... von der Bühne zu soufflieren ... . Das Text-Archiv des Burgtheaters

Aus Dagmar Saval Wünsche

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… von der Bühne zu soufflieren ! …


Es war eine Zeitreise der besonderen Art, eine Abenteurerreise in alte Denkmuster, Vorstellungswelten. Es war Theater zwischen zwei Buchdeckeln und dennoch eine sinnliche Erfahrung, denn die dritte Dimension, die „Vierte Wand“(Piscator) blieb unausweichlich präsent, greifbar, spürbar. Spielwelten bewegten sich wie ein Film quer durch die Zeiten. Es waren aber nicht nur die Spielwelten, denen ich begegnet bin. Politik, Zeitgeschichte quer durch die Jahrhunderte, mal mehr mal weniger scharf akzentuiert dokumentieren diese Texte. Ein großes Stück Sozialgeschichte wird auch so ganz nebenbei ablesbar.

Doch zunächst einmal bedarf es einer Vorgeschichte, die zugleich auch wie ein Spiegelbild der Zeiten ist, aus denen diese handgeschriebenen Texte bis in unsere Zeit hineinragen. Viele  tausend Textbücher des k.k. Hoftheaters, des k.k. Hof- und Nationaltheater, des k.k.Hoftheater nächst der Burg, des k.k. Hofburgtheaters,  des k.u.k. Burgtheater. Allein die Abfolge dieser wechselnden Bezeichnungen der Spielstätte geben zugleich auch Einblick in Abschnitte der  politischen Geschichte; sie beginnt in der Zeit der Kaiserin Maria Theresia und endet mit dem Zerfall der k.u.k.Monarchie 1918. Das Haus am Ring heißt seit 1918 "Burgtheater", liebenswürdig verkürzt "die Burg".

Das allein erklärt keineswegs wieso diese tausende handgeschriebenen Bücher in der Bibliothek des Theatermuseums aufbewahrt werden.

Ein aufmerksamer Theatermann, Franz Brockmann (1745 - 1812) mit Sinn und Gefühl Überlieferung hat Ende des 18.Jahrhunderts damit begonnen, die noch vorhandenen und überlieferten Texte sorgfältig zu registrieren; spätere Hoftheaterdirektoren, auch als Textdichter aktiv, wurden mit ihrem Ausscheiden als Theaterleiter zum Hofbibliothekar resp. zum Direktor der Hofbibliothek bestellt . Parenthese: einer der Hoftheater/Burgtheaterdirektoren, Graf Dietrichstein, wurde zum Begründer der Musiksammlung der Hofbibliothek, heute Österreichische Nationalbibliothek. Es würde nu zu weit führen, dieses Netzwerk zwischen Theater und Bibliothek weiter auszuführen, Tatsache ist, gegen ende des 19.Jahrhunderts, als das hauseigenen Archiv des Theaters unter enormen Platzmangel litt, wurde der Bestand in Tranchen an die Hofbibliothek abgegeben.  die bisher letzte Tranche auch mit texten aus dem 20.Jh. kam 1967 an die ÖNB, in die Theatersammlung. 1)

Mit der Gründung des Theatermuseums wurde aus der Theatersammlung der ÖNB das Theatermuseum. 


Was aber macht dieses Texte, die doch nichts anderes sind als beschriebenes staubiges Papier (der Staub der Jahrhunderte!) so lebendig ?

Theaterpraxis – wie schon der Titel verrät. Ich greife ein Beispiel heraus, ohne im Detail zunächst auf die theaterhistorischen Entwicklungen etc. einzugehen:

"Nachlesebuch" steht auf dem Pappdeckel eines Buches. Was aber ist ein Nachlesebuch ? - ein Begriff, den es in der heutigen Theaterpraxis nicht gibt. Also suche ich nach Erklärungen, blättere im Buch , lese theaterhistorische Abhandlungen und nach viel Theorie, kommt dann die Praxis zum Vorschein, handfeste, im Laufe der Jahrhunderte sich verwandelnde  Theaterpraxis. 

Das Titelblatt des Buches das vor mir liegt: auf den ersten Blick fast ein kleines graphisches Kunstwerk, schwarze Tinte, rote tine, Bleistift, Blaustift, unterschiedliche Handschriften, der unvermeidliche Stempel der Hofbibliothek, eine Fülle an Informationen kommt mir entgegen:

Der eigentliche Titel ist, wie auch die Änderungen so durchgestrichen, daß keiner noch kaum lesbar ist, aber mit etwas Geduld und Theaterköpfchen kann ich entziffern: „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Shakespeare. Der Text ist eine Übersetzung und eine Spielfassung aus dem 18.Jahrhundert, die aber über Jahrzehnt hinweg für den Spielgebrauch einfach weiter verwendet wurde. aber nicht etwa einlinig, sondern  durch zukleben, überkleben, zubinden weiterer Seiten/Blätter, eng beschrieben, überschrieben, liegen Spielschichten vor mir, die mna auflösen und entziffern müßte um an das eigentliche Spielmaterial zu gelangen … und das ist nun Nachlesebuch.

Hinter diesem Begriff, verbirgt sich ein Bühnenmensch, ein Theatermann, der vieles können mußte, und das jeden Abend: das Licht kontrollieren, den Einsatz der Musik, die Auftritte der Darsteller, die Requisite und die Textgenauigkeit.

Anfänglich war das Nachlesebuch das Arbeitsmaterials des "Wöchners" , wie im 18.Jahrhundert der Regisseur genannt; "Wöchner", denn die Stücke wurden in der Regel nach der Spieldauer von einer Woche abgesetzt, ausgetauscht. Mit der Zeit wurde die Funktion erweitert, der "Wöchner" wurde zum "Abendregisseur", zum Inspizienten usw. erst im Laufe der Zeit wurden die Funktionen getrennt, vereinzelt . Erhalten geblieben ist die Bezeichnung und vermutlich auch die Eingrenzung "Abendregie". Hier muß ich allerdings gleich mit der nächsten Einschränkung aufwarten: Was wir heute - im 21. Jahrhundert - unter Regisseur verstehen, hat nicht das geringste mit der Bezeichnung Regisseur, die auch schon hin und wieder in den Büchern zu finden ist, zu tun. Der Begriff Regisseur bezeichnet einen Verwalter, im engeren Sinn des Wortes eigentlich einen Gutsverwalter.   


Fortsetzung folgt demnächst