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Aus Dagmar Saval Wünsche

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Hermann Scherchen dirigiert Gustav Mahler

22.016 Byte hinzugefügt, 15:25, 11. Nov. 2021
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''19) Seit Scherchen 1944 als Leiter der Musikabteilung von Radio Beromünster ernannt worden war – eine Ernennung, die vonseiten der deutschschweizerischen rechtspopulistischen Presse heftig angegriffen wurde – schwelte dieser Konflikt, der dann mit dem Basler Vortrag von 1950 voll zum Ausbruch kam und zu Scherchens Entlassung aus allen öffentlichen Schweizer Ämtern führte. Scherchen war nicht der einzige, der solchen Angriffen ausgesetzt war; fast ist man versucht zu sagen, sie waren für die in die Schweiz niedergelassenen Exilanten Alltag zwischen 1933-1945.''
''20) Klemm, S. 63f.;  Manfred Krause, Das Gravesaner Studio und seine AustrahlungAusstrahlung. Erinnerungen eines Außenseiters. S. 116ff. sowie Abb. S. 114 und S. 115  In: Hermann Scherchen. Musiker 1891-1966. Berlin 1986''  '''Der DIRIGENT''' BERLIN, LEIPZIG, WIEN -  BIS 1933 '' '' ''… so lerne ich … mit wenigsten, einfachen Mitteln, künstlerisch wesentlich und kompromißlos zu arbeiten … ''''1)'' ''Die Symphonien von Gustav Mahler waren in den Jahren zwischen 1900 -1914 als „Novitäten“ heiß umkämpft, gefeiert, abgelehnt. Berlin hatte – noch zu Lebzeiten des Komponisten - viele Mahler-Aufführungen erlebt. 1905 hörte Scherchen die 3. Mahler in einem Sonntagsvormittagskonzert  2)'' ''1911: Scherchen spielte Bratsche im Berliner Philharmonischen Orchester; Oskar Fried dirigierte am 24.11.1911 die Berliner EA der VII. Symphonie.'' ''Scherchen  erinnert sich:'' ''… da war Mahler mit der gewaltigen Bekenntnismusik des ersten Satzes, den skurril selbstverlorenen zwei Nachtmusiken, dem wild verzweiflungsvollsten „Scherzo“ – und dem lauten „Amerika“-finale, voll von verheimlichter wienerischer Zärtlichkeit. Die weite Raumhaftigkeit der Mahlerschen Symphonik erschloß sich mir mühelos – nichts war zu lang, nichts zu unbedeutend, nichts zu übergewichtig an der 80 Minuten dauernden Symphonie! Sie begann zu klingen voll so unerhörter Lebensintensität, daß sie seit jenem ersten Zusammentreffen mit ihr – für immer weiter tönte in mir (trotzdem ich das Werk bis zu meiner eigenen Plattenaufnahme davon dann 45 Jahre lang nicht mehr hörte!). Frieds Arbeit machte die Aktualität Mahlers als künstlerisches Großereignis um die Jahrhundertwende voll bewußt: NIEMAND konnte sich dieser Musik entziehen im Orchester, als sie sich brennend reliefhaft realisierte. Wir ertrugen ihre mehr als einundeinviertelstündige Zeitdehnung, nein: ertrugen sie nicht, sondern LEBTEN sie in atemberaubender Hingegebenheit! War ich in Mahlers VII. zuerst jenem neuen Kunstgefühl begegnet, das den Expressionismus einzuleiten begann, so schlug mir dessen Feueratem voll entfacht aus Schönbergs Werk entgegen.  …'''' 3)'' ''Bei der UA der VIII. Mahler in München, am 12.September 1910: …'' ''und ich saß im Orchester und konnte nicht mehr spielen und zitterte bei dieser unerhörten Verdichtung von Ausdruckswollen, die diese Musik gestaltete. …'''' 4)'' ''Am 4.Februar 1914  dirigierte Scherchen öffentlich zum ersten Mal eine Mahler –Symphonie. Er wählt die V. Symphonie und dazu  - programmatisch gezielt  ausgewählt - ''von Arnold Schönberg die 1. ''Kammersymphonie.'' Nach der Probe zu diesem Konzert, schreibt Schönberg an den jungen Dirigenten, - und es ist anzunehmen, daß die kritisierten allzu schnellen Tempi auch den Mahler „trafen“: 5) ''… Ihre Tempi durchaus viel zu schnell … Sie scheinen auch in dem Irrtum befangen zu sein, Temperament heißt ‚schnell‘! Während Temperament an sich gar nichts heißt … Legen Sie diesen Irrtum ab, und musizieren Sie  mit gedämpften, verhaltenem Temperament ..'' ''Diese „Symphonie Nr. 5“ wird Hermann Scherchens ganzes Dirigentenleben „begleiten“, sie zieht sich wie Ariadne-Faden durch seine künstlerische musikalische Existenz.; er hat sie 22 mal dirigiert. Im Mai 1966 dirigierte er die V. Symphonie in Bremen; es sollte sein letztes Konzert sein, wenige Tage danach am 2.Juni 1966 ist er in Florenz gestorben.'' ''Die wenigen Zitate aus den autobiographischen Aufzeichnungen des Dirigenten erzählen von der lebenslangen Faszination, die die Mahler’sche Musik auf den Musiker ausübte, wie sie ihm den Weg öffnete zur Dirigentenlaufbahn, zum Erkennen seines didaktischen Talents.  1919 veröffentlicht er aus Anlaß eines Konzerts in dem er die III. Mahler dirigieren wird, einen Aufsatz, ''''Gustav Mahler, der Musiker-Philosoph.'' ''Scherchen versucht das Phänomen Mahler - Musiker-Philosoph und Prophet  zugleich  zu entschlüsseln; er erkennt, daß die vermeintliche musikalische „Trivialität“ der Mahler‘schen  Sprache –  Volksmusik und Volkstänze, wie z.B.Ländler – sind ihm nur Ausdrucksmittel zum Zweck – dienen dem höheren Ziel des Geistigen :'' ''… Gleichnisse haben hier den Weg zeigen sollen, unvollkommene Bilder erklären wollen, was aus der Architektonik des Werkes selbst sichtbar wird. Diese riesenhafte Formidee wäre nicht möglich gewesen, ohne den Phropheten in dem Musiker Mahler, die kühne cyklopische Rhythmik des ersten Satzes als der rein musikalische Einfall kaum niedergeschrieben worden: ein Hinweis darauf, wie durch diesen Künstler-Mischtyp auch das rein Musikalische erweitert und neu geformt werden kann. … ''' '''6)'' ''In seiner Autobiographie „Mein erstes Leben“ berichtet Scherchen außerdem von einem -fast möchte ich sagen - „expressionistischen“ Gespräch, das in einem Kaffehaus stattgefunden hat; Schönberg lebte damals in Berlin: '' ''… Was damals in der Kunsterkenntnis unter Künstlern vor sich ging, zeigt folgendes Wiener Begebnis: Gustav Mahler, mit Schönberg verabredet, trifft diesen und seine Schüler im Kaffeehaus. Sich zu ihnen setzend, beginnt er über Dostojewski zu sprechen, mit dessen neuen Charakteren und Hauptpersonen (Mörder und Dirne in „Schuld und Sühne“) die Exklusivität des geschmacklich Approbierten des Kunstwerkes sich auflöste. Von Dostojewskis Voll – und Gleichwertigkeit „ ALLER Menschenkreatur, gleich welcher Gestalt“ nahm Mahler sich das Recht, Fetzen von Soldatenliedern, vulgären Tanz –und Liebesweisen als Melodiegrundlagen in die Symphonik einzuführen! Kaum hatte Mahler geendet, so springt der junge Anton von Webern auf, hebt eifernd den Finger und ruft aus: „Ja aber wir haben den Strindberg“ dafür (das war zur Zeit, als Schönberg daran dachte, Balzacs Swedenborg-Novelle „Seraphita“ in ein Opernbuch umzuwandeln ) …''''7)'' ''Scherchen und seiner Generation galt Mahler als „Vollender“ einer musikalischen Sprach – und Ausdrucksform sowie gleichermaßen als Schöpfer eines Weges auf der Suche nach einer neuen Tonsprache – und – Form.'' ''Zeit, Kunst- und Lebensgefühl  des  jungen Scherchen sind geprägt von dem um 1910 in Berlin alles dominierenden Expressionismus  - von der Kunstszene bis zur politischen Haltung.  8)'' ''Mit Beginn seiner Dirigentenlaufbahn, so stellt es sich jedenfalls retrospektiv dar, entstand das Image – Scherchen, der „Gegentypus“ zu den Pultstars, älterer wie jüngerer Generation.'' ''Die meisten seiner Zeitgenossen, nicht nur Musiker,  beschreiben ihn als erfolgreichen Außenseiter,  insbesondere wegen seiner rigorosen Kompromißlosigkeit – nicht nur in musikalischen Dingen. '' ''Die anfänglich eingegangenen festen Engagements als Dirigent sind nur von kurzer Dauer: Leipzig 1920/22, Frankfurt 1922/24, Königsberg 1928/31. ''' '''9)'' ''Mit einer Ausnahme: Winterthur. Werner Reinhart, Schweizer Industrieller und Kunstmäzen, engagierte den jungen Dirigenten, dem längst ein hervorragender Ruf als Orchestererzieher – und leiter vorauseilte, 1922 für das Stadtorchester Winterthur. Scherchen erhielt Konditionen, die seinen künstlerischen Vorstellungen entsprachen, vor allem reizte ihn die Aufgabe das Stadtorchester, das zunächst von Musikliebhabern gestellt wurde, zu einem professionellen Klangkörper nach seinen Vorstellungen zu formen. Erst 1950 (die „Kommunistenaffäre“)wird Scherchen von dieser Position zurücktreten. 10)'' ''Scherchen lernte Th.W. Adorno, der zum Kreis von Alban Berg gehört, während seiner Frankfurter Jahre kennen; dem jungen aufstrebenden Musikerphilosophen erscheint Scherchen als der Repräsentant einer neuen, heraufkommenden Dirigentengeneration.'' ''Das in den „Musikblättern des Anbruch“ von Th.W. Adorno, 1926 veröffentlichte Porträt ist mehr als ein literarisches Porträt, es gleicht einer Analyse: '' '' „… Scherchen repräsentiert erstmals wohl nach Art und Gesinnung einen neuen Typus des Dirigenten“ … ihm sei es … „um die Wirklichkeit der Werke wahrhaft zu tun. Deren Organon ist geschichtliche Erkenntnis, aber eben nicht die zuschauerhafte des Historikers, sondern die leidenschaftliche gegenwärtig im Material geleistete, die den Stand der Wahrheit in Werken ermißt  und zu reproduzieren trachtet (…) Die Idee der konstruktiven Erhellung der Werke leitet ihn, er folgt ihr besonnen und bleibt des Restes von Unerhellbaren, in Konstruktion nicht aufgehenden gedenk, der in jedem Werk lagert.“ 11)'' Die real-musikpraktische Darstellung verfaßte Paul Stefan; insbesondere unterstreicht Stefan das große Talent von Scherchen, binnen kurzem aus  „bunt zusammengewürfelten“ Musikern, ganz unterschiedlicher Herkunft und Schule ein eingespieltes Orchester, einen Klangkörper zu formen: ''…  er hat, vom Radio abgesehen, offiziell recht wenig Förderung erfahren. Umsomehr haben seine Freunde getan: ein Orchester von nichts weniger als Dilettanten steht ihm in freiwilligem Dienst zur Verfügung … '' ''In diesen Konzerten wurden aufgeführt, Krenek, 1. Symphonie, das zweite Mal der langsame Satz aus Mahlers nachgelassener Zehnter …'' ''Daß sich Scherchen überall da als geradezu unheimlich disponierender und mit äußerster Deutlichkeit interpretierender Dirigent erwies, dabei keineswegs lehrhaft, sondern von einer inneren Bewegtheit, die sein Erlebnis jedesmal unfehlbar auf die Hörer übertrug, war trotz allem nicht so sehr das Wunder dieser Aufführungen. Wunderbar war vielmehr, was der Dirigent in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit, oft nur in wenigen Stunden aus dem Orchester gemacht hatte, das ja nicht etwa „eingespielt“ war … Man hat selten, und bei den besten Berufsorchestern einen solchen Zusammenklang, eine solche Einheitlichkeit der Leistung, einen solchen Elan feststellen können … ''12'')'' ''Eine späte Würdigung des Dirigenten schreibt der Mahler-Forscher Henry –Louis de la Grange in Diapason 2003 anläßlich der CD -Veröffentlichung der III. Symphonie, eines Mitschnitts einer Aufführung 1960 in Leipzig (vgl. Diskographie) durch  TAHRA:'' ''… Hermann Scherchen n‘a pas seulement compté parmi les plus grands chefs de sa géneration, il a été de surcroît un admirable interprète de Mahler. Après plusieurs disques pirates qui ne lui faisaient pas honneur, le voici enfin avec cette  splendide Troisième qui prend place d’emblée dans le peloton de tête des versions disponibles … ''''13)'' Um diese kleine Dokumentation zur Dirigentenpersönlichkeit Scherchen abzurunden, darf die Stimme des Orchesters nicht fehlen. Diese Stimmen sind allerdings zwiespältig: Ablehnend, wenig freundlich die einen, andere berichten weitgehend übereinstimmend, daß die Orchester-Proben unter ihm ein Erlebnis gewesen wären. Kein anderer konnte Tempi, Rückungen usw. so gut erklären wie er, das Durchspielen eines Stückes während einer Probe ergab einmalige Interpretationserfahrungen. Nur dann -  am Abend der Aufführung im Konzertsaal, Scherchen im Frack, da geschah – nicht immer, aber eben doch - etwas Merkwürdiges: plötzlich war alles anders, das Probierte verflachte bis zur rein technischen Wiedergabe. Harry Goldschmidt, als junger Musiker bei Scherchen in Königsberg an der ORAG, versuchte dieses Phänomen zu erklären. Anlaß war das  Symposium, das der DDR-Rundfunk im Juni 1986 organisiert hatte . ''… Sobald er den Frack anziehen mußte, fühlte er sich beengt. Denn er war ein Mann, der mit seinen Musikern arbeitete, und die Arbeitsatmosphäre war die Voraussetzung für höchste künstlerische Norm und ihre Erfüllung. … ''14'')'' ''Er war Teil der sich immer mehr erweiternden Mahler-Rezeption in den 20er und 30er Jahren.'' ''… die Besonderheiten der Durchsetzung Mahlers … Neben den Kürzungen, die mit der Begründung einer einfacheren Verbreitung vorgenommen wurden, zeigte sich, daß berühmte Dirigenten wie Nikisch, Walter, Horenstein, Furtwängler, Klemperer, Mengelberg, Scherchen und Pringsheim bis zu Beginn der 20er Jahre auch durch die Auswahl der Werke traditionelle Aspekte in den Vordergrund rückten … Hinsichtlich der Merkmale der Interpretation lassen sich für die Jahre bis 1930 lediglich Vermutungen anstellen, da die für die Interpretation wichtigen Tonaufnahmen mit Werken Mahlers erst vereinzelt Anfang der 30er Jahre entstanden sind. Die erste Tonaufzeichnung liegt mit Oskar Frieds Einspielung der II. aus dem Jahr 1924 vor … ''''15)'' ''In dem zitierten Text von Metzger, Mahler-Rezeption gibt es zwei Stichworte, die ich herausgreifen möchte. '' ''Programmplanung: die übliche Programmplanung setzte wenig zeitgenössische Musik ein, der Schwerpunkt war Beethoven, viel Klassik und Romantik. Leidglich Richard Strauss als zeitgenössischer Musiker genoß die Gunst des Publikums. Welche Rolle bei der Programmplanung die Musikverlage sowie die Konzertagenturen  dabei spielten, wäre ein interessanter Nebenschauplatz. '' ''Scherchen plante seine Programme „modern“, strukturiert:'' ''… Vier Absichten bestimmten das Gesamtbild meiner Programme von 1922-24: Das Bewußtmachen des die Zeit aufwühlenden Werkes Gustav Mahlers (IX., III., II. Symphonie), das Heranführen des sie neu befruchtetenden Geists Arnold Schönbergs, die Erweckung der sie vorbereitenden musikschöpferischen Feinstkraft im Werk Max Regers, und die Aufzeigung der vorgereiften Großwerke Richard Strauss`schen Komponierens … ''16'')'' Der zweite Punkt ist das Thema: Kürzungen. Bis weit in die erste Hälfte des 20.Jh. hinein war es durchaus üblich an den klassischen, romantischen aber auch an zeitgenössischen Werken Striche, Instrumentationsveränderungen zu setzen. Es ist der Dirigent Arturo Toscanini, der damit beginnt den Originaltext einer Komposition zum Maß einer musikalischen Aufführung zu machen, der Texttreue rigoros einforderte. Noch nach 1945 blieb Hermann Scherchen bei seiner Gewohnheit –Striche, Änderungen am musikalischen Text vorzunehmen, eine Tatsache, die viel kritisiert wurde. Das Problem dieser Einstellung zu einer Komposition, für die Scherchen kompromisslos eintrat, Striche, Veränderungen an der Instrumentation vorzunehmen, ist  bei einer historisch-kritischen Beschreibung des Dirigenten Scherchen nicht leicht zu erläutern. Für die Striche, mit denen Scherchen nach 1945 weiter arbeitete, fehlt – von seiner Seite – für die Instrumentalmusik jede Begründung, wenn es denn überhaupt eine gäbe. Bleibt die Spekulation. Einerseits vertritt er die Position der „punktgenauen“ (pointiert formuliert) Wiedergabe der musikalischen Textur, wie er es z.B. in seinem Aufsatz die „Kunst des Dirigierens“ verlangt. 17) Dann wiederum fordert Scherchen rigorose Striche, vor allem wenn er Oper dirigiert und erklärt seine „Strichfreudigkeit“  mit musikalisch- dramaturgischer Notwendigkeit „ ''wir leben nicht mehr im Zeitalter der Postkutsche''“ 18). Bei symphonischen Werken hingegen besteht dazu keinerlei Notwendigkeit, dieses Argument sticht nicht. Wenn es – wie bei Platteneinspielungen – keine ökonomischen Zwänge waren, - was bewog ihn dann dazu – zu streichen? Diese Frage bleibt ungeklärt, es gibt dazu keine wie auch immer geartete,  auch keine  schriftliche Aussage des Musikers. (Zumindest wurde diese bis jetzt nicht gefunden.) Aber vielleicht war es sein absolut subjektives Empfinden wie er die musikalische Erzählung am besten zum Klingen, als Hörerlebnis erfahrbar machen könne, die ihn zu diesen Eingriffen „verführten“. Nur bei tatsächlich zeitgenössische Musik unterblieb die „Lust am Streichen“. Im Nachlaß sind zu den Mahler-Symphonien bis auf die VIII. und das Adagio aus der X. keine eingestrichenen Partituren überliefert, um so nachzulesen, was ihn zu den Strichen bewogen haben mag. Die Rezensionen, aus welchen Jahren auch immer, vor 1933/38 oder nach 1945 geben keinen Anhaltspunkt, keine Hinweise  über Striche oder sonstige Veränderungen; nur die Tonaufnahmen belegen dies. 19) Scherchens Interpretationsästhetik – nicht nur für die Rundfunkaufnahmen – zielte auf Deutlichkeit, Klarheit, absolut Transparenz im Klanglichen, Differenzierung der Stimmen – richtete sich gegen den „verschwommenen, süffigen, romantischen“ Wohlklang, gegen den „Hall“ der traditionellen Konzertsäle; Kompromisse für Auftritte in den traditionellen Sälen wurden durch Umstellungen des Orchesters versucht um seine Klangvorstellungen möglichst optimal umzusetzen. 20)     Anmerkungen  ''1)Klemm, S. 169, Lucchesi, S. 16  '' ''Scherchen in seinem Bericht aus den Jahren seiner russischen Gefangenschaft; Spiegelbild der Erfahrungen seiner täglichen Realität als Musiker, Lehrer und Überlebenskünstler in Zeiten des Mangels. Es wird zu seinem Arbeitsmotto.'' ''2) Lucchesi, S. 154: Scherchen, Mein erstes Leben:… ich höre an einem Sonntagvormittag die III. Symphonie von Mahler .. '' ''3) Lucchesi, S. 161f.'' ''Oskar Fried (1871 -1941), Dirigent und Komponist'' ''Berliner Philharmonisches Orchester'' ''4) Scherchen war als Bratschist von 1907 - 1912 im Berliner Philharmonischen Orchester engagiert; 1918 spielt er nach der Rückkehr aus der russischen Gefangenschaft wieder im Berliner Philharmonischen Orchester.'' 5) In: Arnold Schönberg, Briefe. Ausgew.u.hg.v.Erwin Stein. Mainz 1958, S. 44 ''6) Freie Deutsche Bühne, Berlin 1919/20, 1. Jg., H. 1, S. 446 ff. '' ''Die Zeitschrift „Freie Deutsche Bühne“ gehört wie der „Sturm“, die „Aktion“ zu den vielen Zeitschriften des Expressionismus. '' ''7) Lucchesi, S. 162.'' ''Scherchen schrieb seine autobiographischen Aufzeichnungen um 1960. Das inhaltlich Wesentliche daran sind die Überlegungen zu den musikalischen Bausteinen Mahlers.  '' ''8) Die Wurzeln des „Expressionismus“ sind vielschichtig; Nietzsche steht am Beginn dieser Kunstepoche; die „O Mensch“ – „Schrei in die Welt“ – Attitüde, wurde wie ein Etikett dem Expressionismus „aufgeklebt“, trifft das Wesentliche – bedeutet: Revolte. '' ''Man findet nur selten in den Schriften Scherchens konkrete Bezüge zur Kunstentwicklung seiner Zeit; dagegen finden sich in seiner Sprache viele zeittypische Ausdrucksformen, auch in privaten Äußerungen - wie z.B.  Übersteigerung des Ausdrucks, bis hin zur Atemlosigkeit, Verkürzungen  … Merkmale des/r (Sprache) Expressionismus.'' ''9) Leipzig, Grotrian Steinweg-Orchester, Chorleitungen usw., mit Mahler – Vorträgen, von denen allerdings nur noch die Ankündigungen und Rezensionen vorhanden sind.'' # a. Thomas Schinköth, Hermann Scherchen in Leipzig 1920 – 1930 In : Das Orchester, Nr. 7-8, 1996, S. 11 ''10) Winterthur:'' ''Das Stadtorchester wurde 1875 gegründet, den Vertrag schloß Scherchen mit dem Musikkollegium Winterthur (gegr. 1629).'' ''Die Verbindung zu Werner Reinhart und Winterthur hat Ernst Georg Wolff (1883-1962), Schweizer Komponist und Schönberg-Schüler, 1912, hergestellt. Wolff war ein Jugendfreund von Werner Reinhart; in einem Brief vom 4.4.1916 an Reinhart erzählt Wolff, daß Scherchen, der in der russischen Gefangenschaft Briefe erhalten konnte und sich selbst finanzieren mußte(!) für sein Überleben dringen 300 Mark benötige; die könnten ihm über Wien nach Wjatka geschickt werden. In einem späteren Brief berichtet Wolff auch davon, daß Scherchen komponiere und Musikunterricht erteile.'' ''Zit. nach Lucchesi, S. 255, Anmerkung 5'' Vgl. Anmerkung 19, Scherchen-Biographie ''11) Th.W.Adorno, Drei Dirigenten, Musikblätter des Anbruch, Wien 1926, H. 7, '' # '' 315ff.'' ''Es werden drei völlig unterschiedliche Musikerpersönlichkeiten analysiert: als Rettung: Wilhelm Furtwängler, als quasi statische Darstellung: Hermann Scherchen, als visionäre Beschwörung: Anton Webern.'' ''Adorno  hatte an der Frankfurter Universität u.a.auch Musikwissenschaft studiert, und sich 1924 dem Kreis der Zweiten Wiener Schule angeschlossen. '' ''Bekanntschaft mit Alban Berg anläßlich der UA der „Drei Bruchstücke für Gesang und Orchester aus Wozzeck“ in Frankfurt/M., 15.6.1924, Scherchen dirigierte die UA.'' ''Das eher außermusikalische Porträt von Elias Canetti  nachzulesen in:'' ''Elias Canetti, Das Augenspiel, München, Wien, 1985, S. 49 f.'' 12 )Paul Stefan, eigentlich Paul Stefan Grünfeld (1879 – 1943), Musikkritiker und Musikschriftsteller, Zit. „Musikblättern des Anbruch“, Oktober 1932, H. 8, S. 184f. und Fragment im Nachl. HSCH Nr.391 ''13) Henry-Louis La Grange (1924 -, lebt in Paris), Musikwissenschaftler, Mahlerbiograph'' ''Zit. : Bouclet TAHRA 497/498, 2003: 3. Symphonie und 10. Symphonie, Adagio, Leipzig 1960'' 14) Harry Goldschmidt (1910-1986), Musikwissenschaftler In: Festschrift Goldschmidt, S. 397 ''15 '''') Lt. Metzger, S.238 '' 16) Lucchesi, S. 190. Frankfurt, 23.3.1923: Scherchen dirigierte die Symphonie Nr.3, d-moll von Gustav Mahler in den Museums-Konzerten 17) Lucchesi, S. 225ff.: Die Kunst des Dirigierens 18) Der „Idomeneo“ wurde auf 1 ½ Stunden reduziert ! vgl. den Vortrag von Scherchen auf der Tagung des ITI, Berlin, 11.12.1962: Dramaturgie und Regie der Oper, publiziert in: Hermann Scherchen. Musiker. 1891-1966., s. 103f.  19 ) Einschränkend nur für Konzerte,  denn bei Plattenaufnahmen ist bekannt, daß es sich dabei um technische/ökonomische Zwänge handelte  20) Scherchens ästhetische Akustikvorstellungen haben ihre Wurzeln in seiner Beschäftigung mit dem „Vater“ der Akustik, dem Physiker Joseph Sauveur (1653-1716). In „Die Kunst des Dirigierens“ spricht sich Scherchen für eine umfassende und tiefgreifende Kenntnis der Partitur aus, die auch in aufführungspraktische Details reicht, … ''besitzt der Interpret eine vollkommene Technik, so ist die erste Bedingung zur Klangwerdung des vom Komponisten angestrebten Klangleibes gegeben. Er muß aber mehr sein: ein wirklicher Reproduzent des durch ihn überhaupt erst erklingenden Kunstwerkes, ein Künstler, dessen eigenschöpferische Spannweite es erlaubt, mit der Idee identisch zu werden.'' …  Zit. Lucchesi, S. 225 f.?  
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