Arthur Kahane. Schriftsteller und Dramaturg

Aus Dagmar Saval Wünsche

Version vom 23. Februar 2022, 10:51 Uhr von Dagmarsaval (Diskussion | Beiträge) (Keine Zusammenfassung)

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Nicht nur Dramaturg … Arthur Kahane, Schriftsteller, eine Spurensuche

Immer wieder blättere ich im „Tagebuch des Dramaturgen“, im Buch „Theater. Aus dem Tagebuch des Theatermannes“, lese den einen oder anderen Text nochmals, dann beide Titel erneut von vorne nach hinten und umgekehrt – und finde hinter dem geschriebenen Text die Spuren, die mich zur Person und Persönlichkeit des Schriftstellers Arthur Kahane führen. 

Die offizielle Funktion an den Berliner Reinhardt-Bühnen: Arthur Kahane war Dramaturg und Direktionsassistent. Dramaturg blieb er, bis er 1932 starb, wann er tatsächlich den Aufgabenbereich Direktionsassistent abgegeben hat, ist nicht exakt – mit einem Dokument – belegbar; der Rückzug von Max Reinhardt von der Direktionstätigkeit, seine Rückkehr nach Wien, die Salzburger Ambitionen haben auch die Personalsituation in den verschiedenen Organisationsabteilungen der Berliner Reinhardt-Bühnen grundlegend geändert. – Bühnenjahrbücher sind im allgemeinen sehr verläßliche Quellen, aber nicht immer das exakte Spiegelbild des Innenlebens eines Theaters.

Diese Tätigkeit als Dramaturg ist immer schon Teil der umfangreichen Reinhardtbibliographie gewesen, ist es noch, eine eigenständige Bibliographie des Schriftstellers Kahane gibt es – noch – nicht; ebenso wenig existiert eine etwas ausführlichere Biographie, dafür zahlreiche Lexika-Artikel, mit nahezu übereinstimmenden Inhalten, unterschiedlich nur die Erscheinungsdaten.

Wer aber verbirgt sich hinter dieser Chiffre „Arthur Kahane, Dramaturg, 1872 -1932“  - wie man ihn immer wieder genannt findet?

Es machte mich sehr neugierig, warum ein künstlerisch tätiger Mensch zum Schatten wurde?  Mit dem „Mut zur Lücke“ (Cécile Lowenthal-Hensel), die auch sein Nachleben mit einbezieht, bestimmt von der Geschichte des 3.Reichs, habe ich versucht ein Leben, ein Werk wieder aus den Untiefen des Verschwundenseins lebendig werden zu lassen.



VON JASSY ÜBER WIEN NACH BERLIN   - BIOGRAPHISCHE FRAGMENTE

 

Ich glaube nicht, daß ich meine erste Begegnung mit Max Reinhardt so schnell vergessen werde,  … . Meine erste Begegnung mit Reinhardt war natürlich nicht meine e r s t e  Begegnung mit ihm. Ich hatte ihn bereits einige Jahre vorher auf der Vierten Galerie des Wiener Burgtheaters kennen gelernt.  … Ich … begegnete ihm zum zweiten und zum dritten Male wieder in … Wien, wohin er mit einigen, den jüngeren Kollegen des Brahm-Ensemble in ersten direktorialen Regungen, selbständige Gastspielabstecher unternahm. … Es war im Spätsommer des Jahres 1902. Wir saßen im Café Monopol, an dem langen zu folgen. … Das Kaffeehaus existiert schon lange nicht mehr, aber der Winkel und der Tisch leben in meiner Erinnerung … Reinhardt sagte mir, daß er für seine Pläne einen Dramaturgen suche …  1)

 

Das Café Monopol an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, war um die Jahrhundertwende der Künstlertreffpunkt und Jobbörse zugleich. Warum der junge Schriftsteller Arthur Kahane von Wien nach Berlin gegangen ist, wir wissen es nicht. Er hatte um 1899 in einem soeben gegründeten Verlag, dem „Wiener Verlag“ die Leitung der literarischen Abteilung übernommen,  war intensiv damit beschäftigt diese aufzubauen.

Vielleicht war es tatsächlich so, wie sein jüngster Sohn, Ariel Kahane  in seinem „Pro Memoria“,  anläßlich des 100. Geburtstags seinen Vaters, 1972 beschreibt:


   … Diese Jugend in Wien und in einem wohlhabenden Haus … formte den Menschen        und unterschied ihn von den meisten seiner Sphäre, für welche das Theaterleben nicht nur Sendung, sondern auch ängstlich gewahrter Aufstieg war. Sie gab ihm die ererbte menschliche Sicherheit in Dingen der Kultur und Gesellschaft, Begriffe, die im traditionellsten Sinn damals noch dominierten, und bewahrte ihn vor jedem Snobismus. Sie bildete aber auch den Boden für eine romantische Leichtlebigkeit unter Umgehung einer Auseinandersetzung mit den existentiellen Fragen des persönlichen Seins. Das blieb nicht ohne Komplikationen für sein Dasein, indem er selber nie in den Besitz des elterlichen Wohlstandes kam und damit doch die Härte des Künstlerlebens erfahren mußte, der damals sogar die Angesehenen unter ihnen unterworfen waren, eine Härte, die ihn unvorbereitet traf.

Im damaligen Österreich, vor der Jahrhundertwende, dominierte für den Jugendlichen   aus einem liberalen traditionellen jüdischen Haus das Problem des Eintritts in die große Welt. Kahane begann seinen Weg mit der Literaturgeschichte, begleitet von einer idealistischen Aktivität im aufkommenden Sozialismus – im Gegensatz zu der anderen Möglichkeit, nämlich des Anschlusses an die vorherrschende österreichische katholische Welt. Seiner Natur nach war er mehr österreichischer Kulturtraditionalist als Sozialist … Sein romantischer Stolz war es, immer vornan zu sein im „Modernen“ … und er war Anarchist, Studentenrevolutionär, Arbeiterbildner . … 2)


Diese sehr persönliche Erinnerung an seinen Vater Arthur Kahane zeichnet ein sehr eindrucksvolles Bild von der Atmosphäre sowie der Stimmung, die das kulturelle und politische Klima in der k.u.k. Residenzstadt Wien bestimmte. Trotzdem: Ich muß mich – um den Rahmen nicht über Gebühr auszuweiten - mit einer  sehr kursorischen Schilderung der vorherrschenden politischen, kulturellen Tendenzen in Wien in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begnügen. Wien ist die Haupt- und Residenz-Stadt eines 51 Millionen Menschen umfassenden Staatengebildes, das zahlreiche Völker und Nationen unter seiner Herrschaft zusammenfaßt.

Der politische Liberalismus sowie der schrankenlos agierende wirtschaftliche Liberalismus, der jedes soziale Engagement,  wie etwa Verantwortung der arbeitenden Bevölkerung gegenüber vermissen ließ, war der „Nährboden“ für die entstehenden sehr radikalen Protestbewegungen, von ganz rechts bis ganz links.

Das Wiedererstarken eines Antisemitismus, der nicht mehr nur religiös, sondern seit der Publikation von Arthur de Gobineau „ Essai sur l’inégalité des races humaines, 1853-1855“ von Politikern und Theoretikern im Deutschen Reich wie auch in der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn zunehmend rassisch, rassistisch-völkisch, vorrangig deutschnational, orientiert  war, zog immer mehr gesellschaftspolitische Diffamierungskampagnen nach sich.

Die Bewegung der Anarchisten, entstanden aus einer ursprünglichen studentischen Protesthaltung mit der jeder Jugend innewohnenden Motto: „Die Jugend probt den Aufstand gegen das Alte“ wuchs zu einer politisch orientierten Bewegung, die sich  gegen jegliches hierarchisches Ordnungsprinzip richtete. Gegen Ende des 19.Jh. verstärkte sich der Zulauf zu den anarchischen Gruppierungen, die gegen die verkrusteten Herrschaftsstrukturen immer stärker opponierten. Die „Anarchistenbewegung“ ist keine einheitliche Partei, sie hat ebenso viele Facetten, wie es Gruppierungen unter dem Dach des Begriffs “Anarchie“ gibt. 

Der Student Arthur Kahane, wie viele seiner Generation, engagierte sich gegen die soziale Ungerechtigkeit der Zeit; er wurde – wie viele, die gegen die herrschende Ordnung opponierten, als Anarchist von den Behörden eingestuft, observiert; zunächst von der k.k. Polizeidirektion in Wien, später dann in Berlin von der dortigen Polizei. Der autoritäre „Wilhelminismus“ schätzte andersdenkende Bürger nicht besonders. Diese Einschätzung  traf nicht nur Neuankömmlinge in Berlin wie eben Arthur Kahane, sondern traf auch erfolgreiche, stadtbekannte Bürger, wie z.B. den Kunsthändler Paul Cassirer. 

Kahane war ein begeisterter Anhänger der Ideen, die die Französische Revolution 1789 - „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ - propagiert hatte; das galt in der erstarrten bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19.Jh. als Anarchie. Diese Ideen, entwickelt aus den Ideen der Französischen Revolution bildeten die Keimzelle, die man kurz so beschreiben kann: freies Denken, verbunden mit der Forderung nach einer „Neue Gesellschaft“, mit einem „Neuen Menschen“. Das bedeutet – sehr plakativ und sehr pauschal formuliert: Dieses freie Denken wollte Befreiung von den alles beherrschenden hierarchischen Strukturen, verlangte soziale Verantwortung des Einzelnen wie der Gesellschaft; diese Forderungen stießen damit naturgemäß auf die vehemente Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft, der Liberalen sowie der Konservativen.

1894 fuhr Arthur Kahane zu einem Anarchistentreffen nach Zürich; die Zürcher Behörde reagiert mit der Ausweisung vieler Teilnehmer, unter ihnen auch Arthur Kahane. Er reiste anschließend weiter nach Paris, aber auch hier erging es ihm nicht viel besser: er wurde  ausgewiesen. Er kehrte nach Wien zurück, beendete sein Studium der Philosophie und Literatur an der Universität Wien.

Das jüngere, das junge aufstrebende literarische Wien hatte das Café Griensteidl im Palais Dietrichstein, Ecke Herrengasse zu seinem bevorzugten Treffpunkt auserkoren. 3) Natürlich traf man sich auch in anderen Kaffeehäusern, Gaststätten; das Café Griensteidl hat es als einzige Lokalität dieser Art zur weltweit anerkannten literarischen Berühmtheit gebracht.

Kahane gehörte ebenso dazu, wie sich Hermann Bahr 1930 erinnern wird. Man mußte sich nicht verabreden, man traf sich – und die Namen aufzuzählen, hieße „Eulen nach Athen“ tragen – von Arthur Schnitzler bis Paul Goldmann, Oskar Friedmann bis Arthur Kahane.  Hermann Bahr 4) gab diesem literarischen Kumulus den Namen „Jung Wien“, der zum Etikett einer bestimmten literarischen Strömung des Wiener Fin de Siècle umfunktioniert wurde. Die literarischen Ehren für das Café Griensteidl schrieb Karl Kraus: „ Die demolierte Literatur“, 1899 publiziert, geschrieben nach dem Abriss des Palais Dietrichstein mit dem Café Griensteidl.  5)

In diesem Jahr 1899 findet im Bezirksgericht Josefstadt(d.i. eine Wiener Vorstadt) ein Prozess statt, der ein großes Presseecho auslöst:  Karl Kraus gegen den Schriftsteller Oskar Friedman 6). Die Anklage gegen Friedmann lautet auf Körperverletzung begangen an Karl Kraus. Zu der Gruppe der Freunde, die dem von Kraus gnadenlos „verrissenen“ Schriftsteller sekundiert hatte, gehörten Arthur Kahane und Hermann Bahr 6). Es war dies keineswegs der erste Prozess, den Karl Kraus gegen seine Kontrahenten führte; sie waren auch Teil einer publizitären Taktik des Intitiator „Der Fackel“.

Diese Spotlights geben  - vielleicht?- auch einen Hinweis, warum Arthur Kahane sich letztlich zu einer Übersiedlung  nach Berlin entschloß; dabei hatte er eben in dem von Oskar Friedmann in dem neu gegründeten „Wiener Verlag“, der vor allem „moderne“ Literatur verlegen wollte, die literarische Abteilung übernommen.

Arthur Kahane an Franz Servaes:


Sehr geehrter Herr,

Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß sich in Wien ein moderner „Wiener Verlag“ gegründet hat, dessen literarisch-artistische Organisation ich übernommen habe. Und mich an Sie mit der dringlichen Bitte um Ihre freundliche Gesinnung zu wenden. In erster Linie freilich könnten Sie uns diese dadurch erweisen, dass Sie uns Manuskripte überlassen. Aber auch sonst gibt es viele Felder, auf denen wir Ihres Rates und Ihrer Unterstützung bedürftig werden könnten. Ich bitte Sie daher am liebsten gleich oder an einem der ersten Tage der kommenden Woche eine halbe Stunde zu schenken und will Ihnen dann Wesen und Aussichten unserer Pläne mündlich explicieren. Und nicht am wenigsten, will ich Ihnen offen gestehen, handelt es sich mir dabei um Ihren Rat in Dingen des Schmucks und der Ausstattung.

Im voraus herzlichst dankend verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Arthur Kahane

III., Kolonitzg. 9   7)


Ich lasse Ariel Kahane weiter erzählen:


 … Zu diesem Modernsein gehörte damals, was bis in die zwanziger Jahre anhalten sollte, das Theater. Der Wiener-Burgtheater-Enthusiasmus, welcher ja zu seiner Gemeinschaft mit Reinhardt führte, wurde mehr als ein Kultur – und Zeiterlebnis empfunden, denn als eine Berufsentscheidung. Das „Rad der Zeit“ schien sich im Theater am sichtbarsten zu drehen. …2)

 

Die „Legende Burgtheater – Enthusiasmus“, wie es Ariel Kahane nennt, ist Teil der Geschichte des Hauses, seit es unter Josef II. zum k.k. Hof-und Nationaltheater  erhoben wurde, zum Mythos stilisiert, begleitet von einem einmal lauter oder einmal leiseren Chor ständiger, vehementer Kritik an der Spielplangestaltung, der Personalpolitik usw.

Die Fangemeinde, die sich täglich einfindet um den Stehplatz (zunächst nur auf der „Vierten“, heute gibt es das Stehparterre zusätzlich) zu erobern, ist Teil dieses Burgtheater-Mythos.  Der Schüler, der Student Arthur Kahane, gehört zu dieser Fan-Gemeinde, in der aus allen gesellschaftlichen Schichten junge Leute zusammentreffen, mehrmals in der Woche, gelegentlich sogar täglich. Beim Neubau des Theaters folgte man dem Vorbild des ebenfalls neu erbauten Opernhauses, 1867 eröffnet, in dem es Stehplätze gab, im Parterre, auf der Vierten Galerie. Nun gibt es diese endlich auch für das Neue Haus am Ring, wie das Hofburgtheater anfänglich noch genannt wird. 8) 

Was versteckt sich hinter der „Vierten“: Nicht nur bei Max Reinhardt, der sehr nostalgisch schreibt: „Ich bin auf der Vierten Galerie geboren“, nachzulesen in seiner unvollendet geblieben Autobiographie, geschrieben im amerikanischen Exil, um 1940.

Die „Vierte“, damit ist die Vierte Galerie (Vierter Rang) gemeint, ganz oben quasi unter dem Dach des Hause; hinter der letzten Sitzplatzreihe befanden sich die Stehplätze für wenig Geld. 

Für alle, die das Erlebnis „Stehplatz“ (ob Burg oder Oper spielt dabei keine Rolle) nie durchgestanden haben (im wahrsten Sinn des Wortes): Stunden vor Vorstellungsbeginn sammelt sich der große oder kleine Kreis der „Stehplatzler“-Stammkunden-Theaterfreaks würde man sie neudeutsch nennen – bei jedem Wetter – vor einer kleinen unscheinbaren Tür  des Hauses - und wartet geduldig (frierend) auf den Einlaß, den Kartenverkauf (die Zahl der Stehplätze ist limitiert, und nur wer vorne steht, hat nicht nur die besten Chancen hineinzukommen, sondern auch den Wettlauf auf die Galerie und auf den besten Stehplatz zu gewinnen). Und natürlich kennt man sich, denn die lange Zeit des Wartens wird am besten mit ausführlichen Gesprächen (am liebsten über die Darsteller, das Stück usw.- Theaterklatsch) überbrückt, heiße Diskussionen nicht ausgeschlossen. (Anno 2021 ist – in der Oper wie in der Burg – das Stehplatzpublikum immer noch sehr heterogen zusammengesetzt; vor allem aber auch zunehmend weniger fachkundig wie kritisch, da zu sehr von Touristen, vor allem von Tagestouristen, durchsetzt).

Das verbindende Element der Generation um Kahane, außer dem „modern“ sein wollen, ist das Theater, neben allen anderen Wiener Bühnen - das Burgtheater, das k.k. Hofburgtheater, das Neue Haus am Ring.

Das alte Haus am Michaelerplatz ist, ausgenommen für die älteren unter ihnen, nur noch Legende, aber eine sehr lebendige Legende, die ungebrochen auf das neue Haus am Ring ausgestrahlt. Diese Dominanz des Hofburgtheaters, die das theatralische Geschehen Wiens überstrahlt, nicht unbedingt als Qualitätsmerkmal zu verstehen, ist Wunschziel eines jeden – der mit und für das Theater leben möchte. Nur eines ist es mit Sicherheit nicht: modern, progressiv. 

Für die theaterbesessenen Wiener war das Angebot an Theatern sehr vielfältig. Neben den innerstädtischen Bühnen gab es noch die Vorstadttheater ; das sind unzählige große oder kleine Theater die außerhalb des sogen.Linienwalls, d.i. heute der Gürtel, lagen und die Stadt wie einen Kranz umgaben.  Zu ihrem Publikum zählten neben den Theaterenthusiasten des Stehplatzes angehende Dramatiker, Kritiker usw., denn dort – vor allem auf diesen Brettern – wuchsen die  „newcomer“ heran, Dramatiker ebenso wie die späteren „Stars“ der Bühne. Eine der wichtigsten dieser Vorstadtbühnen gehörte zu  „Schwenders Vergnügungs-Etablissement“ in Rudolfsheim, bekannt als „Volkstheater in Rudolfsheim“ unweit von Schloß Schönbrunn.  9)

Als Kahane dann mit der Saison 1902/03 zum Team Reinhardt stößt, ist er als Direktionssekretär und Dramaturg für die aufstrebende Bühne des ambitionierten jungen  Regisseurs und Theaterdirektors in spe Max Reinhardt tätig; zudem bringt Kahane ein ganzes Netzwerk mit, das „Literarische Junge Wien“ sowie zahlreiche andere Verbindungen, die dem Neuen Theater erfolgreich zugute kommen werden. 10)

Ariel Kahane schreibt in dem Pro Memoria für seinen Vater, daß dieser 1900 nach Berlin gezogen sei; jedenfalls  wird Kahane  ab 27. September 1901 als in Berlin wohnend, als Neuberliner, in den Akten des Berliner Polizeipräsidiums registriert und gerät sofort in den Fokus der Berliner Geheimpolizei, die den Neuankömmling buchstäblich rund um die Uhr observiert.  

Dank dieser intensiven Überwachungstätigkeit der Berliner Polizei sind wir über die ersten Monate Kahanes in Berlin ziemlich genau unterrichtet. Aus der Sicht des Biographen: eine fast unerschöpfliche Quelle.

Er wird observiert, weil – die Meldung dazu kam von der Wiener Polizei - er als Anarchist geführt wird; „bedauernd“ schreibt der Spitzel, daß Kahane  keinerlei Kontakte zu den ortsansässigen Anarchisten hätte oder suche. Weiter berichtet er  über Theaterbesuche, vor allem nennt er „Schall und Rauch“ sowie die Kaffeehausbesuche im Café Monopol.

Der Wohnungswechsel von einem Untermietzimmer in eine Wohnung von Bekannten? (hier versagt die Fähigkeit des Spitzels), in der Kahane unangemeldet logiert, wird etwas „irritiert“ vermerkt. Das läßt den Schluß zu, daß Kahane in den ersten Berliner Monaten nicht unbedingt „auf Rosen gebettet“ war.

Es wird weiter berichtet, er wäre im Central-Theater als Dramaturg tätig; in derselben Akte wird aber auch festgehalten, daß man Kahane dort, im Central-Theater, nur flüchtig kenne. Ich vermute: er hat sich mit sporadischen Aufträgen über Wasser gehalten,  da er vom Elternhaus in Wien keine finanzielle Unterstützung erhalten hat. Die Observierung dürfte dennoch sehr lückenhaft gewesen sein, denn es fehlt der Hinweis, wann er wen im Café Monopol getroffen hat, sowie andere Kontakte, und ob er mit seiner Frau Paula nach Berlin gekommen war, sie vielleicht erst später eingetroffen ist; was sicher zutrifft, denn es fehlt auch der Hinweis auf einen festen Wohnsitz bis zu Beginn seines Engagement an das Reinhardt-Theater. Er trat sein Engagement mit Saisonbeginn 1902/03 an als Dramaturg und Direktionsassistent der Berliner Reinhardt-Bühnen. Seine große, entscheidende, ich gehe soweit zu sagen, seine mit- gestaltende Rolle an den Reinhardt-Theatern, endet mit dem Rücktritt  von Max Reinhardt als Direktor seiner Bühnen am 9.Oktober 1920.

Einen Monat nach Beginn seiner Tätigkeit als Dramaturg und Direktionsassistent am Kleinen Theater kommt Kahanes erster Sohn, Heinrich Romanos im November 1902 in Berlin zur Welt. Er wird ein sehr bekannter Romanist – nicht nur in den USA. Zwei Jahre später, 1904 folgt Sohn Peter; er wird Archäologe. 1907 dann als dritter im Bunde: Anselm, der mit der Emigration den Vornamen Ariel annimmt. Wenn man den Hinweis von Stefan Grossmann von 1932 richtig interpretiert, so war die Familie Kahane zwar gut versorgt, aber nicht unbedingt sorgenfrei.

Der rasante Erfolg, der Aufstieg der Reinhardt-Bühnen zur führenden Bühne in der Berliner Theaterwelt ist zugleich auch die Folie für den Biographen. Was an persönlichen biographischen Dokumenten fehlt, läßt sich aus den Spielplänen, den Programmbroschüren erschließen: Arthur Kahane ist Teil des Reinhardtschen Kosmos, für anderes bleibt weder Zeit noch Raum.   

1910 erscheint ein kleiner Band im Berliner Verlag Oesterheld „Gedichte“ von  Arthur Kahane, ein – so möchte ich es gerne fiktiv bewerten – Versuch, sich aus den „Fesseln“ des Betriebes etwas zu lösen, sich „frei“ zu schreiben. Die freundliche Resonanz bleibt nicht aus, aber das Theatergeschäft läßt weitere literarische Versuche nicht zu. Erst in den Jahren des 1.Weltkriegs meldet sich der Schriftsteller Kahane – zunächst ohne Theaterbezug  - zurück.  

Der Berliner Verlag Erich Reiss veröffentlicht „Novellen aus der Bibel“ im Herbst 1917, in der verlagseigenen Reihe  „Prospero“, in einer limitierten Auflage von 950 Exemplaren mit handkolorierten Lithographien von Erich Büttner. Der Verleger Erich Reiss, bzw. der von ihm gegründete Verlag steht in einer sehr engen Verbindung zum Imperium Reinhardt.

Arthur Kahane hat eine Textauswahl aus dem Alten Testament, in der Übersetzung von Martin Luther zusammengestellt und dafür den Titel „Novellen aus der Bibel“ gewählt; dahinter verbirgt sich – vielleicht ? – die Intention, einem divergenten Lesepublikum, in schwerer Zeit – es ist der berühmt-berüchtigte „Steckrüben-Winter“ -  bisher religiös definierte Texte als Erzählung der Hoffnung nahezubringen. Der letzte Abschnitt ist das „Buch Tobias“, und erneut übertragen auf die Zeit, - vielleicht - ein Lese- Wegweiser, auch in Notsituationen den Mut nicht zu verlieren.

1918, mit Kriegsende,  folgen weitere Titel bis 1920, u.a.„Clemens und seine Mädchen“,

Die Tarnkappe“. Die weiteren Werke von Kahane erscheinen in unterschiedlichen Verlagen.

Von außen gesehen lesen sich dreißig  Jahre Dramaturgentätigkeit, dreißig Jahre Berlin, wenig spektakulär. Da ist die Familie mit den drei heranwachsenden Söhnen, die unterschiedliche Studienrichtungen beginnen, ihr Studium erfolgreich abschließen; mit dem Weggang von Max Reinhardt nimmt die schriftstellerische Arbeit von Arthur Kahane immer breiteren Raum ein. Der „offizielle“ Arthur Kahane ist mit seiner Frau Paula  gesellschaftlich eingebunden in das Theaterleben, die literarische Berliner Szene; die heranwachsenden Söhne kommen nach und nach dazu. Außer einigen Zeitungsberichten, Erwähnungen in Biographien gibt es keine

Lebensdokumente. Spekulativ stelle ich mir vor: Der Dramaturg Arthur Kahane bewältigt den Alltagsbetrieb des Theaters, schreibt Briefe, geht zu den Proben, tröstet Autoren, Schauspieler, - was eben so gerade getan werden muß. Der Erste Weltkrieg bedeutet für seine Tätigkeit keine echte Zäsur, den privaten Alltag wird er wie alle Berliner mehr schlecht als recht bewältigt haben.

Das erste Jahrzehnt an den Reinhardt-Bühnen, als er den Aufstieg des Theatermannes Reinhardt mitgestaltete, war – auch ohne daß es Dokumente dafür gibt - für Kahane „eine volle Zeit, eine erfüllte Zeit“. Von diesen Jahren erzählen retrospektiv die beiden Bücher „Tagebuch des Dramaturgen“ sowie „Theater. Aus dem Tagebuch des Theatermannes“. Man könnte sie auch als Autobiographie lesen.

Mit dem 7.Oktober 1932 – Kahane stirbt an den Folgen einer Lungenentzündung – endet auch für das Theater eine Epoche; vier Monate später bricht die Katastrophe über Berlin, über das Deutsche Reich herein: die Nationalsozialisten, Adolf Hitler kommen an die Macht .

… ihm blieb … ein Exil erspart, welches ihn geistig wie materiell hilflos angetroffen hätte …    2)