Max Reinhardt-Helene Thimig, ein Briefwechsel

Aus Dagmar Saval Wünsche

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Max Reinhardt-Helene Thimig

Briefe zwischen 1937 - 1943

Nachgedanken und Notizen zu der Briefausgabe:

Briefe im Exil, Max Reinhardt-Helene Thimig, 1937-1943, herausgegeben von Edda Fuhrich und Sybille Zehle. Wien, Salzburg, Brandstätter Verlag 2023

Der Anlaß war der 150. Geburtstag von Max Reinhardt (1873-1943)


Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.
Wir tragen den Zettelkasten
Mit den Steckbriefen unserer Freunde
wie einen Bauchladen vor uns her.
Forschungsinstitute bewerben sich
um Wäscherechnungen Verschollener,
Museen bewahren die Stichworte unserer Agonie
wie Reliquien unter Glas auf.
Wir, die wir unsere Zeit vertrödelten,
aus begreiflichen Gründen,
sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden.
Unser Schicksal steht unter Denkmalschutz.
Unser bester Kunde ist das
Schlechte Gewissen der Nachwelt.
Greift zu, bedient euch.
Wir sind die Letzten.
Fragt uns aus.
Wir sind zuständig.

Hans Sahl, Die Letzten, 1973


 In diesem Jahr 1973, als Hans  Sahl sein Gedicht veröffentlichte, kamen in der Stadt Salzburg zur Festspielzeit viele ehemals berühmte, zur Legende geronnene Namen, Menschen, zusammen um den zu ehren, der ihnen zur Größe, zur Legende verholfen hatte, der ihr künstlerisches Zentrum gewesen war, Max Reinhardt, den Regisseur, den Schauspieler, den Bühnenmenschen.

Sie kamen, sie erzählten, sie erinnerten sich ... und dieses einmalige Treffen wäre DER Anlaß gewesen um den mit jahrelanger Verspätung, genau 50 Jahre zu spät publizierten Briefwechsel, anzuregen, anzudenken, zu publizieren; denn wie sagt Hans Sahl – „Wir sind die Letzten, fragt uns aus.“

Die Briefe spiegeln das ganze „Elend“, die Problematik des Exils von 1933 – 1945 in allen seinen Facetten wider, künstlerisch, psychologisch, materiell.


... Das Klima macht mich am traurigsten hier. Weil es heimatlich ist. Bedeckter Himmel, worüber die Kalifornier und speziell die Warner-Truppe stöhnt, und grün, grün, grün. Ich könnte mich hinlegen und weinen, ... Aber kaum liege ich, kommen diese vielen zahllosen Sorgen, diese unwahrscheinliche Zusammenhäufung von Dingen, die der Lösung harren. ... Ich liebe das Schöne auch - es klingt so dumm, es zu sagen, aber bloß, weil du Angst hast, ich will das Schöne abbauen. Ich sehe halt bloß notgedrungen realer, daß gewisse Änderungen vollzogen werden müssen, und dazu müssen halt die Mittel gefunden werden. ...

Helene Thimig an Max Reinhardt,  Hotel Del Monte, 7.September 1942, S.248f.


Helene Thimig spielt immer wieder kleinere (stumme)Filmrollen um das benötigte Budget aufrecht zu erhalten (davon später).  Sie ist mit der Film-Crew von Warner-Brothers nach Carmel gereist; Film: "Edge of Darkness".  

Bevor ich auf die Briefe eingehe, einzelne auch herausgreife, einige Notate zur Edition.  Die Briefe, die Max Reinhardt und Helene Thimig zwischen 1937 - 1943 von Hollywood nach New York und umgekehrt sandten,  werden von einem chronologisch aufgebauten Anmerkungsapparat begleitet (etliche Anmerkungen sind als [-] in den Text eingebaut), es gibt eine tabellarische Kurzvita beider Protagonisten, den Bildnachweis und das Namensregister, einen editorischen Hinweis sowie die obligatorische Danksagung.  Nur teilweise datierte  Abbildungen mit etwas poetischen Bildunterschriften „lockern“ den Textteil auf; S.30 meint der/die Verfasser/in der Bildunterschrift:

Der Erfolgsregisseur bei der Ankunft: er kennt New York, die Stadt hat ihn gefeiert. Da kommt man nicht als Emigrant ...

Er kam als Emigrant; sein Berliner Theaterimperium hatte er bereits verloren, und er wußte, daß er, als er 1937 nach seiner letzten Wiener Inszenierung (In jener Nacht, von Franz Werfel, Th.i.d.Josefstadt) Wien verließ, es eine Reise ohne Wiederkehr war.   Der Untergang des Staates Österreich, der Ersten Republik, war nur noch eine Frage der Zeit.  

Schon beim ersten, sehr kursorischen“ Quer-Lesen fielen mir etliche Details auf, in den Bildunterschriften, in den begleitenden Kommentaren, in den Anmerkungen, die mich „stolpern „ ließen.

Da lese ich z.B. auf  S. 551 (d.i. der editorische Hinweis) :

… Nach reiflicher Überlegung wurden Inhalte, die das heutige Empfinden verletzen mögen, beibehalten. Die Authenzität der Briefe schien uns in diesem Falle wichtiger als die political Correctness.

 Zugegeben es ist keine historisch kritische Briefedition, dennoch: jeder Eingriff in einen historischen Text ist Fälschung, Manipulation. Diese sogen. political correctness hat in einer Publikation historischer Texte keinen Platz.

Noch ein kleiner editorischer Stolperstein:

Die Briefe "wandern" von Ost nach West und umgekehrt, ihr Weg ist lang – sie müssen einen ganzen Kontinent queren, für die rasche Kommunikation wählen beide nicht selten die Western Union – das „Kabel“, wie im Buch genannt. Diese Kommunikation hat den großen Vorteil, daß der Text auch telephonisch übermittelt werden kann; der Zeitunterschied zwischen Ostküste und Westküste wird damit noch einmal verkürzt. – Zum besseren Verständnis: die Entfernung Los Angeles- New York etwas mehr als 4.600 km, der Zeitunterschied beträgt drei(3) Stunden.

Dieser Hinweis könnte ein eiliger Leser als quantité négligeable beiseite schieben;  aber: in so manchem Brief geht es inhaltlich um wichtige, oft zeitlich begrenzte Entscheidungen - ein nicht zu unterschätzender Faktor. 

Eine weitere Informationslücke: Der editorische Hinweis gibt als Provenienz-Vermerk an, der Briefbestand des Reinhardt-Nachlasses der Wienbibliothek wäre um einige Briefe und Kabel aus dem Reinhardt-Archiv der State University of New York, Binghamton ergänzt und erweitert worden. Am Ende eines jeden  Dokuments/Objekts verweisen Zahlen/Buchstabenkombinationen auf die Provenienz. Für den archivarisch nicht geschulten Leser sind diese Ziffern – und Buchstabenfolgen allerdings ein „Buch mit sieben Siegeln“, daher wenig aussagekräftig. Ein Hinweis wo welche Signatur zu verorten ist, fehlt.


Die eine Herausgeberin ist die Journalistin Sybille ZEHLE, sie „dichtet“ gerne.

Auf S. 11 schreibt Frau Zehle, Max Reinhardt (zum Namen Reinhardt/Goldmann s. weiter unten) wäre Ostjude gewesen. 

Einspruch: 

Die Familie Goldmann war gebürtig Stupava/Stampfen, Westungarn, im Königreich Ungarn. Für den historisch wenig informierten Leser wäre es sicher ganz hilfreich gewesen, den Hinweis auf die 1904 erfolgte Namensänderung zu formulieren; die Goldmanns waren ungarische Staatsbürger.

Die Familie Goldmann, Max Goldmann, änderte 1904 mit der Bewilligung des königl.ungarischen Innenministeriums den Namen Goldmann offiziell in den Namen Reinhardt.

(Nach dem Zerfall der k.u.k. Monarchie wurde Westungarn Teil der Tschechoslowakischen Republik, nach der Teilung der Tschechoslowakei in Tschechien und Slowakei gehört Stupava zur Slowakei.)

Ohne historisch weiter auszuholen: Die Bezeichnung „Ostjuden“ bürgerte sich um 1900 ein; in der k.u.k. Monarchie wie auch im Deutschen Kaiserreich. Es war die Reaktion auf die stetig steigende Zuwanderung aus dem Osten Europas (aus unterschiedlichsten Gründen, vorrangig aus Armut und immer wieder aufflammenden Progromen, insbesondere im Zarenreich), aus Galizien, aus Polen, aus dem Zarenreich/Russland. Zunächst wurde dieser Begriff als bewußte und gezielte Abgrenzung von der (weitgehend) assimilierten jüdischen (westlichen) Bevölkerung ( im Wohnsitzland) gebraucht;  diese jüdische Minderheit empfand sich als integriert, man war gesellschaftlich etabliert.

Das Ostjudentum, die Aschkenasim, war tief religiös; die Sprache dieser Einwanderer war im allgemeinen „jiddisch“, der soziale Status im allgemeinen sehr niedrig, sie waren meist herumziehende Händler, sammelten und verkauften alles was sich ihnen bot. Natürlich gab es auch Ausnahmen, aber diese waren selten. Sie lebten im "Schtetl"(im Ghetto). Alexander Granach, der als  Schauspieler bei Reinhardt groß herausgekommen war, kam aus dem "Schtetl". In seiner Autobiographie  "Da geht ein Mensch"  sehr farbig, sehr anschaulich die schwierigen Lebensbedingungen.

Der sozio-kulturelle Gebrauch der Begriffe Ostjude-Westjude erhielt mit dem zunehmendem Antisemitismus seinen nationalistisch geprägten Sprachgebrauch, wurde zum Schlagwort für die völkisch antisemitische Publizistik. 

Weiters ist Frau Zehle (S.11) der Ansicht, Wilhelm Goldmann, der Vater von Max Reinhardt, wäre ein „verkrachter!“ Kaufmann gewesen; das ist zwar ihr gutes Recht, aber sie übersieht dabei im journalistischen Eifer ein gewichtiges historisches Faktum.

Als die Goldmanns 1877 von Stupava/Stampfen nach Wien übersiedelten, waren Folgen des Börsencrash von 1873, des „Schwarzen Freitags“, der den Boom der Gründerjahre jäh beendet hatte, noch immer vorherrschend;  die k.u.k. Residenzstadt, der Wirtschaftsraum der Monarchie, wie auch der der anderen europäischen Staaten litten an der darauf folgenden Depression  bis tief in die 1890er Jahre.

Wilhelm Goldmann war vermutlich kein sehr geschickter und gewiefter Kaufmann, es gelang ihm nicht auf diese schwierige wirtschaftliche Situation entsprechend zu reagieren. Ihn deswegen zum „verkrachten“ Kaufmann zu stilisieren ist  diskriminierend.


Das Vorwort von Frau Zehle führt den neugierigen Leser in die "Goldenen Zwanziger Jahre", in die Jahre der Weimarer Republik, in ihr abruptes Ende mit dem 30.Januar 1933.  

Einspruch:

Diese Goldenen Zwanziger Jahre (für Berlin) zerfallen in drei kurze Epochen: Kriegsende, Chaos, Neuordnung, Streiks, ein Putsch, ein Politikermord - das alles zwischen 1918 und 1924 - und über alldem die alles und jedes beherrschende Inflation, die erst mit der Einführung der Rentenmark zur Konsolidierung, zu einer kurzen wirtschaftlichen Blüte führt - und von dieser profitiert das kulturelle, das gesellschaftliche Leben Berlins in hohem Maße. Dieses lebendige Berlin, in dem alles möglich, wurde das "Mekka" der Kunstschaffenden, der Theaterleute, der Literaten, der Musiker - Berlin das hieß ZUKUNFT. Doch dieser "Blüte" war nur eine kurze Lebensdauer vergönnt - von 1924-1929. Mit dem New Yorker Börsenkrach im September 1929 fing es an, die Wirtschaftskrise ergriff ganz Europa. Besonders aber traf es die Weimarer Republik. Doch davon später im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Reinhardt'schen Theaterimperium. 

Die zweite Herausgeberin, Frau Dr. Edda FUHRICH, war Teil des Teams der Max-Reinhardt-Forschungs-und Gedenkstätte, gegründet 1966. Sie hat ihr gesamtes wissenschaftliches Leben Max Reinhardt und seinem Schaffen gewidmet – man muß es schon so pathetisch formulieren – und die Herausgabe dieser Briefe war ihr ein ganz besonders Anliegen, über die Jahre hinweg immer wieder verfolgt. Sie hat diesem Briefwechsel ihre begleitenden, einfühlsamen Texte beigegeben; warum ihre Wahl auf eine Journalistin, auf Frau Zehle. als zweite Herausgeberin gefallen ist?

Der "Briefblock": es beginnt mit Kabeln/Telegrammen vom November 1937, das daneben gestellte Photo (S.30) zeigt Reinhardt mit imperialer Geste und einer Bildunterschrift: Der Erfolgsregisseur bei der Ankunft ... die Stadt hat ihn gefeiert. Da kommt man nicht als Emigrant ...     

Das Photo ist undatiert; es stammt aus den 20er Jahren, den Jahren der erfolgreichen Gesamtgastspiele der Reinhardt-Bühnen in den USA.

Ich blättere weiter:

Beim Lesen des einleitenden/ begleitenden Textes als Einschub zwischen einem Kabel von Helene Thimig aus Santa Monica vom 18. Juni 1943, S.358  und einem Brief von Helene Thimig aus Los Angeles vom 18.Juni 1943, S. 362ff.

Zu dem Brief vom 18.Juni 1943  berichtet der folgende Begleittext auf S. 364

 ... Konflikt Reinhardt/Korngold“ rund um „Rosalinda“/“Die Fledermaus ... . Helene Thimig berichtet von der Verstimmung in der Familie Korngold über die fehlende Nennung von Erich Wolfgang Korngold als musikalischer Bearbeiter der "Fledermaus"/alias "Rosalinda", 1942. Korngold wird "nur" als Dirigent der Aufführung namentlich genannt. Ein Verweis auf die entsprechende Seite im Begleittext wäre als Orientierungshilfe sehr hilfreich gewesen. Ohne nun weiter in de Details der Aufführungsgeschichte der "Rosalinda" "einzusteigen"(die kann man in der einschlägigen Reinhardt-Literatur nachlesen), nur so viel: es war Korngold, der darauf bestanden hatte, daß Reinhardt als "producer" in das Team kam. Und last but not least: es geht bei Auseinandersetzungen dieser Größenordnung nicht zuletzt auch um Tantiemen. Es ist nicht bekannt, welchen musikalisch-bearbeitenden Anteil Korngold bei der "Rosalinda", 1942, tatsächlich gehabt hat. Hat er auf die "Fledermaus"-Version von 1929 zurückgegriffen?

Von der "Fledermaus" zur "Rosalinde"

"Die Fledermaus"

Die Vorgeschichte in Kürze:

1929 vereinbarten Reinhardt und Korngold die Aufführung einer „Fledermaus“ für Schauspieler, nur die beiden Frauenpartien, weil z.T. Koloraturpartien sollten von Sängerinnen übernommen werden. Eine Neufassung des Textes wurde vereinbart.

Auf dem Titelblatt des bei August Cranz ( Der Verlag August Cranz ist der Nachfolge Verlag von Spina, der zuerst die Kompositionen der "Sträuße", d.s. Johann Strauß sen., Johann Strauß jun. Josef und Eduard Strauß, verlegt hat) veröffentlichten Klavier-Auszug, Verlags N° 770, (Ex. ÖNB, Musikslg. M.S.15997) finden sich folgende Angaben: 

Johann Strauss/Die Fledermaus/in der Neugestaltung Max Reinhardt’s/nach dem französischen Originaltext neu bearbeitet von/Carl Rössler und Marcellus Schiffer.

Zur "Einstimmung" auf das komplexe Hin-und Her zwischen den Beteiligten, nur ein Beispiel für die musikalische "Bearbeitung" durch Korngold aus der "Fledermaus" von 1929: s. Klavierauszug S.12f.

1.Akt, 1. Szene - Falke, Alfred, Adele.

 Auftritt Falke: Mit dem eintanzenden Dr. Falke - diese Szene steht nicht in der Originalfassung,  damit beginnt Reinhardt die Inszenierung  der  "Fledermaus. Dazu erklingen einzelne akkordische Motive aus der Introduktion des Walzers "Geschichten aus dem Wiener Wald".

Nr.4 (Klavierauszug) ist der musikalisch verkürzte Auftritt des Alfred, hinter der Szene, "Täubchen, das entflattert ist ... "  - im Original der  Beginn Spielhandlung der Operette. 

Der Name (Erich Wolfgang) Korngold zieht sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz.  Nicht nur durch die Korrespondenz; seit ihrem ersten Gespräch im Theater in der Josefstadt, 1929 „sinnen“ nach Luzi Korngold „ Max und Erich nur auf Possen“ – so in einem dem Wilhelm Busch „Max und Moritz“ abgelauschtes „Streich-Büchlein“, datiert 1933, gedichtet und gezeichnet von Luzi Korngold. Inhalt: die Abenteuer „einer Fledermaus“.  Erich Wolfgang Korngold betont immer wieder, daß er sein Leben, seine spätere Existenz in Hollywood Max Reinhardt verdankt.

Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, die Details der Textbearbeitung, die teilweise ein völlig neuer Text ist, der szenischen regiebedingten Eingriffe von Reinhardt, der musikalischen Veränderungen/Einschübe mit der Musik von Johann Strauß jun. für neue Sequenzen anzuführen. Korngold war ein "Straußianer", er liebte, er kannte die Musik von Johann Strauß jun. und er hatte vor seiner Arbeit an der "Fledermaus" im Theater a.d.Wien für Hubert Marischka einige Werke von Strauß neu arrangiert, und was besonders wichtig war: er besaß das plein pouvoir von Adele Strauß, der Witwe des Komponisten.   

Zu dieser „Fledermaus“ von 1929 /30(es gab 86 Vorstellungen) gibt es einen Bericht von einem  später sehr berühmten Dirigenten, Kurt Sanderling, der als junger Mann in einer Vorstellung der „Fledermaus“ war und seinem Assistenten Emile Kraemer davon erzählte.

... Reinhardt nahm als Regisseur kaum Rücksicht auf die besonderen Anforderungen der Musik … Dadurch war Korngold gezwungen, den Ton und die Instrumenteneinsätze "einschweben“ zu lassen. … [waren] die Einsätze gegeben, brachte er erst das Orchester zum vom vollen Klang  um die Stimmen zu tragen.“

 s. Guy Wagner, Korngold. Musik ist Musik. Berlin 2008, S. 210 und Anm.10

s. Kurt Sanderling, Andere machten Geschichte, ich machte Musik. Berlin 2002, S.37

Nimmt man alles nur im allen - die Lektüre des vorliegenden Klavierauszugs, die Berichte einiger Zeitgenossen sowie der Rezensionen war das theatralische Resultat, das das Publikum begeisterte, keine Operette mehr im klassischen Sinn, sondern zu einer Revue-Operette mutiert. 


"Rosalinda"

Der Theaterzettel vom 28.10.1942

Forty-Fourth Street Theatre

The New Opera Company (Lytle Hull, President, Yolanda Merio-Irion, General Manager Production)

„Rosalinda“ (Die Fledermaus)

Music by Johann Strauss

Version Max Reinhardt/ Amerikanische Adaptation Gottfried Reinhardt, John Meehann jr./Lyrics (damit sind die Gesangstexte gemeint) Paul Kerby

Dirigent Erich Wolfgang Korngold/Choreographie Georges Balanchine/Inspizient Felix Brentano(d.i. Felix Weissgeber), Bühne Oliver Smith/Kostüme Ladislaus Czettel

 … Eines Tages erhielt Erich von der New Opera Company in New York ein Telegramm mit der Anfrage, ob er bereit wäre, dort die „Fledermaus“ zu dirigieren.  …

 Es folgt der Bericht von Luzi Korngold, wie es Korngold gelang, Max Reinhardt als „Producer“ durchzusetzen, denn dieser war ursprünglich nicht dafür vorgesehen.  Sie erzählt von der Produktion, von ihren Spaziergängen mit Reinhardt durch New York – und von dem Erfolg des Abends, bei dem Erich Wolfgang Korngold vom Klavier aus dirigiert hatte.

Luzi Korngold, Erich Wolfgang Korngold, Ein Lebensbild. Wien 1967, S. 83f.

Die "Fledermaus" nunmehr als "Rosalinda" auf dem Broadway ihr sehr erfolgreiches "Unwesen" trieb, war vermutlich noch temporeicher und durch die Übertragung der Texte ins amerikanische Englisch einer Revue, wie man sie am Broadwy liebte, noch näher gekommen. 

Ergänzend möchte ich hinzufügen, daß Erich Wolfgang Korngold mit seinen für die Filme komponierten Musiken mehrere Haushalte – neben seinem eigenen vierköpfigen - finanziell unterstützte: seine Eltern, Julius und Sophie Korngold, die angeheirateten Familienenmitglieder Witrowsky (sofern  sie flüchten konnten) u. auch die Reinhardts. Vgl. dazu: Guy Wagner, op.cit. , S.315f.

Spannungen, Auseinandersetzungen, auch um Tantiemen, sind unausweichlich, vor allem dann, wenn zwei „Alpha-Tiere“ sich nicht einigen können und die Umgebung auch noch ihr Spielchen dazu spielt.

So viel zu diesem Thema Spannungen zwischen Korngold und Reinhardt. 

Die "Rosalinda" lief seit ihrer Premiere am 28. Oktober 1942 als Erfolgsstück am Broadway. Fast bin ich versucht zu sagen, dieser große Erfolg - der letzte den Reinhardt erlebte - und diese letzte Bühnenarbeit könnte als sein "Schwanengesang" gesehen werden. Entre parenthèse: den Erfolg von "Helen goes to Troye"/nach der "Schönen Helena" von Jacques Offenbach, 1944 hat Reinhardt nicht mehr erlebt. Er starb am 31.Oktober 1943, noch bevor die eigentliche Bühnenarbeit überhaupt begonnen hatte. 

In den Briefen von Reinhardt gibt es nur wenige ex pressis verbis formulierte Hinweise auf den Verlust seines künstlerischen Oeuvre; Spuren, oft sehr verklausuliert , geben dem aufmerksamen Leser eine - zumindest vage Vorstellung. 


Der Verlust der - seiner - Berliner Bühnen.

Der Verlust des - seines -Berliner Theater-Imperiums - seines "Theater-Traum"-"Traum-Theater" beginnt "schleichend" und endet abrupt mit der Enteignung.

Diese verlorene, de facto „dreidimensionale“ Realität möchte ich – sehr kursorisch – (die Faktenlage ist sehr komplex und würde den gegebenen Rahmen übersteigen) nachzeichnen – um viele der in Briefen Reinhardts notierten Details des Verlusts ein wenig transparenter zu machen.

Als Reinhardt im März 1933 Berlin verließ, wußte er, daß er sein Theater-Imperium, seine von ihm erschaffene Theaterwelt verlieren würde, mehr noch, daß er sie bereits verloren hatte.

Hinter dieser "poetischen" Formulierung des Verlust, verbirgt sich ein Zusammenbruch in mehreren Phasen; ausgelöst zunächst durch wirtschaftliche Gegebenheiten der Weimarer Republik, dann ab dem 30.Januar 1933 durch die Eingriffe der Gleichschaltung der soeben etablierten Diktatur des Nationalsozialismus.

Die große Krise, die zum Zusammenbruch der  Berliner Theaterbetriebe führt, setzt Ende 1929 ein. In den Jahren davor war die finanzielle Lage zwar angespannt, aber nicht unbedingt existenzbedrohend.

Um wirtschaftlich besser zu überleben hatten sich verschiedene Bühnen zu einem Theater Konzern zusammengeschlossen; die  als Rei(nhardt)-Ba(rnowksy)-Ro(tter) –Theaterbetriebe bezeichnete Gesellschaft dominierte das Berliner Theaterleben. In der Reibaro waren neben dem Sprechtheater vor allem Revue – und Operettentheater mit eingeschlossen, die aufgrund der Publikumsfrequenz, den preisgünstigen Plätzen über den Verkauf des Vereins „Volksbühne“ für gute Auslastung sorgten. (Diese sehr verkürzte Beschreibung sollte als Grundinformation genügen).

Dieser Zusammenschluß führte vorübergehend zu einer leichten wirtschaftlichen Besserung der Theaterbetriebe, insbesondere der Reinhardt-Bühnen.

Mit der Regierung Brüning (Heinrich Brüning, Reichskanzler) beginnt der allgemeine wirtschaftliche Zusammenbruch des „Deutsche Reich“: die Weimarer Republik versinkt im Chaos der Arbeitslosigkeit, der kaum noch existenten Wirtschaftsleistung.

Die Regierung Brüning (März 1930-März 1932) unternimmt den Versuch der Konsolidierung der Staatsfinanzen über den Weg des „Totgesparens“ – „das Heer der Arbeitslosen“ wird unübersehbar. Die Krise führt in der Folge zu den großen Wahlsiegen der NSDAP. Auf Brüning folgt Franz von Papen als Reichskanzler von Juni 1932- Dezember 1932. Sein Nachfolger, Kurt von Schleicher, demissioniert am 28.Januar 1933. Staatspräsident  Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das ist - in Stichworten, die politische Bühne, der Hintergrund vor dem sich u.a. auch der Zerfall der Berlin Theaterwelt abspielt.

Von den Reinhardt-Bühnen schließen die Kammerspiele mangels Besucher.

Am 1.2.1932 gibt Reinhardt die beiden Theater am Kurfürstendamm (Komödie und Theater am Kurfürstendamm) auf.

Anfang 1933 muß Reinhardt, um den Theaterbetrieb weiterzuführen, das Deutsche Theater verpachten. Für 275.000.-  wurde das Theater an die Bank verpfändet und anschließend verpachtet. Wenig später(am 14.1.1933) waren die neuen Pächter pleite; der tägliche Betrieb „fraß“ das Stammkapital auf.

Unter dem Druck der Gläubigerbank(Gewerkschaftsbank)  wird ein neuer Pächter für die Theater (Deutsches Theater, Kammerspiele, Großes Schauspielhaus) gesucht.

Der neue Pächter ist Carl Ludwig [Achaz, Künstlername] Duisberg(1889-1958); als gefordertes Kapital für die Pacht bringt Achaz/Duisberg, Sohn des Direktors der IG Farben, Carl Duisberg, die geforderte Summe von 500.000.- Mark ein.

Am 30.1.1933 wurden die Pachtverhandlungen für erfolgreich abgeschlossen erklärt. Die Übernahme für das Deutsche Theater/Kammerspiele wird für den 1.3.1933 vereinbart.

Reinhardt gibt mit der Verpachtung des Theaters auch die Leitung ab, er arbeitet nunmehr als „Gast“ im eigenen Haus (die Immobilie, das Grundstück, ist immer noch sein Eigentum).

Der Hauptgläubiger von Reinhardt  ist die Gewerkschaftsbank – bis 30.3.1933; danach erfolgt die Übernahme der Gewerkschaftsbank  durch die nationalsozialistische Arbeitsbank.

Eine der ersten Maßnahmen nach dem politischen Machtwechsel vom 30.Januar 1933 ist die Gleichschaltung der Institutionen, insbesondere der Theater. Dieser Prozess der Gleichschaltung dauert bis ungefähr Anfang Mai 1933.

Der nächste Schritt ist die Enteignung des jüdischen Eigentums, die „Arisierung“. 

Die von den nationalsozialistischen Machthabern eingeführten Mechanismen zur Enteignung der jüdischen Minderheit setzten unmittelbar mit dem 30.Januar 1933 ein, und wurden im Laufe der Jahre immer mehr „verfeinert“. Max Reinhardt zählte unter den Künstlern zu einem der ersten prominenten Opfer.

Die Enteignung des Reinhardt’schen Theater-Imperium ist im April 1934 abgeschlossen mit der Löschung des Namens „Max Reinhardt“ aus dem Grundbuch.

Wie informiert oder inwieweit Reinhardt die sich ausbreitende „braune“ Alltags-Realität von vor dem 30.Januar 1933 wahrgenommen hat, die Folgerungen daraus auch für sich gezogen hat, läßt sich retrospektiv – ohne zu spekulieren - nicht feststellen. Aus seinen Briefen im Exil kann man allerdings Hinweise, Spuren herauslesen, oft nur als „Text zwischen den Zeilen“, in „Kürzeln“ formuliert.

Max Reinhardt verließ Berlin wenige Tage nach der Premiere von Hugo von Hofmannsthals „Großem Welttheater“, Deutsches Theater am 1.März 1933. Helene Thimig folgte ihm wenig später; der Berliner Haushalt wird komplett aufgelöst.

Reinhardt und Helene Thimig hatten seit den 20er Jahren im Gartenhaus(abgerissen) des Schlosses Bellevue im Tiergarten (heute Wohnsitz des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland)  ihren Wohnsitz; um aus dem Mietvertrag entlassen zu werden sorgten sie für einen Nachmieter. Dieser Nachmieter war Paul von Mendelssohn und seine Frau Elsa, die auch das gesamte Inventar übernahmen. Im Gegenzug zahlten sie 16 000 Reichsmark an das Deutsche Theater; mit dieser Summe bezahlte das Theater die fälligen Sozialabgaben, ausstehende Gehälter sowie Unterstützungszahlungen für Mitglieder der großen Familie Reinhardt(Brüder, Schwestern etc.) und Else Heims; Max Reinhardt finanzierte aus den Gewinnen seines Theatergeschäfts auch diverse Familienmitglieder. Diese Unterstützungszahlungen waren Teil der hohen finanziellen Belastung, die er auch in der Emigration zu leisten hatte.   

Weitere Details dazu in:

Julius H.Schoeps,  Das Erbe der Mendelssohns, Biographie einer Familie, Frankfurt/M.³, S. 354f.

Der viel diskutierte, immer wieder neu interpretierte „Oxford-Brief“ vom 16.Juni 1933 (Max Reinhardt schenkt dem Deutschen Volk sein Theater, Kurzfassung) ist eine sehr berührende, ergreifende poetische Geste, traumwandlerisch, in die Zukunft weisend vergleichbar einer der Weissagungen der Seherin Kassandra. Reinhardt weiß, daß ihm sein Lebenswerk gewaltsam und illegal gestohlen wurde. Er weiß, was er verloren hat, er weiß, was diese Stadt, dieses Land mit der Errichtung „Diktatur des Hausknechts“(Alfred Kerr) für immer und unwiederbringlich verloren hat.

Als ich diesen dicken Briefband in die Hände nahm, war meine erste Reaktion – wie schon gesagt - ZU SPÄT! Vieles, was in diesen Briefen oft nur andeutungsweise erwähnt wird, ist eine weitere, sehr wichtige Quelle zur Exil-Forschung. 

Wer diese Dokumente ohne Wissen um den historischen Hintergrund (gleichermaßen für Europa wie für die USA) liest, wird wie ein Rezensent so freundlich nach dem Erscheinen des Briefbandes anmerkte, diese Briefe sehr persönlich, sehr berührend finden, nicht aber ihre tatsächliche historische Bedeutung erkennen.   

Als ich die Briefe von Max Reinhardt gelesen hatte, fiel mir - fast möchte ich sagen automatisch - der erinnernde Text von Arthur Kahane ein, den er in seinem Buch "Tagebuch des Dramaturgen ", 1928, veröffentlicht hat. Er erzählt von seiner Begegnung mit Max Reinhardt im Café Monopol, nahe des Bahnhofs Friedrichstraße, 1902. Es folgt die Aufzeichnung des Monologs  in dem junge, aufstrebende Theatermann Reinhardt seine Vision, seinen Traum einer Theaterwelt skizziert: "Was mir vorschwebt, ist ein Theater, das den Menschen wieder Freude macht ..." 

Arthur Kahane, Tagebuch des Dramaturgen, Berlin 1928, S. 112ff.  

Max Reinhardt übersiedelt nach New York – SEINE Theaterträume ließen sich nur in New York, am Broadway verwirklichen – europäisches Theater dem kommerziell bestimmten amerikanischen Theater kontrastierend gegenüberzustellen?  - war es so?

Helene Thimig bleibt in Hollywood, versucht den „Workshop“ zu retten, unterrichtet, auch Privatschüler und spielt kleine Filmrollen um das tägliche Überleben, den Alltag abzusichern.


In einem Brief erinnert sich Helene Thimig , 4.7.1942, S.188 an „ die Hölle von "Eternal Road“; die begleitende Anmerkung 47, S. 542 gibt nur eine sehr spärliche Information darüber, warum und weshalb Helene Thimig zu dieser – ihrer subjektiven – Einschätzung  kommt.


"The Eternal Road"/Der Weg der Verheißung 

„The Eternal Road“ „Der Weg der Verheißung“, Text Franz Werfel, Musik von Kurt Weill, übersetzt von Ludwig Lewinsohn

Premiere am 7.Jan. 1937 in New York.

Der Erfolg der Aufführung war groß, das Stück wurde vom 7.Jan. 1937 - 16.Mai 1937 153 mal gegeben; die täglichen Betriebskosten überstiegen die Einnahmen um ein Vielfaches, sodaß trotz der totalen Auslastung, die Aufführungen beendet werden mußten.

Wie kam es zu diesem Erfolg? Die Bedrohung der jüdischen Minderheit im deutschen Sprachraum, besonders in Deutschland  (noch haben die Eroberungskriege Hitlers nicht begonnen in der Gefolge die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung parallel einherging), die wachsende Zahl der deutschsprachigen Flüchtlinge; der große jüdische Bevölkerungsanteil in New York sowie der sich immer mehr verbreitende Gedanke des Zionismus – der, kurz gesagt – die Rückkehr nach Palästina propagierte. Es gab auch bereits erste Siedler in dem britischen Mandatsgebiet Palästina.

So wurde das Spiel um die Verheißung des Gelobten Landes auch als Propaganda, im Sinne einer „message“ verstanden.

Das Stück löste eine ziemlich heftige „Presseschlacht“ aus, ein Pro und Contra über die „message“; der theateralische Erfolg blieb davon unberührt.

Vgl dazu:

Marta Mierendorff, William Dieterle, der Plutarch von Hollywood, Berlin 1993, S.95ff.

Das Jahr 2000 stand in Chemnitz unter dem Motto "Kurt Weill" - 100. Geburtstag (Kurt Weill, 1900 -1950) Den Reigen der Veranstaltungen eröffnete die Uraufführung von  „Der Weg der Verheißung“/ The Eternal Road,"  in deutscher Sprache, in der Originalfassung am 13.Juni 1999.  

Ein umfangreiches Programmbuch wurde aus Anlaß der Produktion publiziert, mit Berichten über die Planung, Begleitumstände, Interviews usw. zur Produktion.  

Michael Heinicke, Regisseur des Abends schreibt in seinem Vorwort:

 Für Max Reinhardt

… Text und Musik stammten von Franz Werfel und Kurt Weill, aber eigentlich beruhte das Stück auf seinen Ideen und seiner ungeheuren szenischen Phantasie. Der Mann, der von Hitler aus seinem Berlin vertrieben worden war, schenkte einer Neuen Welt ein neues Stück. … In diesem alttestamentarischen Stück, … lebte der aus Deutschland vertriebene Geist der deutschen Literatur und des deutschen Theaters weiter.

Es war Reinhardts Stück noch aus einem andren Grunde. … Zusammen mit seinem Bühnenbildner Norman Bel Geddes schuf er eine Szenerie, die gleichsam von den Flammen von Auschwitz beleuchtet war, obwohl es Auschwitz damals noch nicht gab. Werfel, Weill und Reinhardt haben es kommen sehen.

Zurück zur „Hölle“ von Helene Thimig. Sie verweist damit auf die sich immer wieder auftürmenden Produktionsprobleme, die vor allem von Reinhardt und Bel Geddes(Bühnenbildner) ausgelöst wurden und zu unendliche Finanzierungsproblemen führten. Der Produzent, Meyer W. Weisgal, mehrfach am Rande der Pleite, verfolgte "seine" Vorstellung von der Realisierung der der Produktion unerschüttert; er glaubte an die Idee des Stückes, an seine Realisierung – und an den Erfolg, den es dann ja auch erlebte.

Meyer W. Weisgal (1894-1977) war bekennender Zionist und wurde – nachdem er das finanzielle Desaster der Produktion auch für seine Person einigermaßen gelöst hatte, der Berater von Chaim Weizmann, dem ersten Präsidenten des Staates Israel. 

vgl. dazu seine Autobiographie.

Meyer W. Weisgal, Der lange Weg nach Jerusalem. Erinnerungen eines Optimisten, Berlin 1973 

Die Briefe, die Reinhardt zwischen 1937 – 1943 geschrieben hat – sind - jeder für sich – ein Dokument der Einsamkeit eines Menschen, der seine Welt verloren hat und sich in der neuen nicht wiederfindet. Reinhardt entwickelt seine Traumwelt eines Theaters für eine Welt, in der dieses Theater keinen Platz haben wird, haben kann. Und immer wieder die Rückgriffe auf Vergangenes, die Belastungen (vor allem finanziell) der ihm feindlichen, fremd - gebliebenen Gegenwart.

Reinhardts Briefe wie auch die Briefe von Helene Thimig mit ihrem verstörenden Inhalt sind – kennt man nur einiges aus den vielen überlieferten Korrespondenzen der Emigranten von 1933-1945 - kein Einzelfall;  die Ausführlichkeit, das Ausmaß der Verstörung verleiht ihnen die Aura des Besonderen.

Der Wohnort Hollywood, Santa Monica, wird in der Retrospektive häufig als „Neu-Weimar“ beschrieben; die „deutsche Kolonie“( gemeint sind die deutschsprachigen Emigranten) , folgt man der Beschreibung von Salka Viertel, bestand aus mehreren Gruppen.

… Die repräsentative, offizielle literarische Persönlichkeit war Thomas Mann, dessen Einfluß bis ins Weiße Haus reichte. Dann gab es eine kleine politische linksstehende Gruppe um [Fritz] Kortner, die hauptsächlich aus emigrierten Schauspielern bestand. Bruno und Liesl Frank waren mit Thomas Mann und seiner Familie schon seit vielen Jahren gut befreundet und blieben es auch in Hollywood. Zu diesem Kreis gehörten auch die Feuchtwangers[ Lion und Marta], die Polgars[Alfred und Elise, gen.Lisl], Franz und Alma Werfel, Bruno Walter und seine Tochter Lotte, später 'Liesls charmante und berühmte Mutter Fritzi Massary, sowie William und Charlotte Dieterle.

Max Reinhardt und Helene Thimig bildeten eine andere Insel und waren in ihrer „Werkstatt“ stark mit der Planung und Vorbereitung  und Stücken beschäftigt. Sie hatten nur selten Gäste, und die wenigen Parties, die sie gaben, waren international. Eines Abends luden sie mich und Gottfried[Reinhardt, er war zu dieser Zeit mit Salka Viertel liiert, Anm.d.Verf.] zusammen mit Sam Be(h)rmann; Franz und Alma Werfel, Erich Korngold und seiner Frau ein. …


Salka Viertel, Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films. Mit einem Vorwort von Carl Zuckmayer. Reinbek bei Hamburg 1979, Taschenbuch Ausgabe 4320, S. 269 f.


Mit dem Zitat aus der Autobiographie von Salka Viertel erlaube ich mir die kritische Bemerkung, daß weder im Anmerkungsapparat noch in den begleitenden Texten der potentielle Leser dieser Briefe Reinhardt-Thimig  nichts über die komplexe Lebenssituation der beiden tatsächlich erfährt; es fehlt – um bei einem Theaterbegriff zu bleiben – der Hintergrund, die Soffitten, es fehlt die Beleuchtung, es fehlen die Spots für besondere Ereignisse  …

Salka Viertel und Berthold Viertel gehören zu dem Kreis der bereits in den 20er Jahren nach Hollywood eingewanderten Berliner Künstler. So subjektiv ein autobiographischer Text auch immer ist, ihre Autobiographie ist eine nahezu unerschöpfliche Quelle zur Geschichte der deutschsprachigen Emigration in Hollywood.

Hollywood ist in diesem Exil-Zusammenhang als Sammelbegriff zu verstehen;  dahinter verbergen sich die Studios, Arbeitsplatz für Emigranten(der 100 $ -Job für Emigranten), Beverly Hills, Santa Monica usw. 

Über das (literarische, aber nicht nur) Exil in Kalifornien gibt es ein hervorragendes Handbuch von John Spalek und Josef Strelka.

John Spalek, Joseph Strelka, Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 [in Kalifornien], 2 Teile, Bern 1976.


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