Marianne Brandt, geb.Bischof, Sängerin

Aus Dagmar Saval Wünsche

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Vorwort

Marianne Brandt   –  eine Stimme von ungewöhnlichem Umfang, die vorgegebenen Kategorien der Stimmfächer für Verträge reihten sie ein unter „ALT“; in der gängigen Opernpraxis hieß das: Seconda Donna, ewig stand sie im Schatten der „Prima Donna“, als Mutter, Vertraute, Freundin, Verräterin, Intrigantin. Doch Marianne Brandt  fiel  „aus der Rolle“,  mit einem  Stimmumfang, vom kleine f bis zum h““  reichte, das sind etwas mehr als zwei Oktaven. Sie konnte Alt singen, sie konnte Mezzosopran singen und Koloraturpartien eben sowie dramatische Sopranpartien. Das aber war noch nicht genug: eine  außergewöhnlich gut geschulte Stimme und die hervorragende Stimmtechnik erlaubten ihr diese „Abenteuer“, auch wenn es so manchen Kritiker gab, der Details in Stimmfärbung, Klanggestaltung sich bemängeln mühte. Aber nicht nur das: sie verfügte über – so wird übereinstimmend berichtet – eine suggestive Bühnenpräsenz, darstellerisches Gestaltungsvermögen, das immer auch den oder die Partner mit einbezog.

In einer Epoche, in der vom Gesangsstar, von der zweiten Garnitur, den comprimarii nur erwartet wurde, daß sie korrekt singen, die Bühnen nach Anweisung des „Regisseurs“ entsprechend bevölkern und agieren – mehr nicht. Das Eindringen in eine Figur, sängerisch und darstellerisch, war in der zweiten Hälfte des 19.Jh. Zukunftsmusik; die Ausnahmerscheinungen wie die Schröder-Devrient oder Pauline Garcia Viardot  - sie wurden zur Legende, zu Vorbildern.

Marianne Brandt wurde kein „Star“, keine „Primadadonna mit Allüren“ wie Pauline Lucca. Sie war liebenswürdig, zurückhaltend, wußte allerdings sehr genau was sie wollte, neugierig auf zeitgenössische Musik – nur das „gewisse Etwas“ der Selbstdarstellung bedaß sie nicht und – das wurde auch von manchen Rezensenten immer wieder, diskrimierend, bemerkt: man empfand sie, ihre äußere Erscheinung als „häßlich“.  Sie sagte von sich selbst, daß sie nicht schön sei; aber was ist schon „schön“ ? dies liegt doch wohl im Auge des Bertrachters, wird von Faktoren des Zeitgeists, der Mode usw. bestimmt. Die wenigen überlieferten Photographien, die Porträtgraphiken zeigen ein sehr herbes, strenges Gesicht,  in sich verschlossen. Der Porträtzeichner könnte ja noch geschmeichelt haben, die Linse des Photographen dagegen ist unbestechlich – und die Kunst des Retouchierens steckte damals noch in den „Kinderschuhen“. 

Möglich, daß es ihre außergewöhnliche „Ausstrahlung“ als Bühnenmensch war, die irritierte;  auch ihre hohe Risikobereitschaft,   väterliches „Erbe des Kaufmanns“ ?, nicht nur Gagen-und Vertragsverhandlungen, sondern auch künstlerisch .  Sie war – im heutigen Sinne –kein Star, wenn man diesen Begriff so interpretiert, daß Selbstdarstellung die künstlerische Haltung, die musikalisc he Interpretation auf die zweite Ebene verweist; der Star als ausübende Kunstfigur muß den Vorstellungen der Massen genügen, ihnen entsprechen, tut er dies nicht, fällt er einem gnadenlosen vernichtenden Urteil zum Opfer.

Marianne Brandt hat sich ihrem Publikum verpflichtet gefühlt, so in einem undatierten Schreiben aus ihren Berliner Jahren;  nur das Publikum, dem sie sich verpflichtet fühlte, kannte zwar bereits den „Starkult“, doch der Grundhaltung fehlte der aggressive Anspruch der „Inbesitznahme“ des „angebeteten Objekts“. Ihre Verpflichtung dem Publikum gegenüber verstand sie ausschließlich als Interpretin, musikalisch wie darstellerisch. Die Rolle des Interpreten zum Komponisten war auch im ausgehenden 19.Jh. noch weitgehend eine aktiver, er war noch nicht Sklave einer „werkgetreuen“ Interpretation. Sänger oder Sängerin einer zeitgenössischen Oper, und das waren die Opern von Verdi und Wagner in der zweiten Hälfte des 19.Jh., forderten Mitgestaltung, musikalische Interpretation im Sinne des „Weiterkomponierens“. In Bezug auf Wagner – auch wenn die Eintragungen von Cosima oder die Briefe und Schriften von Wagner divergente Ansprüche formulieren- der von Wagner geforderte Sprechgesang, das Verschmelzen von Wort und Ton – stellte das sängerische wie das instrumentale Personal vor völlig neue technische wie interpretatorische Herausforderungen. Spielen und singen  war gleichzusetzen mit dem Eindringen in die kompositorischen Vorstellungen des Künstlers, sei es nun Wagner, Verdi oder Liszt. Gefordert war musikalische wie darstellerische Spontaneität. Die Basis um diesem Anspruch gerecht zu werden, war die effektive Kontrolle der Stimme, mittels einer bis ins letzte Detail ausgefeilten Technik.

Die „Zierfiguren“ der sängerischen Sprache, also z.B. Triller oder Vorhalte, enden nicht mit dem Aufkommen der wagnerischen Musiksprache; auch bei Wagner finden sich diese Elemente, wie z.B. in den „Meistersingern“, dort sind diese sängerischen Formeln Teil der Dramaturgie: David erteilt Stolzing „Unterricht“ , erklärt ihm die Anforderungen der meisterlichen „Singeschule“.

Die Beherrschung der alten Sängersprache, die Gestaltung einer neuen, noch zu erfindenden Sängersprache  - auch diese Anforderung verbirgt sich auf einer zweiten Ebene in dem Text von Marianne Brandt über ihre „Verpflichtung ihrem Publikum“. Der positive „ Nebeneffekt“ – das Singen der alten Sängersprache, das Erfinden einer neuen, hielt die Stimme agil und für lange Zeit lebendig.

So konnte sie – wie man auf der Pathéaufnahme hören kann – mühelos „trillern“ als Maffio Orsini – oder hochdramatische Partien singen wie die Brünhilden (Walküre und Götterdämmerung) neben der Fides als sie die Vierzig längst überschritten hatte. Läßt man die Rollen, die Marianne Brandt auf der Bühne gesungen hat, Revue passieren, liegt der Schwerpunkt in den späten Jahren – zeitbedingt auf den Wagner-Partien, aber sie singt ebenso Mozart (Donna Elvira) oder Meyerbeer (Selica, Fides), Rubinstein; die romantische Oper, wie Bellini oder Donizetti sind eher marginal vertreten; die romantische Oper stand  nicht mehr im Zentrum des Publikumsinteresses, gefragt waren die Novitäten der Zeit.           


Sie blieb unverheiratet, ungewöhnlich, für die Zeit in die sie hineingeboren worden war; das überlieferte schriftliche Material, der Teilnachlaß in der Wienbibliothek, die unterschiedlich großen Konvolute ihrer Briefe oder der an sie gerichteten Briefe, sind weitgehend „arbeitsbezogen“, lassen keinen Raum für Spekulationen privater Natur. Auch nicht in den überlieferten Briefen, die sie ihrer Schwester Pauline nach Wien schreibt; Pauline ist für ihre Schwester Marianne sicher mehr als nur die Sachwalterin ihrer Kostüme im Wiener Depot gewesen, doch diese Korrespondenz gibt es nicht mehr. Ebensowenig die Briefe an die Eltern, die sie während ihrer ersten Engagements und dann aus Berlin an sie gerichtet hat. Alle diese Briefe gibt es nicht mehr; wann und wer diese vernichtet hat, bleibt unbekannt.

Vielleicht noch eine „archivarische“ Anmerkung zu den überlieferten Briefen, die Marianne Brandt geschrieben hat: die meisten werden „an Unbekannt“ in den einschlägigen Verzeichnissen angegeben; inhaltlich sind diese Schriftstücke konventionell, arbeitsorientiert, aber in den Formulierungen so allgemein gehalten, daß es spekulativ wäre, den Adressaten zu definieren; auch der „Umweg“ über die Provenienz  führte zu keinem schlüssigen Resultat. Sie wurden von Autographensammlern erworben, die „Berühmtheiten“ sammelten, nur am Autograph, nicht an dessen Inhalt interessiert waren; über Auktionen kamen diese  Briefstücke in Archive und Bibliotheken zur Dokumentation der musik- oder theaterhistorischen Überlieferung.

Marianne Brandt muß eine sehr liebenswürdige, freundliche und fröhliche Persönlichkeit gewesen sein, die sehr genau wußte, was sie wollte, Selbstzweifel gab es vor allem, wenn es um ihr künstlerisches Selbstverständnis ging.

In diesem Sinn habe ich sie durch ihr Leben begleitet – als das kleine Mädchen das in einer Kirche am „Brillantengrund“ im Chor das Solo sang bis zur alten Dame, die ihre letzte Lebenszeit im Sanatorium Löw verbrachte, trotz schwerer Gebrechen immer noch „singend“ ihre Umgebung in ihre Welt, in die Musik entführte.