... von der Bühne zu soufflieren ... . Das Text-Archiv des Burgtheaters: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Dagmar Saval Wünsche

Wechseln zu: Navigation, Suche
Zeile 1: Zeile 1:
 
'''… von der Bühne zu soufflieren ! … '''
 
'''… von der Bühne zu soufflieren ! … '''
  
Die handgeschriebenen Textbücher aus dem Fundus des ehemals Hof-und National-Theater, jetzt Burgtheater Wien, erzählen mehr als nur  Theater – Geschichte; sie erzählen von zweihundert Jahren, seit der Mitte des 18.Jh. bis in die 30er Jahre , teilweise darüber hinaus. Sie sind wie ein Spiegelbild der sich ständig wandelnden Bedingungen zu denen Theater seit jeher stattgefunden hat. Veränderungen geschuldet der Zeit und ihren Ereignissen.   
 
  
Es beginnt sehr praktisch in der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, die zum Theatermuseum wurde. Die letzte Lieferung aus dem Archiv des Burgtheaters ist eingetroffen, seit Ende des 19.Jahrhunderts damit begonnen worden war, nicht mehr gebrauchte Texte an die Hofbibliothek, das ist die spätere Nationalbibliothek,  abzugeben. Die zahlreichen Umzugskartons werden auf dem Theaterboden aufgestellt, sorgfältig ausgepackt – aber so viele leere Regale gibt es gar nicht um diese Fülle aufzunehmen. Also verteilen auf freie Flächen – das ewige Dilemma eines Archivs, einer Bibliothek. Das war 1967 … und viele Jahre später treffe ich  wieder auf die Bücher, die ich damals als Bibliotheksgreenhorn aufstellen geholfen hatte  – um sie für die Digitalisierung zu beschreiben. Das Wiedersehen war wenig emotional, eher jahrhundertbefrachtet … mehr als 5000 Bücher warteten auf mich, wollten mir erzählen, was sie bisher verschwiegen hatten, verschweigen mußten, denn niemand hatte sie mehr aufgeblättert oder gar gelesen. Aus einem sehr pragmatischen Grund: in dem damals heraufkommenden Zeitalter der Digitalisierung lernte niemand mehr Sütterlin/Kurrentschrift, deutsche Schrift/ lesen oder schreiben. Man könnte diese Kenntnis  auch als Alterserscheinung definieren.
+
Es war eine Zeitreise der besonderen Art, eine Abenteurerreise in alte Denkmuster, Vorstellungswelten. Es war Theater zwischen zwei Buchdeckeln und dennoch eine sinnliche Erfahrung, denn die dritte Dimension, die „Vierte Wand“(Piscator) blieb unausweichlich präsent, greifbar, spürbar. Spielwelten bewegten sich wie ein Film quer durch die Zeiten. Es waren aber nicht nur die Spielwelten, denen ich begegnet bin. Politik, Zeitgeschichte quer durch die Jahrhunderte, mal mehr mal weniger scharf akzentuiert dokumentieren diese Texte. Ein großes Stück Sozialgeschichte wird auch so ganz nebenbei ablesbar.
 +
 
 +
Doch zunächst einmal bedarf es einer Vorgeschichte, die zugleich auch wie ein Spiegelbild der Zeiten ist, aus denen diese handgeschriebenen Texte bis in unsere Zeit hineinragen. Viele  tausend Textbücher des k.k. Hoftheaters, des k.k. Hof- und Nationaltheater, des k.k.Hoftheater nächst der Burg, des k.k. Hofburgtheaters,  des k.u.k. Burgtheater. Allein die Abfolge dieser wechselnden Bezeichnungen der Spielstätte geben zugleich auch Einblick in Abschnitte der  politischen Geschichte; sie beginnt in der Zeit der Kaiserin Maria Theresia und endet mit dem Zerfall der k.u.k.Monarchie 1918. Das Haus am Ring heißt seit 1918 "Burgtheater", liebenswürdig verkürzt "die Burg".
  
Es war eine Zeitreise der besonderen Art, eine Abenteurerreise in alte Denkmuster, Vorstellungswelten. Es war Theater zwischen zwei Buchdeckeln und dennoch eine sinnliche Erfahrung, denn die dritte Dimension, die „Vierte Wand“(Piscator) blieb unausweichlich präsent, greifbar, spürbar. Spielwelten bewegten sich wie ein Film quer durch die Zeiten. Es waren aber nicht nur die Spielwelten, denen ich begegnet bin. Politik, Zeitgeschichte quer durch die Jahrhunderte, mal mehr mal weniger scharf akzentuiert dokumentieren diese Texte. Ein großes Stück Sozialgeschichte wird auch so ganz nebenbei ablesbar.
+
Das allein erklärt keineswegs wieso diese tausende handgeschriebenen Bücher in der Bibliothek des Theatermuseums aufbewahrt werden.
  
Doch zunächst einmal bedarf es einer Vorgeschichte: wieso kommen viele tausend Textbücher eines Theaters in die – heute Österreichische Nationalbibliothek/ÖNB, ehemals Hofbibliothek – genannte Bibliothek.
+
Ein aufmerksamer Theatermann, Franz Brockmann (1745 - 1812) mit Sinn und Gefühl Überlieferung hat Ende des 18.Jahrhunderts damit begonnen, die noch vorhandenen und überlieferten Texte sorgfältig zu registrieren; spätere Hoftheaterdirektoren, auch als Textdichter aktiv, wurden mit ihrem Ausscheiden als Theaterleiter zum Hofbibliothekar resp. zum Direktor der Hofbibliothek bestellt . Parenthese: einer der Hoftheater/Burgtheaterdirektoren, Graf Dietrichstein, wurde zum Begründer der Musiksammlung der Hofbibliothek, heute Österreichische Nationalbibliothek. Es würde nu zu weit führen, dieses Netzwerk zwischen Theater und Bibliothek weiter auszuführen, Tatsache ist, gegen ende des 19.Jahrhunderts, als das hauseigenen Archiv des Theaters unter enormen Platzmangel litt, wurde der Bestand in Tranchen an die Hofbibliothek abgegeben.  die bisher letzte Tranche auch mit texten aus dem 20.Jh. kam 1967 an die ÖNB, in die Theatersammlung. 1)
  
Üblicherweise gehen Theater mit ihrem Material, denn Textbücher sind nichts anderes als einfach nur Spielmaterial, das nach Gebrauch zwar einige Zeit – vielleicht ?– aufbewahrt wird, aber selten Jahrhunderte überdauert.
+
Mit der Gründung des Theatermuseums wurde aus der Theatersammlung der ÖNB das Theatermuseum. 
  
Der Kern des Textbestandes aus dem damals, 1776 als „Hof-und Nationaltheater“ gegründeten Hofburgtheater wurde von dem Schauspieler Franz Brockmann (1745 – 1812)und erster Direktor dieses Hof-und Nationaltheater eingerichtet. Wie es dann mit der Bibliothek und den Archiv weiterging, wieso diese Bestände an die ÖNB kamen, kann man in der Geschichte der ÖNB nachlesen … 1)  
 
  
Was aber macht dieses Texte, die doch nichts anderes sind als beschriebene s staubiges Papier (der Staub der Jahrhunderte!) so lebendig ?
+
Was aber macht dieses Texte, die doch nichts anderes sind als beschriebenes staubiges Papier (der Staub der Jahrhunderte!) so lebendig ?
  
 
Theaterpraxis – wie schon der Titel verrät. Ich greife ein Beispiel heraus, ohne im Detail zunächst auf die theaterhistorischen Entwicklungen etc. einzugehen:
 
Theaterpraxis – wie schon der Titel verrät. Ich greife ein Beispiel heraus, ohne im Detail zunächst auf die theaterhistorischen Entwicklungen etc. einzugehen:
  
Nachlesebuch steht auf dem Pappdeckel, auf dem Titelblatt dann eine Fülle an Informationen: Der eigentliche Titel ist durchgestrichen, die Änderungen ebenso … herauslesen kann man: es handelt sich um das Shakespeare-Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“   in einer Fassung aus dem 18.Jahrhundert, die aber über Jahrzehnt hinweg für den Spielgebrauch einfach weiter verwendet wurde. Schicht um Schicht muß man ablösen doch was ist eigentlich ein Nachlesebuch ? – heute nur noch Theaterhistorikern – auch nur jenen vertraut, die sich mit Theater des 18.Jh. befassen – vertraut . Es diente der abendliche Kontrolle des „Nachlesers“ oder Wöchner, so wurde der Abendregisseur bezeichnet. Nur was wir heute -21. Jahrhundert - unter Regisseur verstehen, hat viel oder auch gar nichts mehr mit der Bezeichnung Nachleser/Wöchner zu tun – oder vielleicht doch ?
+
"Nachlesebuch" steht auf dem Pappdeckel eines Buches. Was aber ist ein Nachlesebuch ? - ein Begriff, den es in der heutigen Theaterpraxis nicht gibt. Also suche ich nach Erklärungen, blättere im Buch , lese theaterhistorische Abhandlungen und nach viel Theorie, kommt dann die Praxis zum Vorschein, handfeste, im Laufe der Jahrhunderte sich verwandelnde  Theaterpraxis. 
 +
 
 +
Das Titelblatt des Buches das vor mir liegt: auf den ersten Blick fast ein kleines graphisches Kunstwerk, schwarze Tinte, rote tine, Bleistift, Blaustift, unterschiedliche Handschriften, der unvermeidliche Stempel der Hofbibliothek, eine Fülle an Informationen kommt mir entgegen:
 +
 
 +
Der eigentliche Titel ist, wie auch die Änderungen so durchgestrichen, daß keiner noch kaum lesbar ist, aber mit etwas Geduld und Theaterköpfchen kann ich entziffern: „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Shakespeare. Der Text ist eine Übersetzung und eine Spielfassung aus dem 18.Jahrhundert, die aber über Jahrzehnt hinweg für den Spielgebrauch einfach weiter verwendet wurde. aber nicht etwa einlinig, sondern  durch zukleben, überkleben, zubinden weiterer Seiten/Blätter, eng beschrieben, überschrieben, liegen Spielschichten vor mir, die mna auflösen und entziffern müßte um an das eigentliche Spielmaterial zu gelangen und das ist nun Nachlesebuch.
 +
 
 +
Hinter diesem Begriff, verbirgt sich ein Bühnenmensch, ein Theatermann, der vieles können mußte, und das jeden Abend: das Licht kontrollieren, den Einsatz der Musik, die Auftritte der Darsteller, die Requisite und die Textgenauigkeit.
 +
 
 +
Anfänglich war das Nachlesebuch das Arbeitsmaterials des "Wöchners" , wie im 18.Jahrhundert der Regisseur genannt; "Wöchner", denn die Stücke wurden in der Regel nach der Spieldauer von einer Woche abgesetzt, ausgetauscht. Mit der Zeit wurde die Funktion erweitert, der "Wöchner" wurde zum "Abendregisseur", zum Inspizienten usw. erst im Laufe der Zeit wurden die Funktionen getrennt, vereinzelt . Erhalten geblieben ist die Bezeichnung und vermutlich auch die Eingrenzung "Abendregie". Hier muß ich allerdings gleich mit der nächsten Einschränkung aufwarten: Was wir heute - im 21. Jahrhundert - unter Regisseur verstehen, hat nicht das geringste mit der Bezeichnung Regisseur, die auch schon hin und wieder in den Büchern zu finden ist, zu tun. Der Begriff Regisseur bezeichnet einen Verwalter, im engeren Sinn des Wortes eigentlich einen Gutsverwalter.   
  
Dann beginnt die Zeit der Restauration und Metternich breitet die Zensur wie Mehltau aus … die Nachlesebücher sind ein Spiegelbild (aber nicht alle) des Zensur- und Kontrollwahns!
 
  
 
Fortsetzung folgt demnächst
 
Fortsetzung folgt demnächst

Version vom 18. August 2019, 17:06 Uhr

… von der Bühne zu soufflieren ! …


Es war eine Zeitreise der besonderen Art, eine Abenteurerreise in alte Denkmuster, Vorstellungswelten. Es war Theater zwischen zwei Buchdeckeln und dennoch eine sinnliche Erfahrung, denn die dritte Dimension, die „Vierte Wand“(Piscator) blieb unausweichlich präsent, greifbar, spürbar. Spielwelten bewegten sich wie ein Film quer durch die Zeiten. Es waren aber nicht nur die Spielwelten, denen ich begegnet bin. Politik, Zeitgeschichte quer durch die Jahrhunderte, mal mehr mal weniger scharf akzentuiert dokumentieren diese Texte. Ein großes Stück Sozialgeschichte wird auch so ganz nebenbei ablesbar.

Doch zunächst einmal bedarf es einer Vorgeschichte, die zugleich auch wie ein Spiegelbild der Zeiten ist, aus denen diese handgeschriebenen Texte bis in unsere Zeit hineinragen. Viele  tausend Textbücher des k.k. Hoftheaters, des k.k. Hof- und Nationaltheater, des k.k.Hoftheater nächst der Burg, des k.k. Hofburgtheaters,  des k.u.k. Burgtheater. Allein die Abfolge dieser wechselnden Bezeichnungen der Spielstätte geben zugleich auch Einblick in Abschnitte der  politischen Geschichte; sie beginnt in der Zeit der Kaiserin Maria Theresia und endet mit dem Zerfall der k.u.k.Monarchie 1918. Das Haus am Ring heißt seit 1918 "Burgtheater", liebenswürdig verkürzt "die Burg".

Das allein erklärt keineswegs wieso diese tausende handgeschriebenen Bücher in der Bibliothek des Theatermuseums aufbewahrt werden.

Ein aufmerksamer Theatermann, Franz Brockmann (1745 - 1812) mit Sinn und Gefühl Überlieferung hat Ende des 18.Jahrhunderts damit begonnen, die noch vorhandenen und überlieferten Texte sorgfältig zu registrieren; spätere Hoftheaterdirektoren, auch als Textdichter aktiv, wurden mit ihrem Ausscheiden als Theaterleiter zum Hofbibliothekar resp. zum Direktor der Hofbibliothek bestellt . Parenthese: einer der Hoftheater/Burgtheaterdirektoren, Graf Dietrichstein, wurde zum Begründer der Musiksammlung der Hofbibliothek, heute Österreichische Nationalbibliothek. Es würde nu zu weit führen, dieses Netzwerk zwischen Theater und Bibliothek weiter auszuführen, Tatsache ist, gegen ende des 19.Jahrhunderts, als das hauseigenen Archiv des Theaters unter enormen Platzmangel litt, wurde der Bestand in Tranchen an die Hofbibliothek abgegeben.  die bisher letzte Tranche auch mit texten aus dem 20.Jh. kam 1967 an die ÖNB, in die Theatersammlung. 1)

Mit der Gründung des Theatermuseums wurde aus der Theatersammlung der ÖNB das Theatermuseum. 


Was aber macht dieses Texte, die doch nichts anderes sind als beschriebenes staubiges Papier (der Staub der Jahrhunderte!) so lebendig ?

Theaterpraxis – wie schon der Titel verrät. Ich greife ein Beispiel heraus, ohne im Detail zunächst auf die theaterhistorischen Entwicklungen etc. einzugehen:

"Nachlesebuch" steht auf dem Pappdeckel eines Buches. Was aber ist ein Nachlesebuch ? - ein Begriff, den es in der heutigen Theaterpraxis nicht gibt. Also suche ich nach Erklärungen, blättere im Buch , lese theaterhistorische Abhandlungen und nach viel Theorie, kommt dann die Praxis zum Vorschein, handfeste, im Laufe der Jahrhunderte sich verwandelnde  Theaterpraxis. 

Das Titelblatt des Buches das vor mir liegt: auf den ersten Blick fast ein kleines graphisches Kunstwerk, schwarze Tinte, rote tine, Bleistift, Blaustift, unterschiedliche Handschriften, der unvermeidliche Stempel der Hofbibliothek, eine Fülle an Informationen kommt mir entgegen:

Der eigentliche Titel ist, wie auch die Änderungen so durchgestrichen, daß keiner noch kaum lesbar ist, aber mit etwas Geduld und Theaterköpfchen kann ich entziffern: „Der Widerspenstigen Zähmung“ von Shakespeare. Der Text ist eine Übersetzung und eine Spielfassung aus dem 18.Jahrhundert, die aber über Jahrzehnt hinweg für den Spielgebrauch einfach weiter verwendet wurde. aber nicht etwa einlinig, sondern  durch zukleben, überkleben, zubinden weiterer Seiten/Blätter, eng beschrieben, überschrieben, liegen Spielschichten vor mir, die mna auflösen und entziffern müßte um an das eigentliche Spielmaterial zu gelangen … und das ist nun Nachlesebuch.

Hinter diesem Begriff, verbirgt sich ein Bühnenmensch, ein Theatermann, der vieles können mußte, und das jeden Abend: das Licht kontrollieren, den Einsatz der Musik, die Auftritte der Darsteller, die Requisite und die Textgenauigkeit.

Anfänglich war das Nachlesebuch das Arbeitsmaterials des "Wöchners" , wie im 18.Jahrhundert der Regisseur genannt; "Wöchner", denn die Stücke wurden in der Regel nach der Spieldauer von einer Woche abgesetzt, ausgetauscht. Mit der Zeit wurde die Funktion erweitert, der "Wöchner" wurde zum "Abendregisseur", zum Inspizienten usw. erst im Laufe der Zeit wurden die Funktionen getrennt, vereinzelt . Erhalten geblieben ist die Bezeichnung und vermutlich auch die Eingrenzung "Abendregie". Hier muß ich allerdings gleich mit der nächsten Einschränkung aufwarten: Was wir heute - im 21. Jahrhundert - unter Regisseur verstehen, hat nicht das geringste mit der Bezeichnung Regisseur, die auch schon hin und wieder in den Büchern zu finden ist, zu tun. Der Begriff Regisseur bezeichnet einen Verwalter, im engeren Sinn des Wortes eigentlich einen Gutsverwalter.   


Fortsetzung folgt demnächst