hört Klänge?, gestaltete Musik ? Dieses lithographierte Porträt, dunkel und schwer, läßt die unbändige Energie ahnen, mit der Ludwig Bösendorfer  sich für „seine“ Kunstwerke engagierte, seine Klaviere, die er „seine Kinder“ nannte.

Er hat im Konservatorium Klavier, auch Komposition gelernt. Später berichten Freunde und Bekannte, daß er ein recht guter Klavierspieler war, nur nicht gerne öffentlich spielte.

In den Nachlaßpapieren sind einige Kompositionen überliefert, die meisten in handschriftlicher Form; der „Launen“-Walzer,  der „Aurora-Walzer“ wurden bei Carl Haslinger verlegt. Wann Ludwig Bösendorfer das Komponieren aufgegeben hat, läßt sich nicht sagen; ich vermute aber er hat es freiwillig, selbstkritisch aufgegeben; aus den veröffentlichten Walzern spricht viel Musikalität , aber ob es tatsächlich für eine größere Komponistenlaufbahn gereicht hätte, schwer zu sagen. Mit der Entscheidung zur Firmenübernahme waren die Prioritäten nunmehr andere. Das Klavierbauen, das Entwickeln von Klängen  war seine eigentliche, brennende Leidenschaft, die ihn nie losließ! 

Bald nachdem Ludwig Bösendorfer Céleste Aicher von Poßbach begegnet war, dürfte er sich zur Heirat entschlossen haben; über eine erste Begegnung wissen wir nichts. Vielleicht haben sie sich im Konservatorium getroffen, vielleicht nach einer Vorstellung im Pasqualati-Theater  in der Josefstadt?  Céleste, damals noch Coelestine von Possbach spielte im Pasqualati- Theater.  Zwei undatierte Konzertkarten zu einem Liederabend mit Coelestine  von Poßbache im Konzertsaal Bösendorfer in Neu-Wien habe ich im Nachlaß Ludwig Bösendorfer  gefunden, ein rares Dokument der Erinnerung an Céleste,  Ariadnefaden in das undurchdringliche Labyrinth der Vergangenheit. 

Coelestine, ein schöner Name, bedeutet die Himmlische, in der von ihr bevorzugten französischen Fassung Céleste klingt es noch ein wenig himmlischer.  Sie war ausgebildete Sängerin und Schauspielerin. Doch die erträumte Karriere als Sängerin fand nicht statt; die Stimme machte Probleme. Also umsatteln auf Schauspielerin, einer ihrer Lehrer war  Josef Lewinsky , der große Star des alten Burgtheaters und  er schätzte ihre Talent. Sie hatte schon als Kind, als junges Mädchen,  - sie war die Nichte des sehr beliebten und bekannten Dichters und Arztes Ernst von Feuchtersleben  - Kontakt zu den literarischen Salons der Zeit, besonders zu dem Kreis um Franz Grillparzer . 

Die erhaltenen Photographien von Céleste,  sind entsprechend der noch recht mangelhaften Technik dieser Epoche sowie der noch immer vorherrschenden Vorstellung ein Photo müßte eigentlich wie ein gemaltes Bild sein, entsprechend stereotyp. Trotzdem erzählen sie viel über und von den abgebildeten Personen. Céleste muß eine zauberhafte Frau gewesen sein. Sie hat ein sehr feingezeichnetes Gesicht , schmale Lippen, leuchtende  Augen, in ihnen sitzt das Lächeln der Sängerin, und auch wenn sie etwas streng in die Kamera blickt, sie strahlt einen unbezwinglichen Charme aus, der nicht allein auf ihre Jugend zurückzuführen ist.  Mit natürlicher Eleganz  trägt sie Abendrobe wie Reitkostüm. Sie hatte reiten gelernt, denn Ludwig Bösendorfer, der Pferdenarr, konnte sich nicht vorstellen, daß jemand nicht reiten kann!  Die Technik der Photographie steckte  in der 2.Hälfte des 19.Jh. noch in den „Kinderschuhen“, aber selbst diese oft sehr steifen, weil gestellten Photos, die auch gelegentlich das Mißtrauen der Abgebildeten gegenüber dieser neuen Technik erkennen lassen, geben eine ungefähre Vorstellung von dem Charme und der Ausstrahlung der jungen Frau,  mit der sie ihre Umgebung, die Menschen um sie herum bezaubert und verzaubert haben muß.

Céleste Bösendorfer war eine gute Gastgeberin, war mehr als nur die elegante Begleiterin des angesehenen Klaviermachers Ludwig Bösendorfer; sie war der Mittelpunkt des Künstlerkreises, der sich, vor allem wenn Liszt anwesend war, im Hause Bösendorfer in der Herrengasse traf.

Franz Liszt an Ludwig Bösendorfer, ein undatiertes Schreiben:

Geehrter Freund, da Sie die Freundlichkeit hatten mir die Einladungsliste für heute Abend anheim zu stellen, erlaube ich mir Ihnen Herrn Hofrat Unger und Herrn   Dr.Standhartner als sehr willkommene Gäste zu bezeichnen. Bitte also dieselben          einzuladen. Freundschaftlich ergebenst FLiszt

Was uns die Photographien  nicht erzählen, dafür aber umso mehr immer wieder kleine, kurzen Zeitungsnotizen, auch aus Anlaß ihrer Beisetzung: Sie besaß ein sehr soziales Empfinden und Engagement. Soweit es ihre Resourcen und zeitlichen Möglichkeiten zuließen, kümmerte sie sich um Waisenkinder, war auch in einem Fürsorgeverein aktiv tätig. In einer Zeit der totalen sozialen Absicherung nahezu unvorstellbar, doch im 19.Jh. existierte keinerlei soziale Absicherung, keine öffentliche Hand kümmerte sich um das Schicksal derer, die keine sozialgesellschaftliche Anbindung hatten. Sie waren auf die Wohltätigkeit der Gesellschaft angewiesen; dies übernahmen im allgemeinen die Damen der großbürgerlichen Gesellschaft, des gehobenen Bürgertums, der Aristokratie. 

Franz Liszt  war wie alle  von Céleste charmiert, begegnete ihr mit ausgesuchter, sehr respektvoller Liebenswürdigkeit; die Briefe, eigentlich sind es „Briefchen“ an sie, knapp, kurz französisch elegant formuliert, sind kleine Dankesgrüße, und – immer gepaart mit irgendwelchen Aufträgen, die, wie er meint, nur sie für ihn regeln kann.

Ich greife wahllos heraus:

 Horpacs, Schey 6.Juni /Zichényi, 19 janvier 1874

Chère Madame, j’allais vous écrire pour vous remercier encore et votre charmante soirée de mercredi, quand on vint apporter hier, dans ma chambre le nouveau piano  de Bösendorfer. Permettez-moi donc d’ajouter un piu sforzando à mes très sincères remerciements que je vous prie de vouloir bien partager avec Bösendorfer, et comptez   à toujours sur mon amitié dévouée et recononaissante. F.Liszt 

Übersetzung:

  1. Januar 1874

Sehr geehrte gnädige Frau, während ich an Sie schrieb um mich bei Ihnen nochmals  für den charmanten  Mittwochabend bei Ihnen zu bedanken, brachte  man das neue Klavier von Bösendorfer in mein Zimmer. Erlauben Sie mir ein piu sforzando meinem  sehr aufrichtigen Dank hinzuzufügen und ich möchte Sie herzlich bitten diesen Dank mit Bösendorfer zu teilen, und bitte zählen Sie immer auf meine tiefe und aufrichtige Freundschaft. F Liszt

Szegigard (?) 25.Oct. 1876

Verehrte Freundin, wenn ich nicht irre, sagten Sie mir neulich, daß ein paar Seiten meiner Notenkritzelei freundliche Aufnahme bei Ihnen finden wird.

Genehmigen Sie also das beifolgende kleine Manuskript („Elegie en mémoire de Madame Marie Lanckoronski“). Ihres herzlichst ergebenen FLiszt 

Dann wurde Céleste krank:

Weimar, 18.4.1881 (Poststempel)

Ne pas vous revoir cette fois, Madame, me peinait. C’était comme une ombre mélancolique sur mon séjour, d’ailleurs si bienveillante, agrée, là – les roses dans les  épines de votre gracieux souvenir m’accompagnent devouement demeure fixe.     FLiszt.

Eine strahlende, lebendige, erfolgreiche Zeit endet abrupt mit dem Tod von Céleste 1882.   Der Claviermacher Ludwig Bösendorfer stand damals auf dem Höhepunkt seiner Erfolge; mit ihrem Tod erlosch der Glanz, der Erfolg blieb.


Erste Erfolge – die Weltausstellungen 1862 und 1867

 

Einen wesentlicher Anteil an der Industrialisierung waren die großen internationalen Industrie- und Gewerbemessen, die unter dem Titel „Weltausstellung“ firmierten. Anfänglich wurden sie als staatliche Leistungsschauen initiiert; doch die Staaten erkannten den Werbungsmehrwert und sehr bald wurden diese Industriemessen als politisch motivierte Selbstdarstellung des jeweiligen Ausstellerlandes manipuliert.

1851 fand die erste Weltausstellung in London statt. Auf dieser ersten internationalen Show präsentierten die Aussteller ihre Innovationen, und viele alltägliche Gegenstände, heute als selbstverständlich gewertet, erhielten ihr erstes genormtes Design auf dieser Show. 1855 folgte Paris, 1862 wieder London. Die Ausstellung von 1862 gilt als Schnittstelle für

die kontinentaleuropäische Klavierproduktion, für die Klavierproduzenten der Donaumonarchie, insbesondere für die Firma Ludwig Bösendorfer. Das Rad der sich verändernden Klavierwelt rollte über den Ozean auf Europa, auf Kontentaleuropa unaufhaltsam zu, der Einfluß der amerikanischen Produktionsmethoden, der Werbemechanismen veränderte nicht nur die europäische Klavierwelt. Die Besucher dieser Ausstellung lernten außerdem von den amerikanischen  Ausstellern  neue, andere Geschäftsmodelle kennen. Das sollte langfristige Folgen für das Gewerbe haben.

Die amerikanisch Klavierfirma Steinway & Sons präsentierte mit ihren industriell gefertigten Instrumenten die technischen Innovationen ihrer Produktion:  Den Gußreisenrahmen und die Kreuzbesaitung.

In London erhielt Steinway für seine Instrumente, ein Tafelklavier und ein Flügel, eine Goldmedaille für das beste amerikanische Klavierprodukt . Spitzenreiter in London war  immer noch die Firma Broadwood 1), die mit Gold bedacht wurde.  Bösendorfer erhielt eine Silbermedaille. Aus der Retrospektive wirkt die Londoner Weltausstellung  wie ein Vorspiel zur nächsten großen Weltausstellung – Paris 1867.

1867, nach dem verlorenen Krieg von 1866  begann für Europa, für die Monarchie eine neue Phase wirtschaftlichen Aufschwungs; diese Konjunkturphase hielt bis 1873 an.

Die Pariser Weltausstellung von 1867 ist mehr als nur eine industrielle Leistungs- Show, sie ist die Pracht – und Machtdemonstration des Deuxième Empire, Napoléons III. und seines um die Vorherrschaft auf dem Kontinent kämpfenden Kontrahenten:

Das Königreich Preußen, verkörpert in der Person Otto von Bismarcks , wirtschaftlich durch die Familie Krupp,  die mit einer Riesenkanone auf dem Champs de Mars neben Staunen auch für reichlich Unbehagen sorgte. Ein buntes abwechslungsreiches  Rahmen – und Unterhaltungsprogramm sorgte für Abwechslung, gute Stimmung, „Höllengalopp und Götterdämmerung“ (Grete Wehmeyer) zugleich. 

Johann Strauß konzertiert mit seiner Kapelle in Paris und feiert Triumphe mit dem „Donauwalzer“, die Fürstin Pauline Metternich als Frau des österreichischen Gesandten veranstaltete üppige Soireen, und Jacques Offenbach steuert mit „La Grande Duchesse de Gerolstein“ einen amüsanten, unterhaltsam-satirischen Operettenabend bei, den Bismarck griesgrämig machtbewußt kommentierte: „Wir werden uns der Gerolstein entledigen …“  

Es gibt keine Berichte, keine Hinweise, ob Ludwig Bösendorfer persönlich seine beiden Prachtklaviere, zur Ausstellung begleitet hat, ob er überhaupt nach Paris gereist ist; es kann aber nicht ausgeschlossen werden.

Der Korrespondent der Zellner’schen „Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst“ berichtet am 28.Juni 1867 von einer Besichtigung  über „Bösendorfers Ausstellungs-Claviere“ in den  Bösendorfer’schen Schauräumen in Neu-Wien, Türkenstraße 9. Zur Besichtigung wurden vorgestellt,  vor ihrer Abreise zur Pariser Weltausstellung:  die beiden Prunkflügel von Theophil Hansen und Anton Grosser, vom 1. – 4.Juli 1867. 

Die für die Ausstellung vorgesehenen Instrumente waren nicht rechtzeitig zu Ausstellungsbeginn, 1.Mai 1867, fertig geworden worden: das „Kaiserin-Clavier“, so genannt, weil es der Kaiserin Elisabeth gewidmet war, gefertigt in Palisander, reich verziert à la Grècque nach einem Entwurf von Theophil Hansen. Das zweite Instrument, nach einem Entwurf von Anton Grosser, in weißem Ahorn mit Blumenfestons und anderem Schmuck.

Die später auf der Pariser Ausstellung mit einer Silbermedaille prämiierten Instrumente waren

… zwei ganz gewöhnliche , allen und jeden Schmuckes entbehrenden, so zu nennende Verkaufsclaviere, welche Bösendorfer eben nur um sich den Platz für die nachfolgenden eigentlichen Ausstellungsclaviere im Expositionsraume zu sichern,  dahin sendete,… . Bedarf es eines glänzenderen Zeugnisses für den Wert des   Bösendorfer’schen Fabrikats, als den: daß die beiden unscheinbaren Claviere nicht nur  nicht unbeachtet geblieben, sondern vielmehr eine hervorragende Beachtung auf sich  zogen … 

Der Rezensent zieht zudem den Vergleich zwischen dem Wiener Klavier und den „monströsen, gußeisernen Kolossen, die das amerikanische System zur Welt gebracht hat und  

… daß Bösendorfer diese kreuzsaitigen Ungetüme, die in neuester Zeit so viel von sich  reden machen, gleichfalls und in ganz vorzüglicher Weise zu erzeugen vermag,  beweist die Collection derartiger Instrumente, die er gleichzeitig mit seinen beiden in  Rede stehenden Prachtclavieren zur Besichtigung in seinem Saale aufgestellt hat. …    der Vergleich dieser Rieseninstrumente mit den nach dem Wiener System gebauten und namentlich mit den mit Bösendorfer’s Patentmechanik versehenen Clavieren  stellt den … Beweis her, … daß das amerikanische System gegen den  Bösendorfer’schen Patentflügel, dem es kaum an Tonfülle überlegen ist,, an Reiz,  Wärme,, … an Poesie des Tones entschieden nachsteht. Dieser prägnante Vergleich   bietet zugleich die beruhigende Überzeugung, daß es nicht der usgabe eines, zumal  für allgemeinere Verhältnisse kaum erschwinglichen förmlichen Capitals von 3 -  4000fl. bedarf, um ein vorzügliches, allen Anforderungen vollauf entsprechendes Clavier zu erlangen, wie es Bösendorfer’s Flügel mit der Wiener und insbesondere die mit der überaus kräftigen Patentmechanik sind. … 

 „Die Debatte, Wiener Lloyd“ vom 2.Juli 1867 berichtet ausführlich zur Mechanik und bezieht sich auch auf die beiden „Prachtklaviere“:

…die Mechanik gestaltete sich zu einem künstlerisch ganz neuen und dem Resonanzboden, als dem Hauptfaktor der Tonbildung, wurde die höchste  Aufmerksamkeit geschenkt. Die sorgsamsten und vielseitigsten Versuche  wurden nun mit dem Steg, mit der Lage der Saiten, mit der Einlage von Metallplatten gemacht, um damit den Einfluß der wechselnden Temperatur zu paralisieren und mit der Regulierung der Schwingungsfähigkeit des Resonanzbodens in Anwendung gebracht. [… ] In London tauchte erstmals 1840 zum ersten Mal das   „übersaitige System“ (d.s. die gekreuzt gespannten Saiten)auf; ein System, das in der  jetzigen Ausstellung hauptsächlich durch die Fabrikate der Firma Steinway in New York und in Nachahmung von Leipziger und Berliner Firmen repräsentiert ist, ist auch von             Bösendorfer den eingehendsten, praktischen Erwägungen unterzogen worden; allein  Bösendorfers Patentmechanik hat sich nach vielen Proben als für ästhetische Kunstanforderungen entsprechender bewährt.…

 Um die Wirkungen  verschiedener Mechaniken an dem Instrument aufzuzeigen, wurden zwei Klaviere gefertigt: eines mit Wiener Mechanik und das andere mit  Patent (das bezieht sich auf den Luxusflügel Entwurf Grosser) .

Das Innenleben der Flügel: einen geradjährigen Resonanzboden, Diskant-  Kapotaster, Holzstimmstock, zweifache gerade Verspreizung, Anhängplatte. …

Abschließend gerät der Berichterstatter ins romantisch gefärbte Schwärmen über die Tongebung, den Klang, vergleicht ihn mit dem Glanz silberner Mondstrahlen.

Die Preisverteilung war Geschichte, da trafen – endlich – die beiden lange angekündigten Prachtklaviere ein; sie waren nicht rechtzeitig fertig geworden. Zuviel Dekor?                   

   … die Die beiden Bösendorfer‘schen Prachtflügel sind leer ausgegangen. …  Interessant war es, dem Moment beizuwohnen, als die beiden Klaviere ausgepackt  wurden. Dieses prosaische Geschäft wurde in Gegenwart von Hunderten Sachverständigen und Künstler vorgenommen, welche mit gespanntem Interesse und  ….feierlichen Schweigen der Enthüllung und Aufstellung der Instrumente     entgegensahen. Und als sie an ihrem Platze prangten, da gab es nur Eine Stimme der  Anerkennung und Bewunderung, und man sprach nur die Befürchtung aus, daß es  nicht denkbar wäre, wie der innere Wert dieser Flügel mit der Pracht und Gediegenheit der äußeren Erscheinung harmonieren können … die ersten Akkorde  wurden angeschlagen , und der Sieg Bösendorfer‘s war entschieden. … Unter den hier weilenden Virtuosen ist auch förmlich ein Wettstreit ausgebrochen,  um auf einem der beiden Instrumente spielen zu können. … Die Virtuosen Jaell, Rubinstein, Schulhof, Ketten, Fräulein Skiwa und andere Künstler haben die Tasten wiederholt in Bewegung gesetzt und sie alle können nicht genug den edlen „Gesang“ der Instrumente rühmen, … der nebenbei gesagt, durchwegs allen               Bösendorfer’schen Fabrikaten eigen ist. …

 Auch Klaviere haben ihre Schicksale: Der Kaiserin Elisabeth-Flügel kehrte nicht mehr nach Wien zurück.

Dieses  Kaiserin-Klavier gefiel auf Anhieb  einer anderen Kaiserin, der Kaiserin Eugenie, der Gattin Napoleon III. – und sie erhielt ihn als Geschenk von Kaiserin zu Kaiserin.

Als drei Jahre später, 1870, die Kaiserherrlichkeit mit dem Deutsch-Französischen Krieg ihr abruptes Ende fand, zogen Eugenie und Napoleon III. ins Exil nach London. Der Flügel fuhr mit.

1978 taucht dieser Flügel auf einer Auktion der Firma Sotheby‘s in London auf, wird versteigert; und soll von einer Schwester des jordanischen König Hussein (1935 -1999) ersteigert worden sein. Wo er sich derzeit wohl befinden mag?

 

Eine große Zeit“ . Der  Claviermacher als Mäzen, Geschäftsmann im Zentrum der Wiener Musikwelt

 

Ehrenmitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien – Ludwig Bösendorfer glaubt sich auf dem Zenit seiner Träume, 1878 wird er dann zum Direktionsmitgliede gewählt; er gehört nun in der illustren Kreise derer, die das musikalische Leben mitgestalten, und als Mitglied des Direktoriums gehört er auch zum Gremium des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde.

 „Meine wichtigste Stütze im Leben und Beruf war stets die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wofür ich innigsten Dank fühle und schulde. 30.Dezember 1918“

beschreibt etwas wehmütig und resignierende der 83-jährige Ludwig Bösendorfer, wenn er an die Zeit denkt, in der er frei nach Goethe  ...

„ greift nur  hinein ins volle Menschleben“ agieren konnte, als ein bedeutender, gewichtiger player des Wiener Musikgeschehens.  Eine Rolle, die er hervorragend beherrscht, die ihm Freude bereitet und die er gerne spielt.  Elegant weiß er mit seinem Einfluß umzugehen, ihn geschickt einzusetzen:

An einen unbekannten Adressaten, Wien 10.Mai 1880:

… Unsere Wiener Opern-Theater Krise ist Ihnen auch schon bekannt. Jauner … gegangen worden. Was nun? muß sich der jetzige Intendant Baron Hofmann  fragen. In Wien fühlt sich jeder für befähigt und auch berechtigt den Hofoperndirector zu spielen, daher schwört auch jeder auf die Unfähigkeit und Nichtberechtigung des Anderen. Dingelstedt wird wahrscheinlich Director (?) beider Hoftheater. Auf diese Weise ist dann der Intendant Hofmann … zwischen  dem Obersthofmeister-Amt und seinem sehr schwierigen Director! Keine sehr ruhige und friedliche Stellung …   In einer der nächsten Sitzungen soll die Dirigentenfrage erörtert werden. Mein               Herzenswunsch ist immer, Sie verehrter Meister, am Directionspult zu sehen. Bitte     darf ich Sie als Candidat aufstellen? Schreiben Sie mir nur ein Wort: Ja oder Nein.     Vielleicht haben Sie Lust Wien auch von dieser Seite kennen zu lernen.

… Selbstverständlich würden wir Ihnen eine von der … Direction vollständig unabhängige Stellung machen. Lieber ja als nein. Bitte! damit dieser unseligen Protections Musikmacherei endlich der Athem genommen wird. …

… Ich hatte diese Saison in meinem Saal über 100 Musikproduktionen, außerdem  Vorlesungen, Rezitationen, Proben etc.etc. … und noch kein Ende!!!

 … Nach Oberammergau müßte ich diesen Sommer; da wäre es leicht möglich, daß Sie  das Unglück trifft, mich und meine Celestine in München zu sehen.

In Verehrung  und Hochachtung Ihr dankschuldiger Diener Bösendorfer

In dieser erweiterten Position – nicht mehr nur Claviermacher, sondern auch Teil des musikalischen  Lebens in der k.u.k. Residenzstadt Wien konnte Ludwig Bösendorfer seinen Hang und sein Talent zum Mäzenatentum voll ausspielen. Heute nennt man dies Sponsoring, und damals wie heute zählt der Werbeeffekt  – zum Nutzen für beide Partner. Eine erste großzügige Geste des Mäzens – Bösendorfer stiftet dem Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde vierzehn Klaviere ; er geht noch weiter und stiftet wenig später als Preis für den/die Jahrgangsbeste/n der Klavierklasse  für die herausragende Leistung einen Bösendorferflügel. Heute heißt dieser Preis „Beethoven-Preis“ und der Preis ist ein Modell 200 der Firma Bösendorfer.

Ich schalte das Spotlight ein für die Jahre 1872 bis 1898. 1873, das ist das Jahr der Weltausstellung, mit großen Vorschußlorbeeren des Erfolgs bedacht. Doch statt des erwarteten großen Erfolgs dieser Leistungsschau gibt es gleich zu Anfang eine einschneidende Katastrophe: Der Börsencrash vom 9.Mai 1873 hat ungeahnte Folgen. So mancher wachte des Morgens auf und war über Nacht zum Bettler geworden. Für Ludwig Bösendorfer kam zum finanziellen Problem mit der Firma auch die private Katastrophe. Sein Schwager August Schönecker , der Mann seiner Schwester Marie, beging Selbstmord, weil er die Schulden aus dem Börsencrash nicht mehr bedienen konnte.  

  1. Auf dem Prater- Gelände findet eine große die „Internationale Musik- und Theaterausstellung“ 8) statt. Zusätzlich zur historischen Retrospektive von Theater und Musik gibt es ein umfangreiche Programm: Theatercompagnien und Orchester aus vielen europäischen Städten aus allen Teilen der Monarchie spielen in den extra aus diesem Anlaß errichteten Hallen. Mit dem kleinen störenden Nebeneffekt, daß alles von der Geräuschkulisse des Praters untermalt wird.   Auf dem Ausstellungsgelände wurde auch eine Rekonstruktion „Alt-Wien“ aufgebaut, man hatte es doch eben erst demoliert, und mit einer Stegreifbühne. Der letzte Stegreifdarsteller Wiens, Ludwig Gottsleben 9), spielt noch einmal für ein großes Publikum.

Ludwig Bösendorfer nutzte diese Schau um eine Novität zu präsentieren:

… In der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien im Jahre    1892 stellt …. Ludwig Bösendorfer … einen Riesenflügel aus, der eine Länge von 294c/m hat, bei der Claviatur 190c/m, am Spitz 130 c/m breit ist, 8 ¾ Octaven  Saitenbezug besitzt, wovon 7 ¾  Octaven klingend bis c5 spielbar sind und eine Octave mit der vorletzten  c3 bis c4, gleich mensuriert, blos entschwingend ist. … Da die moderne Strömung die eingehendere Pflege der körperlichen Ausbildung    unserer Jugend verlangt, daher unser Virtuosennachwuchs bedeutendere Kraftäußerungen erzeugen wird, auch die Concertsäle immer größere Dimensionen annehmen, wollte Bösendorfer in diesem seinem umfangreichsten Opus alle diesen  Anforderungen entsprechen und gelang ihm dies in der herrlichsten Weise. …

Die Leistungsschau der Instrumentenmacher rundete das Gebotene ab, sie zeigten ihr hohes Können. Ludwig Bösendorfer, in einer besonders gestalteten Koje, präsentierte ein außergewöhnliches Instrument, von der Presse als „Riesenklavier“ etikettiert:

… Erzherzogin Stefanie hat jüngst den Wunsch geäußert, den Kammervirtuosen Alfred Grünfeld auf dem großartigen Concertflügel, den der Hof-und Kammerlieferant Ludwig Bösendorfer in der Musik-und Theaterausstellung ausgestellt hat, concertieren zu hören. … um die angegebene Zeit (Freitag 6 Uhr) traf … Stefanie … in der Rotunde ein, wo Commerzialrat Bösendorfer und Alfred Grünfeld der hohen Frau harrten.  Bald hatte sich auch ein vornehmes Publikum eingefunden. Alfred Grünfeld setzte sich zum Clavier und in berauschender Klangfülle und Klangschönheit tönten die mächtigen Accorde durch die gigantische Halle. Schöner denn je spielte der geniale Pianist, der jedem Instrument Leben gibt, die von ihm selbst componierte „Faust-Phantasie“, „Isolden‘s Liebestod“ von Wagner-Liszt, Schumann’s „Träumerei“ und seine eigenen berühmten „Ungarischen Tänze“. … Grünfeld bemerkte (im anschließenden Gespräch, Anm.d.Verf.), daß der Concertflügel ein Werk höchster Vollendung, in seiner Klangwirkung bisher unerreicht sei … Bösendorfer hat mit der Herstellung dieses direct für die Ausstellung bestimmten Instruments  das Großartigste auf dem Gebiete der Clavierproduction geschaffen. Dasselbe ist ein Instrument der neuesten Construction, für die größten Räume und tonlich für große Orchester berechnet und obgleich die Töne in großen Maßen hinausgeworfen werden, bringt das Instrument die subtilsten Wirkungen hervor und der Ton erklingt singend in allen Nuancen. Sieben Monate lang wurde in der Werkstatt Bösendorfer’s an dem Concertflügel gearbeitet , das 8 3/4 Octav-Saitenbezug und 7 ¾ Octav in den Tasten hat. Ein zweites derartiges Clavier wird derzeit in Bösendorfer’s Atelier hergestellt.

Wann haben die ersten Versuche für dieses Instrument begonnen?,  vielleicht schon mit Octavier - Pianoforte , ein Instrument, das Liszt wegen seiner orchestralen Eigenschaften sehr geschätzt hat.

Der Riesenflügel erhielt den Namen „Rubinsteinflügel“.   War dieses Instrument die Urform zu dem späteren, heute noch gebauten großen Flügel mit dem stolzen Namen „Imperial“ ?

Am  26.September 1907 schreibt Busoni aus Bath, England an seine Frau Gerda:

…. Der alte Bösendorfer, der wieder ein wenig jünger ist, baut für mich einen Flügel mit acht Oktaven und besonderer Dämpfungseinrichtung. Es ist doch ein bewunderungswürdiger alter Herr …

 Busoni schreibt von acht Oktaven, der besonderen Dämpfungseinrichtung; damit meint er den „Imperial“. 

Emil Sauer schickt aus Dresden ein begeistertes Schreiben an Ludwig Bösendorfer, nachdem er ein Instrument gespielt hat, das ihn geradezu „beflügelt“ hat. Könnte er vom  „Rubinsteinflügel“ schreiben oder vom „Imperial“?:

… Ein vollendetes Instrument, ein größeres Wunder moderner Klavierbaukunst ist mir            in meiner nahezu dreißigjährigen Praxis nicht unter die Finger gekommen; neben der exquisiten perfekten elektrisierend auf den Spieler wirkenden Mechanik und der             Ausgeglichenheit der Register, ein Ton so berückend und einschmeichelnd … reicher,               weittragender Gesangsfähigkeit und von so gestalteter dämonischer Gewalt … ein   Meisterwerk …

Die „Kaiserjubiläums-Ausstellung“, 1898, aus Anlaß des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph, war de facto nicht eine Ausstellung, sondernbestand  aus ganz unterschiedlichen Präsentationen, die in vielen Orten der Monarchie gezeigt wurden. Die zentrale Schau fand in Wien statt: eine umfangreiche Leistungsschau zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.  Die Instrumentenmacher haben wie immer ihre eigene Abteilung. 

Ludwig Bösendorfer stellt drei Klavier aus: ein sehr kostbar und prunkvoll verziertes  Instrument, das er dem Jubilar, dem Kaiser Franz Joseph, widmet. Es erhält den Namen „Imperial“; in den alten Firmenlisten wird es auch als Kaiser Franz Joseph Flügel geführt, als Konstruktionsdatum wird in den Firmenlisten 7.August 1898 angegeben. Das Ausstellungsklavier mit weicher Schnitzerei, Prod.Nr. 5557, so beschreibt es die „Neue Musikalische Presse“ vom 6.11.1898, Nr. 45, S. 17-26 und weiter:

Corpus schwarz, Sockel Goldbronze. Goldene Gravierung, Ornamentik im Zopfstil auf       dem Klavierdeckel. Englische Mechanik. Modell Mignon

Daneben standen zwei ganz „gewöhnliche“ Verkaufsklaviere, ein weißlackierter Flügel und einen schwarzlackierter. Der Berichterstatter der Ausstellung beschreibt akribisch jedes Schmuckdetail, vor allem des Imperial und schließt mit den Worten: der Mignonflügel Imperial  wie auch der weiß lackierte Flügel sind mit englischer Mechanik ausgestattet, der schwarz lackierte Flügel, ebenfalls ein Mignon mit Wiener Mechanik. Die Abbildungen zeigen tatsächlich Stutzflügel, wobei damals bei der Herstellung noch unterschieden wurde zwischen Stutzflügel und Mignon .

Das zweite Klavier, ebenfalls als Mignon bezeichnet, verziert mit Formen im griechischen Stil, weiß lackiert, kunstvoll gearbeitete Gravierungen, mit englischer Mechanik. Das dritte Klavier wird als Stutzflügel bezeichnet, in Mahagoni, Wiener Mechanik. 

1898 Was bewog Ludwig Bösendorfer dazu einen Klavierkonzertwettbewerb auszuloben ?

Ein - von ihm vermutetes Defizit an zeitgenössischen, virtuosen Klavierkompositionen?

Er schreibt an seinen Freund Alfred Grünfeld:

Lieber Freund, ich habe die Absicht 3 Preise für Clavierkonzert mit Orchester auszuschreiben und bin damit beschäftigt die Jury zusammenzustellen. …

Die Presse spekuliert über das Warum, Wieso usw. zu dem für 1899 ausgeschriebene Kompositionswettbewerb für ein Klavierkonzert; je nach kulturpolitischer Position der Zeitung  fallen die Kommentare dazu unterschiedlich aus. Die „Neue Freie Presse“ oder auch die „Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung“, legen das inhaltliche Schwergewicht auf den musikalischen Teil sowie die künstlerische Präsentation; andere, national bis rechtgerichtete Blätter, bewerten aus der jeweiligen nationalkonservativen  Sicht.

Wie auch immer, die Idee einen Wettbewerb für ein Klavierkonzert auszurichten, ist ein möglicher Hinweis auf ein Manko an neuen, virtuosen Werken, die die klanglichen wie die spieltechnischen Möglichkeiten des Instruments zur Geltung bringen könnten, wie Rudolf Hirschfeld ausführlich unterstreicht:

 …Ludwig Bösendorfer horcht in die Seelen der Künstler wie in seine Clavier … es ist    sein Stolz, die Grenzen zu verwischen und die Materie des Instruments geistfähig zu    machen   … er kennt die Kunst, er lebt in der Kunst und wirkt für sie und hat einen   bestimmenden weitgehenden Einfluß auf die Musikpflege unserer Stadt. …

Ludwig Bösendorfer hatte schon seit jeher viel Aufwand und Unterstützung in die Förderung junger Klaviertalente investiert. In 1870er Jahre geschah etwas Außergewöhnliches. Eines Tages erschien der Pianist Rafael Joseffy, 18), der schon mehrmals im Bösendorfersaal konzertiert hatte in Begleitung eines 12-jährigen Jungen: Moritz Rosenthal 19) aus Lemberg. Der talentierte 12-jährige hatte bereits in Lemberg bei Karoly Mikuli 20) , Chopin-Schüler Unterricht erhalten, sein Vater Leo Rosenthal 21) war mit der ganzen Familie nach Wien gezogen, damit Sohn Moritz seine Ausbildung im Zentrum der Musik vollenden konnte.  Nach dem Tod des Vaters stand aber die Familie, Mutter, Sohn und vier Schwestern völlig mittellos da. Moritz war zum „Oberhaupt“ der Familie avanciert und sollte für deren Unterhalt sorgen. Hier nun trat Ludwig Bösendorfer ein und half. Er finanzierte nicht nur die Familie, er sorgte auch dafür, daß Moritz Rosenthal weiter Klavier-Unterricht erhielt, seine schulische Ausbildung mit der Matura abschließen konnte. Er machte ihn mit Franz Liszt bekannt. 1884 nimmt ihn Liszt in seinen Weimarer Kreis als Schüler auf; den Aufenthalt in Weimar finanziert Ludwig Bösendorfer. 

Die im  Nachlaß Bösendorfer überlieferten 122 Briefe von Moritz Rosenthal sind ein lebendiges Zeugnis der engen Beziehung zwischen dem Claviermacher Bösendorfer und dem Virtuosen Moritz Rosenthal. Das Verhältnis Mündel und Vormund verwandelt sich mit den Jahren in eine von gegenseitigem Respekt und Zuneigung getragene Beziehung, die nur dann gelegentliche Trübungen erfährt, wenn Bösendorfer sich in seiner Ehre als Claviermacher beeinträchtigt fühlt. Diese Briefe, denn eine Korrespondenz ist es nicht, es gibt keine Briefe von Ludwig Bösendorfer (zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand) erzählen auch von den Nöten, Erlebnissen und Erfolgen reisender Virtuosen. Die Briefe verraten aber noch mehr: das große Verständnis  des Pianisten Rosenthal für die Probleme des Instruments, den vielen technischen Unzulänglichkeiten, die zu beheben Ludwig Bösendorfer unermüdlich tätig ist.

In einem Brief, der unten zitiert wird, kommt auch die Problematik zur Sprache, daß Bösendorfer-Instrumente im Deutschen Kaiserreich, speziell in Berlin, kaum Marktchancen hatten; das lag, liest man genau zwischen den Zeilen,  nicht ausschließlich an der mächtigen Klavierbauer – Konkurrenz im Deutschen Reich, man muß sie auch bei Ludwig Bösendorfer suchen ohne dafür eine Erklärung zu finden.

Mendelpass/Bozen 15.10.1903

Hochverehrter Herr und Gönner. Von einer Wiener Collegin erhalte ich einen ziemlich dunkel gehaltenen Brief, in welchem sie von einer Kränkung spricht, die Ihnen zu Ihrer  Betrübnis durch irgend eine Angelegenheit erwachsen sei. …

Wären Sie ein anderer als Ludwig Bösendorfer, der Freund, Vormund, Gönner, wären Sie nur der berühmte Klavierfabrikant u. nicht der Klaviermacher, der in jedes   Instrument einen Theil seiner Künstlerseele legt, so würde ich nachsinnen, ob Sie       Recht haben, oder am Ende ich u. würde meinen bescheidenen Standpunkt  solchermaßen klarmachen … .

Leider haben Sie es jedesmal abgeschlagen. Ich habe stets zu Ihnen … gehalten  u. als    ich Blüthner in Deutschland spielte, dem Bösendorfer - Flügel ein begeistertes  Zeugnis ausgestellt (in Breslau) auf die Gefahr hin, Blüthner … zu verletzen.  Ich habe  in Bucarest, wo ich laut Contract Blüthner zu spielen hatte, Bösendorfer gespielt. Da Sie mir aber Ihre Flügel für Deutschland, Russland, England, Frankreich absolut   verweigerten (selbst als ich einen Flügel von Ihnen kaufen wollte), so mußte ich doch mit einer anderen Firma in Beziehungen treten. Meine Contracte schlossen  Österreich stets aus,   hier war Bösendorfer, hier meine  Heimat. Aber auf ganz fremde, ungewohnte Spielarten kann man nicht ohne Vorbereitung übergehen u.so acceptierte ich einen Studienflügel fremder Provenienz.  Und als ich um einen Stimmer bat u. mir eine liebenswürdige, aber abschlägige  Antwort zutheil wurde, was  blieb mir übrig, als einen Stimmer  kommen zu lassen, der eben nicht aus der Fabrik Bösendorfer war? Sollte ich unthätige Wochen u. Monate verlieren? Wo ist hier mein Fehler, meine Sünde?

So würde ich, wie gesagt sprechen, wenn nicht Ludwig Bösendorfer in Frage käme. Aber mit Ihnen stelle ich mich auf keinen Rechtsstandpunkt. Ich denke einzig u. allein  an die Zeit, wo ich als kleiner Knabe mit Joseffy zu Ihnen kam, wie Sie mich zu Liszt         entsandten u. ich so glücklich war Ihrer Empfehlung Ehre zu machen, ich denke nur an das ungezahlte , viele Gute und Edle, das Sie für mich gethan u. an die grenzenlose Verehrung u. Liebe, die ich Ihnen seit fast dreißig Jahren entgegenbringe. Von Ihnen in   Groll und Bitternis zu ziehen, hieße für mich von allen Idealen meiner Jugend Abschied  nehmen u. dazu bin ich noch nicht alt genug. Denken Sie über mich einen Augenblick  nach! Glauben Sie wirklich, daß ich bewußt etwas thun könnte, das Ihnen eine    Kränkung, eine Kümmernis bereiten würde? Und wenn ich unbewußt einen Fehler  begangen, so sehen Sie in mein Inneres! Es gibt drinn nichts was ich Ihnen zu  versagen hätte, keine Falte, in der nicht Erinnerung  Sie leuchtend eingeschrieben  wären. Denken Sie daran (mit Stolz kann ich es aussprechen) daß selbst Sie nicht viele    Freunde zu den Ihren zählen können, die es so voll u. ungeteilt sind, wie ich.

Ich reise  am 18.d.M. vom Mendelpass ab u. gehe zu Sacher nach Baden bei Wien. Sollten Sie aus diesen Zeilen die Überzeugung gewinnen, daß der alte Rosenthal zu    Ihnen spricht, so hoffe ich eine Zeile dort vorzufinden. Um einen Studienflügel wage        ich Sie kaum zu bitten, aber Sie wissen, welche Freude Sie mir dadurch machen (eine Freude, die proportional mit der Schwere der Spielart liegt?) und um Mißverständnissen vorzubeugen sage ich Ihnen noch, daß ich für keinen andere Flügel        Sorge getragen habe. Und nun bleibt mir nichts übrig als Sie meiner aufrichtigsten       liebevollsten Verehrung versichernd, der Frau Meisterin meine herzlichsten               Empfehlungen zu senden …

Die Ursache der Verstimmung ist nicht wirklich bekannt, es könnte aber sein, so meine Vermutung, daß Rosenthal vertraglich an Steinway gebunden war für seine Tourneen durch das Deutsche Kaiserreich. Ludwig Bösendorfer hatte die Künstler, die seine Instrumente spielten, nie unter Vertrag genommen. Rosenthal bemüht sich weiter um den „Bösendorfer“, der spätere Versuch bleibt ebenso erfolglos:

Wien 21.6.1908

Hochverehrter Freund, Sie wissen ja um was es sich handelt. Es wäre mein  sehnlichster Wunsch meine Berliner und Leipziger Concerte auf einem Bösendorfer   spielen zu können, dem Klavier, das mit meinem Können so verwachsen ist wie kein  andres. Meine Bitte lautet also, Sie mögen mir den herrlichen Flügel am 12.u.  21.Januar für Berlin (ditto für den 4.März) und für eventuelle Leipziger Daten gewähren. Wir kündigen das Klavier weder in den Zeitungen, noch in den Programmen an . Dadurch erreichen wir folgende Vorteile: 1. Die Klavierfabrikaten stellen sich nicht feindlich u. beeinflußen die Presse nicht. 2. Die Presse wird sich aus  Anstand u. Klugheit ganz passiv verhalten, da ein nicht öffentlich angekündigtes   Klavier auch nicht kritisiert werden kann  da es 1. Nicht an die Öffentlichkeit appelirt             u. man es 2. durch einen Angriff nur bekannt machen würde. In letzerem Falle würde  ich antworten u. zwar folgendes: Daß Sie mir nur auf meine specielle Bitte u. nur unter  der Bedingung, daß jede Ankündigung unterbleibe, die Klavier zur Verfügung gestellt  hätten. Um mir einen Gefallen zu erweisen.

Aber meine aufrichtige persönliche künstlerische Überzeugung sei, daß kein Flügel sich mit dem Ihrigen messen könne. Durch eine derartige Antwort wäre ein Effect   allerersten Ranges erzielt. Mit dem Chefredacteur des Berliner Tagblatt u. des   Börsen-Courier bin ich befreundet. Ich bin aber fest überzeugt, daß alles ohne jegliche  Aufregung verlaufen wird. Gerade dadurch , daß wir so bescheiden auftreten, wird die  Neugier des großen Publicums erzeugt werden u. der Ruf Ihres Flügels wird sich  blitzschnell verbreiten. Das ist meine Ansicht der Sachlage. Daß Ihr Klavier klingen   wird, wie kein anderes, weiß ich bestimmt u. ich glaube, Sie wissen auch, daß ich es zu             vollen Geltung bringen werde. Übrigens sind die Säle in Berlin (Beethovensaal u.  Philharmonie) sehr akustisch, beide viel günstiger als der große Musikvereinssaal.  Nun, teurer, verehrter Freund, schreiben Sie mir Ihre Antwort . Und glauben Sie mir :  Man braucht in Deutschland ein neues großes Klavier, alle Vertreter von Klavierfabriken sagen es mir. In ein, zwei Tagen reise ich ab, aber alle Briefe werden               nachgesandt. In aufrichtiger dankbarer Verehrung ihr treu ergebener

              Moriz Rosenthal

Ein letzter Höhepunkt des musikpolitischen Engagements von Bösendorfer ist die Berufung  von Ferruccio Busoni als Professor der Klavierklasse an das Konservatorium in der Nachfolge von Emil Sauer.

Am 15.1.1901 schreibt Ludwig Bösendorfer an Ferruccio Busoni:

Hochverehrter Meister, lieber Freund und Gönner, erlauben Sie mir eine ganz intime Frage. Wären Sie geneigt am Wiener Conservatorium eine Clavier Classe zu           übernehmen? Und wenn ja, unter welchen bedingungen: Honrar, stunden, zeit, Ferien … Vertretung in Ihrer Abwesenheit … Da für die nächste Zeit große Veränderungen in              der Clavierschule des Conservatoriums geplant sind, wäre es mir lieb zu wissen, ob ich     Ihren Namen in Combination bringen darf. …

Ende 1906 fällt die Entscheidung im Gremium des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde Busoni eine Klavierklasse zu übertragen. 1907 ist es dann soweit, Busoni kommt nach Wien, beginnt zu unterrichten. Doch künstlerischer Habitus, Denken und Fühlen erweisen sich als inkompatibel mit der peniblen, konservativen Einstellung der Professorengemeinschaft des Konservatoriums;  1908 beendet Busoni seine Tätigkeit und er schreibt am

13.Juli 1908 o.O. (Wien) an Ludwig Bösendorfer

Sehr verehrter Herr u.Freund.

Mit heute endet meine unofficielle „Meisterschule“ in Wien u. ich fühle den Wunsch,  Ihnen einen kurzen Bericht zu erstatten.

Es hatten sich im Ganzen an 25 Schüler eingefunden, nebst einem Dutzend Zuhörer   und der zweimal wöchentliche Unterricht wurde regelmäßig eingehalten. Ausser    diesem fanden noch einige Vortragsnachmittage statt, an welchen dreimal ich selbst, und je einmal die Herren Professoren Conse (?) und Bartók vorspielten. – Weniger   bekannte symphonische Dichtungen von Liszt, (dessen Faust-Symphonie) wurde den  Schülern auf 2 Clavieren in sorgfältiger Wiedergabe vorgeführt.

Ausgezeichnet als Schüler haben sich die Herren Sirota (Kiew), Grünberg(New York), Closson (Liège) , Turczynski (Warschau), Friedemann (Wien). Das Zusammensein war     ein herzliches, geselliges u. ungetrübtes.

Wenn ich noch hinzufüge, daß ich für meinen eigenen Teil eifrig erfolgreich arbeiten konnte u. meine Oper nahezu vollendet habe, endlich auch daß das Wetter  ununterbrochen heiter u. die Stadt schön u. festlich war, so ergibt es sich, daß ich auf        ein sehr erinnerungswertes Erlebnis mit Freude zurückschauen kann.

Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mich u. einige Schüler mit Ihren prächtigen Instrumenten und Ihrem lieben Interesse unterstützten u. versichere  Sie, daß ich versöhnt u. mit Bedauern Wien verlasse.

              Ich grüße Sie ehrerbietigst u. freundschaftlich als Ihr stets ergebener

              Ferruccio Busoni

 

Der Klang lebte … “. Der Bösendorfersaal

              …Klang lebte in den Tonschwingungen des alten, längst gefallenen  Bösendorfersaales, dessen vornehmer Stil, dessen reine Akustik Generationen entzückt hat. Und wenn Meister Ludwig an einem Konzertabend in seiner einsamen       Ecke thronte, rechts hinten im Saal, und ganz versunken den Klängen lauschte, die     seinen Flügeln entströmten – allen sichtbar und doch einsam, ein heimlicher Kaiser -,  da mochte er etwas wie eine glückliche Genugtuung in sich fühlen …

Der Konzertsaal, allgemein nur der Bösendorfersaal genannt, Herrengasse 6, legendär bis heute, stand am Ende einer langen Konzertsaaltradition der Firma Bösendorfer.

Der Bösendorfersaal in NeuWien, Türkenstraße 9, wurde seit der Eröffnung der Firma an der neuen Adresse 1859 bespielt.  Im Februar 1859 melden die „Blätter für Musik, Theater und Kunst“:

 ... wurde in Wien zu fast allen Tageszeiten lebhaft musiziert. Mittags, nachmittags    und Abends. Mittags gab es gar zwei Concerte, das des Herrn Jaell und eine Pianisten            Herrn Mösmer, der sich in Bösendorfer’s Salon, also im unmittelbaren Eldorado der   Claviere hören ließ

Es wurde nicht nur musiziert im Salon Bösendorfer, es gab Literaturabende, Vorträge und auch die Magnetiseure durften nicht fehlen; ein Programmzettel vom 24. Und 25.November 1864 kündigt den Magnetiseur Meriggioli und das „hellsehende, ekstatische Somnambule Fräulein Filomena “ an.

1872 endete die bunte Vielfalt in NeuWien mit einem Konzert am 27.April 1872 von Anna Kastner … diesem der Musikwelt Wiens so lieb gewordenen Raum…“ und tröstend fügt der Rezensent hinzu, daß  der Salon in „ … verjüngter Gestalt und an veränderter Stelle im nächsten Winter neu geöffnet … “ werden wird. 3)

Die neue Adresse lautete nun: Herrengasse 6, Wien – Innere Stadt, hochfürstlich in den stillgelegten Räumen und Stallungen des Fürst Liechtenstein’schen Palais. Heute steht dort sogenannte Hochhaus 4). Im Foyer des Hauses informiert eine Tafel über den seit 1913 nicht mehr existierenden Bösendorfersaal.

Ludwig Bösendorfer hat mit seinem untrüglichen Instinkt für die Zeichen der Zeit erkannt, daß mit der Neugestaltung der Stadt Wien nach der Demolierung der Bastionen auch das Konzertleben, die Musikwelt vor tiefgreifenden Veränderungen stehen würde. Wollte er  Teil dieser neuen Musikwelt sein und bleiben, dann mußte er dem Zug der Zeit folgen und für Schauräume, Produktionsstätte und Konzertsaal, wie es nun ab sofort heißen würde, einen neuen Standort suchen und finden. Er fand ihn, nachlängerem Suchen, in der Herrengasse 6, nach ausführlichen Gesprächen mit der Verwaltung der Fürst Liechtenstein’schen Güterverwaltung. Die ehemaligen Stallungen, der Reitsaal wurden nicht mehr genutzt, standen leer, waren zu mieten. 5) Wie Ludwig Bösendorfer diesen Ort entdeckt hat, darüber gibt es zwar wie für so vieles aus seiner Biographie keine persönlichen Aufzeichnungen, aber die Berichte der Zeitgenossen, der Zeitungen geben den anekdotisch gefärbten Aufschluß:  Bösendorfer war ein Pferdenarr, er besaß auch ein eigenes Reitpferd,  – und so übten die Reitställe des Fürsten Liechtensteineine geradezu unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus.  Aus dem Kranz der Anekdoten – wie Bösendorfer die Akustik der Reithalle, vorgesehen als Konzertsaal, getestet haben soll, eine Blütenlese:

Einfallsreich und klug, machte Ludwig Bösendorfer einen Plan: und der hieß, ich lade mir meinen Freund, den jungen (Josef) Hellmesberger 6) einfach ein, der hat viel zu wenig Zeit zum Reiten, weil er einfach viel zu viele Verpflichtungen hat – Oper, Quartett, Solo usw. … wenn ich ihm eine Gratisstunde anbiete und dazu ein schönes Pferd …

Gesagt getan. Der junge Hellmesberger ritt begeistert seine Runden in dem Reitsaal. Endlich wieder ein schönes Pferd … und ich fliege nur so durch die Manege …! Er wunderte sich nur über eins: der Bösendorfer redete pausenlos auf mich  ein, aber immer vom anderen Ende!

Listig ausgedacht von Ludwig Bösendorfer, denn so konnte er ohne Probleme die Akustik des Raumes  und das Resultat gab ihm recht.

Er mietete in dem nicht mehr genutzten Gebäude die Räume, die er benötigte für die Wohnung, für das Büro, die Verkaufs-  und Schauräume für die Präsentation seiner Instrumente;  ein weiterer Gebäudeteil wurde angemietet für seinen Bruder Adolph, der dort seinen Verlag für Musikalien unterbrachte.

Für die Fabrik wurde ein Gebäude in der Karolygasse, heute Graf Starhemberggasse in Wien Wieden adaptiert.

Die Wohnung in der oberen Etage der Herrengasse 6 war sehr spartanisch eingerichtet, die Zeitungsberichte – allerdings aus sehr viel späterer Zeit, nach dem Tod von Céleste und Henriette,  - erzählen von großer Bescheidenheit; jedenfalls fehlte der für die Gründerzeit so charakteristische Plüsch, Pomp plus Markartstrauß. Im dem einzigen wirklich großen Raum der Wohnung dominierte der Flügel, hier „schlug“  das Herz des Bösendorfer‘schen Domizils, er war das Zentrum. Hier fanden ganz zwanglos viele musikalische Treffen oft bis spät in die Nacht statt, die musikalische Prominenz spielte für die Gäste; da es an Stühlen mangelte, saßen alle eben ganz gemütlich auf dem Boden – egal ob sie nun Fürst Sowieso oder Frau X waren. So lange Céleste lebte,  konnte nicht genug musiziert werden, nicht nur im Konzertsaal  eine Etage tiefer, auch im Hause Bösendorfer privat.

Als der Saal dann fertig umgebaut war, erklärte sich Hans von Bülow 8) spontan bereit, das Eröffnungskonzert am 19.November 1872 zu spielen. Es roch zwar immer noch ein wenig nach Pferd und Stall, aber sonst war alles perfekt, fertig , zur völligen Zufriedenheit des Bauherrn ausgefallen – doch dann stellte man voller Schrecken fest: die Beleuchtung fehlt! – In buchstäblich letzter Minute rekrutierte Bösendorfer aus den Wagenremisen und  Reitställen der Umgebung sämtliche verfügbaren Wagenlampen, ließ sie montieren – und als vorne die ersten Gäste das Foyer betraten, verschwanden über den Hintereingang die letzten Handwerker.

Mit dem Konzert vom 19.November  1872 begann eine vierzigjährige Erfolgsgeschichte des Wiener Musiklebens; fast täglich wurde musiziert, es gab Lesungen, konzertante Aufführungen, Vorträge. Darüber zu berichten, wer in diesem legendären Saal aufgetreten ist, dort die ersten Stufen der Karriereleiter gelegt hat – das hieße Eulen nach Athen tragen! Ein bunter Spiegel der europäischen Musikwelt war 

... war dieser kleine Konzertsaal, der ausschließlich der Kammermusik vorbehalten     war, ein ganz unkünstlerisches Bauwerk, […] und nur durch eine Holzverschalung völlig prunklos zu musikalischen Zwecken adaptiert. Aber er hatte die Resonanz einer        alten Violine, er war den Liebhabern der Musik geheiligte Stätte, weil Brahms , Liszt, Rubinstein darin konzertiert, weil viele der berühmten Quartette hier zum ersten Male  erklangen. ...

1912 wurde das Grundstück und das Gebäude über einen Verkauf an eine Baugesellschaft  „entfürstlicht“ wie Siegmund Schlesinger spitzzüngig fomuliert. (Neues Wiener Journal, 13.April 1913) 1912 war das Jubiläumsjahr des Bösendorfersaals: es sollten vierzig Jahre – in Zahlen 40 ! Jahre gefeiert werden. Statt dessen kam die Kündigung, mit der Ankündigung, daß das Gebäude abgerissen werden würde! Daraufhin fanden keine Feiern statt, was als Fest gedacht war, endete im Schweigen, Verschweigen. Proteste waren ebenso erfolglos wie nutzlos, die Spekulation war stärker, sie hatte ja auch die Macht des Geldes hinter sich! Schon Tage vorher hatte sich Ludwig Bösendorfer aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, war geflohen, wie sein Freund Sigmund Schlesinger berichtet:

Sehr geehrter Freund! mache Ihnen Mitteilung , daß ich heute eine längere Reise beginne. Den Schlußkonzerten werde ich auch ferne bleiben. Ihr Bösendorfer!“

Sigmund Schlesinger, Journalist und Schriftsteller, ein treuer Freund des „Claviermacher“ Ludwig Bösendorfer, versteht durchaus die Entscheidung des Privatmenschen Bösendorfer, äußert sich dennoch kritisch dazu, das Publikum in diesen Abschied nicht zu involvieren:

… Bei aller Würdigung und psychologischen Erklärbarkeit des sensitiven persönlichen Empfindnes des Einzelmensche Bösendorfer selbst gibt es auch ein Publikumsempfinden, das seine Rechte mit einem solchen Geschehnis im Wiener              Leben so gar kein Aufsehen gemacht werde., daß der bösendorfer-Saal lautlos          gesperrt werde wie eine kleine Tabakfabrik, die fort muß, weil das Haus           niedergerissen wird.

Der Spürsinn eines mit gutem Blick für Aktualitäten begabten und stets schlagbereiten Konzertdirektors (Hugo Knepler, Anm.d.Verf.) hat indes diesen Publikumsimpuls  geschickt erfaßt und hat es … dahin gebracht, daß der geschichtsreiche Saal denn     doch seinen feierlichen Abschied bekommt. ... 

Das letzte Konzert am 2.Mai 1913, während draußen schon die Demolierer mit der Abrißbirne ungeduldig  warteten, darüber berichet Stefan Zweig:

 … als die letzten Takte verklangen verließ keiner seinen Platz. … Eine halbe               Stunde, eine Stunde blieben wir, als ob wir es erzwingen könnten, … daß der Raum …  gerettet würde.

Dem Zeitgeist entsprechend sollte die Beschreibung der Geschichte des Bösendorfersaales mit einer nüchternen Analyse über Profit, Geschäftsgebarung, Künstlerverträge usw. schließen; doch dies erweist sich als schwierig, es gibt keine Unterlagen über das Management des Saales. Die Anzahl der Konzerte, die aufgetretenen Künstler, die Programme sind anhand der überlieferten Programmzettel statisch zu erfassen gewesen 12); es bleibt aber eine offene Frage, wie die geschäftliche Gestaltung ausgesehen hat.  Wie wurde kalkuliert  – Preise, Gagen und die sogenannten Nebenkosten, wie Heizung, Beleuchtung, Programmdruck, Saaldiener usw. ...  auch diese Details so nebensächlich sie auch erscheinen mögen, sind Teil  des Erfolgs.

Zu einem noch nicht genau bekannten Termin übergibt Ludwig Bösendorfer die Suche und das Engagement der Künstler weitgehend der Agentur Alfred Gutmann. Er behält sich allerdings vor, weiter mitzubestimmen sowie einige Termine für den eigenen Bedarf zur freien Verfügung zu haben,  um spontan Konzerte anzusetzen,  wenn z.B. Liszt mal wieder in Wien ist, dann müssen alle anderen ihre Termine verlegen, auch Freund Alfred Grünfeld:

Ludwig Bösendorfer  am 1.Februar 1879 an Alfred Grünfeld:

Mein lieber Freund Vergißmeinnicht  …. Dein Concert muß jedenfalls verlegt               werden. Anfangs April kommt Liszt nach Wien, da solltest du Dein Concert geben, eh,      eh, eh, - ich habe dir manches mitzuteilen. Herzliche Grüße Dein ergebener              Bösendorfer


„Mit meinen ‚Flügeln‘ komme ich überall hin …“

Geza von Zichy:  … und wir fuhren in Gesellschaft meines Bruders Ernst, Baron Vécseys und       Bösendorfers lustig nach Siebenbürgen.  …

Mit dem Ausbau des Schienennetzes auch im Osten der habsburgischen Monarchie nahm die Reisefreudigkeit der Virtuosen auch in den bis dahin eher nur beschwerlich zu erreichenden unendlichen Weiten im Osten der Monarchie zu.

Wir finden sie in vielen größeren und kleineren Orten, und immer steht da ein Bösendorfer , bereit für die Pianisten. Und immer heißt es: aber Liszt war schon hier! – er hatte in Orten gespielt, als das Reisen noch Postkutsche und Unbequemlichkeit bedeutete.

Sie reisen in das Königreich Ungarn, nicht nur nachBudapest, nach Siebenbürgen, nach Galizien, in die Bukowina, an viele Orte, deren Namen heute durch die vielen Metamorphosen, die sie durch mehr als ein Jahrhundert der politischen Modifikationen erlebt haben, oft nur mühsam zu rekonstruieren sind.

Zu diesen reisenden Virtuosen gehört Graf Géza von Zichy , ein enger Freund von Franz Liszt:

… fand ich eine Einladung nach Klausenburg vor. Als ich Liszt davon erzählte, erwähnt            er,  daß er genau vor dreiundreißig Jahren auch in Klausenburg gewesen sei. „Ja das   ist lange her!“ sprach er wehmütig. „Nun es soll nicht noch länger werden. Tauschen            wir die Rolle! Reisen Sie hin, und ich begleite Sie, … “. Diese Fahrt wird mir wohl auf         ewig unvergeßlich bleiben. Die Königlich Ungarische Staatsbahn stellte uns einen               Salonwagen zur Verfügung, und wir fuhren in Gesellschaft meines Bruders Ernst, Baron Vécseys und Bösendorfers lustig nach Siebenbürgen.  … 

Graf Zichy , einarmiger Komponist, Pianist und später auch Operndirektor in Budapest –als solcher Mahlers Kontrahent – war eng mit Franz Liszt befreundet; mehr noch wann immer Liszt in Ungarn, in Budapest war, bot Zichy ihm nicht nur Gastfreundschaft, sondern kümmerte sich auch um ihn, schirmte ihn, soweit es möglich war, vor allzu zudringlichen Besuchern, besonders Besucherinnen ab.  Zichy ging viel auf Tournee, war in Ungarn unterwegs, kam es nicht selten vor, daß er Liszt, war dieser gerade in Budapest, aufforderte ihn zu begleiten. Meistens war Ludwig Bösendorfer der Dritte im Bunde .  

Zichy hatte bei einem Reitunfall einen Arm verloren; was ihn aber nicht daran hinderte die –Virtuosenlaufbahn als Pianist zu wählen. Er gastierte in ganz Europa, immer mit seinem „Bösendorfer“;  gab es Probleme mit dem Instrumente, so sorgte Ludwig Bösendorfer von Wien aus für rasche Abhilfe; das Vertriebsnetz war gut ausgebaut.  Für die klaviertechnische Betreuung mußte in der Regel ein Mitarbeiter aus Wien anreisen, das war meistens der besonders geliebte und beliebte, sehr geforderte Bartusch! Wenn wir auch nicht mehr über ihn wissen als seinen Namen, er muß als Klavierstimmer ein wahrer Zauberer gewesen sein, liest man die Kommentare der Stars!

Gastspiel von Zichy in der Reichshauptstadt Berlin 1883, mit im Reisegepäck sein Bösendorfer (Flügel)sowie eigene Kompositionen.

Das Berliner Konzertpublikum reagierte zunächst etwas zurückhaltend bis skeptisch, irritiert auch wegen der  fehlenden zweiten Hand. Und doch - das Konzert wurde, auch das gehört sehr typisch zu Berlin  - ein triumphaler Erfolg. Was aber schrieben die Berliner Zeitungen :

„ für das Linksspiel besonders konstruierten Bösendorfer mit fünf eigenen Kompositionen (Die Tribüne)

Die gute alte „Tante Voss“, wie die „Vossische Zeitung“ liebevoll genannt wurde, meinte:

„ Er spielte auf einem Bösendorferschen Flügel, der wahrscheinlich besondere technische Einrichtungen hat – entweder Ehrbars Prolongement oder ein Teilpedal – um das längere Fortklingen einzelner Töne zu ermöglichen, denn der Baß tönte häufig  weiter, nachdem die Hand schon längst in höheren Oktaven ihre Tätigkeit begonnen hatte.“

In der „Nationalzeitung“ schreibt O.Gumprecht:

Es gibt bekanntlich schon längst zahlreiche Etüden für die linke Hand  … Damit allein wäre es indessen noch nicht getan, käme ihm nicht ein hilfreicher Mechanismus  seines Instrumentes zustatten. …  auf dem benutzten Flügel muß also entweder das  Pedal geteilt oder ein sogenanntes, vor einigen Jahren von uns beschriebenes  Prolongement angebracht sein, vermöge dessen jeder beliebige Ton solange man will  in Schwingungen gehalten wird. Wir wissen wenigstens keine andere Erklärung … “ 

Das immerhin gesteht Gumprecht. Er hat  ein keine Erklärung für das Phänomen des fortdauernden Klanges, und er spekuliert nicht wie die anderen Rezensenten.

Die Diskussion ob dieses akustischen Phänomens nahm kein Ende, wogte hin und her, bis Zichy kurz entschlossen die Zeitungsleute zu sich bat, ihnen seine Spieltechnik, die unterschiedlichen Anschlagsarten vorführte, sie ihnen erklärte, demonstrierte.

Doch das genügte offenbar nicht, die für gewöhnlich sehr nüchternen Berliner glaubten immer noch an Zauberei oder an Tricks. Also griff Ludwig Bösendorfer  persönlich ein, und unter Assistenz von Josef Joachim , damals Direktor der Musikhochschule in Berlin,  gelang es die Berliner endgültig zu überzeugen. Bösendorfer erklärte die Wiener Mechanik (in Berlin dominierte Steinway oder Bechstein mit englischer Mechanik) des von ihm gebauten Konzertflügels bei einem Tag der „Offenen Tür“, an dem das Publikum den Flügel nicht nur besichtigen, sondern auch ausprobieren konnte.   Auch O. Gumprecht kam, und nun endlich waren alle überzeugt: keine Zauberei, keine Tricks.

Zwischen Ludwig Bösendorfer und dem Grafen Zichy, dem späteren Operndirektor der Budapester Oper, bestand bei aller gesellschaftlicher Distanz – er ein Bürgerlicher, der andere aus der Spitze der ungarischen Aristokratie, ein gutes, enges Vertrauensverhältnis .

Die überlieferten, oft nur kurzen Briefe von Zichy an Bösendorfer reichen von 1877 -1913, inhaltlich beschreiben sie meistens Klavierfragen, Termine, Transporte , Stimmer, Käufe, Verkäufe. Die beiden zuletzt genannten Punkte muten einen Leser vielleicht etwas merkwürdig an, aber die hohe gesellschaftliche Position und das enge Netzwerk, in dem Zichy eine zentrale Rolle spielte, machte ihn auch zum Werbeträger, was er auch gerne und sehr genüßlich ausspielte.  Die Sorge um Franz Liszt band Zichy und Bösendorfer noch enger aneinander; wo und wann immer es ihnen möglich war, versuchten sie dem Rastlosen und Ruhelosen das Leben einfacher, bequemer zu machen

Aus den vielen Briefen greife ich wahllos heraus:

… wegen meiner Klavierpassion gehabt, und stürzen sich in immer neue Kosten wegen mir …  Sie werden mich zwingen selbst eine Klavierfabrik zu errichten … daß Sie durch  die Krankheit von Herrn Seiffert (gemeint ist Seuffert) unmenschlich zu tun haben. Nehmen Sie sich einen Sekretär und schonen Sie sich …Gräfin Karoly … will auch     schöne Füße am Klavier , nun Sie werden ihr schon welche machen …

P.S. Im Mai werde ich Bartusch ausbitten, er muß mir meine Klavier durchsehen und dann mit mir nach Siebenbürgen, wo ich 3-4 Concerte habe  …

 

Tátrafüred 26.7.1894

Lieber Freund! Mit Ihnen kann man keine Geschäfte machen, weil Sie ein schlechter Gläubiger sind. Nun wir werden uns abfinden.- Ich habe hier einen prächtigen Gebirgs-Pony, er geht sogar auf großem Geröll, es ist ein hübsches tüchtiges Pferd,  den schenke ich Ihnen und sehe Ihnen meine Rechnung nach. Transportkosten zahle ich, nur müssen Sie einen Menschen senden, der das Pferd abholt.- Wenn Sie gestatten, so sende ich das Pferd Ende nächsten Monates vor meiner Abreise von hier.  Das Klavier senden Sie bitte nach KABA …

In diesem engen Kreis um Franz Liszt darf Hans von Bülow nicht fehlen. Zunächst einmal beschwert sich Liszt, daß er sich erneut einen Finger verletzt hat und nicht spielen kann:

Franz Liszt  an Hans von Bülow, Budapest, 6 janvier (18)76,

… une sotte forte blessure … m’empêche encore de profiter des deux superbes  Bösendorfer qui ornent ma chambre

Er kann  seinen Bösendorfer-Flügel nur sehnsüchtig ansehen! Und ein weiteres Mal :

Franz Liszt an Hans von Bülow , Dimanche soir (Budapest, 13 février 1881)

Peut-être Bösendorfer viendra-t-il me voir demain, entre 10-11 heures. Il sait être toujours invité chez moi, en ami; de la veritable sorte.

Franz Liszt an Hans von Bülow, Bayreuth, 9 octobre (18)81

 … je tiens à retourner à Budapest. … mi-janvier. Là, je compte vous revoir lors de  votre excursion en Roumanie, et parlerai avec notre ami Bösendorfer du détail de vos concerts lucratifs, dont le public aura le principal bénéfice. Votre vieux L. 

Hans von Bülow , als ungemein schwierig bekannt und Ludwig Bösendorfer, vielleicht gerade wegen ihrer so unterschiedlichen Temperamente „konnten“ erstaunlich gut miteinander und so reiste eines Tages ein „Bösendorfer“ von Wien nach Meiningen, und wenn Bülow auf Tournee war, dann reiste vermutlich nicht nur der Flügel, vielleicht auch gelegentlich Ludwig Bösendorfer mit.

Hans von Bülow an Ludwig Bösendorfer aus Meiningen, 11 Juli 1882

Mein verehrter Freund!

Was Sie doch kokett mit mir sind! Soll ich’s Ihnen jedesmal wiederholen, daß mir ein brieflicher Gruß von Ihnen stets Freude macht, daß ich aber auch längeres Ausbleiben    eines solchen nicht krumm nehme.

Um den Besuch der Triester Ausstellung brauche ich Sie nicht mehr zu beneiden, als   Sie mich um den der Nürnberger, dessen musikalische Abteilung,  es dergleichen ich  mit meiner Tochter unbesichtigt gelassen habe. Nicht viel „los“ überhaupt.

Die Kunde von Frau Céleste (bitte um Übermittlung meiner dankbar besten Grüße und Wünsche) piano=sano und dann auch wohl lontano =Reconvaleszenz ist mir hochvertraulich, auch wenn kein rumänischer … Interesse im Hintergrund lauern würde. Bei der nun in Schwung geratenden Winter-Projekte- Schinderei denke ich   mir nämlich  … Ende Januar sofort an die Tournee mit der Hofkapelle innerhalb der  schwarzgelben Schlagbäume geknüpft.

Leider habe ich Ihr Couvert dem Papierkorb schon überantwortet. Da ich aus Ihren Zeilen nicht eigentlich klug wurde. Von wo mir dieselben zukommen. Einstweilen adoptiere ich den Zugangsgruß  nach Wien – von wo er hoffentlich in bestem Geleite  Ihnen ja doch zugesandt werden wird. (Den Namen der Curanstalt habe ich nicht     entziffern können) .

Mich hält hier in M. die absolute Ruhe, Werk … und damit verbunden die Möglichkeit ordentlich zu üben. Ihr Flügel bewährt sich dabei sehr gut, wenn auch infolge feuchter Witterung häufig vom 3 gestrichenen C aufwärts Seiten reißen … vielleicht liegt das übrigens an dem „Berliner“? [Bülow gerne ironisch, meint mit „Berliner“ sich selbst. Anm.d.Verf.]

Kommen Sie nach Bayreuth? Wann? …Genug für heute. Hoffentlich hört bald einmal wieder von Ihnen Ihr freundschaftlich treu ergebener HBülow

P.S. Schreiben Sie mir doch nicht mehr „Ihr dankschuldigster u.dgl. Ich kann Ihnen gar  nicht sagen wie wertvoll es mir war, z.B. in Aachen einen so schönen Flügel  … spielen  zu können. Auf keinem anderen hätte Brahms Concert so gut zur Geltung kommen können. Ich freue mich schon sehr darauf, das von mir jetzt … studierte zweite Concert des Meisters .(Sie glauben nicht wie schöner das was wird, je öfter man’s spielt!) auf demselben elfenbeinernen Felde einmal zu tummeln. 

Mit Richard Wagner  schließt sich der Kreis um Franz Liszt. Zwischen Ludwig Bösendorfer  und Richard Wagner, in der Wagner-Literatur kaum erwähnt, kam es zu einem, wenn auch eher zweckorientierten losen Kontakt. Als Richard Wagner sich in Wien aufhielt um hier seinen „Tristan“  an der Hofoper zu plazieren, dürfte der Kontakt geknüpft worden sein.

Möglicherweise über Liszt und Standhartner , einem großen Wagnerverehrer, Freund   und Förderer; möglicherweise hatte auch der Sänger Angelo Neumann  bei dem Kontakt mitgespielt.

Hoch geehrter Herr und altbewährter Gönner!

Daß ich so oft Ihre Freundlichkeiten genoß und so wenig dazu gelangte, Ihnen dafür meine Dankbarkeit zu beweisen, hiervon erkannten Sie wohl jederzeit den Grund in    den Anstrengungen, unter welchen ich immer in Wien mich aufhielt? Zuletzt ist mir   nun wieder von unserem Freunde Standhartner berichtet worden, daß Sie mir das      schöne Anerbieten gemacht hätten, die Proben meiner Bühenfestspiele in Bayreuth mit den nötigen Flügeln aus Ihrer vortrefflichen Fabrik zu unterstützen.

Ich nehme nun dies Anerbeiten mit größtem danke an und betrachte Sie somit als  einen der vorzüglichsten Patrone meiner Unternehmung, als welchem Ihnen der Platz (oder die Plätze), welche Sie wünschen werden, aufbehalten sein sollen.

Demnach ersuche ich Sie wirklich um die baldmöglichste Zusendung zweier Ihrer Flügel, von welchen der eine in ein Zimmerprobenlokal in der Stadt, der andere imTheater selbst aufgestellt werden soll.

Ich sorge dafür, daß sie gut gehalten werden; auch sind es nur tüchtige Klavierspieler, wie Josef Rubinstein und Hans Richter, welche darauf spielen werden … 

Bösendorfers Flügel sind weit gereist, kreuz und quer durch Europa  bis hoch hinauf ins Baltikum – zur einer Baronesse Wolff-Stomersee, zu Alice Barbi. Die große Sängerin hatte ihre Karriere beendet nachdem sie geheiratet hatte. Nun bittet sie um einen Flügel , denn während der Russischen Revolution von 1905 wurde auch in Wilna viel zerstört.

Alice Barbi an LB aus Wilna 14.November 1906

… Zwei Klaviere sind verbrannt, die möchte ich mit einem ersetzen, aber es sollte mir          von den schönsten und glücklichsten Stunden meines Künstleröebens sprechen. Ich               möchte, daß es aus Wien kommt und daß es Ihren Namen trägt 13)

 

„ In meinen Werkstätten …''' “. Turbulenzen 1873 -1901

 1864 veröffentlicht Ludwig Beregszászy, Klavierbauer in Pest/Budapest, in den „Blättern für Theater, Musik und Kunst“, 10.Jg. April/Mai einen ausführlichen Artikel über das akustische und bautechnische Problem des „Resonanzboden“:

… Vor ungefähr dreißig Jahren fing man an, bei der Clavierfabrikation der Herstellung      eines größeren, umfangreicheren Tones mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Durch die großen Virtuosen war die Behandlung des Flügels eine ganz andere, gleichsam orcherstermäßige geworden; sie verlangten … die Entwicklung einer  größeren Tonfülle. Um diese zu erreichen, verwendetem die bedeutendsten       Fabrikanten … ihr ganze Sorgfalt fast ausschließlich auf die Verbesserung der Mechanik. … Auch ich habe lange in dem Wahne gearbeitet, daß der vollkommene Ton  nur durch die vollkommene Mechanik bedingt sei, … bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß der Resonanzboden als Hauptfaktor bei der Tonbildung, die erste und   größte Aufmerksamkeit heischt.   … mit dem bisher gebräuchlichen Stege die eben erwähnte präcisere, ausgedehntere Wechselwirkung zwisehn der Saiten-und Resonanzbodenschwingung, also auch der hievon abhängige, vollkommenere Ton nicht zu erreichen ist. … daß nur ein breiterer Steg imStande sei, die Vibration der Saiten ungeschwächt und in gleicher Stärke dem Resonanzboden mitzuteilen und denselben zu der  entsprechenden Schwingungsfähigkeit geeignet zu machen. … ich versuchte es, die Vorzüge beider Methoden miteinander zu verbinden, die  allzugroße Spannung der englisch-französischen durch die allzugroße Freiheit der  Wiener Methode auszugleichen; also kurz gesagt: Die Schwingung des Resonanzbodens je nach dem Bedürfnisse der einzelnen Octaven zu regulieren. …

Seit der Weltausstellung in London 1862 beschäftigt sich Ludwig Beregszászy  mit der Verbesserung des Resonanzbodens.

1871 stellt er auf der Londoner Weltausstellung eine verbesserte Variante des Resonanzbodens vor: Der Resonanzboden eines Flügels ist flach; Beregszázy experimentierte und entwickelte eine neue Form des Bodens  nach dem Vorbild eines Streichinstruments .

Er ließ diese Erfindung für Österreich-Ungarn patentieren.

… Er hat diese Erfindung, um ihr eine möglichst erfolgreiche und große Verbreitung zu sichern, der im Jahre 1872 in Wien zustandegekommenen Klavier-Aktiengesellschaft –   an deren Spitze die Firmen von Bösendorfer und Ehrbar standen, verkauf; Punkt 6 des Kaufvertrags gemäß in dem Sinne, daß jedes Klavier, das von der Gesellschaft mit einem solchen Resonanzboden versehen wird, mit dem Zeichen des Erfinders  bzw.Abtreters ‚System Beregszázy‘ bezeichnet werden soll. …

Es folgte eine wenig erfreuliche Auseinandersetzung zwischen Ehrbar (der für sich das jus primae noctis in Anspruch nahm)  und  Beregszázy , an der Eduard Hanslick einen wenig positiven Anteil hatte. Die Auseinandersetzung endete damit, daß Ludwig Bösendorfer das Patent der Resonanzboden übernahm mit der Vorgabe den Erfinder und Überlasser der technischen Neuerung zu benennen.

Ludwig Bösendorfer experimentiert weiter, wie man einer Einsendung an die  Musik-Instrumenten-Zeitung, 2.August 1896, Beiblatt zur Neuen Musikalischen Presse, S. 10 nachlesen kann:

In meinen Werkstätten wurden seit einigen Jahren Versuche gemacht, den Resonanzboden mit dem ausgebogenen Holze hergestellten Wänden des  Clavierkastens derart in Verbindung zu bringen, daß der ganze Holzkörper einen mitschwingenden Resonator bildet. Solche Instrumente habe ich seit länger als  einem Jahr fertig, auch sind zahlreiche Exemplare schon im Besitz des P.T.Publikum. Die Kastenwände aus gebogenem Holze, welche schon seit vielen Jahren den fortschrittlichen Claviermachern der ganzen Welt geläufig sind, bildeten zu meinem  Experimenten nur die Basis. Die bisher erzielten so günstigen Erfolge veranlassen  mich, meine Herren Wiener Kollegen einzuladen, die in meinem Saale aufgestellten   Clavier dieser Construction zu besichtigen, in der Hoffnung, daß eine Anregung zu weiterer Reform und Ausbildung eines neuen Wiener Systems geboten ist. 

Anläßlich der Kaiser-Jubiläums-Ausstellung 1898 veröffentlichte Ludwig Bösendorfer in NMP, 1898, NR. 45, S.19 dazu folgenden Hinweis; man hatte ihn ersucht Photos dieses Flügels veröffentlichen zu dürfen:

… Ganz dringend bitte ich jedoch, meinen Standpunkt festzuhalten, daß die Jubiläumsausstellung nicht der geeignete Ort als Kampfplatz der Fachgenossen ist, sondern eine Huldigung für den hohen Jubilanten sein soll. Die Aussteller haben daher     nicht mit dem üblichen Kriegsgeräte, welches man Jahraus jahrein im Magazin und im  Concert-Saal findet, sondern ihre Leistungsfähigkeit in einer der Huldigung  entsprechenden Weise zu zeigen … 

Zu dieser Ausstellung erschien ein Jubiläums-Werk in sechs Bänden „Die Großindustrie-Österreich“ und ein darin enthaltenes schmales Bändchen  erzählt die Geschichte des „Wiener Clavier“, verfaßt von Ludwig Bösendorfer. Bösendorfer schildert die Anfänge des Pianoforte, die Entwicklung der „Wiener Klaviere“, ihrer tonlichen Eigenart und Besonderheit in der Mechanik, zieht Vergleiche zu anderen Klavierbauern und ihren Instrumenten. Er betont überdies, daß

… die mit Maschinen arbeitenden Fabriken das geistige Niveau ihrer Arbeiter herab(drücken), indem sie die Ausbildung des Arbeiters verhindern; machen den       Arbeiter zum Handlanger und Taglöhner, der wohl ganz folgerichtig und berechtigterweise für die Erhöhung seines Lohnes , sowie für Strike und Socialismus Sinn haben wird, aber nicht mehr Interesse für das Clavier, das ihm mehr und mehr        entfremdet wird. Die Maschine und die Teilung der Arbeit lähmen die Individualität  und schaffen Idealismus und Freude an der Arbeit aus der Welt. Homo und Intellectus  werden dem Capital ausgeliefert. …    

Bösendorfer formuliert in Anspielung an die nicht realisierte Clavier-Actiengesellschaft etwas polemisch

… Das Ende derartiger großer Unternehmungen kann man ja einer Actien-Gesellschaft überlassen …

Und schließt leicht patriotisch gefärbt

 … es mögen sich auch in Zukunft in unserem Vaterlande Männer finden, welche, durchdrungen von ihrer künstlerischen Mission als treue Begleiter und Genossen der Musiker, an der Vollendung des Claviers erfolgreich weiter arbeiten …

Diese Publikation enthält eine Reihe kritischer Bemerkungen zu den Usancen der amerikanische Klavierproduktion, unterstreicht die Vorzüge der Wiener Manufakturen, insbesondere  der von Bösendorfer, was wiederum zu einer heftigen Polemik vonseiten der Firma Steinway führt.  …

Bösendorfers Einstellung zu seinem Metier ist aber eindeutig formuliert: Klaviere bauen ist ein Handwerk, aber zugleich auch Kunst, Kunst im Dienst der Musik und der Komponisten.


Die Versuche einer Fusion, oder auch einer merkantil bestimmten Entscheidung werden nach 1900 erneut virulent.

Das Neue Wiener Journal schreibt am 1.Oktober 1901

„Ehrbar und Bösendorfer“. Vereinigung der zwei Weltfirmen. Originalbericht.

Es wird uns Mitteilung von einer Tatsache gemacht, die geeignet erscheint, in der Wiener Gesellschaft , vor allem jedoch in der gesamten Musikwelt das intensivste  Aufsehen zu erregen. Wien, die musikalischste Stadt der Erde‘ besitzt, wenn auch der redefrohe Überbrettl-Freiherr v.Wolzogen sich zu dieser Anschauung nicht bekennen will, auf dem   Gebiete der Clavierfabrikation zwei Firmen, die man zusammen zu nennen gewöhnt  ist, und zwar B ö s e n d o r f e r an unbestritten erster Stelle, an zweiter aber E h r b a r. … Danach berichtet der Rezensent, daß es zwar eine exorbitant hohe Summe wäre, die für Bösendorfer zu bezahlen wäre, aber im Prinzip, … handelt (es) sich um eine Differenz, … die von beiden Seiten vorgeschlagenen – da es sich begreiflicherweise um eine exorbitante Summe handelt- bedeutend genug ist.            …

Doch einen Satz später bringt es der Berichterstatter „ auf den Punkt“: bei den Verkaufsverhandlungen wurde erörtert, daß mit  dem Verschmelzen der beiden Firmen zu einer großen Firma, der Name „Bösendorfer“ in der Firmenbezeichnung nicht mehr vorhanden sein sollte und in der Firma Ehrbar aufgehen. Das klingt nach „feindlicher Übernahme“.

Das Dementi von Ludwig Bösendorfer zu diesem Bericht folgt am 3.10.1901, ebenfalls im

Neuen Wiener Journal“ :

… ich beehre mich mitzuteilen, daß ich allerdings Verkaufsunterhandlungen gepflogen         habe, daß dieselben aber zu keiner Eingigung geführt haben. Somit wird das Geschäft          wie bisher unter der Firma L.Bösendorfer und unter meiner alleinigen, persönlichen  Leitung fortgeführt werden.

Diese Meldung vom 3.Oktober 1901 setzt einer langandauernden firmenbezogener  Auseinandersetzung ein Ende, einer Auseinandersetzung, die auch sehr persönliche Züge getragen hat. Kartengeber, Mitspieler um bei dem Bild eines Spiels zu bleiben, mit bekannten Trümpfen im Talon, in dieser teilweise erbittert geführten geschäftlichen Kontroverse, ist die Firma Steinway. Der andere Spieler ist die Firma Ehrbar.

Es muß in den Endsechzigerjahren begonnen haben, gegen 1873 spitzen sich die Konkurrenzspannungen zu, die mit der oder den Auseinandersetzungen mit Steinway zusammenfallen; die Zeichen der Zeit, dies sei nochmals betont, standen auf industrielle Fertigung, nicht nur im Klavierbau. Industrielle Fertigung bedeutete nicht nur Kostenersparnis bei der Produktion, sondern auch die Möglichkeit über eine bessere Preisgestaltung den Markt zu erobern, zu beherrschen.

In diesem Kontext dürfte der erste Versuch der Firma Ehrbar zu suchen sein mit Bösendorfer eine Actiengesellschaft zu gründen.

Ludwig Bösendorfer lehnte prinzipiell  die Schaffung eines Großbetriebes ab, ein Instrument industrieller Fertigung  auf den Markt zu bringen stand in eklatentem Widerspruch zu seinem Handwerkerbewußtsein; das heißt, jedes Teil mußte manuell gefertigt und auch manuell eingesetzt, kontrolliert sein. Das war für ihn der Inbegriff der Qualität. Ein weiterer wesentlicher Faktor als Bestandteil dieses Fertigungsprozesses war der enge Kontakt zu seinen Mitarbeitern. Die Folge war die numerische Begrenzung der Produktion, höhere Kosten, usw.  Ludwig Bösendorfer entschied sich auch sehr bewußt für eine Begrenzung seiner Mitarbeiterzahl und der von ihnen handgefertigten Instrumente; er begründete diese Entscheidung damit,  daß auf diesem Wege das Betriebsgeheimnis besser gewahrt werden konnte!  Die Schutzzölle der Monarchie auf ausländische Produkte  ermöglichten – nicht nur der Firma Bösendorfer - eine günstigere Preisgestaltung, hinzu kamen die niedrigere Arbeitskosten.

Die 1870er Jahre sind auch die Jahre sich zuspitzender Arbeitskämpfe – mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, Verkürzung der Arbeitszeit usw. 

Es gab, das was man heute „Betriebsversammlung“ nennt; zu dieser Zeit wurde dies als „strike“ gewertet – und Ludwig Bösendorfer entließ daraufhin seine Arbeiter. Die Arbeiter der Firma Ehrbar hielten ebenfalls eine Betriebsversammlung; da es von der Firma Ehrbar keine Unterlagen mehr gibt, und auch in den Zeitung nichts weiter dazu gemeldet wird, ist anzunehmen, daß diese Betriebsversammlung folgenlos blieb. 

1872 gründeten Arbeiter der Fabrik „Bösendorfer“ eine „Erste Productiv-Gesellschaft der Claviermacher Wiens“, registriert als GesmbH. Zunächst in der Klagbaumgasse 3, Wien Wieden  zu finden, nach 1900 unter dem Namen Klavierfabrik „Lyra“ in Wien - Margareten, Leitgebgasse 8  

Ob es zwischen der Meldung vom 6.Februar 1873 im „Neuen Wiener Tagblatt“ von Ludwig Bösendorfer, daß er „ … durch peinliche Arbeiterbewegung … den größten Theil meines Fabrikspersonals entlassen zu müssen … “ meinte und  der späteren Meldung über die Gründung einer Klavier - Actiengesellschaft ein Junktim bestand, bleibt Spekulation.

Am 20.April 1873 kann man in verschiedenen Wiener Tageszeitungen die gleichlautende Meldung lesen über die Gründung einer Wiener Klavier Aktiengesellschaft, deren Partner Ehrbar und Bösendorfer sind.

So heißt es z.B. in „Der Reporter“ vom 20.April 1873

„Wiener Clavier-Fabriks-Actiengesellschaft, vormals Bösendorfer und Ehrbar. Die Constituierung der Actiengesellschaft fand gestern in den Bureaus der österr. Börsen – und Wechselbank statt. …“

Dieser Versuch einer „feindlichen Übernahme“ war aber eine mehr als kurzlebige Angelegenheit, denn nach diesen Meldungen verläuft die Initiative im „Sande“; nicht einmal das Firmenverzeichnis des „Lehmann“ verzeichnet diese Aktiengesellschaft.

Die oben zitierte Meldung dürfte für einige Unruhe gesorgt haben,  zumindest bei den „alten“ Freunden der Instrumente Bösendorfe:   

Anton Rubinstein an Ludwig Bösendorfer, Peterhof, 12./24.August 1873

… Herzlichen Dank für die Zusendung des Briefes, es ist nicht unmöglich, daß ich den Winter auf ein paar Monate nach Italien gehe, wenn die Antwort von Ricordi auf  meinen Brief/den ich Sie sehr bitte ihm zukommen zu lassen), befriedigend lautet – in  dem Falle käme ich auf meiner Hin- und Rückreise nach Wien auf einige Tage – nicht  um zu spielen und auch nicht um Opernaufführungen; beruhigen Sie damit meinen intimen Freund Herbeck , Lewy, Hellmesberger und sonstige Wagnerianer, sondern bloß um Mosenthal zu zahlen und ihn noch ein wenig zu plagen, vielleicht gelingt es     mir die Ausstellung noch vor Thorschluß zu sehen! ... Ihre Aktion Klaviere verstehe (?) ich nicht und bin ein zu guter Freund Ihres Vaters gewesen um diese Unternehmung Ihrerseits gutzuheißen . – Sie müßten übrigens wohl wissen was Sie thun. ….

Die Ursachen für die tiefgreifende Verstimmung zwischen Bösendorfer und Seuffert/Ehrbar dürften sich aus folgendem Ereignis erklären, das Leo Botstein in seiner Biographie über Ludwig Bösendorfer wie folgt erläutert:

… Der Höhepunkt dieser Ausstellung war, daß die Jury 2/3 der Medaillen an Kopien  des amerikanischen Systems vergab. Ehrbar war der Wiener Freund von Steinway.   Aber noch schädlicher war, aus der Sicht von Ludwig Bösendorfer, die Tatsache, daß  der officielle Bericht der Jury bemerkte, daß man es bedauern müsse, daß die  berühmte innovative‚ Firma Steinway mit ihren einzigartig gefertigten Klavieren nicht   repräsentiert war, der die Kunst des Klavierbaus viel verdankt.  Dieses einleitende      Statement im officiellen Bericht rief eine Sensation hervor. Steinway und Chickering         hatten vereinbart auf dieser Ausstellung (bei Conventionalstrafe, gekürzte  Anm.) nicht auszustellen. Steinway umging diese Übereinkunft, indem er Ehrbar als privaten, inoffiziellen Verkäufer und Vertreter der Firma benutzte. Ehrbar zeigte der Jury die neuesten Steinwayprodukte außerhalb der Ausstellungsräume. Ludwig Bösendorfer  beschuldigte Ehrbar, daß er eine private Vorführung arrangiert habe und darüber     hinaus seinen Sitz in der Jury dazu mißbraucht hätte, die anderen dazu zu überreden    Steinway zu loben für die Erneuerungen und Erfindungen, obwohl Steinway nicht ausgestellt hatte.  Ludwig Bösendorfer, immer mißtrauisch Hanslick gegenüber, war  empört. Er vergaß nie diesen „Verrat und Betrug“ – weder Hanslick (der mit Ehrbar befreundet war) noch Ehrbar. Er wertete beide als korrupte, ausländische Agenten,     aus Eitelkeit, und im Fall von Ehrbar, aus persönlicher Gewinnsucht. ... Jahre später erinnert Ludwig Bösendorfer, daß Steinway für die Ausstellung 1873 das           Risiko gescheut hätte auszustellen, da er nichts wirklich Neues anzubieten gehabt  hätte. … Ludwig Bösendorfers Ablehnung und die unangemessene Aufmerksamkeit der Firma Steinway 1873 war mehr als nur eine Etikettenfrage. Tatsache war, daß Steinway nach Wien mit einer anderen neuen Erfindung gekommen war: 'Der Duplex-Scala. Das wurde der Jury gezeigt – und das war der Grund des Zorns von Ludwig Bösendorfer bis an sein Lebensende. …  

Auf der Wiener Weltausstellung 1873 bekam Ludwig Bösendorfer für seine Instrumente keine Medaillen. Die Jury, die die Instrumente bewerten sollte,  setzte sich zusammen aus: Eduard Hanslick, Oscar Paul und Friedrich Ehrbar. Das Patent der Duplex-Scala, made Steinway wurde May 1872 in N.Y. zum Patent angemeldet, das Patent in Wien ein Jahr später, also 1873.


Um 1900, 1901 dürfte sich die finanzielle Situation der Firma erneut zugespitzt haben;  denn nur so erklärt sich der im folgende zitierte Brief des Procuristen Eduard Seuffert an Ludwig Bösendorfer.

Wien 6.Juni 1901

Hochverehrter Herr und Gönner,

Ich constatiere erneut mit Vergnügen, daß wir uns in 20-jähriger Arbeit doch so weit kennengelernt haben, daß uns geschäftliche Erörterungen, mögen Sie die Verhältnisse            nun noch einmal in schönster (?) Form bedingen, im Grunde doch nicht entfremden   können. Bei den Schlußfolgerungen muß ich leider aber doch bleiben, sollte sich auch  ein oder das andere Detail als irrtümliche Voraussetzung erweisen. Sie wollten sich       selbst bethätigen – das Recht kann Ihnen niemand absprechen! – und mich hat es               schon lange aufgerieben, immer contre coeur zu handeln. Ich glaubte in der   Herbeiführung des Verkaufs einen Ausweg zu finden, der …lichen Erörterungen   unnöthig machte, das Geschäft doch auf den kaufmännischen Weg bringt, und mich               vor der Welt nicht zum verantwortlichen Redacteur des unverantwortlichen     Niedergangs stempelt.

Es soll nicht sein! Ich habe gestern einen Brief mit 3 Unterschriften in der Hand, worin erklärt wird, daß die Engländer sofort 500.000.- verlangen, wenn der von ihnen bestellte Buchsachverständige/Procurist von Ronacher limited – (die Bilanzen) nicht …  als richtig anerkennt.

Woran also muß es scheitern? An der Buchführung, welche – verzeihen Sie diesen gewiß letzten Vorwurf! – über Ihr Verbot mir in kaufmännischer Weise geführt              werden durfte, und nachdem sie seit 1.Jänner 1900 von mir doch privatim geführt   wird, keine erfreulichen Resultate mehr aufweist. … Machen Sie der Sache ein Ende!   Sie unternehmen dadurch den dankenswerthesten Schritt den Sie je unternommen  haben zu Gunsten Ihres vielfach dankschuldigen            E.Seuffert

 Die Entscheidung von Ludwig Bösendorfer, wie schon bei dem ersten Versuch 1873, ist negativ; er lehnt ab und die Firma bleibt sein alleiniges Eigentum.

Die finanzielle Lage der Firma dürfte ziemlich prekär gewesen sein, analysiert man dieses Schreiben, das einen – möglichen „Rettungsversuch“ anbietet oder auch eine „feindliche “ Übernahme vorbereiten soll? Es gibt keine weiteren Unterlagen, so bleibt die Frage spekulativ.

Die Verkaufsabsichten machen schnell die Runde, und erreichen Moritz Rosenthal, der sich gerade in Bad Gastein aufhält und nach einer kurzen Erinnerung  eine Soiree bei Franz Liszt im Schottenhof, zu der ihn Ludwig Bösendorfer mitgenommen hatte:  aus Bad Gastein am 7.Sept. 1901       

                             … Seit Monaten höre ich immer häufiger, daß Sie mit dem Gedanken umgehen die Fabrik in andere Hände zu geben u. Herr Seuffert soll sogar ausgeschieden sein, weil diese von ihm befürwortete Transaction nicht rasch genug vor sich gegangen sei . … Er erzählte mir damals , die angeblichen Käufer hätten sogar Einsicht in die Bücher genommen. Da durchfuhr mich wie ein Blitzstrahl der Gedanke, daß auch mein Name in den Büchern der Fabrik verzeichnet sei. Fremde werden über die Sache anders denken u. vielleicht glauben, daß ich leichtsinnige Anleihen gemacht hätte (vorausgesetzt , daß diese Posten wirklich fremden Leuten zu Gesichte kommen könnten). Ich stelle daher an Sie die Anfrage , als Freund zum Freund, als einstiges Mündel zum Vormund, …, daß ich Ihnen diese Summe zurückzahlen soll?

Ich habe das damals  als einen Sohn wohlmütige Absicht von Ihnen empfunden, mich durch dieses Dickicht des Lebens zu den Höhen der Künste zu leiten und in diesem Sinne einer unaufhörlichen Dankbarkeit habe ich von der Erstattung dieser Summe nicht gesprochen …“

 Am 3.10.1901 kann man im  „Neuen Wiener Journal“ folgendes Dementi von Ludwig Bösendorfer lesen:

… ich beehre mich mitzuteilen, daß ich allerdings Verkaufsunterhandlungen gepflogen         habe, daß dieselben aber zu keiner Einigung geführt haben. Somit wird das Geschäft          wie bisher unter der Firma L. Bösendorfer und unter meiner alleinigen, persönlichen             Leitung fortgeführt werden.

Eduard Seuffert verließ die Firma Bösendorfer.

 

Liebster Freund! Ich bin alt'''  … ".  Endzeit

Die harten Arbeitsjahre, die immer stärker werdende Belastung durch den zunehmenden Konkurrenzdruck gingen an Ludwig Bösendorfer keineswegs spurlos vorüber;  er fühlte sich plötzlich alt, begann zu kränkeln,  litt zunehmend an rheumatischen oder gichtischen Anfällen .

An Alfred Grünfeld, 26. November 1892

Liebster Freund! Ich bin alt und und kann Stiegen nicht mehr steigen, sonst wäre ich schon bei' Dir gewesen um Dir zu sagen, welche große Freude du mir gemacht hast durch die Widmung.

Lieber, lieber Alfred, nehme meinen herzlichen Dank einstweilen in dieser Form entgegen und bleibe ein lieber guter Freund Deinem treuen Bösendorfer

 Im Freundeskreis,bei den Geschäftsfreunden, bei Bekannten mehrt sich die Sorge um die Gesundheit von Ludwig Bösendorfer, man erteilt ihm gute Ratschläge, doch diese dürfte er kaum befolgt haben, denn er bleibt geschäftig und aktiv wie immer; vielleicht daß er sich nun ein wenig mehr außerberufliche Freuden gönnt, und dazu gehört neben seiner täglichen morgendlichen Ausfahrt in den Prater zum Lusthaus, das Billard und das Tarockieren. Einer seiner Partner ist Johann Strauß. Zwei wortkarge Männer , die sich in dieser Kargheit bestens verstehen. Wie immer, es begann mit einem Flügel:

Tausend Dank für Ihre liebenswürdige Erfüllung meiner unbescheidenen Bitte. Täglich   freue ich mich über das schöne Instrument. Sie haben mich Ihnen gegenüber sehr               verbindlich gemacht. Herzlich grüßend Ihr Johann Strauß   

Zur Herrenrunde in der Igelgasse, Haus Johann Strauß gehörten Johannes Brahms, Hans Richter, mit dem man so gut essen und trinken konnte, Carl Goldmark, Viktor Tilgner, der Bildhauer, Alexander Girardi und viele andere Künstler. Sie alle liebten Rotwein und Zigarren, debattierten dabei über das „Leid der Welt“.  Sie spielten Billard, ein Spiel, das Johann Strauß besonders liebte; manchmal „verschwand“ er , die Runde war daran gewöhnt, wußte – jetzt komponiert Johann Strauß ! und spielte weiter. War die Herrenrunde kleiner, dann wurde vorzugsweise bei geringem Einsatz tarockiert .  

Wien hatte sich ein neues Rathaus gebaut, das 1890 feierlich eröffnet werden sollte. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren; Johann Strauss 3) mußte komponieren, Ludwig Bösendorfer saß im Festcomité.

Doch kein Comité bleibt störungsfrei von Unstimmigkeiten, Eifersüchteleien oder anderen eitlen Unannehmlichkeiten. Die Ursache für die Verärgerung von Bösendorfer über diese überflüssigen Unstimmigkeiten sind nicht mehr nachvollziehbar; überliefert ist lediglich ein Brief an Johann Strauß vom 16. Februar 1890:

Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Ausdruck meiner Bewunderung und unbegrenzten Verehrung zu Füßen lege. Aufrichtig beglückwünsche ich Sie zu dem genialen Rathauswalzer. Ich wurde vom Comité als Werkzeug benützt den einleitenden Schritt bei Ihnen zu machen; alle späteren Schritte oder Unterlassungssünden bitte ich mit dem Comité zu      verrechnen. Ich kann Ihnen für mich Dank sagen. Erlauben Sie mir, daß ich mit Ihnen    ein Glas Wein auf Ihr Wohl trinke. In Hochachtung und Ergebenheit Ihr Bösendorfer

    Johann Strauß  antwortet am 20. Februar 1890

Schönen Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilen – bin vollkommen einverstanden und       freue mich ein Glas Wein von Ihrer edlen, aber ganz unverdienten Gabe zu trinken und      will ich zu diesem Behufe Anfangs nächster Woche eine Tarockpartie bei uns     veranlassen, zu welcher Sie zu erscheine höflichst gebeten werden. Sollte Ihnen der             Tag, den wir zwischen den paar Tagen Ihnen bekanntgeben, nicht conveniren, so bitte ich selbst denselben uns anzuzeigen.

              Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebenster Johann Strauß

Noch einmal soll Bösendorfer mit seinen Instrumenten zu einer Weltausstellung fahren um die Kunst der österreichischen Instrumentenmacher, der Klavierbauer zu repräsentieren. Die Teilnahme an der Pariser Weltausstellung  von 1900 lehnt Bösendorfer jrdoch ab; soweit sich aus den Unterlagen herauslesen läßt, geschah dies vor allem aus Solidarität mit den anderen Wiener Klavierbauern. Nur die Klavierfabrik Ehrbar hielt sich nicht daran, scherte aus.

Das 50-jährige Firmenjubiläum und der 70.Geburtstag des Firmeninhabers 1905 wurde ausgiebig gefeiert. Es war, wollte man es ein wenig pathetisch formulieren ein letzter Glanz, ein letztes Aufleuchten vergangener Erfolge.

Henriette, Bösendorfers zweite Frau war nach einem Schlaganfall schwer krank geworden. Sie stirbt am 2.Juni 1906.

 … Sie war eine schlichte einfache Frau, die niemals in die große Öffentlichkeit trat, sondern vielmehr ihre stille Häuslichkeit liebte.  … mußte … ihre Sanftmut und Milde     und Herzensgüte … bewundern , …  das Heim behaglich und gemütlich zu    gestalten. … 

Nun war er der „alte“ Bösendorfer geworden;  eine stadtbekannten Erscheinung  und wie es in Wien so üblich ist, hängte man ihm endgültig ein Etikett um: „Der Bösendorfer“. Der Mensch verschwand,  wurde zum Requisit der Stadtgesellschaft. Wann genau diese schleichende Transformation zum „Der Bösendorfer“ begonnen hatte, läßt sich – vielleicht - an Einzelereignissen nachzeichnen.

Karikaturen, Extempores auf Vorstadtbühnen in Singspielen, in Theaterstücken, in denen das Klavier Bösendorfer und Ludwig Bösendörfer, der Claviermacher zur Rolle, zur Bühnenfigur mutieren. Den Reigen eröffnet „Ein Wiener Flügel“, aufgeführt 1864 im Treumann-Theater.8) Vielleicht geschrieben als Hommage nach dem Erfolg der Bösendorfer Instrumente bei der Londoner Weltausstellung 1862 ?

Im Carltheater wurde von Offenbach „Die Hanni weint, der Hansi lacht“ 1866 aufgeführt; ein griesgrämiger unwilliger Vater mit Namen Mosthuber, der für seine Tochter Hanni ganz andere Heiratspläne geschmiedet hat, sinniert ärgerlich über ein  Kompliment, das man ihm gemacht hat

 „Der Bösendorfer existiert gar nicht, //aus dem Munde eines solchen Kreuzköpfels ist  mir dieses Compliment besonders schmeichelhaft“//

bevor im Finale,  Hanni und Hansi heiraten ja doch, alle in den großen Jubel einstimmen.

Im April 1915 begeht Ludwig Bösendorfer seinen 80. Geburtstag; der Jubilar ist entsprechend seiner Gewohnheit „öffentlichkeitsscheu zu sein, wenn es um seine Person geht“  „abgetaucht“.

Unter den vielen hochtönenden, oft sehr pathetisch patriotisch formulierten Laudationes  - man befindet sich mitten in einem aus der Sicht von damals als „patriotisch“ empfundenen Krieg, gibt es auch Erfreulicheres zu lesen.

Carl Michael Ziehrer schreibt für das „Prager Tagblatt“ eine Erinnerung an eine lang zurückliegende Begegnung auf:

              Er erzählt, daß sein Verleger Haslinger  seine Geburtstage immer im großen geselligen Kreis gefeiert hat. Ort des Geschehens war das traditionsreiche Gasthaus „Zum Grünsteidl“ in den Tuchlauben:

…Ich traf um 8 Uhr abends ein. Die Gesellschaft wartete nur noch auf zwei verspätete Gäste.  Es dauerte auch nicht lange, und unter allgemeinem Jubel betraten der junge       Bösendorfer und Franz Liszt den Saal. An diesem Abend produzierten sich die damals hochbeliebten Volkssänger Nagel und Amon. Nagel besonders war berühmt             durch seine Stegreiflieder. … Kaum hatten Bösendorfer und Liszt sich niedergelassen,     als er sie auch schon aufs Korn nahm.

S’gibt nur an Bösendorfer,

s’gibt nur a Wien.

In seineKlavier

Steckt der Beethoven drin.

Bösendorfer und Liszt

San zwa sehr schöne Nam‘

Klavier macht der Ane ---

Der And’re haut’s zsamm ! 

 

Nun gibt es für öffentliche Figuren auch eiserne Spielregeln, die einzuhalten sind, man mußte – „spleens „ haben, wie man es damals nannte. Auch Bösendorfer bildete da keine Ausnahme. Die Fama der Journalisten weiß zu berichten: Er benutzte keinen Lift, er bevorzugte das Treppensteigen, ebenso ablehnend verhielt er sich gegen die Novität „Autodroschke“, der Fiaker war sein bevorzugtes Verkehrsmittel, ansonsten ging er eben zu Fuß. Autonomie war ihm besonders wichtig, er verteidigte diese ebenso beharrlich, wie leicht störrisch. Das ging so weit, daß er sich nicht einmal in den Rock helfen ließ, auch wenn es die Höflichkeit erfordert hätte. Wenn er etwas nicht wollte, dann half keine Überredungskunst; Kompromisse gab es nicht!  und auch keine Begründung, warum er etwas ablehnte, nicht wollte.

Öffentliches Aufsehen für seine private Person war ihm ein Greuel; wenn seinem Werk nicht die nötigen Anerkennung und öffentliche Wertschätzung entgegengebracht wurde, konnte  er heftig und gelegentlich auch ungerecht reagieren, wurde sehr machtbetont, wenn es um das Ansehen und die öffentliche Anerkennung seiner Firma ging.

… Seine Klaviere, das waren seine Kinder … im Leben draußen war er der Kavalier, der Grandseigneur, … der Diplomat. In der Fabrik aber war er der Familienvater,              Menschen und Objekten gegenüber; da war er groß, weil er ER selber war – weil der  ihm eingeborene Klang nicht schwieg … - der eingeborne Klang! … dieser Klang lebte  in den Tonschwingungen des allten, längst gefallenen Bösendorfersaales, dessen  vornehmer Stil, dessen reine Akustik Gnerationen entzückt hat. Und wenn Meister               Ludwig an einem Konzertabend in seiner einsamen Ecke thronte, rechts im Saal, und      ganz versunken den Klängen lauschte, die seinen Flügeln entströmten – allen sichtbar und doch einsam – ein heimlicher Kaiser -, da mochte er etwas wie eine glückliche      Genugtuung in sich fühlen …

Nach dem Tod von Henriette wurde es zunehmende einsam um ihn. Leonie, die geliebte Stieftochter, kommt hin und wieder zu Besuch, man verbringt die Sommerfrische gemeinsam in Ischl, aber Alexander Girardi hat als viel beschäftigter Schauspieler, als  Star des Wiener Theaters nur wenig Zeit für Familienleben. 


Hochverehrte gnädige Freundin,

Jedes Wort von Ihnen ist mir Belohnung, jeder Gruß ein Festtag. Und so beschließe ich dieses Jahr . Weihnacht allein, Sylvester allein, habe ich meinen Erinnerungen im         welchen Sie als einzige Künstlerin und gute Freundin zu meinen beiden Frauen eine         große Rolle spielen. In dieser Schwärmerei fühle ich mich glücklich und jung; als   Mensch und als Claviermacher, welcher die schönsten Clavierperioden aller Zeiten               mitgelebt hat. Jung bleibe ich in Gedanken der großen Pianisten, Liszt voran, und in   treuer Verehrung und Bewunderung meiner gnädigen Freundin der großen Sofie           Menter Ihr Bösendorfer

 

Das Fest zum 70-jährigen Geburtstag, zum 50. Jahrestag des Firmenjubiläums war Geschichte als sich Ludwig Bösendorfer 1909 entschloß für die immer schwieriger werdende Lage der Firma eine Lösung zu suchen. Die Verkausfzahlen der Klaviermanufakturen fielen in den Keller, denn der Markt wurde mit industriell gefertigten Billigprodukten überschwemmt; das führte dazu, daß viele Händler dazu übergingen ihre Instrumente sogar auf Ratenzahlungsbasis anzubieten, ein für dieses Gewerbe bisher unbekanntes Geschäftsgebaren

Ludwig Bösendorfer entschloß sich zu einem radikalen Schnitt: den Verkauf seiner Firma. Er war 74 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen, er fühlte sich einsam nach dem Tod seiner zweiten Frau Henriette. Viele Freunde, viele Künstler, die er einmal betreut und begleitet hatte, lebten nicht mehr. Er fühlte sich dem zunehmenden Druck dieser ihm völlig neuen unbekannten Wirtschaftswelt nicht mehr gewachsen. Aber: Der Name Bösendorfer  sollte und mußte weiterleben. Er war, wie auch seine beiden Geschwister Adolph und Marie kinderlos.

Seine Wahl für die Nachfolge fiel auf seinen langjähriger Freund, der Bankier Carl Hutterstrasser. Er hatte zwei Söhne und dies versprach Kontinuität. Kontinuität der Firma, des Namens, der Klaviere Bösendorfer. Bösendorfer schloß einen Vertrag mit der Option auf die Zukunft, den Weiterbestand der Firma wie des Markennamens Bösendorfer.

Doch damit nicht genug, 1912 flatterte die Kündigung der Gebäude in der Herrengasse 6 auf seinen Tisch; neben den Verkaufs- und Schauräumen mußte nun auch eine Wohnung gesucht werden.

Die Wohnung fand Ludwig Bösendorfer im Großen Michaelerhaus, Kohlmarkt 11. Für die Umsiedlung der Verkaufs-und Schauräume kam das Angebot von der Gesellschaft der Musikfreunde im Gebäude des Musikvereins Räume  zu mieten.

Bevor Ludwig Bösendorfer die Herrengasse endgültig verließ, alles eingepackt und abtransportiert wurde, gab er einem Journalisten Einblick in sein „Allerheiligstes“,  er führte ihn durch die Räume, die die Öffentlichkeit nie zu sehen bekommen hatte, in denen er seine Experimente durchgeführt  hatte:

… die Vergangenheit setzt ein mit 1872, da der „junge Bösendorfer“ aus der Türkenstraße fortzog [...] und die Herrengasse zu erobern begann. …Im ersten Stock , dem Saal gegenüber, hausten Ludwig Bösendorfer und Céleste              Bösendorfer. Die Wohnung war eng, …  Am Flügel in dem einzigen großen Zimmer der Bösendorferschen Wohnung spielte Liszt, spielten Bülow und Rubinstein, und da es zu wenig Sessel gab, saß das Auditorium auf dem Boden und lauschte  … Der alte Bösendorfer liebt es nicht Erinnerungen auszuhängen. Er verwahrt sie im Schrank, die Bilder und Briefe der Künstler, die Dokumente  …  seines Lebens. Im        zweiten Zimmer hängt Céleste Bösendorfer, gemalt von (Alexander?) Gol(t)z. … Ein zweites großes Zimmer kam dazu … und eine neue Herrin [Henriette von               Latinovits, Anm.d.Verf.] die der Kunst ferner stand.  … Ein Schlafsofa (statt Bett) … hier   ruhte er an seinem 60.Geburtstag „zum ersten Mal schuldenfrei“.

…Vom Raum der Gesindestube führt eine Tür in andere Räume, die halb Werkstatt,  halb Archiv sind. Im Laboratorium dieses Klangalchimisten Bösendorfer offenbart sich      … die andere Seite seines Lebens. Hier steht Material und Versuch neben dem fertigen Produkt, hier erwuchs in einsamen Stunden  … jenes wundervolle Geheimnis des   Bösendorfer-Klanges. …  Mystik hat keine Ordnung. In diesem Wirrwarr von Modellen,  Bildern, Ehrendiplomen und Andenken, in dieser „Rumpelkammer“ … steckt irgendwo  der schöpferische Gedanke, der dem Mechanismus nicht nur einen Klang, sondern im        Klang auch eine Seele gab. Das Aufrauschende, Freudige, Glänzende, der Gesang aus  der Tiefe, den der Bösendorferflügel unter der Hand eines Künstlers offenbart, sie       haben hier ihre Geburtsstätte. Geheimnisvolles, wie es in Liszts Klavierspiel umging,   versuchte hier die Brücke zu neuer Technik, zu vervollkommnetem Ausdruck. ... Eines Tages wußte der Flügel, was das Genie von ihm wollte und …  behielt den Klang. ...  „Die Rumpelkammer“ erzählt vergangene Wahrheit. Da sind … die Glasharmonika             ,… ein Urklavier, das gute 300 Jahre gesehen haben kann, zeigt die wenigen alten  schwarzen Tastenzähne … ein Teil wird in das Museum der Gesellschaft der Musikfreunde gehen, ein anderer den Weg des alten Eisens … Der alte Bösendorfer war niemals ein lauter Mann.  … Eine ehrwürdige Figur aus unsterblichen musikalischen Tagen, ragt er hinein in den Lärm und die Jagd der  wienerischen Gegenwart. Ein freier Mann, liebt er die Freiheit des Geistes und die      Ritterlichkeit der Gesinnung …Ludwig Bösendorfer schweigt zu den absonderlichsten Zeiterscheinungen … denkt sich  sein Teil und läßt die andern reden …

Kriegszeit – erst mit überbordendem Jubel begrüßt, wich die Euphorie sehr bald dem bösen Erwachen, die alltägliche Normalität wurde zunehmend von Einschränkungen, Vorschriften usw. bestimmt. Bösendorfer mußte seine geliebten Pferde an die Armee abgeben; das hat ihn möglicherweise noch schwerer getroffen als alle anderen bisher erfahrenen Verluste.

Doch Bösendorfer wäre nicht Bösendorfer gewesen, wenn er nicht nochmals einen Coup  gegen den Zeitgeist geplant und ausgeführt hätte. Seit 1908 beschäftigte er sich mit dem Gedanken, seinen „Göttern“ Rubinstein – Liszt – Bülow ein Denkmal 19) zu errichten, auf eigene Kosten. Von diesem Denkmal fehlt heute jede Spur.

In den Nachlaßpapieren kann man diesen „Traum von einer Ewigkeit  der Trias Rubinstein-Liszt –Bülow“ entdecken. Von Caroline Gomperz gibt es eine Erzählung, daß ihr das Denkmal, als er es ihr einmal ganz geheimnisvoll vorgeführt habe, überhaupt nicht gefallen habe. Dann brach der Krieg aus, es gab andere Probleme als ein Denkmal aufzustellen. Aber Ludwig Bösendorfer ließ sich davon nicht beeindrucken.  Er ergriff die Initiative; ein Rechnungsbeleg vom 18.August 1916 bestätigt den Transport und die Aufstellung des Denkmals in der Halle des Musikvereins; gemeint ist vermutlich das Eingangsfoyer.

Einem Redakteur der Neuen Freien Presse gelingt es Ludwig Bösendorfer zu motivieren aus seinen Erinnerungen an die große Trias „Liszt-Rubinstein-Bülow“ zu notieren, darüber zu erzählen, von Künstlern, die er gekannt hat:

… Nur schwer konnte ich mich entschließen, … in meinen alten, mir so lieben Musikerinnerungen zu kramen, … niederzuschreiben.  … daß ich keine Tagebücher führte, daß ich niemlas versuchte, meine Erlebnisse und Erfahrungen …              aufzuzeichnen…  ich (brauche) nur die Albums aufzuschlagen, die neben meinem     Schreibtisch in stattlicher Anzahl aufgestapelt sind, um mich wieder zurecht zu finden.            Alle Künstler, die jeamls im Bösendorfer-Saal konzertierten, haben sich in diese         Albums eingetragen. Der erste, … war Hans von Bülow. Auf der letzten Seite stehen               die Namen Arnold Rosés und seiner Quartettgenossen. … Ich wiederhole es mit        Wehmut, Künstler wie Liszt und Rubinstein sind aus der Welt verschwunden; und         verschwunden ist auch die Zeit, da solche Künstler in unserer Mitte wandelten und       einer Musikepoche unvergeßlichen glanz verliehen. Eine neu Zeit hat einen neuen               Künstlertypus hervorgebracht, und es will mir scheinen, als werde die Kunst vom  „Betrieb“ erschlagen….

 

 Nachwort

Der Imperial – in seiner ganzen beeindruckenden Größe  - steht vor mir, mit geöffnetem Flügel  und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, - ich muß das Instrument für mich entdecken, die Töne, die Klänge, seine Spielbeweglichkeit …  – vom Baß mit den schwarzen Abdeck-Tasten bis zum Diskant … und während aus dem Instrument die Töne aufsteigen,  zieht wie  in einem bunten Spiegel nochmals  das Jahrhundert „Bösendorfer“ an mir vorbei.

„Jahrhundert Bösendorfer“:  Es fängt an mit Ignaz Bösendorfer, Schöpfer des Instruments und Firmengründer, und endet mit Ludwig Bösendorfer, dem Sohn, der das Instrument zu einem Spitzenprodukt geformt, es weltläufig bekannt gemacht hat.

Ich habe in alten vergilbten Folianten geblättert, Privilegien, das nennt man heute Patente,  gelesen, Dekrete, Pränumerationen und viele andere alte Dokumente, vergilbte Briefe, Photographien, Zeitungsberichte über die beiden Bösendorfers,  die Zeit, die Zeitereignisse, die ihrer beider  Leben ganz wesentlich geprägt und bestimmt haben.

Das 19.Jh. war eine Jahrhundert vieler, tief greifender und einschneidender Umbrüche; die historischen Fakten konnte ich nur sehr summarisch andeuten, kursorisch benennen, ein sehr bewußtes Defizit, wollte ich die Zeit nicht das Biographische überwuchern lassen.

Die Skizzen zur zeithistorischen Folie waren der leichtere Teil der Reise in die Vergangenheit. Schwieriger wurde es schon mit der „Recherche du Temps Perdu“ (Proust) für die Familie Bösendorfer, für Ignaz und Ludwig. Tagebücher haben beide nicht geschrieben. Briefe von Ludwig Bösendorfer gibt es nur wenige, die Briefe an ihn sind zahlreich, teilweise auch veröffentlicht. Die historischen Bösendorfer-Instrumente, Teil derErzählung, sind die Mitspieler in dieser Geschichte; viele sind in Privatsammlungen oder in Museen anzusehen; spielen darf man sie leider nicht.

Die biographische Überlieferung ist fragmentarisch; dazu gehört auch die Zeit der Firma Ludwig Bösendorfer. Die Ursachen sind unterschiedlich, die wichtigste aus meiner Sicht: Das Bewußtsein, die eigene Vergangenheit für die Zukunft zu sammeln, vielleicht sogar manipuliert zu überliefern, ist ein Phänomen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, noch mehr des eben angebrochenen 21. Jahrhunderts. Vaniotas vanitatum!

Ludwig Bösendorfer war schon zu Lebzeiten eine Legende, das macht die Lektüre und Auswertung der zeitgenössischen Berichterstattung nicht unbedingt einfach. Das Fachlich-Sachliche mußte von der anekdotischen Verklärung befreit werden um die Fakten herauszulösen.

Ludwig Bösendorfer, eine bestimmende und auch einflußreiche Persönlichkeit des Wiener Musiklebens in der 2. Hälfte des 19.Jh.,  vermachte in seinem Testament vom April 1914 seinen persönlichen Nachlaß dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde:  

               … meine Bücher (einschließlich der Fachschriften für Instrumentenbau und Musik),              Schriften, Drucksachen, Künstlerporträts und sonstige Bilder, Diplome, Briefe und        überhaupt der Inhalt aller Kasten, das Museum und die Instrumente sowie die Kassa   samt Inhalt. …

Man sollte meinen, daraus ließe sich doch eine ausführliche biographische Darstellung schreiben; diese vermutete Fülle ist leider nicht gegeben. Als Ludwig Bösendorfer 1919 starb, war Chaos-Zeit. Der Krieg war zwar vorbei, ein neuer Staat war politisch zumindest gegründet, aber der Alltag entbehrte noch jeder Ordnung: Mangel an allem ist die Kurzfassung eines Allgemeinzustandes.  Das Testament wurde sehr bald eröffnet, aber damit endet auch die geordnete Überlieferung.


 Wien im Mai 2019


Schlußbemerkung: Um den Text nicht mit einem umfangreichen (weil erforderlich) Anmerkungsapparat zu überlasten,  wird ein link "Bösendorfer Anhang" eingerichtet.