Arthur Kahane. Schriftsteller und Dramaturg

Aus Dagmar Saval Wünsche

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Text in Vorbereitung

Vorwort

DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT …

Große Künstler machen nie allein den Weg an die Spitze; um die Top Ten zu erreichen brauchen sie viele „helfende Hände“, „Schatten“, die die Zeitgenossen verdrängen und auf die die spätere Apolegetik in schöner Regelmäßigkeit vergißt. Der Hauptdarsteller dieses Spiels der Schatten, mit verteilten Rollen, allein sichtbar, der Solist, nennt vielleicht in einem Nebensatz, die Rollenzuteilung an seine Schatten.

Diese Schatten (um bei dieser Rollenbezeichnung zu bleiben) spiegeln in ihrer Vielfalt die Stufen, den Weg zur Spitze, aber nicht nur diesen, sondern auch – und das ist das Wesentliche – sie tragen die Spitze.

Das Rollenverzeichnis liest sich in etwa so: Die Rolle der Finanzierung ist ein Chor, denn nur in der Vielfalt entfalten sich die erforderlichen Mittel zu Realisierung der Wirklichkeit in die eine „ Bühne als Traum“  .

„Die Bühne als Traum“ (Hugo von Hofmannsthal) – das ist die nächste große Rolle; auch sie in der Regel ein Kammerchor, mit einem primus inter pares - das wäre der Dichter.

„Die öffentliche Meinung“ – um mit „Orpheus in der Unterwelt“ (Jacques Offenbach) zu sprechen  – eine weitere tragende Rolle

Es folgen die zahlreiche, größere und kleinere Rollen bis hin zu den comprimarii … - das "Fußvolk",  denn nur mit seiner Hilfe geht abends der "Lappen" (damit ist der Bühnenvorhang gemeint) überhaupt erst hoch - der Dramaturg, der Pressechef, die Bühnenarbeiter, die Techniker, die Garderobieren, die Billettverkäufer ...

Am Premierenabend stehen nicht alle auf der Bühne, die zum Gelingen beigetragen haben, aber im Schatten - hinter den Kulissen - nehmen sie den Applaus des begeisterten Publikums entgegen.

 Auftritt des „Regisseurs“, nunmehr Allmacht und Zentrum des theatralischen Geschehens, verschiebt die Akzente der theatralischen Realisierung; setzt  die neue Akzente. Sein Fokus liegt auf dem Premierenabend, Theateralltag - das sind die folgenden Repertoireaufführungen werden für ihn als nachschöpferische Kraft wesenlos.

Julius Bab, Zeitzeuge dieser Entwicklung, beschreibt es so, in seiner Geschichte „Theater der Gegenwart“, S. 147: 

… Da der Regisseur im idealen Falle tatsächlich der Zusammenfasser aller Theaterkräfte zu einem einheitlichen künstlerischen Eindruck ist, so liegt hierin sicher ein großer Fortschritt in der von Gordon Craig geforderten Richtung. Aber es zeigt sich auch sofort eine große Gefahr: die Vorstellung vom Regisseur überflutet alle Grenzen. Man vergißt, daß er weder die schöpferische Leistung des Schauspielers ersetzen kann, noch die organisatorische eines Direktors– denn dieser hat noch einen weiteren  zu umspannen als die vollendete Gestaltung eines Theaterabends.: er soll Repertoire, Ensemble, Publikumswerbung, den ganzen Aufbau des Theaters so organisieren , daß  a l l e diese Abende eine geistige Einheit bilden! Die Stelle des Regisseurs im Theater ist eine außerordentlich wichtige. Aber sie ist in der Tiefe wie in der Breite sehr scharf begrenzt, und die Erschütterung dieser Grenzen ist noch heute eine schwere Gefahr. … 

 Julius Bab legt mit diesen Überlegungen seinen „Finger“ auf die Scharniere eines Theaterbetriebes, die nicht im Alleingang bewältigt werden können, die der besonderen „Heinzelmännchen“, so könnte man das Schattenimperium ebenfalls nennen, bedürfen.  

Ich will versuchen diesen „Heinzelmännchen“ des Reinhardt-Imperiums ein Gesicht, eine persönliche Geschichte geben; ihre Namen werden zwar – meist nur sehr beiläufig und in einem halben Satz genannt, ihre Funktion im Räderwerk des Theaterbetriebs erwähnt, aber wer waren sie? – was haben sie an Spuren außerhalb des täglichen Theatertrotts hinterlassen, der ohne ihre ebenso tätige wie stille Unterstützung nicht problemlos abgelaufen wäre.

 Träume von einem Theaterimperium – das setzt voraus: eine finanzielle Strategie, einen Strategen, der diese nicht nur theoretisch erarbeitet, sondern auch durchführt, und das möglichst unsichtbar, unhörbar. Bei Max Reinhardt hieß er Edmund Reinhardt.

Sein künstlerischer Gegenspieler , der „Ideengeber“, der spin-doctor, und noch viel mehr, sehr trocken Dramaturg genannt – war Arthur Kahane.


Auftritt Arthur Kahane

Ich glaube nicht, daß ich meine erste Begegnung mit Max Reinhardt so schnell vergessen werde,  …

notiert Kahane in seinen Aufzeichnungen des Dramaturgen, erschienen bei Bruno Cassirer in Berlin 1928, S.111 ff.

Er fährt fort:

Meine erste Begegnung mit Reinhardt war natürlich nicht meine e r s t e  Begegnung mit ihm. Ich hatte ihn bereits einige Jahre vorher auf der Vierten Galerie des Wiener Burgtheaters kennen gelernt.  … Ich … begegnete ihn zum zweiten und zum dritten Male wieder in … Wien, wohin er mit einigen , den jüngeren Kollegen des Brahm-Ensembles, in ersten direktorialen Regungen, selbständige Gastspielabstecher unternahm. …

Es war im Spätsommer des Jahres 1902. Wir saßen im Café Monopol, an dem langen Stammtisch in der Mitte des Lokals, in einer großen Gesellschaft von Freunden und Bekannten. Da winkte mir Max Reinhardt und ersuchte mich, ihm an einen Nebentisch zu folgen. … Das Kaffeehaus existiert schon lange nicht mehr, aber der Winkel und der Tisch leben in meiner Erinnerung … Reinhardt sagte mir, daß er für seine Pläne einen Dramaturgen suche …  

Doch was ist eigentlich ein Dramaturg ?

Der Dramaturg haust in einer Kammer, mehr Raum wird ihm nicht zugestanden um über das Wohl und Wehe eines Manuskripts, einer Dichtung zu entscheiden, Hier drängen sich tagaus tagein, selbstbewußt, untertänig, aber immer etwas verunsichert, alte wie junge, gut gekleidet wie weniger gut ausgestattete Menschen. Sie umlagern den Tisch, der mit Manuskripten überhäuft ist, so wie die einzige im Raum vorhandene Sitzgelegenheit, die an der Wand lehnenden Regale halten sich nur mühsam aufrecht … schwer ist die Last der Texte, die sie zu tragen haben. Und hinter dem schier unüberwindlichen Berg der Manuskripte thront der Dramaturg:

Er trägt eine Brille, hinter den Gläsern seiner Brille, unter buschigen Brauen wetterleuchten kleine, helle Augen, voller Witz und Güte,  und verraten, daß der Dramaturg keineswegs so alt und würdig ist, wie sein Bart ihn erscheinen läßt. Mit geduldigem Lächeln hört er zu, liest er … biblische Tragödien, antike Dramen, Daseinsgeschichten aller Art, Lustspiele (die keine sind), Einakter, mehraktige Epen von unendlicher Länge, bei deren Lektüre er schon im Geist den Rotstift zückt(was gestrichen ist, kann nicht durchfallen) … bevor er das Elaborat mit einem leichten Seufzer auf den Stapel „unaufführbar“ legt.    

Herbert Freeden hat  Julius Bab bei seiner Tätigkeit als Dramaturg im Theaters des Jüdischen Kulturbunds (1933/38) kennenglernt und diese Erinnerung in "Vorhangauf!" niedergeschrieben. 

War es so bei Arthur Kahane, als er erst im Neuen Theater, dann im Deutschen Theater für den „Meister“(damit ist Max Reinhardt gemeint) Texte las ?