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Aus Dagmar Saval Wünsche

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Hermann Scherchen dirigiert Gustav Mahler

6.654 Byte hinzugefügt, 12:19, 14. Nov. 2021
keine Bearbeitungszusammenfassung
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'''''SCHERCHEN DIRIGIERT MAHLER in WIEN  - NACH 194''''''5'''''
 Glaubt man der Kritik, dann verfolgte Scherchen einen kontinuierlichen, klaren Dirigierstil, sein ästhetisches Klangideal läßt sich vielleicht am besten so zusammenfassen: kühle Transparenz in der technischen Wiedergabe, Präzision im metrisch-rhythmischen und als herausragendes Merkmal – speziell bei Mahler - das Nichtglätten komplexer musikalischer Vorgänge, Sequenzen und Phrasen (im Gegensatz zu Bruno Walter, der zur „Harmonisierung“ der Extreme neigte, was auch von der Kritik bescheinigt wird). Die (scheinbar) disharmonischen Teile bleiben unverändert stehen, sind als Ausdrucksmittel zu verstehen, werden mitunter besonders unterstrichen.
 
Diese Tendenz des Dirigenten (für die damals noch konservativ, eher harmonisch geschulten Ohren) das Widersprüchliche der musikalischen Sprache Mahlers hörbar zu machen, hat sicher ihre Wurzeln in der seit seiner Jugend andauernden Auseinandersetzung und Beschäftigung mit der Musik der Zeitgenossen, besonders mit Schönberg, Berg, Webern.
 
Mit der Etablierung des Dritten Reichs erfährt die Karriere des Musikers Scherchen eine Zäsur. Ein Schicksal und eine Erfahrung, die er mit vielen anderen teilte; als dann der Krieg zu Ende war, erlebte Scherchen ähnliches wie viele andere auch, die sich unvermutet einer geringeren Wertschätzung ausgesetzt sahen, als sie ihnen eigentlich zukam.     
 
Die Zäsur 1933 – 1945 (in jeder Beziehung), die durch die Herrschaft der Nationalsozialisten entstanden war, findet sich spiegelbildlich in der Publikumstruktur, seiner Reaktion – und der – Rezeption durch die Kritik wieder. Das wird sich erst Anfang der 60er Jahre zögernd, langsam ändern mit einer neuen Generation von Hörern, Kritikern usw.
 
<span style="color: #0000ff;">''… das Publikum, von dem die Rezeption Mahler’scher Musik in den zwanziger und dreißiger Jahren getragen worden war, hatte zu keinem geringen Teil aus Menschen jüdischer Herkunft bestanden – sie wurden nach 1938 vernichtet oder vertrieben. Nur wenige kehrten nach 1945 zurück.  Das Konzertpublikum aber, das aus dem Dritten Reich hervorgegangen war, stand den Symphonien Mahlers nach wie vor ablehnend gegenüber. Die Schallplattenindustrie förderte Mahler ebenfalls nicht – für sie bedeuteten zu diesem Zeitpunkt Produktionen eines symphonischen Werkes ein erhebliches finanzielles Risiko. … ''29)</span>
 
Hermann Scherchen hat nach Kriegsende in Wien nur noch zweimal Mahler dirigiert: Am 15. April und am 13. Juni 1951 dirigiert Scherchen die VIII. Symphonie, im 13. Juni 1956 die IX. Symphonie.
 
Scherchens Mahlerkonzerte nach 1945 treffen auf dieselben Probleme der Beurteilung wie vor 1933/38; immer noch  herrschen Unverständnis oder Mißverständnis, daß die Musik Mahlers spätromantisch, Epoche abschließend sei, quasi eine Art Resumé aus Beethoven, Schubert, Bruckner  - wenn nicht noch bösartigere Kommentare ausgesprochen werden. Man könnte als Argument einbringen es fehle noch die Erkenntnis, daß in den Kompositionen Mahlers, seine musikalische Sprache vieles von den Entwicklungen aus dem frühen 20. Jh. vorwegnimmt, „geheime“ Verbindungen zur musikalischen Avantgarde der Zweiten Wiener Schule „unterhält“ (zit. nach Scheit/Svoboda, S. 224). Es gibt eine Ausnahme, sie wird etwas weiter unten zitiert.
 
Im April 1951 kehrte Scherchen nach Wien zurück um die VIII. Mahler zu dirigieren:
 
Dazu schreibt Kurt Blaukopf:
 
'' <span style="color: #0000ff;">„Hermann Scherchens künstlerische Leistung sollte geeignet sein, in Wien eine epochale Wendung einzuleiten: die Besinnung auf den größten österreichischen Sinfoniker des 20. Jahrhunderts.“ </span>''
 
Die Forderung, der Wunsch von Kurt Blaukopf verhallte ungehört. Scherchen dirigierte zwar wieder mehrmals in Wien, aber keine Mahler-Symphonien – Programme u.a. mit Bach, Brahms, Schönberg. Erst am 13.Juni 1956, - im Mozart-Jahr -, stand wieder Mahler auf seinem Konzertprogramm.
 
Er dirigierte die 9. Symphonie. Die Programmzusammensetzung   ist– vorsichtig formuliert – auch wegen der Reihenfolge und der zeitlichen Ausdehnung  - etwas merkwürdig: Scherchen begann mit Mahler, IX. Symphonie, es folgte nach der Pause: Mozart: c-moll Klavierkonzert  KV 491, gespielt von Clara Haskil sowie Zoltan Kodaly: Harry Janos-Suite.
 
Die Kritiken zu diesem Konzert sind höflich bis positiv, aber doch bei aller Anerkennung für die Dirigierleistung von Scherchen, der hohen Interpretationskunst von Clara Haskil etwas irritiert, ausgehend von der Programmzusammenstellung.
 
Der Inhalt wie die Wortwahl  der Kritiken zu beiden Mahler- Konzerten, dirigiert von Scherchen, unterscheidet sich, auch wenn es eine andere, zum Teil sogar jüngere Generation an Rezensenten ist, eigentlich nur wenig von den Rezensionen der Vorkriegszeit, vielleicht sind sie sogar noch um einiges weniger präzise: z. B. zur 9. Symphonie  heißt es u.a.
 
<span style="color: #0000ff;">'' … mit sorgsamer Herausarbeitung (durch den Dirigenten, Anm.d.A.)aller Einzelzüge und tiefem, liebevollen Verständnis für die letzten Klangvisionen  des großen Meisters … (Arbeiterzeitung, 17.6.1956). Sic!''</span>
 
Eine einzige Rezension erkennt klarsichtig – man möchte sagen endlich (!)– die unsichtbaren Fäden, die Mahlers Musik mit der Neuen Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts verknüpft und der, der diese Fäden erkannt und bloßgelegt habe, sei Scherchen:
 
Im Abend,  15.Juni 1956, schreibt Karl Heinz Füssl unter dem Titel „''Quelle des Neuen''“:
 
<span style="color: #0000ff;">''… Es ist Musik, die einmal in der eines Alban Berg und Arnold Schönberg, ein andermal in der eines Dimitri Schostakowitsch ihre Nachfolge erlebt, der große Auftakt zur neuen Kunst von Weltgeltung. Die neue Musik fließt aus vielen Quellen. Die vielleicht reichste, schönste, ist die Musik Gustav Mahlers.''</span>
 
<span style="color: #0000ff;">''Die Wiener Symphoniker sind dafür das denkbar geeignetste Instrument, Hermann Scherchen ist ganz jener Dirigent, der große Musik braucht: ein Kunstbesessener ohne Eitelkeiten …''</span>
 
Retrospektiv möchte ich zusammenfassen. Die Ausstellung „''Hermann Scherchen, Musiker“'' in der Akademie der Künste 1986 30) war der Versuch einer ersten behutsamen Annäherung an den Menschen und den Dirigenten Hermann Scherchen, sollte der Öffentlichkeit einen lange vergessenen Künstler, der – in der Diktion des 21.Jh. ein „Multitalent“ war – und schon zu Lebzeiten aus allen Schemata herausfiel.
 
 
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'''SCHLUSSBEMERKUNG'''
Meine, zugegeben, sehr kursorische Dokumentation und Darstellung des Dirigenten Scherchen,&nbsp; denn das Gesagte gilt selbstverständlich auch für seine Mahlerinterpretation, versucht herauszukristallisieren, wo seine Stärken lagen, was seine „Schwächen“ waren. Wesentlich aber bleibt: Scherchen wollte nicht nur Musik aufführen, er wollte Menschen, seine Hörer, ob im Konzertsaal, am Radio in das Wesen der Musik hineinführen. Dafür setzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten ein: Vorträge, Einführungen, Schriften, Arbeitstagungen – und als Summe aller seiner Intentionen - Konzerte. &nbsp;Mit den Worten von Jens Malte Fischer möchte ich diese Annäherung an „Scherchen dirigiert Mahler“ schließen:&nbsp;
<span style="color: #0000ff;">&nbsp;''… Hermann Scherchen, …, hat bis auf die Sechste 2)alle Symphonien irgendwann eingespielt oder mitschneiden lassen, … . Scherchens Mahler verblüfft durch energisch durchgepeitschte&nbsp; Muskolosität, da rutscht nichts in Harmlosigkeit oder Nettigkeit ab, da ist alles tiefernst, stürmisch (mit teilweise allzu rasanten Tempi) und emphatisch: Wo jedoch Zeit zum Atmen und Ausschwingen sein müßte, da vergewaltigt Scherchen Mahlers Musik durch seinen grimmigen Ausdruckswillen.&nbsp; …&nbsp; als eine extreme Lesart immer aufregend. …''</span>
<span style="color: #0000ff;">''&nbsp;''</span>
''1)''''Hermann Scherchen, Das „zweite Leben“ ''in Briefen, ausgew. und eingel. von Dagmar Wünsche. In: Hermann Scherchen, Musiker. 1891 -1966, Berlin 1986, S. 125ff.
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'''DANKSAGUNG'''