Arthur Kahane. Schriftsteller und Dramaturg

Inhaltsverzeichnis

Nicht nur Dramaturg … Arthur Kahane

Schriftsteller - eine Spurensuche

Vorwort

Immer wieder blättere ich im „Tagebuch des Dramaturgen“, im Buch „Theater. Aus dem Tagebuch des Theatermannes“, lese den einen oder anderen Text nochmals, dann beide Titel erneut von vorne nach hinten und umgekehrt – und finde hinter dem geschriebenen Text die Spuren, die mich zur Person und Persönlichkeit des Schriftstellers Arthur Kahane führen. 

Die offizielle Funktion an den Berliner Reinhardt-Bühnen: Arthur Kahane war Dramaturg und Direktionsassistent. Dramaturg blieb er, bis er 1932 starb, wann er tatsächlich den Aufgabenbereich Direktionsassistent abgegeben hat, ist nicht exakt – mit einem Dokument – belegbar; der Rückzug von Max Reinhardt von der Direktionstätigkeit, seine Rückkehr nach Wien, die Salzburger Ambitionen haben auch die Personalsituation in den verschiedenen Organisationsabteilungen der Berliner Reinhardt-Bühnen grundlegend geändert. – Bühnenjahrbücher sind im allgemeinen sehr verläßliche Quellen, aber nicht immer das exakte Spiegelbild des Innenlebens eines Theaters.

Diese Tätigkeit als Dramaturg ist immer schon Teil der umfangreichen Reinhardtbibliographie gewesen, ist es noch, eine eigenständige Bibliographie des Schriftstellers Kahane gibt es – noch – nicht; ebenso wenig existiert eine etwas ausführlichere Biographie, dafür zahlreiche Lexika-Artikel, mit nahezu übereinstimmenden Inhalten, unterschiedlich nur die Erscheinungsdaten.

Wer aber verbirgt sich hinter dieser Chiffre „Arthur Kahane, Dramaturg, 1872 -1932“  - wie man ihn immer wieder genannt findet?

Es machte mich sehr neugierig, warum ein künstlerisch tätiger Mensch zum Schatten wurde?  Mit dem „Mut zur Lücke“ (Cécile Lowenthal-Hensel), die auch sein Nachleben mit einbezieht, bestimmt von der Geschichte des 3.Reichs, habe ich versucht ein Leben, ein Werk wieder aus den Untiefen des Verschwundenseins lebendig werden zu lassen.


VON JASSY ÜBER WIEN NACH BERLIN   - BIOGRAPHISCHE FRAGMENTE

 

Ich glaube nicht, daß ich meine erste Begegnung mit Max Reinhardt so schnell vergessen werde,  … . Meine erste Begegnung mit Reinhardt war natürlich nicht meine e r s t e  Begegnung mit ihm. Ich hatte ihn bereits einige Jahre vorher auf der Vierten Galerie des Wiener Burgtheaters kennen gelernt.  … Ich … begegnete ihm zum zweiten und zum dritten Male wieder in … Wien, wohin er mit einigen, den jüngeren Kollegen des Brahm-Ensemble in ersten direktorialen Regungen, selbständige Gastspielabstecher unternahm. … Es war im Spätsommer des Jahres 1902. Wir saßen im Café Monopol, an dem langen Stammtisch  in der Mitte des Lokals, ...  . Da winkte mir Max Reinhardt  und ersuchte mich, ihm an einenen Nebentisch zu folgen. … Das Kaffeehaus existiert schon lange nicht mehr, aber der Winkel und der Tisch leben in meiner Erinnerung … Reinhardt sagte mir, daß er für seine Pläne einen Dramaturgen suche …  1)

 Das Café Monopol an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, war um die Jahrhundertwende der Künstlertreffpunkt und Jobbörse zugleich. Warum der junge Schriftsteller Arthur Kahane von Wien nach Berlin gegangen ist, wir wissen es nicht. Er hatte um 1899 in einem soeben gegründeten Verlag, dem „Wiener Verlag“ die Leitung der literarischen Abteilung übernommen,  war intensiv damit beschäftigt diese aufzubauen.

Vielleicht war es tatsächlich so, wie sein jüngster Sohn, Ariel Kahane  in seinem „Pro Memoria“,  anläßlich des 100. Geburtstags seinen Vaters, 1972 beschreibt:

    … Diese Jugend in Wien und in einem wohlhabenden Haus … formte den Menschen und unterschied ihn von den meisten seiner Sphäre, für welche das Theaterleben nicht nur Sendung, sondern auch ängstlich gewahrter Aufstieg war. Sie gab ihm die ererbte menschliche Sicherheit in Dingen der Kultur und Gesellschaft, Begriffe, die im traditionellsten Sinn damals noch dominierten, und bewahrte ihn vor jedem Snobismus. Sie bildete aber auch den Boden für eine romantische Leichtlebigkeit unter Umgehung einer Auseinandersetzung mit den existentiellen Fragen des persönlichen Seins. Das blieb nicht ohne Komplikationen für sein Dasein, indem er selber nie in den Besitz des elterlichen Wohlstandes kam und damit doch die Härte des Künstlerlebens erfahren mußte, der damals sogar die Angesehenen unter ihnen unterworfen waren, eine Härte, die ihn unvorbereitet traf.

Im damaligen Österreich, vor der Jahrhundertwende, dominierte für den Jugendlichen  aus einem liberalen traditionellen jüdischen Haus das Problem des Eintritts in die große Welt. Kahane begann seinen Weg mit der Literaturgeschichte, begleitet von einer idealistischen Aktivität im aufkommenden Sozialismus – im Gegensatz zu der anderen Möglichkeit, nämlich des Anschlusses an die vorherrschende österreichische katholische Welt. Seiner Natur nach war er mehr österreichischer Kulturtraditionalist als Sozialist … Sein romantischer Stolz war es, immer vornan zu sein im „Modernen“ … und er war Anarchist, Studentenrevolutionär, Arbeiterbildner . … 2)

Diese sehr persönliche Erinnerung an seinen Vater Arthur Kahane zeichnet ein sehr eindrucksvolles Bild von der Atmosphäre sowie der Stimmung, die das kulturelle und politische Klima in der k.u.k. Residenzstadt Wien bestimmte. Trotzdem: Ich muß mich – um den Rahmen nicht über Gebühr auszuweiten - mit einer  sehr kursorischen Schilderung der vorherrschenden politischen, kulturellen Tendenzen in Wien in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begnügen. Wien ist die Haupt- und Residenz-Stadt eines 51 Millionen Menschen umfassenden Staatengebildes, das zahlreiche Völker und Nationen unter seiner Herrschaft zusammenfaßt.

Der politische Liberalismus sowie der schrankenlos agierende wirtschaftliche Liberalismus, der jedes soziale Engagement,  wie etwa Verantwortung der arbeitenden Bevölkerung gegenüber vermissen ließ, war der „Nährboden“ für die entstehenden sehr radikalen Protestbewegungen, von ganz rechts bis ganz links.

Das Wiedererstarken eines Antisemitismus, der nicht mehr nur religiös, sondern seit der Publikation von Arthur de Gobineau „ Essai sur l’inégalité des races humaines, 1853-1855“ von Politikern und Theoretikern im Deutschen Reich wie auch in der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn zunehmend rassisch, rassistisch-völkisch, vorrangig deutschnational, orientiert  war, zog immer mehr gesellschaftspolitische Diffamierungskampagnen nach sich.

Die Bewegung der Anarchisten, entstanden aus einer ursprünglichen studentischen Protesthaltung mit der jeder Jugend innewohnenden Motto: „Die Jugend probt den Aufstand gegen das Alte“ wuchs zu einer politisch orientierten Bewegung, die sich  gegen jegliches hierarchisches Ordnungsprinzip richtete. Gegen Ende des 19.Jh. verstärkte sich der Zulauf zu den anarchischen Gruppierungen, die gegen die verkrusteten Herrschaftsstrukturen immer stärker opponierten. Die „Anarchistenbewegung“ ist keine einheitliche Partei, sie hat ebenso viele Facetten, wie es Gruppierungen unter dem Dach des Begriffs “Anarchie“ gibt. 

Der Student Arthur Kahane, wie viele seiner Generation, engagierte sich gegen die soziale Ungerechtigkeit der Zeit; er wurde – wie viele, die gegen die herrschende Ordnung opponierten, als Anarchist von den Behörden eingestuft, observiert; zunächst von der k.k. Polizeidirektion in Wien, später dann in Berlin von der dortigen Polizei. Der autoritäre „Wilhelminismus“ schätzte andersdenkende Bürger nicht besonders. Diese Einschätzung  traf nicht nur Neuankömmlinge in Berlin wie eben Arthur Kahane, sondern traf auch erfolgreiche, stadtbekannte Bürger, wie z.B. den Kunsthändler Paul Cassirer. 

Kahane war ein begeisterter Anhänger der Ideen, die die Französische Revolution 1789 - „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ - propagiert hatte; das galt in der erstarrten bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19.Jh. als Anarchie. Diese Ideen, entwickelt aus den Ideen der Französischen Revolution bildeten die Keimzelle, die man kurz so beschreiben kann: freies Denken, verbunden mit der Forderung nach einer „Neue Gesellschaft“, mit einem „Neuen Menschen“. Das bedeutet – sehr plakativ und sehr pauschal formuliert: Dieses freie Denken wollte Befreiung von den alles beherrschenden hierarchischen Strukturen, verlangte soziale Verantwortung des Einzelnen wie der Gesellschaft; diese Forderungen stießen damit naturgemäß auf die vehemente Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft, der Liberalen sowie der Konservativen.

1894 fuhr Arthur Kahane zu einem Anarchistentreffen nach Zürich; die Zürcher Behörde reagiert mit der Ausweisung vieler Teilnehmer, unter ihnen auch Arthur Kahane. Er reiste anschließend weiter nach Paris, aber auch hier erging es ihm nicht viel besser: er wurde  ausgewiesen. Er kehrte nach Wien zurück, beendete sein Studium der Philosophie und Literatur an der Universität Wien.

Das jüngere, das junge aufstrebende literarische Wien hatte das Café Griensteidl im Palais Dietrichstein, Ecke Herrengasse zu seinem bevorzugten Treffpunkt auserkoren. 3) Natürlich traf man sich auch in anderen Kaffeehäusern, Gaststätten; das Café Griensteidl hat es als einzige Lokalität dieser Art zur weltweit anerkannten literarischen Berühmtheit gebracht.

Kahane gehörte ebenso dazu, wie sich Hermann Bahr 1930 erinnern wird. Man mußte sich nicht verabreden, man traf sich – und die Namen aufzuzählen, hieße „Eulen nach Athen“ tragen – von Arthur Schnitzler bis Paul Goldmann, Oskar Friedmann bis Arthur Kahane.  Hermann Bahr 4) gab diesem literarischen Kumulus den Namen „Jung Wien“, der zum Etikett einer bestimmten literarischen Strömung des Wiener Fin de Siècle umfunktioniert wurde. Die literarischen Ehren für das Café Griensteidl schrieb Karl Kraus: „ Die demolierte Literatur“, 1899 publiziert, geschrieben nach dem Abriss des Palais Dietrichstein mit dem Café Griensteidl.  5)

In diesem Jahr 1899 findet im Bezirksgericht Josefstadt(d.i. eine Wiener Vorstadt) ein Prozess statt, der ein großes Presseecho auslöst:  Karl Kraus gegen den Schriftsteller Oskar Friedman 6). Die Anklage gegen Friedmann lautet auf Körperverletzung begangen an Karl Kraus. Zu der Gruppe der Freunde, die dem von Kraus gnadenlos „verrissenen“ Schriftsteller sekundiert hatte, gehörten Arthur Kahane und Hermann Bahr 6). Es war dies keineswegs der erste Prozess, den Karl Kraus gegen seine Kontrahenten führte; sie waren auch Teil einer publizitären Taktik des Intitiator „Der Fackel“.

Diese Spotlights geben  - vielleicht?- auch einen Hinweis, warum Arthur Kahane sich letztlich zu einer Übersiedlung  nach Berlin entschloß; dabei hatte er eben in dem von Oskar Friedmann in dem neu gegründeten „Wiener Verlag“, der vor allem „moderne“ Literatur verlegen wollte, die literarische Abteilung übernommen.

Arthur Kahane an Franz Servaes:

 Sehr geehrter Herr,

Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß sich in Wien ein moderner „Wiener Verlag“ gegründet hat, dessen literarisch-artistische Organisation ich übernommen habe. Und mich an Sie mit der dringlichen Bitte um Ihre freundliche Gesinnung zu wenden. In erster Linie freilich könnten Sie uns diese dadurch erweisen, dass Sie uns Manuskripte überlassen. Aber auch sonst gibt es viele Felder, auf denen wir Ihres Rates und Ihrer Unterstützung bedürftig werden könnten. Ich bitte Sie daher am liebsten gleich oder an einem der ersten Tage der kommenden Woche eine halbe Stunde zu schenken und will Ihnen dann Wesen und Aussichten unserer Pläne mündlich explicieren. Und nicht am wenigsten, will ich Ihnen offen gestehen, handelt es sich mir dabei um Ihren Rat in Dingen des Schmucks und der Ausstattung.

Im voraus herzlichst dankend verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Arthur Kahane

III., Kolonitzg. 9   7)

 Ich lasse Ariel Kahane weiter erzählen:

  … Zu diesem Modernsein gehörte damals, was bis in die zwanziger Jahre anhalten sollte, das Theater. Der Wiener-Burgtheater-Enthusiasmus, welcher ja zu seiner Gemeinschaft mit Reinhardt führte, wurde mehr als ein Kultur -und Zeiterlebnis empfunden, denn als eine Berufsentscheidung. Das „Rad der Zeit“ schien sich im Theater am sichtbarsten zu drehen. …2)

 Die „Legende Burgtheater – Enthusiasmus“, wie es Ariel Kahane nennt, ist Teil der Geschichte des Hauses, seit es unter Josef II. zum k.k. Hof-und Nationaltheater  erhoben wurde, zum Mythos stilisiert, begleitet von einem einmal lauter oder einmal leiseren Chor ständiger, vehementer Kritik an der Spielplangestaltung, der Personalpolitik usw.

Die Fangemeinde, die sich täglich einfindet um den Stehplatz (zunächst nur auf der „Vierten“, heute gibt es das Stehparterre zusätzlich) zu erobern, ist Teil dieses Burgtheater-Mythos.  Der Schüler, der Student Arthur Kahane, gehört zu dieser Fan-Gemeinde, in der aus allen gesellschaftlichen Schichten junge Leute zusammentreffen, mehrmals in der Woche, gelegentlich sogar täglich. Beim Neubau des Theaters folgte man dem Vorbild des ebenfalls neu erbauten Opernhauses, 1867 eröffnet, in dem es Stehplätze gab, im Parterre, auf der Vierten Galerie. Nun gibt es diese endlich auch für das Neue Haus am Ring, wie das Hofburgtheater anfänglich noch genannt wird. 8) 

Was versteckt sich hinter der „Vierten“: Nicht nur bei Max Reinhardt, der sehr nostalgisch schreibt: „Ich bin auf der Vierten Galerie geboren“, nachzulesen in seiner unvollendet geblieben Autobiographie, geschrieben im amerikanischen Exil, um 1940.

Die „Vierte“, damit ist die Vierte Galerie (Vierter Rang) gemeint, ganz oben quasi unter dem Dach des Hause; hinter der letzten Sitzplatzreihe befanden sich die Stehplätze für wenig Geld. 

Für alle, die das Erlebnis „Stehplatz“ (ob Burg oder Oper spielt dabei keine Rolle) nie durchgestanden haben (im wahrsten Sinn des Wortes): Stunden vor Vorstellungsbeginn sammelt sich der große oder kleine Kreis der „Stehplatzler“-Stammkunden-Theaterfreaks würde man sie neudeutsch nennen – bei jedem Wetter – vor einer kleinen unscheinbaren Tür  des Hauses - und wartet geduldig (frierend) auf den Einlaß, den Kartenverkauf (die Zahl der Stehplätze ist limitiert, und nur wer vorne steht, hat nicht nur die besten Chancen hineinzukommen, sondern auch den Wettlauf auf die Galerie und auf den besten Stehplatz zu gewinnen). Und natürlich kennt man sich, denn die lange Zeit des Wartens wird am besten mit ausführlichen Gesprächen (am liebsten über die Darsteller, das Stück usw.- Theaterklatsch) überbrückt, heiße Diskussionen nicht ausgeschlossen. (Anno 2021 ist – in der Oper wie in der Burg – das Stehplatzpublikum immer noch sehr heterogen zusammengesetzt; vor allem aber auch zunehmend weniger fachkundig wie kritisch, da zu sehr von Touristen, vor allem von Tagestouristen, durchsetzt).

Das verbindende Element der Generation um Kahane, außer dem „modern“ sein wollen, ist das Theater, neben allen anderen Wiener Bühnen - das Burgtheater, das k.k. Hofburgtheater, das Neue Haus am Ring.

Das alte Haus am Michaelerplatz ist, ausgenommen für die älteren unter ihnen, nur noch Legende, aber eine sehr lebendige Legende, die ungebrochen auf das neue Haus am Ring ausgestrahlt. Diese Dominanz des Hofburgtheaters, die das theatralische Geschehen Wiens überstrahlt, nicht unbedingt als Qualitätsmerkmal zu verstehen, ist Wunschziel eines jeden – der mit und für das Theater leben möchte. Nur eines ist es mit Sicherheit nicht: modern, progressiv. 

Für die theaterbesessenen Wiener war das Angebot an Theatern sehr vielfältig. Neben den innerstädtischen Bühnen gab es noch die Vorstadttheater ; das sind unzählige große oder kleine Theater die außerhalb des sogen.Linienwalls, d.i. heute der Gürtel, lagen und die Stadt wie einen Kranz umgaben.  Zu ihrem Publikum zählten neben den Theaterenthusiasten des Stehplatzes angehende Dramatiker, Kritiker usw., denn dort – vor allem auf diesen Brettern – wuchsen die  „newcomer“ heran, Dramatiker ebenso wie die späteren „Stars“ der Bühne. Eine der wichtigsten dieser Vorstadtbühnen gehörte zu  „Schwenders Vergnügungs-Etablissement“ in Rudolfsheim, bekannt als „Volkstheater in Rudolfsheim“ unweit von Schloß Schönbrunn.  9)

Als Kahane dann mit der Saison 1902/03 zum Team Reinhardt stößt, ist er als Direktionssekretär und Dramaturg für die aufstrebende Bühne des ambitionierten jungen  Regisseurs und Theaterdirektors in spe Max Reinhardt tätig; zudem bringt Kahane ein ganzes Netzwerk mit, das „Literarische Junge Wien“ sowie zahlreiche andere Verbindungen, die dem Neuen Theater erfolgreich zugute kommen werden. 10)

Ariel Kahane schreibt in dem Pro Memoria für seinen Vater, daß dieser 1900 nach Berlin gezogen sei; jedenfalls  wird Kahane  ab 27. September 1901 als in Berlin wohnend, als Neuberliner, in den Akten des Berliner Polizeipräsidiums registriert und gerät sofort in den Fokus der Berliner Geheimpolizei, die den Neuankömmling buchstäblich rund um die Uhr observiert.  

Dank dieser intensiven Überwachungstätigkeit der Berliner Polizei sind wir über die ersten Monate Kahanes in Berlin ziemlich genau unterrichtet. Aus der Sicht des Biographen: eine fast unerschöpfliche Quelle.

Er wird observiert, weil – die Meldung dazu kam von der Wiener Polizei - er als Anarchist geführt wird; „bedauernd“ schreibt der Spitzel, daß Kahane  keinerlei Kontakte zu den ortsansässigen Anarchisten hätte oder suche. Weiter berichtet er  über Theaterbesuche, vor allem nennt er „Schall und Rauch“ sowie die Kaffeehausbesuche im Café Monopol.

Der Wohnungswechsel von einem Untermietzimmer in eine Wohnung von Bekannten? (hier versagt die Fähigkeit des Spitzels), in der Kahane unangemeldet logiert, wird etwas „irritiert“ vermerkt. Das läßt den Schluß zu, daß Kahane in den ersten Berliner Monaten nicht unbedingt „auf Rosen gebettet“ war.

Es wird weiter berichtet, er wäre im Central-Theater als Dramaturg tätig; in derselben Akte wird aber auch festgehalten, daß man Kahane dort, im Central-Theater, nur flüchtig kenne. Ich vermute: er hat sich mit sporadischen Aufträgen über Wasser gehalten,  da er vom Elternhaus in Wien keine finanzielle Unterstützung erhalten hat. Die Observierung dürfte dennoch sehr lückenhaft gewesen sein, denn es fehlt der Hinweis, wann er wen im Café Monopol getroffen hat, sowie andere Kontakte, und ob er mit seiner Frau Paula nach Berlin gekommen war, sie vielleicht erst später eingetroffen ist; was sicher zutrifft, denn es fehlt auch der Hinweis auf einen festen Wohnsitz bis zu Beginn seines Engagement an das Reinhardt-Theater. Er trat sein Engagement mit Saisonbeginn 1902/03 an als Dramaturg und Direktionsassistent der Berliner Reinhardt-Bühnen. Seine große, entscheidende, ich gehe soweit zu sagen, seine mit- gestaltende Rolle an den Reinhardt-Theatern, endet mit dem Rücktritt  von Max Reinhardt als Direktor seiner Bühnen am 9.Oktober 1920.

Einen Monat nach Beginn seiner Tätigkeit als Dramaturg und Direktionsassistent am Kleinen Theater kommt Kahanes erster Sohn, Heinrich Romanos im November 1902 in Berlin zur Welt. Er wird ein sehr bekannter Romanist – nicht nur in den USA. Zwei Jahre später, 1904 folgt Sohn Peter; er wird Archäologe. 1907 dann als dritter im Bunde: Anselm, der mit der Emigration den Vornamen Ariel annimmt. Wenn man den Hinweis von Stefan Grossmann von 1932 richtig interpretiert, so war die Familie Kahane zwar gut versorgt, aber nicht unbedingt sorgenfrei.

Der rasante Erfolg, der Aufstieg der Reinhardt-Bühnen zur führenden Bühne in der Berliner Theaterwelt ist zugleich auch die Folie für den Biographen. Was an persönlichen biographischen Dokumenten fehlt, läßt sich aus den Spielplänen, den Programmbroschüren erschließen: Arthur Kahane ist Teil des Reinhardtschen Kosmos, für anderes bleibt weder Zeit noch Raum.   

1910 erscheint ein kleiner Band im Berliner Verlag Oesterheld „Gedichte“, seiner Frau Paula gewidmet von  Arthur Kahane, ein – so möchte ich es gerne fiktiv bewerten – Versuch, sich aus den „Fesseln“ des Betriebes etwas zu lösen, sich „frei“ zu schreiben. Die freundliche Resonanz bleibt nicht aus, aber das Theatergeschäft läßt weitere literarische Versuche nicht zu. Erst in den Jahren des 1.Weltkriegs meldet sich der Schriftsteller Kahane – zunächst ohne Theaterbezug  - zurück.  

Der Berliner Verlag Erich Reiss veröffentlicht „Novellen aus der Bibel“ im Herbst 1917, in der verlagseigenen Reihe  „Prospero“, in einer limitierten Auflage von 950 Exemplaren mit handkolorierten Lithographien von Erich Büttner. Der Verleger Erich Reiss, bzw. der von ihm gegründete Verlag steht in einer sehr engen Verbindung zum Imperium Reinhardt.

1918, mit Kriegsende,  folgen weitere Titel bis 1920, u.a.„Clemens und seine Mädchen“,

Die Tarnkappe“. Die weiteren Werke von Kahane erscheinen in unterschiedlichen Verlagen.

Von außen gesehen lesen sich dreißig  Jahre Dramaturgentätigkeit, dreißig Jahre Berlin, wenig spektakulär. Da ist die Familie mit den drei heranwachsenden Söhnen, die unterschiedliche Studienrichtungen beginnen, ihr Studium erfolgreich abschließen; mit dem Weggang von Max Reinhardt nimmt die schriftstellerische Arbeit von Arthur Kahane immer breiteren Raum ein. Der „offizielle“ Arthur Kahane ist mit seiner Frau Paula  gesellschaftlich eingebunden in das Theaterleben, die literarische Berliner Szene; die heranwachsenden Söhne kommen nach und nach dazu. Außer einigen Zeitungsberichten, Erwähnungen in Biographien gibt es keine Lebensdokumente. Spekulativ stelle ich mir vor: Der Dramaturg Arthur Kahane bewältigt den Alltagsbetrieb des Theaters, schreibt Briefe, geht zu den Proben, tröstet Autoren, Schauspieler, - was eben so gerade getan werden muß. Der Erste Weltkrieg bedeutet für seine Tätigkeit keine echte Zäsur, den privaten Alltag wird er wie alle Berliner mehr schlecht als recht bewältigt haben.

Das erste Jahrzehnt an den Reinhardt-Bühnen, als er den Aufstieg des Theatermannes Reinhardt mitgestaltete, war – auch ohne daß es Dokumente dafür gibt - für Kahane „eine volle Zeit, eine erfüllte Zeit“. Von diesen Jahren erzählen retrospektiv die beiden Bücher „Tagebuch des Dramaturgen“ sowie „Theater. Aus dem Tagebuch des Theatermannes“. Man könnte sie auch als Autobiographie lesen.

Mit dem 7.Oktober 1932 – Kahane stirbt an den Folgen einer Lungenentzündung – endet auch für das Theater eine Epoche; vier Monate später bricht die Katastrophe über Berlin, über das Deutsche Reich herein: die Nationalsozialisten, Adolf Hitler kommen an die Macht .

… ihm blieb … ein Exil erspart, welches ihn geistig wie materiell hilflos angetroffen hätte …    2)


„Werkstatt des Dramaturgen“ – von der Vielfalt des Theateralltags

… Die wichtigste Tätigkeit des Dramaturgen war der Aufbau des Repertoires. Seitdem an die Stelle des Repertoires die Serie getreten ist, gibt es nichts mehr aufzubauen: das Glück der Serie gehört ins Gebiet des Hasardspiels … 1)

 gesteht Arthur Kahane 1928 (und erinnert sich vermutlich bei der Niederschrift dieser Zeilen auch an die oft sehr mühsamen Details seiner Arbeit, seit er seine Tätigkeit am Kleinen Theater, am Neuen Theater aufgenommen hatte. Die Schwierigkeiten kamen von außen, waren rein bürokratisch: die Eingriffe, Einsprüche des Polizeipräsidiums von Berlin, von der Zensur, richteten sich gegen Tänze, Textteile, ganze Texte, gegen auftretende Figuren eines Stückes – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, was alles als mißliebig und unsittlich definiert werden konnte und somit unter das Verbot fiel.

Der Dramaturg und Direktionsassistent mußte sich damit auseinandersetzen. Was da alles reglementiert, verboten, genehmigt, wieder verboten wurde … bis zur Abschaffung der Zensur mit dem Ende des Kaiserreichs 1918 /1920  - das allein ist schon eine Geschichte für sich. Noch 1921 während der Planung der Aufführung des „Reigen“, den Arthur Schnitzler endlich doch zur Aufführung freigegeben hatte, wollte das Polizeipräsidium eingreifen und die Aufführung verbieten. Wenn dann endlich der bürokratische Kampf siegreich ausgefochten war, konnte die Premiere über die Bühne gehen. Und der Erfolg ließ nicht auf sich warten.

Er begann mit dem „Kleinen Theater“; die Besucherzahlen waren mehr als erfreulich, und um diesen wachsenden Erfolg auch auswerten zu können – im doppelten Sinn -sowohl künstlerisch wie auch finanziell, wurde beschlossen, dem Kleinen Haus eine größere Bühne anzugliedern.

Das Neue Theater am Schiffbauerdamm mit mehr als 500 Sitzplätzen, ebenfalls leicht erreichbar, weil in der Nähe der S-Bahn Friedrichstraße gelegen, war die ideale Ergänzung zum Kleinen Theater (das allerdings dann sehr bald aufgegeben wurde). Noch war Reinhardt als Darsteller vertraglich an Otto Brahm gebunden und durfte daher nicht als Theaterdirektor agieren, dafür übernahm Richard Vallentin erneut an seiner Stelle diese Funktion. Das Team des Kleinen Theaters wurde auch für das Neue Theater mit übernommen. 2)

Die Finanzen, genauer gesagt die gesamte Problematik der Finanzierung lag in den Händen von Edmund Reinhardt 3); er war der jüngere Bruder von Max Reinhardt und galt als die „graue Eminenz“ des Hauses ohne dessen Zustimmung nichts entschieden werden konnte und durfte. In einem Brief von Hugo von Hofmannsthal vom 27.Oktober 1918 kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck:

 … Gespräch mit Edmund Reinhardt nicht nur nicht ausweichen, sondern womöglich suchen. Er  s p i e l t den nur Geschäftsmann … und

[ist ] nur von Person zu Person zu gewinnen; er ist von höchstem Einfluß auf Max R. … 4)

Aber die finanzielle Seite ist nur eine Facette des Theateralltags, ebenso bedeutsam und entscheidend ist der Faktor „Werbung“. Als Vorbereitung für den Saisonbeginn 1903/04 erschien eine Werbebroschüre, ihr Inhalt: Abonnement- Angebot, incl. Bestellzettel, Spielplan, Liste der Mitglieder beider Bühnen, Auszüge aus Kritiken, reich bebildert sowie ein kurz gefaßter Text zu dem geplanten Programm der beiden Bühnen.

 … Zwei Gesichtspunkte leiten uns. Und mit bewußter Erkenntnis gehen wir aus, künstlerisches Neuland zu entdecken.

Wir wagen den Versuch, im begrenzten Rahmen der Schaubühne eine Vereinigung der Künste anzustreben. Bildhauerei und Malerei sollen uns helfen, das szenische Bild neu zu gestalten und die gröberen Kulissenwirkungen zu verdrängen – während die Musik das Wort haben soll, wo der Dichter es fordert und der Stimmungsgehalt der Dichtung es heischt. … 

Dieses … Programm soll vorzüglich im  N e u e n  T h e a t e r  verwirklicht werden, …

… [wir werden] im Kleinen Theater versuchen, jener intimen Kunst  Geltung und Gehör zu verschaffen, die von den feineren Geistern bereits Ende der achtziger Jahre aller Orten gefordert wurde.

Mit der Sehnsucht nach dem leisen, psychologischen Drama wurde auch das Gefühl lebendig, daß in unseren großen Schauspielhäusern mit den mächtig aufsteigenden Rängen das Beste gerade dieser intimen Kunst verloren gehen würde. In der beängstigenden Größe der Alltagstheater hatte sich eine eigene Bühnen-Optik und Bühnen-Akustik entwickelt.

Als nun die Anfänge des ersehnten psychologischen Dramas da waren, dessen Wirkung nicht im geringsten davon abhing, daß der Zuschauer imstande war, die feinsten und subtilsten Wirkungen dem Schauspieler vom Gesicht abzulesen – da wurde … der Wunsch nach dem k l e i n e n  H a u s e rege, wo jedes Wort verstanden, jede Nuance in Ton und Bewegung wahrgenommen werden konnte.

Das  K l e i n e  T h e a t e r in  Berlin glaubt der Erfüllung dieser idealen Forderung nahe gekommen zu sein. … 5)

 Was wir hier lesen, gleicht inhaltlich dem späteren Erinnerungstext, den Kahane als Quasi-Monolog  im „Tagebuch des Dramaturgen“ niedergeschrieben hat, in dem Max Reinhardt seine Vision seines Traum-Theaters  als "ein Theater, das den Menschen wieder Freude macht," als ein "Theater der Kammermusik" vorträgt. Der Hinweis auf die Ränge der großen Bühnen läßt sich unschwer als Anspielung auf die „Vierte“ des Burgtheaters lesen; wer dort oben sitzt oder steht, sieht nichts, hört nichts, der begeisterte Theaterbesucher muß „seinen“ Text des jeweils abends gesehenen Stücks sehr gut, also möglichst auswendig beherrschen um dem Geschehen auf der Bühne folgen zu können; er „erfindet“ sein Theatererlebnis, wenn er aus schwindelnder Höhe auf die Bühne hinunterschaut, auf der die Darsteller in der Größe eines Däumlings agieren.

Der neu engagierte  Dramaturg und Direktionsassistent Arthur Kahane hatte nur eine kurze Einarbeitungszeit; das zumindest belegen die wenigen überlieferten Briefe aus diesen Jahren. Die Souveränität, mit der Kahane sein Metier vom ersten Tag  betreibt, kann man in einem Brief an Gustav Gugitz, mit der Adresse Neues  Theater zu Berlin, Schiffbauerdamm 4a+5 nachlesen Er schreibt bedauernd, das Stück zurücksenden zu müssen, aber:

 …  Und des Eindrucks, daß bei aller psychologischen Schärfe  und Fülle der Figuren doch etwas undramatisch Blasses und Lebloses anhaftet, haben wir uns auch  nicht erwehren können.

Sie vergeben uns diese unsere ungeschminkte Aufrichtigkeit. … Anbei Manuskript …  6)  

 Von den umfangreichen Geschäftskorrespondenzen des Dramaturgen, des Direktionssekretärs Arthur Kahane sind viele (nach bisheriger Überlieferung) nur als Einzelstücke  überliefert; größere Briefwechsel mit bekannten Schriftstellern liegen publiziert vor. Aus der Fülle der Begegnungen im alltäglichen Umgang mit Autoren habe ich vier Korrespondenzpartner ausgewählt; mit Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, zwei Autoren sowie mit Ferruccio Busoni, Engelbert Humperdinck zwei Komponisten.

Hofmannsthal hielt sich das erste Mal in Berlin 1899 auf.  Anlaß war eine  Doppel-Uraufführung: zu gleicher Zeit wie im Deutschen Theater bei Otto Brahm wurde die „Hochzeit der Sobeide“ auch am Burgtheater in der Regie von Adolph von Sonnenthal gespielt.

Laut einer Meldung in der "Vossischen Zeitung" vom 29. März 1900 hatte Hofmannsthal für die Aufführung der „Antigone“ von Sophokles im Akademischen Verein einen Prolog geschrieben, es wird allerdings nicht gemeldet, ob er persönlich anwesend war.   7)

In der Korrespondenz Hugo von Hofmannsthals mit dem Reinhardt-Theater findet man ein sehr signifikantes Schreiben aus dem Jahr 1903, in dem darum gebeten wird, die Aufführungen der „Hochzeit der Sobeide“ sowie „Gestern“ verschieben zu dürfen.  – Diese Bitte zieht sich wie ein Ariadnefaden durch die umfangreichen Korrespondenzen nicht nur der frühen Jahre, die Arthur Kahane im Auftrag und im Namen von Max Reinhardt schrieb, schreiben mußte. An sich nichts Ungewöhnliches in der Korrespondenz einer Dramaturgie. Zweierlei ist dennoch daran bemerkenswert: 

Die „Hochzeit der Sobeide“ war vier Jahr zuvor am Deutschen Theater von Otto Brahm angenommen worden und unter der Regie von Emil Lessing uraufgeführt worden, der zweite Einakter war „Der Abenteurer und die Sängerin“. Nun wollte das Reinhardt-Theater den Einakter „Die Hochzeit der Sobeide“ nachspielen. Ein – scheinbar – ganz gewöhnlicher theaterüblicher Vorgang, hätte es sich um ein sensationelles Erfolgsstück gehandelt; was aber auf dieses Frühwerk von Hugo von Hofmannsthal nicht zutrifft, „Gestern“, war der Erstling des 17-jährigen Schülers, der sich „Loris“ nannte. Wollte die Reinhardt-Bühne mit der Aufführung der beiden Einakter „Gestern“ und „Die Hochzeit der Sobeide “ ein theatralisches Gegengewicht zum Brahm-Theater, zum Deutschen Theater, auf den Spielplan setzen? – Bei Brahm standen die Einakter von Arthur Schnitzler unter dem Titel „Lebendige Stunden“ auf dem Spielplan.  „Gestern“ wurde erst Jahre später in Wien 1928 als Leseaufführung uraufgeführt und auch die „Hochzeit der Sobeide“ wurde bei Reinhardt nicht gespielt.

In diesem Jahr 1903, dem Uraufführungsjahr  der „Elektra“ von Hofmannsthal, entsteht auch der Text „Die Bühne als Traumbild“ – vielleicht auch ein literarisches Spiegelbild des Dichters nach seinen  Theatererfahrungen bei Reinhardt? Mit „ Elektra“  beginnt die langjährige, kreative Verbindung zwischen Dichter und Regisseur; das bis heute lebendig gebliebene Dokument sind die alljährlich stattfindenden Salzburger Festspiele. 8)

In Zusammenhang mit der Gründung der Salzburger Festspiele schreibt Hofmannsthal am 27. Oktober 1918 an seinen Freund Leopold von Andrian, Intendant der k.k. Hoftheater:

  … Kahane nicht übersehen, sieht unscheinbar aus, ist aber eine Perle von einem Menschen, für den ich einstehe, wie für mich selbst. Mit ihm den Fall H[ermann] B[ahr] offen behandeln  …  9)  

 Dieser knappe Satz mit dem Hinweis auf Hermann Bahr könnte so gedeutet werden, daß Hofmannsthal seinem Freund Leopold von Andrian ein Gespräch, jedenfalls die Kontaktaufnahme zu Kahane empfiehlt, als Entscheidungshilfe. Hermann Bahr kannten beide, Kahane wie Hofmannsthal seit ihrer gemeinsamen Zeit im Café Griensteidl und  „Jung Wien“, wußten um seine problematische Persönlichkeit. Aber eine zweite Facette dieser Bemerkung ist von besonderer Bedeutung: dem Urteil, dem Rat des Dramaturgen, des Menschen Arthur Kahane wurde ein ganz besonderes Gewicht zugemessen.

Ganz anders nun das Szenario, das sich in der Korrespondenz des Theaters mit Arthur Schnitzler nachlesen läßt. Seit ihrem Beginn entwickelten die Reinhardt-Bühnen ein ausgeprägtes Konkurrenzverhalten zum Theater von Otto Brahm. Schnitzler wird von Otto Brahm gern und auch viel gespielt; aus dem Arbeitsverhältnis wird Freundschaft, die in einem umfangreichen Briefwechsel, häufigen Treffen und Besuchen ihren lebendigen Ausdruck findet.

Das junge aufstrebende Reinhardt-Theater, auf der Suche nach Profilierung und zeitgenössischen spielbaren Autoren konnte und wollte an Schnitzler nicht vorbeisehen. Es wurde eine sehr schwierige Arbeitsbeziehung. Der überlieferte Briefwechsel gibt ein sehr lebendiges, eindeutiges Bild der Positionen: da ist das Theater, in der Regel schreibt Arthur Kahane an Schnitzler, Reinhardt selten, das seine Wünsche, Forderungen optimal zum Ausdruck bringt, durchsetzen möchte. Der Autor, Schnitzler, erfahren im Umgang mit Theatern und ihren Winkelzügen, hat sehr genaue Vorstellungen zu den Aufführungen seiner Werke. Er weiß sehr genau um die Probleme eines Theaterbetriebes, aber bei aller Kulanz ist er nicht bereit eine unbegrenzten Hinhaltetaktik zu akzeptieren; begleitet wird diese Hinhaltetaktik von dem Junktim beide Stücke "Der einsame Weg" und "Der junge Medardus"zu erhalten ohne verbindliche Zusage zur Aufführung beider Stücke, insbesondere des Dramas "Der junge Medardus".

Anfänglich verfolgt Schnitzler den „Betrieb“ bei Reinhardt noch etwas amüsiert und schreibt darüber an seine Frau Olga am 18. November 1904:

 „Reinhardt ein kluger, eigentlich angenehmer Mensch.  Die Schwierigkeiten im Verkehr zweier Juden bleibt immer, sich gegenseitig über das innere und äußere Esoi hinwegzuschwindeln.“  10)

und am nächsten Tag , am 19.11.1904 beschreibt er die Arbeits–Atmosphäre:

       … es werde „wohl viel gearbeitet .., aber noch mehr Zeit vertrödelt, und die ganze Wirtschaft macht den Eindruck eines Traumlebens mit genialen Zügen … Es ist ein komisches Theater, aber wenn man einmal mitten unter den Leuten steckt, kann man sich nicht mehr recht ärgern …“ 10)

Doch dann spitzt sich die Situation immer mehr zu. Der Dichter ist unzufrieden mit der Haltung des Theaters gegenüber seinen Vorschlägen, das Theater seinerseits übt Druck aus, weil es ein Junktim durchsetzen möchte.  Der Höhepunkt der Krise, der dann zu einem langjährigen Abbruch der Beziehung führt, ist die genannte Causa „Der junge Medardus“ und „Der einsame Weg“, 1909. Der umfangreiche Briefwechsel zwischen dem Theater, im konkreten Fall geführt von Arthur Kahane und dem Dramatiker ist, besser noch – wäre –, an sich schon Vorlage für ein Theaterstück. Hier treffen zwei wortgewandte, mit der Lust am Schreiben begabte Menschen aufeinander, tauschen Gedanken, gegensätzliche Standpunkte aus – geschliffen, gelegentlich ironisch-sarkastisch – mit der Lust am Spielerischen trotz gegenseitiger Verärgerung, ohne dabei die Grenzen der gegenseitigen Achtung und des Respekts zu überschreiten. Bei der Lektüre der Briefe von Arthur Kahane kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie etwas „contre coeur“ geschrieben sind. Der „Meister“ will es so!

1917 nimmt dann ein anderer Mitarbeiter die Korrespondenz mit Arthur Schnitzler erneut auf; um 1920 wird der Briefwechsel erneut etwas intensiver, - es geht um die Freigabe und die Inszenierung des „Reigen“. – Erst ist Reinhardt Feuer und Flamme, schreibt auch schon Notizen zur Regie und -  läßt das Projekt fallen. Ein anderes Projekt hat sich „vorgedrängt“: Die Eröffnung der Salzburger Festspiele im August 1920 mit dem „Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal. Zur selben Zeit beginnt die gemeinsame Arbeit an dem auto sacramental „Il gran teatro del mundo“ von Calderón aus dieser Spielvorlage entwickelt Hofmannsthal das „Salzburger  Große Welttheater“. Die ersten Bemühungen von Reinhardt um ein Gastspiel am Burgtheater beginnen in dieser Zeit. Mit einem Wort – viel Unterschiedliches zur gleichen Zeit.  Reinhardt ohnedies nicht mehr an seiner Berliner Tätigkeit wirklich interessiert, verliert wohl das Interesse an der Realisierung des „Reigen“.

 '… Wir wagen den Versuch, im begrenzten Rahmen der Schaubühne eine Vereinigung der Künste anzustreben. Bildhauerei und Malerei … [sowie]  Musik[soll] das Wort haben, wo der Dichter es fordert und der Stimmungsgehalt der Dichtung es heischt …    11)    

 In der Werbebroschüre von 1903 beschreibt Kahane das Konzept wie die Künste – vor allem Musik – das theatralische Geschehen mitgestalten sollten. Kahane nimmt  den Gedanken auf, den ihm Reinhardt in ihrem gemeinsamen Gespräch im Café Monopol auseinandergesetzt hatte; den sie – vielleicht – erörtert haben, wenn sie gemeinsam ein Konzert im Bösendorfersaal, in der Herrengasse 5, in Wien, besuchten, wie er es in seinen Erinnerungen im „Tagebuch des Dramaturgen“ nochmals niederschreibt. In den frühen Briefen Reinhardts an Berthold Held 12) findet sich der musikalische Gedanke als Teil einer Dramaturgie ebenso. Und nicht zuletzt erinnert sich der Dirigent Bruno Walter 13) an viele nächtliche Spaziergänge mit dem jungen Reinhardt, in denen viel über Musik gesprochen wurde. In den ersten meist noch als Nachtvorstellung gespielten Parodien und brett’l - ähnlichen Veranstaltungen, die Reinhardt initiiert, gestaltet, in denen er oft auch selbst mitgespielt hat, spielt Musik eine entscheidende Rolle. 14)

Unter den zahlreichen Komponisten, die für Reinhardt Bühnenmusiken komponiert haben oder Kompositionen bühnengerecht eingerichtet haben, ragen zwei Musiker für die Jahre 1905 – 1918, Reinhardts künstlerisch produktivste und erfolgreichste Epoche zwei heraus: Ferruccio Busoni 15) und Engelbert Humperdinck.

Ferruccio Busoni war, seit er sich 1894 in Berlin niedergelassen hatte,  zu einer das Berliner Musikleben bestimmenden Persönlichkeit geworden. Es lag also nahe, daß sich auch das Deutsche Theater um den berühmten Komponisten bemühte, ihn für eine Bühnenproduktion zu gewinnen. Den Vermittler spielte vermutlich Carl Vollmoeller 16), der mit der Familie Busoni eng befreundet war. 1906 erschien bei Boosey & Hawkes die Orchestersuite, op.41 „Turandot“.  Es bleibt offen, was oder wer die Entscheidung „Turandot“ von Carlo Gozzi, in einer neuen Übersetzung von Carl Vollmöller auf die Bühne zu bringen bei Reinhardt ausgelöst hat.

Die Korrespondenz zwischen dem Deutschen Theater (vertreten durch Arthur Kahane) und Busoni zum Projekt „Turandot“ ist nur spärlich überliefert. Von der ersten Anregung, der ersten Kontaktaufnahme bis zur Premiere vergingen einige Jahre, es wurde von 1906 – 1911 geplant, verworfen, eingerichtet. Am 27.Oktober 1911 war es dann soweit: die Premiere dirigierte Oskar Fried 17); auch Busoni übernahm einige Vorstellungen. Der Erfolg der Premiere wurde von der Kritik zwiespältig beurteilt, die Länge der Aufführung wurde als zu lang (vier Stunden!) bemängelt, die Musik, vor allem die Instrumentation als zu „lärmend, zu laut“ empfunden (60 Orchestermusiker); das Experiment ging nicht restlos auf. 

Das Antwortscheiben von Arthur Kahane an den Komponisten, datiert vom 14.6.1913, enthält den Hinweis auf einen Projektvorschlag Busonis, den Kahane Reinhardt nach dessen Rückkehr aus den Ferien gerne vorlegen würde; welches Projekt damit gemeint sein könnte, muß noch offen bleiben. Das Anschreiben Busonis ist nicht überliefert.

Ist es vielleicht schon der Entwurf zu dem Einakter „Arlecchino“, den der Komponist für Alexander Moissi plant, der dann auch bei der Uraufführung in Zürich die Titelrolle spricht ? 

Aus der dem Dirigenten Carl Muck 18) gewidmeten Orchestersuite und der Bühnenmusik für das Deutsche Theater entstand die Oper „Turandot“. Sie wurde 1917 in Zürich uraufgeführt zusammen mit dem Einakter  „Arlecchino“ als Vorspiel; mit Alexander Moissi als Arlecchino. Eigentlich müßte es heißen: Commedia dell’arte I. und II.

Busoni, immer auf der Suche nach dem Möglichen, arbeitet an einer Oper, die den „Faust“-Stoff in seiner Vision auf die Bühne bringen soll, wollte er darüber mit Reinhardt reden? Feststeht jedenfalls, daß er an einer neuen Zusammenarbeit mit Reinhardt interessiert war:

 Ferruccio Busoni an Edith Andreae Zürich, (31.12.1915)

 … Inzwischen ist auch die Komposition eines Einakters vorgeschritten. Bei diesem Stück habe ich, im Entwerfen, an Reinhardt gedacht. Es fordert eine Sprechrolle und eine übermüthige Regie. … 19)

Engelbert Humperdinck 20) komponiert erstmals 1905 eine Bühnenmusik: für „Der Kaufmann von Venedig“; die Zusammenarbeit mit den Reinhardt-Bühnen endet mit dem Pantomimenspektakel „Das Mirakel“, mit dem das Unternehmen Reinhardt auch noch in den 20er Jahren auf Reisen gehen wird.

Den Komponisten Engelbert Humperdinck vorzustellen, hieße „Eulen nach Athen tragen“, die Märchenoper (nicht nur für Kinder) „Hänsel und Gretel“ kennt – fast –jeder. Weniger bekannt ist aber seine langjährige Zusammenarbeit sowie seine Kompositionen für die Reinhardtbühne. Die Korrespondenz und das überlieferte Notenmaterial liegen  als ungehobener „Schatz“ im Nachlaß Engelbert Humperdinck in der Frankfurter Universitätsbibliothek. Wolfgang Humperdinck berichtet in der Biographie über seinen Vater, daß die Bühnenmusiken aus der Zusammenarbeit mit Max Reinhardt an den Verlag Max Brockhaus in Leipzig gingen. Dieser stellte daraus u.a. Orchestersuiten zusammen, die weite Verbreitung fanden. 21)

Wie immer hatte auch Kahane an der Realisierung der Projekte seinen brieflichen Anteil; er beschreibt die sehr detaillierten Vorstellungen Reinhardts, dessen Wünsche  zur musikalischen Gestaltung, zur  Instrumentation, wie sie der Komponist umsetzen soll.  

Humperdinck komponierte die Bühnenmusiken zu den Inszenierungen von:

 „Der Kaufmann von Venedig“, 9. November 1905, es folgen: „Das Wintermärchen“, 15. September 1906, „Was ihr wollt“, 17. Oktober 1907, „Lysistrata“  27.Februar 1908, „Der blaue Vogel“, 23. Dezember 1912.

Das Mirakel“, aufgeführt am 17.September 1912 in Wien, in der Rotunde 22) schließt den Kreis der Kompositionen. Die Pantomime mit Musik in zwei Akten und einem Zwischenspiel nach einer Textvorlage von Carl/Karl Vollmöller nimmt eine Sonderposition im Zusammenhang des Reinhardtschen Opus ein. Sie eignet sich hervorragend für Gastspiele auch in anderssprachigen Ländern, Teil des Repertoires bei den zahlreichen Gastspielreisen der Reinhardt-Truppe in den 20er Jahren.

Erste Erfahrungen mit Großraum–Bühnen, mit Arena-Bühnen gab es bereits während der Münchner Sommerfestspiele zwischen 1909 und 1911. Sie kamen den Expansionsbestrebungen Reinhardts entgegen; Reinhardts Phantasie spannte „ihre Flügel“ weiter - kleine Theaterräume wie die der Kammerspiele oder des Deutschen Theaters genügten seinen theatralischen Visionen nicht mehr. In einer Arena, in einem Zirkusrund gab es keine Logenränge, sondern – ähnlich wie in einem antiken Theater  – ein aufsteigendes Halbrund des Zuschauerraums (wie es  Richard Wagner im Bayreuther Festspielhaus realisiert hatte), ohne Logen und mit einer flacher Bühne. In Berlin gab es den ersten Versuch einer Arena-Bühne mit dem Zirkus Schumann; aufgeführt wurde u.a. der „Jedermann“ von Hofmannsthal, 1911.

Die „Riesenräume“, die Reinhardt nun bespielte oder bespielen wollte, waren mehr als eine künstlerische Option, sie boten auch einen größeren finanziellen Gewinn (so die Vorstellungen ausverkauft waren), denn die nicht subventionierten Privat-Bühnen mußten wie ein Geschäftsbetrieb geführt werden. Dazu kamen die immer weiter expandierenden Gastspieltourneen des Reinhardt-Theaters. Diese Entwicklung klingt wie ein Kontrapunkt zu dem ursprünglichen Konzept eines kammermusikalischen Theaterideals, das Reinhardt angedacht hatte; sie entspricht aber auch dem allgemeinen Trend seiner Zeit. Ein mit 1911 datierter programmatischer Text, verfaßt von Kahane, veröffentlicht in den Blättern des Deutschen Theaters, gibt darüber  Auskunft:

 Das Theater gehört dem Theater … Seine phantastische Buntheit, die Unbegrenztheit seiner Möglichkeiten und Variabilitäten, das Ineinander von Klang, Wort, Farbe, Linie, Rhythmus schaffen den Boden, aus dem seine tiefsten Wirkungen wachsen. Das Theater ist weder eine moralische noch eine literarische Anstalt … Auf einem uns vorgeschriebenen Wege suchten wir den Rahmen des heutigen Theaters zu erweitern, seine Wirkungen zu steigern, den Kontakt mit dem Publikum enger zu machen. So war es kein Zufall, wenn wir vom kleinen Theater in die Arena stiegen.  … 23)

Die in Musik gesetzte Pantomime „Das Mirakel“ von Engelbert Humperdinck ist das ideale Stück für Aufführungen in Riesenräumen, erstmals präsentiert in der Olympia Hall in London am 23. November 1911. Plakativ, musikalisch eingängig, sprachlos, auf die große Geste gestellt, einige wenige mobile Dekorationen, dafür aber viel Spiel mit Licht – so könnte die Kurzbeschreibung als Vorgabe für theatralische, musikalische sowie raumgestalterische Umsetzung lauten.

1912 zog Reinhardt mit dem „Mirakel“ in Wien ein; gespielt wurde in der „Rotunde“ im Prater. Gleichzeitig wurde das „Mirakel“ verfilmt, Reinhardt führte Regie und trat als Produzent (Max Reinhardt Produktion) auf .

Von allen Reinhardt-Inszenierungen ist diese Pantomime vermutlich die finanziell am besten ausgewertete Produktion; Tantiemen, Publikumswirksamkeit, Publizität, internationales Ansehen. Als treibende Kraft für diese totale Auswertung einer in den Herstellungskosten sicherlich sehr aufwendigen Produktion wird man vor allem in Edmund Reinhardt zu suchen haben, die dazugehörige Geschäftskorrespondenz wird Kahane seinem Auftrag gemäß geführt haben. Es bleibt beim Konjunktiv, denn die überlieferten Unterlagen ergeben nur ein sehr unvollständiges Bild. 24)

Am 9.Oktober 1920 erklärte Max Reinhardt seinen Rücktritt als Direktor der Theater, die in seinem Besitz sind: Das Deutsche Theater und die Kammerspiele sowie Das Große Schauspielhaus (Deutsche Nationaltheater A.G.). Der Hintergrund dieses Rücktritts ist vielfältig. Holzschnittartig skizziert: mit der Ausrufung der Republik endete die Wilhelminische Ära.  Reinhardt hatte sein Theaterkonzept  gegen die konservativen Tendenzen, „Was Kunst ist, bestimme ich!“ (Wilhelm II.) , entwickelt, er hatte gegen den Konservativismus gespielt, der keinerlei Veränderungen akzeptierte. Diese Basis gab es nicht mehr. Die politischen Unruhen des Umbruchs von 1918/1920, die unsichere finanzielle Entwicklung waren weitere Faktoren. In der zeitgenössischen Berliner Kritik wurde seine Art Theater zu spielen zunehmend als „etwas Vergangenes“ bewertet, wahrgenommen; eine junge, politisch motivierte Generation – Leopold Jessner, Erwin Piscator, Bertolt Brecht u.a. spielte sich in den Vordergrund, wurde bestimmend für die Theaterlandschaft der Hauptstadt des Deutschen Reichs.

Als Reinhardt nach Wien zurückkehrte, begann er mit der Suche nach einem eigenen Haus für seine Schauspieler. Das „gescheiterte Burgtheaterprojekt" könnte man das kurze Kapitel „Reinhardt und das Burgtheater“ betiteln. 1918 war die Direktion des Burgtheaters neu zu besetzen. War das Burgtheater, bzw. die Übernahme der Direktion tatsächlich Reinhardts Vision als er dem Theater das Gastspiel des Deutschen Theaters, mit seinen Schauspielern, anbot? Die Absage war unmißverständlich, vom Direktor bis zum kleinsten Darsteller – „man wollte das Burgtheater bleiben und nicht zu einer Dependance des Deutschen Theaters mutieren“. Doch Wien wäre nicht Wien, hätte man nicht nach einem Kompromiß gesucht auch um das Gesicht zu wahren: die Absage wurde umgewandelt in das Angebot die Redoutensäle zu bespielen, die dafür von Alfred Roller adaptiert wurden.    

Felix Hollaender übernahm die Direktion der Berliner Reinhardt-Bühnen und veränderte sein Team. Heinz Herald, seit 1910 als Dramaturg an den Reinhardt-Bühnen engagiert, trat an die erste Stelle im Team; gemeinsam mit Arthur Kahane betreute er die Programmzeitschrift „Blätter des Deutschen Theater“, gab mit Kahane die programmatische Reihe des Theaters „Das junge Deutschland“ heraus.

Für Kahane, den langjährigen Mitarbeiter änderte sich – oberflächlich beurteilt – nicht allzuviel. Er blieb Dramaturg, seine wesentlichste Funktion, von allem anderen, dem rein Organisatorischen entlastet, wird er wahrscheinlich als Befreiung empfunden haben. Er war, wie sein Sohn Ariel Kahane erzählt, kein Machtmensch. Endlich konnte er, so meine These, sich vermehrt dem „freien“ Schreiben widmen. 

Die Veränderungen des Berliner Theaterimperiums, das Große Schauspielhaus wird an Erik Charell 25) vermietet, dafür kommt das Theater am Kurfürstendamm, später die Komödie dazu. Reinhardt kehrt kurzfristig wieder nach Berlin zurück, übernimmt ebenso kurzfristig die Direktion, verpachtet seine Bühnen, kehrt nach Wien zurück, Nach dem Tod von Edmund Reinhardt, 1929, erneute Rückkehr nach Berlin, aber: die schwierige Lage – um es vorsichtig auszudrücken – der Reinhardt-Bühnen ist kein Geheimnis mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig und treffen nicht nur die Geschäftsgebahrung der Reinhardt-Bühnen:

Inflation, die Luxussteuer, verändertes Publikumsverhalten, der Film sowie die bereits genannte zunehmende Politisierung des Theaters verlangten auch von den Reinhardt-Bühnen ein neues Spielplankonzept. Die Revue war das Gebot der Stunde des Erfolgs, Serienaufführungen mußten in immer größerem Ausmaß geplant werden (Theater am Kurfürstendamm, Komödie) – und dafür waren die geeigneten Stücke zu lesen, zu finden, einzurichten usw. Welchen Anteil Kahane an dieser veränderten Konzeption hatte, bleibt vorerst offen.

Reinhardt hatte 1905 dem Theater eine Schauspielschule angegliedert; pauschal formuliert, wer Schauspieler werden wollte, also Sprechen lernen, Rollenstudium, Bewegungsstudium – einfach das „Handwerk“ hatte sehr lange Zeit wenig professionelle Möglichkeiten. Es gab die Möglichkeit des privaten Unterrichts von sehr unterschiedlicher Qualität;  die wenigen Konservatorien, die es gab, waren meist privat geführte Einrichtungen und in der Regel sehr kostenintensiv für den lernenden Adepten.   

Gerhard Ebert hat die Geschichte der Reinhardtschen Schauspielschule des Deutschen Theaters akribisch aufgearbeitet. Mit Beginn der 20er Jahre kam es zu einer entscheidenden Änderung bei der Einteilung der Rollenfächer: es wurde nicht mehr nach Fach engagiert –  wie z.B. Jugendliche Naive, Heldenvater usw. Das hatte auch für die Ausbildung Folgen: ein Rollenstudium im konservativen Kontext war nicht mehr nötig. Das besondere an der Schauspielschule des Deutschen Theaters: Dieses fachbezogene Rollenstudium hatte es an der Schauspielschule Reinhardt im Deutschen Theater  als Unterrichtsfach von Anfang an nicht gegeben; statt dessen wurde der Schwerpunkt des Unterrichts auf das Erarbeiten, Verstehen der inneren Zusammenhänge – immer im Kontext mit dem Stück sowie einer, mehrerer Szenen gelegt. Das Resultat dieser Arbeit wurde regelmäßig vor Publikum präsentiert.

Berthold Held, der die Schule damals leitete, setzte es als selbstverständlich voraus, daß Arthur Kahane an dem Resultat der Arbeit der Schauspielschule interessiert war, teilnahm. Sollte doch der Nachwuchs ganz im Sinne der Reinhardtschen Theatervorstellungen herangebildet werden.     

 Lieber Kahane, wenn Sie auch sagen, daß Sie Ihre Abende zur Arbeit brauchen, so erscheint mir andrerseits Ihre Anwesenheit im Szene-Abend im Interesse des Deutschen Theaters, der Schule und der Schüler ungemein wichtig. Ihr Votum für ein eventuelles Engagement fällt doch sehr in die Waagschale. 25)

 Eines aber bleibt unverändert - sein tägliches Metier, wenn er in seiner nunmehr sehr kleinen Kammer hinter seinem Schreibtisch sitzt, Stücke liest, Ratschläge gibt, immer skeptisch, freundlich, wenn Schauspieler mit Forderungen Anschuldigungen oder euphorischen Ergüssen bei ihm auftauchen, enttäuschte Autoren tröstet …   

Schauspieler trösten, skeptisch bleiben, sie dennoch „befrieden“, wie Kahane das tat,  berichtet Bernhard Reich etwas mißbiligend. Er beschreibt wie Kahane in solchen Situationen seine ganz besondere Gabe, Phantasie anderer zu entzünden, gerne eingesetzt habe.

 Eine Charge, Friedrich Kühne, wollte gerne „mehr sein“. Arthur Kahane überredete Kühne, die winzige Rolle dennoch anzunehmen. Max Reinhardt wiederum animierte daraufhin den Darsteller bei den Proben durch Selbstspielen zu eigenen Einfällen.

 … auf diese Weise wurde die winzige Rolle zu einer großen … Nach der Generalprobe hatte Kahane ein ernstes Gespräch mit Kühne: „großartig, zu großartig. Sie sprengen das Stück und gefährden den Erfolg. „

Ich (Bernhard Reich) erklärte Max , das gehe so nicht; wir müssen hier und dort einige üppige Wucherungen abschneiden.   … 26)

Bei der Premiere war die Rolle auf ihre ursprüngliche "Winzigkeit" zurückgeschrumpft.

 Bernhard Reich weiter:

 … Bei meiner ersten Besprechung mit Reinhardt waren seine intimsten Ratgeber, Arthur Kahane und Felix Hollaender anwesend. Kahane, der unermüdliche Peripathetiker, sprach mit leiser Stimme. Er war mager, nachlässig gekleidet … Er hatte eine Vorliebe für feinschmeckerische psychologische  Deutungen und Beobachtungen. Seine Analysen regten Literaten an, verwirrten aber Schauspieler. Er schien theaterfremd zu sein; das Spielen indessen war sein Element . … 27)

Bernhard Reich, der bekennende Kommunist vertrat eine andere Form des theatralischen Geschehens seit seinen Anfängen. Er wollte – wie z.B. Erwin Piscator – ein politisches, proletarisches Theater. Theater das propagandistisch den Zuschauer ideologisch „erzieht“ und nicht unterhält. Mit diesem zugegeben sehr pauschal formulierten gedanklichen Hintergrund sind das Urteil und die Beobachtungen von Bernhard Reich über Arthur Kahane zu lesen; lassen den Gegensatz hervortreten, der die beiden trennt. Zugleich aber wird deutlich, daß Kahane seit Beginn seiner Mitarbeit an den Reinhardt-Bühnen der „Dritte Mann“ war, der im Hintergrund – Edmund Reinhardt vergleichbar -  nicht ohne entscheidenden Einfluß war.

 Welche Briefwechsel, Autobiographien oder Biographien der Zeitgenossen man liest, auch wenn sie nicht unbedingt direkt mit dem Theaterbetrieb verbunden waren, der Name Arthur Kahane ist immer wieder zu finden. Der jeweilige Briefschreiber, der Autor erzählt wie er die Person Kahane wahrnimmt, beschreibt seine Persönlichkeit sowie seine Arbeit im Theater. Das Résumé dieser Lektüre klingt in etwa so: 

Er war charmant in einer sehr altösterreichischen Weise (ich höre oder lese vielmehr das heute unendlich ausgewalzte Cliché vom österreichischen Schmäh und Charme) , wie  sie das eher kühle Berlin nicht kannte, unaufdringlich, gelegentlich ironisch bis sarkastisch, aber nie verletzend, seine herausragendste Eigenschaft war: er besaß nicht das geringste Machtbewußtsein, wollte auch keine Macht ausüben, weswegen er auch nie Regie führen wollte. Die beiden letzten Eigenheiten befähigten ihn, dem Machtmenschen Reinhardt standzuhalten und dennoch für ihn zu arbeiten ohne Persönlichkeitsverlust; was anderen nicht gegeben war, denn viele, die als Dramaturgen bei Reinhardt engagiert wurden, verließen mitunter schon nach wenigen Wochen das Reinhardt–Imperium 28)

Eine kleine Auswahl aus dem Chor der Zeitgenossen soll das Bild Arthur Kahane abrunden, ergänzen; ich bitte Tilla Durieux auf die Bühne.

 … Unter den Dramaturgen, die in den ersten Jahren Reinhardt berieten, von denen Kahane ein stiller, fleißiger Schriftsteller und Efraim Frisch ein richtiger Gelehrter war, ragte Felix Hollaender hervor, der Typus des talentvollen fanatischen Juden. Er war es, der Reinhardts große  Allüren unterstützte; und er war es, der ihn, als Fürsten auf einen Thron setzen wollte. Aber er machte ihn zum Industriellen.  … 29)

 Eduard von Winterstein:

 … Kahane war ein Wiener Journalist und nach Berlin gekommen, um hier sein Glück zu versuchen. Wir hatten ihn an unserem Nachmittagsstammtisch im Café Monopol kennengelernt, und Reinhardts erste Tat, als er die Direktion übernahm, war, daß er Arthur Kahane engagierte. Kahane war ein kluger und feiner Kopf, im Gegensatz zu dem mit breiten Ellenbogen dahergehenden Berliner Felix Hollaender, …  Hollaender war laut, Kahane war leise …

Kahane war der eigentliche Dramaturg des Theaters, er las gewissenhaft alle eingereichten Stücke. Aber daneben hatte er noch das schwere und undankbare Amt des Direktionssekretärs. Wenn Hollaender den Verkehr mit der Presse leitete, so hatte Kahane den Verkehr mit den Schauspielern. Reinhardt hatte von Anfang an das Bestreben, eine Mauer um sich zu bauen, alles Unangenehme, Fatale von sich fernzuhalten, es auf andere abzuwälzen. Auf andere, das hieß in erster Linie auf Kahane. Wenn ein Schauspieler unzufrieden war, wenn er eine Rolle nicht bekam, die er sich gewünscht hatte, oder wenn er eine bekam, die ihm nicht paßte oder ihm seiner unwürdig schien, so lief er zu Kahane, und Kahane hörte geduldig und still alle Klagen , alle Beschwerden, alle Flüche und Verwünschungen an. Wie oft hat es dieser stille und kluge Mann verstanden, in ruhiger Auseinandersetzung die Wogen der Erregung zu glätten! Andrerseits mußte er oft Schauspieler zu sich bitten, um ihnen Unangenehmes zu sagen. Er war darum bei den Schauspielern nicht allzu beliebt.  Immer und immer wieder ärgerte ich mich über den Mangel an Achtung und die Respektlosigkeit, die so viele Schauspieler, unfähig, den Wert dieses Mannes zu erkennen, Arthur Kahane gegenüber bewiesen. Ich persönlich schätzte ihn sehr, ich möchte beinahe sagen, ich liebte ihn. Ich habe stundenlang, wenn mir die Probe dazu Zeit ließ, bei ihm in seinem kleinen Büro gesessen und mich mit ihm unterhalten. Manche dieser Unterhaltungen hat er in Zeitungsartikeln niedergelegt, die er im „Berliner Tageblatt“ unter dem Titel “Gespräche mit einem Schauspieler“ erscheinen ließ. Er hatte die Angewohnheit in einem Diarium, das er neben sich liegen hatte, jedes Gespräch, das er in seinem Büro führte, auch wenn es die banalsten Dinge betraf, schriftlich festzuhalten. Er allein wäre der Mann gewesen, die dreißigjährige Geschichte der Ära Reinhardt zu schreiben … 30)

 Welche Funktion Reinhardt von allen seinen Mitarbeitern erwartete, ihnen zumutete, insbesondere von Kahane, zitiere ich nochmals:

Reinhardt hatte von Anfang an das Bestreben, eine Mauer um sich zu bauen, alles Unangenehme, Fatale von sich fernzuhalten, es auf andere abzuwälzen. Auf andere, das hieß in erster Linie auf Kahane …

 Wie dieses „Mauer bauen“ formuliert wurde, darüber gibt ein Brief von Kahane an Busoni vom 14. 6.1913 Auskunft:

Die Saison ist fast zu Ende; Busoni hatte einen Brief an Reinhardt geschickt und darauf schreibt Kahane:

 … Reinhardts Adresse kann ich Ihnen leider nicht angeben, denn ich weiß sie selbst nicht. Er dürfte wohl noch unterwegs sein und bis jetzt keine feste Adresse haben. … Natürlich bin ich gerne bereit, sobald ich Reinhardts Adresse habe, ihm Ihren Brief nachzusenden, fürchte aber sehr, daß er unbeantwortet bleibt, weil Reinhardt während der Ferialmonate naturgemäß niemand hat, der ihn bei seiner Correspondenz unterstützt. … Unverbindlich möchte ich hinzufügen, daß ich einerseits weiß, daß in der ersten Hälfte der nächsten Spielzeit Reinhardts Zeit bereits so vergeben ist, daß die Uebernahme einer neuen Regieaufgabe ausschaltet, während ich andrerseits weiß, daß er sich für Sie und Ihr werk außerordentlich interessieren wird.  … 31)

Stefan Grossmann, gehörte für kurze Zeit zum Team Reinhardt, bevor er sich wieder seiner eigentlichen Berufung – dem Schreiben  - widmete, zu einem an einem Theater sehr  seltenen Jubiläum, 25 Jahre Dramaturg gewesen zu sein:

 ' … Auch das ist ein Jubiläum. Arthur Kahane ist am 1. Oktober fünfundzwanzig Jahre bei Reinhardt. Uff, das war eine Leistung Arthur! Die meisten Dramaturgen Reinhardts – wer war bei ihm nicht Dramaturg? – rannten nach einer Saison davon. Der Betrieb fraß Nerven und Hirn, Reinhardt, der große Menschenfresser, benutzte seine Dramaturgen bei Tag und Nacht, als Vorleser, Bearbeiter, Vorzimmerhüter, Beschwichtiger, Verleugner, Entdecker, Versöhner, auf der Bühne und auf der Reise, zu Hause und im Bureau. … einer hielt aus … unerschütterlich,  … ein rührender Apologet, Laufbursche und Theoretiker seines Meisters: Kahane. Von Natur aus ein sehr begabter Schriftsteller – schwieg er fast fünfundzwanzig Jahre, sein Herr ließ ihm keine Zeit. … ein analytischer Kopf, ein an Franzosen geschulter Zweifler, hat er an seinem Herrn Reinhardt nicht zwei Minuten gezweifelt. Als junger Rebell zog Kahane ins Deutsche Theater, mit etwas ergrautem Haupt, wandelt er jetzt, Familienvater mit Geldsorgen durch das Haus, ohne das er nicht leben kann.Er  hat einem Genie das Kernstück seines Lebens ohne Bedenken geschenkt. 'Möge er dafür nicht zu bitter büßen. 32)


Der  Schriftsteller – Romane, Feuilleton, Essays  

 …Als kritischer Feuilletonist- Essayist stand er unter einem günstigeren Stern [denn als Buchautor, so die Meinung von Ariel Kahane, Anm.d.Verf.] In gewählter, oft scharf satirischer Sprache brachte er Bilder aus dem Theaterleben, Begegnungen mit den verschiedensten außergewöhnlichen Persönlichkeiten, welche sich ihm gegenüber offener Worte bedienten, Kulturkritiken und Stellungnahmen zu künstlerischen Problemen. Gewiß ohne Sensationen, ohne Enthüllungen, nicht dramatisiert, hingegen reich mit Humor durchsetzt. Das häufige Gedrucktsein in großen Blättern gab ihm eine Genugtuung, auch eine gewisse Popularität, wenn er auch dabei manchem Redakteur wie Leser zu feinästhetisch oder moralisierend erschien. Zwischen der unmittelbaren Theatertätigkeit und seinem freien Schriftstellertum stand seine Herausgebertätigkeit der Zeitschrift „Das junge Deutschland“ , welche das Auffinden von jungen modernen, damals eben expressionistischen Talenten und ihre Uraufführungen im geschlossenen Kreis seitens der Reinhardt-Bühnen begleitete.  Hierin ging er mit der Zeit, avantgardistisch und wußte Talente herauszufinden und zu fördern ….

 Und

 …[ Er] bezeugte  doch einen entwickelten Sinn für diese [bildenden Künste] und ihre Einordnung in das Theater zu einem stilgereiften Gesamtkunstwerk. Was wir ihm Nahestehenden in seinem Leben vermißten, war seine Unterlassung, zu Gunsten seiner späteren Romane, der Abfassung des beruflichen Grundwerkes, zu dem er wie nur wenige berufen war: Der deutschen Dramaturgie. Eine solche war damals fällig. Kahane schritt nie zur Systematisierung seines einzigartigen Theaterwissens, behandelte nur Einzelaspekte, oder wenn er in das Umfangreiche trat, dann nur in Sammeldarstellungen …

  … Während ihn diese Schlüsselposition [als Dramaturg der Reinhardt-Bühnen, Anm.d.Verf.] im Theaterleben in seinen jüngeren Jahren ganz in Anspruch nahm, glich er im Reifealter seinen Verzicht … durch eine Nebentätigkeit als Dichter-Schriftsteller aus. Als Dichter … [traf ] er nicht mehr den Stil der Zeit. Als Schriftsteller, weite Verbreitung … heute [findet man] keinen Nachdruck oder Nachhall mehr von diesem Wirken … 1)

 Ariel Kahane, der jüngste Sohn Arthur Kahanes erfaßt hellsichtig das „Dilemma“ des Schriftstellers Kahane, der dem Theater verfallen ist, der sich nie davon wird lösen können.

Das selbstbestimmte Schreiben, als freier Schriftsteller, ist sein Fluchtpunkt, sein Refugium, frei von jeder Bindung an das Theater (als Institution); bei kritischer Betrachtung fehlt dennoch der allerletzte Schritt der Lösung von allen Vorbildern, es ist als lese man in Texten einer „gefesselten Phantasie“.

Das essayistische Oeuvre, die Rezensionen und andere kleine literarische Formen, veröffentlicht in Zeitschriften, Zeitungen, Beiträge zu Programmbüchern, sowie für den Rundfunk spannen thematisch einen weiten Bogen; greifen Alltagsthemen auf ebenso wie philosophische Überlegungen und zeitbezogene Themen, auch zu dem sich immer mehr verbreitenden Antisemitismus, konkret müßte es heißen: Gegen die sich immer weiter ausbreitende  Propaganda der Nationalsozialistischen Partei, deren bestimmender Programmpunkt der Antisemitismus ist: rassistisch, antikapitalistisch und antireligiös.

Das zentrale Thema seiner Schriften, ob Feuilleton oder Roman, bleibt dennoch das Theater in allen seinen Formen, Farben, Spielformen.

Die Form und Sprache des Wiener Feuilletons des ausgehenden 19.Jh. formen den Schriftsteller Arthur Kahane; aus der Fülle der bekannten Namen stehen einige wenige als pars pro toto: Ludwig Speidel, Theater- und Musikkritiker der „Neuen Freien Presse“,  Julius Bauer, der Librettist, schrieb für das „Illustrierte Wiener Extrablatt“ Theaterkritiken; Sigmund Schlesinger, schrieb neben seinen beliebten Feuilletons Theaterkritiken für die „Wiener Morgenpost“, vor allem aber für das „Neue Wiener Tagblatt“,, sowie  Berichte zum Wiener Gesellschaftsleben. Seine Salonstücke wurden mit viel Erfolg im Burgtheater aufgeführt. Sein Bruder Max war in erster Linie Gesellschaftsjournalist und berichtete über „tout Vienne“. Ich erlaube mir die Überlegung: waren es vielleicht die Schriften der Brüder Sigmund und Max Schlesinger, die das Oeuvre von Arthur Kahane beeinflußt haben, sprachlich formal, thematisch ? Was macht das Wesen des Feuilletons, eine heute verlorengegangene Form und Art des Denkens aus ? Leichtigkeit, scheinbar spielerisches Verbergen des Schweren unter der glatten, und dennoch keineswegs geglätteten Oberfläche – so könnte man in wenigen Worten dem Phänomen „Feuilleton“ näher kommen.

Die kleine Form, das Feuilleton, bestimmt das umfangreiche publizistische Werk des Schriftstellers Arthur Kahane; darauf im einzelnen einzugehen wäre einerseits eine Geschichte der Reinhardt-Bühnen, andrerseits entstünde ein – oftmals penibel gemaltes Panorama seiner Zeit, seines Umfelds. 

Er hat vier Romane geschrieben:

Clemens und seine Mädchen“, Widmung für Hermann Bahr, ist ein Entwicklungsroman.

Willkommen und Abschied“, der Roman ist Willi Handl gewidmet; eine Dreiecksgeschichte, geschrieben wie ein Kolportage-Roman.

Die Tarnkappe“ ist ein Unterhaltungsroman, der Widmungsträger Karl von Levetzow. 2) 

Der Schauspieler“ Widmung für Max Reinhardt

Allen diesen vier Titeln ist gemeinsam: die Verwandlung, das Geheimnis der Verwandlung literarisch zu erfassen, Verwandlung ist Leben, oder um mit Euripides zu sprechen: „Leben ist immer ein Anfang“.

Die Novellen aus der Bibel“ könnte man aus der Sicht literaturhistorischer Kategorien als  Anthologie definieren. Möglich, daß die Herausgeber, in diesem Fall Arthur Kahane und sein Verleger, Erich Reiss, eine andere Intention verfolgten: 1917, das ist das Erscheinungsjahr des Titels, war das schwerste Jahr des Weltkriegs – ist in die Geschichte eingegangen als der sogen. Steckrübenwinter. Der Hunger dominierte alles, und man aß diese Rüben als Marmelade, Kartoffel , trank sie als Kaffee. Die Siegeseuphorie von 1914 war in die Realität des kommenden Untergangs umgeschlagen. Die Texte, die Kahane aus dem Alten Testament in der Übersetzung von Martin Luther zusammenstellte, erzählen von Krieg, Verlust, Vertreibung, aber vor allem von dem Prinzip Hoffnung. 3)

Die 1930 erschienene Geschichte „Die Thimigs. Geschichte einer Schauspielerfamilie“ ist  mehr als nur die werkbiographische Beschreibung einer Schauspielerfamilie; es ist  die Erzählung und Darstellung einer theatergeschichtlichen Epoche, die 1874 beginnt und zum Zeitpunkt des Erscheinens noch immer andauert. Die „vier Thimigs“ waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung quasi omnipräsent im Film, im Theater. Die Spiel- Kunst der Thimigs wurzelt in der Tradition des Hof–Burgtheaters; mit dem Engagement an die Reinhardt-Bühnen wird die Tradition des ehemaligen Hoftheaters um die neue Tradition des Reinhardtschen Schaupieler-Theaters erweitert. Über die Einzeldarstellung spannt der Autor Kahane ein weites Panorama  des Theaterlebens, der Theatergeschichte. Er führt den Leser vom k.k. Hofburgtheater in Wien nach Berlin, an das preußische königliche Schauspielhaus, wechselt zum Deutschen Theater, und kehrt auf Umwegen nach Wien zurück,  zu den „Schauspielern des Theaters in der Josefstadt unter der Führung von Max Reinhardt“. Um es mit einem bühnentechnischen Wort zu beschreiben: die Zentralperspektive ist der Versuch, sich dem „Mythos“ Burgtheater wie dem „Phänomen“ Max Reinhardt anzunähern.

Es treten auf:

Hugo Thimig (1854 – 1944)

Franz von Dingelstedt, von 1870-1881 Direktor des k.k.Hofburgtheaters, engagierte1874 den jungen gerade  zwanzig Jahre alt gewordenen Hugo Thimig, als jugendlichen Liebhaber: Hugo Thimig wechselte aber sehr bald in das komische Fach, brillierte vor allem in Rollen, die die Kunst und das Können eines Darstellers der commedia dell’arte forderten. Es folgten Rollen im Charakterfach, zuletzt die „Väterrollen.“  Mit der Darstellung des alten Weiring in „Liebelei“ von Arthur               Schnitzler im Th.i.d.Josefstadt, Regie: Paul Kalbeck verabschiedete sich Hugo Thimig 1933 endgültig von der Bühne.

      1912 übernahm er nach dem plötzlichen Tod von Alfred von Berger die Direktion des k.k.   Hofburgtheaters; 1917 legte er dieses Amt nieder, die Mehrfachbelastungen, Schauspieler, Regisseur und Direktor waren zu viel geworden.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Sammelleidenschaft von Hugo Thimig: alles was mit Theater auch nur entfernt zu tun hatte, sammelte er; sein Sammlungsschwerpunkt war, neben sehr seltenen Theatertexten, alles was zur Geschichte des Burgtheaters gehörte – von den Resten einer Logenbrüstung als dem alten Haus am Michaelerplatz bis hin zu Theaterbillets. Seine Sammlung bildet das Kernstück des heutigen Theatermuseum in Wien; er hatte seine Sammlung an die Österreichische Nationalbibliothek gegeben, um die Gründung einer Theatersammlung zu ermöglichen. 

Helene Thimig (1889 – 1974)

Helene Thimig debütiert am königlichen Schauspielhaus in Berlin, 1911, sie gehört dem Ensemble bis 1917 an; im gleichen Jahr wechselt

sie an das Deutsche Theater, spielt als erste Rolle die Elsalil in „Winterballade“ von Gerhart Hauptmann. Sie spielt  in Berlin, sie spielt in Salzburg bei den Festspielen, sie gehört wie ihre beiden Brüder und ihr Vater zum Ensemble des Theaters in der Josefstadt. Die Beziehung zu Max Reinhardt beginnt 1917 – es folgt die Heirat 1935, sie folgt ihm in die USA ins Exil, kehrt 1947 nach Wien zurück, es folgt ein Engagement an das Burgtheater, später an das Th.i.d.Josefstadt. 1953 übergibt sie einen Teilnachlaß Max Reinhardt der Österreichischen Nationalbibliothek, Theatersammlung, heute Theatermuseum.

Hermann Thimig (1890 – 1982)

Hermann Thimig kommt als junger Schauspieler 1915 nach Berlin, gastiert am königlichen         Schauspielhaus sowie an der Volksbühne. 1916 folgen erste Filmrollen; er wird ein erfolg-     reicher Filmschauspieler erst im Stummfilm anschließend im Tonfilm. Mitte der 30er Jahre kehrt er zum Theater zurück, gibt aber das Filmen nicht auf . Er beendet seine Theater- Laufbahn als Kammerschaupieler des Burgtheaters.

Hans Thimig (1900 – 1991)

Hans Thimig beginnt seine Laufbahn als jugendlicher Darsteller am Burgtheater von     1918 – 1924; wechselt dann im gleichen Jahr in das Theater in der Josefstadt. Daraufhin wurde das Theater liebevoll spöttisch „Thimigtheater“ genannt. Nach 1938, als aus Österreich die Ostmark geworden war, übernimmt Hans Thimig die Leitung des Th.i.d,Josefstadt, gemeinsam mit Heinz Hilpert (für das Deutsche Theater in Berlin) – und wie dieser wird er das Haus dem ideologischen Zugriff der Nationalsozialisten entziehen. 1949 folgt dann das Engagement an das Burgtheater; erneut treffen sich die Geschwister in einem Theater.  

Das Judenbuch“.1931 erscheint im Berliner Tiergarten Verlag „Das Judenbuch“ von Arthur Kahane; darin setzt er sich – in sehr subjektiver Form -  mit dem Zionismus, der für ihn zwei Gesichter hat, ein westliches (politisch, national) und ein östliches (mystisch, religiös) ebenso auseinander wie mit den Problemen der Assimilation einer Minderheit (der Juden) an eine dominierende Mehrheit (die christliche Gesellschaft). Er bekennt sich als Jude, lehnt allerdings jeden religiösen Bezug ab, denn Religion in jeder Form ist ihm fremd, wenn nicht gar suspekt.

Wir wissen nicht,  wann Kahane mit der Arbeit an dem Manuskript zu seinem Buch „Das Judenbuch“ begonnen hat. Ich erlaube mir die These, daß der immer mehr um sich greifende, zunehmend aggressiver werdende Antisemitismus das movens war.  

Der Antisemitismus (ich beziehe mich hier nur auf Berlin) nahm gegen Ende des 19.Jh. immer mehr zu. Der Mord an dem Politiker Matthias Erzberger 1921 sowie die Ermordung des Außenminsters Walther Rathenaus 1922,  wirkten wie ein Fanal, wer begreifen wollte begriff: die Welle des Nationalsozialismus war nicht mehr aufzuhalten.

Die bis heute am häufigsten zitierten Titel von Arthur Kahane sind „Tagebuch des Dramaturgen “ sowie „Theater. Tagebuch des Theatermannes“. Es sind zwar getrennt erschienene Bücher, dennoch sind sie ein Buch: die Autobiographie des Theatermannes Arthur Kahane in zwei Bänden, erschienen in Berlin 1928 und 1930. Die einzelnen Kapitel, unterschiedlich umfangreich, essayistisch formuliert, klingen leicht im Ton, folgen einer  selbstironischen, pointierten, immer distanzierten Sprachmelodie. Er beschreibt darin seine ganz persönlichen Erlebnisse, die Auseinandersetzungen des Theateralltags, zieht Résumé, entwickelt Thesen, Analysen, häufig gepaart mit einer fundierten psychologischen Sichtweise. Er erzählt von dem Auf-und Ab vor und hinter der Bühne – jedoch nie als Voyeur – sondern als Mitspieler, als ein Mitspieler auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“. Die Summe dieser Texte ergibt: der Autor  denkt „Theater “. In diesen Texten verbirgt sich der Schlüssel für die ungebrochene Zugewandtheit des Menschen Kahane zu dem menschenverschlingenden, menschenverbrauchenden Regisseur und Theatermann Reinhardt. Und ebenso auch die Lösung dafür, daß ihn, Arthur Kahane, Max Reinhardt zwar immer wieder „gebrauchen“ konnte, verbrauchen“. – wie es unzählige andere im Umkreis Reinhardt erfahren mußten.

Für die Aufführung von „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach im Großen Schauspielhaus 1922 hat Kahane für das Programmbuch  das Vorwort geschrieben; der Titel ist Programm: „Phantasie über Offenbach“ – zugleich auch das Bekenntnis des Essayisten Kahane in seiner Doppelrolle Schriftsteller und Dramaturg zu sein: 

  … Offenbach ist im Thalia sagt Busch. Falsch, Thalia ist im Offenbach. Wie nie vorher in Einem und nie Einem nachher.

Die als heiter bezeichnete Muse pflegt dies nämlich sonst mit Unterbrechung, mit Einschränkungen oder mit Albernheit zu sein. Sie lächelt bekanntlich mit einem Auge, um mit dem anderen weinen zu dürfen. Welches Schielen man als Definition des Humor ansieht. Ihr Lachen kommt nie ohne Nebengeräusch aus; ethisches, philosophisches, sentimentales Raunzen, satirisches Grinsen, moralisierendes Meckern.   Sie ist trostlos wie ein Humorist oder banal albern wie das Normallustspiel. … Es wird wohl mit Offenbach wie mit allen ganz Großen sein: jede Zeit macht sich ihren eigenen. … 4)


Nachdenkliches – ein Nachwort

 

Stefan Grossmann schließt seinen Nachruf für Arthur Kahane 1932 mit dem nahezu prophetisch klingenden Satz „Möge er dafür nicht zu bitter büßen“, daß er, Kahane, … einem Genie das Kernstück seines Lebens ohne Bedenken geschenkt  [hat].

Arthur Kahane, der Schriftsteller,  der der Dramaturg von Max Reinhardt war, wurde von der Nachwelt nach 1945 reduziert auf zwei Titel „Das Tagebuch des Dramaturgen“ sowie “Theater. Tagebuch des Theatermannes“, seine schriftstellerische Tätigkeit blieb unerwähnt, nicht beachtet. Erst in der jüngeren Vergangenheit erscheinen Neuauflagen seiner anderen Bücher.

Große Künstler machen nie allein den Weg an die Spitze; um die Top Ten zu erreichen brauchen sie viele „helfende Hände“, „Schatten“, die, das soll nicht verschwiegen werden, schon von den Zeitgenossen nicht wirklich wahrgenommen werden; die spätere Apologetik der Top Ten vergißt  in schöner Regelmäßigkeit ebenso gerne darauf. Der Hauptdarsteller dieses „Spiels der Schatten“, mit verteilten Rollen, bleibt allein sichtbar, ist der Solist, im konkreten Fall von Arthur Kahane heißt er Max Reinhardt, ist Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor.  In einem Nebensatz erwähnt dann die Geschichtsschreibung des Solisten die Rollenzuteilung an seine Schatten, und einer dieser Schatten trägt den Rollennamen „Dramaturg“.

… Da der Regisseur im idealen Falle tatsächlich der Zusammenfasser aller Theaterkräfte zu einem einheitlichen künstlerischen Eindruck ist, so liegt hierin sicher ein großer Fortschritt in der von Gordon Craig geforderten Richtung. Aber es zeigt sich auch sofort eine große Gefahr: die Vorstellung vom Regisseur überflutet alle Grenzen. Man vergißt, daß er weder die schöpferische Leistung des Schauspielers ersetzen kann, noch die organisatorische eines Direktors – denn dieser hat noch einen weiteren  zu umspannen als die vollendete Gestaltung eines Theaterabends: er soll Repertoire, Ensemble, Publikumswerbung, den ganzen Aufbau des Theaters so organisieren , daß  a l l e diese Abende eine geistige Einheit bilden! Die Stelle des Regisseurs im Theater ist eine außerordentlich wichtige. Aber sie ist in der Tiefe wie in der Breite sehr scharf begrenzt, und die Erschütterung dieser Grenzen ist noch heute eine schwere Gefahr. … 

beschreibt Julius Bab, in  „Theater der Gegenwart“, S. 147 die Rolle des Hauptdarstellers „Regisseur“, aber auch ihre Grenzen.

Der  Dramaturg ist der „Schatten der ‚geistigen Einheit‘ “, über seinen Schreibtisch werden die Fäden gespannt, die Inhalt und künstlerischen Ablauf vorgeben, formen. Reinhardts „dramaturgischer Schatten“ war Arthur Kahane. Aber wer war Arthur Kahane?

Auf einigen wenigen Seiten habe ich versucht ein Leben, ein Werk nachzuzeichnen, das bisher nahezu unbeachtet geblieben ist, fast vergessen wurde. Die Suche nach dem familiären Hintergrund, der für Arthur Kahane in Jassy, in Rumänien beginnt, mußte weitgehend im Sand verlaufen: die Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reichs hat  sämtliche Spuren in Jassy, einer einst multinationalen Stadt, zerstört. Den Spuren der Familie in Wien nachzugehen erwies sich ebenfalls als sehr mühsam,  auch hier sind die Verluste durch die Geschehnisse des Drittes Reichs sowie des 2. Weltkriegs groß. Die wichtigsten Lebenspunkte von Arthur Kahane ließen sich dennoch entdecken, wobei ich sicher nicht alles erschlossen habe.

Der lange, ununterbrochene Lebensabschnitt war Berlin. Er beginnt um 1900, so sein jüngster Sohn Ariel Kahane, laut Akten im Berliner Landesarchiv 1901. 1902  beginnt die 30-jährige Tätigkeit an den Reinhardt-Bühnen, die 1932 mit dem Tod von Kahane endet. Wie gesagt, oberflächlich erscheinen diese Jahre als wenig spektakulär – allein die von außen einwirkenden Ereignisse – Erster Weltkrieg, aus dem deutschen Kaiserreich wird eine Republik- die Weimarer Republik. Das Ende der Republik erlebt Arthur Kahane nicht mehr; es trifft seine Frau Paula und seine drei Söhne – sie alle emigrieren.

Die dreißigjährige Tätigkeit für die Reinhardt-Bühnen zu dokumentieren ist nur noch apokryph möglich. Es wird immer wieder berichtet, daß Kahane die Geschehnisse seines theatralischen Büroalltags in Kladden, in Notizbüchern akribisch notiert hat; diese Aufzeichnungen gibt es nicht mehr.

Was veröffentlicht wurde: Texte des täglichen Theaterbetriebs, programmatische Schriften, Beiträge zu Programmheften, oder Feuilletons , verstreut publiziert in Zeitungen, Zeitschriften; ebenso überliefert die  nicht sehr zahlreichen monographisch veröffentlichten Schriften.  

Der Kreis um die Person Arthur Kahane, ohne zu unterscheiden – wer eng, weniger eng befreundet war, liest sich wie das „Who is Who“ der Berliner Kulturszene, zwischen 1902 – 1920. Lesbare Spuren dazu findet man in Rezensionen, Gesellschaftsberichten; in den Archiven doch noch manchen Brief oder auch umfangreichere Korrespondenzen (sogar mit Gegenbrief, wie im Fall von Arthur Schnitzler). Der größere Teil muß – historisch bedingt - als verloren gelten.

Es ist ungewiß, ob es überhaupt noch überlieferte Lebensdokumente von Arthur Kahane gibt; das Vergessen des wichtigsten Mitarbeiters von Max Reinhardt blieb nicht folgenlos. Peter Kahane, der Archäologe hat – soweit feststellbar, keine erinnernden Dokumente an seinen Vater hinterlassen. Ariel Kahane hat 1972 den Versuch unternommen, an die Tätigkeit und die Biographie seines Vaters  - zumindest in Zusammenhang mit Max Reinhardt aufmerksam zu machen. Der kurze Text „in memoriam Arthur Kahane“ wurde  gedruckt in „Maske und Kothurn“, blieb aber ohne weitere Resonanz. Ähnlich erging es dann auch den Erinnerungen von Henry Kahane an seinen Vater, 1978 in „Theatre Research publiziert, fokussiert auf Max Reinhardt. Die Resonanz blieb auch diesmal aus. Kahane blieb die Chiffre „Dramaturg“, sein Oeuvre reduziert auf die beiden Titel “Tagebuch des Dramaturgen“ und „Theater. Aus dem Tagebuch des Theatermannes“.  

Vielen Spuren bin ich gefolgt, habe sie nachgezeichnet, ob immer treffend, historisch korrekt, das bleibt zu überprüfen. Eines habe ich aber hoffentlich erreicht: einen Schatten in die dritte Dimension zurückzuholen. Ihm, wenn auch etwas skizzenhaft, Gestalt zu geben.


Danksagung   

Ohne die vielen helfenden „Hände“ hätte ich diese Spurensuche nie bewältigen können. Sie haben es erst möglich gemacht, daß mein Versuch mich der Person Arthur Kahane wenigstens in Facetten anzunähern, überhaupt zu einem lesbaren Resultat geführt hat. Ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen; ganz besonders unterstützt, auch mit konkreten Hinweisen, haben mich:


Peter Michael Braunwarth, Wien

Stefan Dörschel, Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Michael Heltau, Wien

Marina Schieke - Gordienko, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Staatsbibliothek zu Berlin  - Preußischer Kulturbesitz

Kurt Ifkovits, Theatermuseum, Wien

Martin Luchterhandt, Landesarchiv, Berlin

Claudia Mayerhofer, Bibliothek, Theatermuseum, Wien

Bärbel Reissmann, Theatersammlung, Stiftung Stadtmuseum, Berlin

Gerrit Thies, Deutsche Kinemathek, Berlin

Maximilian Zauner, Wienbibliothek

Ihnen allen gilt mein ganz besonderer Dank


Dagmar Saval


Berlin, im Februar 2022