Max Reinhardt-Helene Thimig, ein Briefwechsel
Aus Dagmar Saval Wünsche
Max Reinhardt-Helene Thimig
Briefe zwischen 1937 - 1943
Nachgedanken und Notizen zu der Briefausgabe:
Briefe im Exil, Max Reinhardt-Helene Thimig, 1937-1943, herausgegeben von Edda Fuhrich und Sybille Zehle. Wien, Salzburg, Brandstätter Verlag 2023
Der Anlaß war der 150. Geburtstag von Max Reinhardt (1873-1943)
Hans Sahl, Die Letzten, 1973
In diesem Jahr 1973, als Hans Sahl sein Gedicht veröffentlichte, kamen in der Stadt Salzburg zur Festspielzeit viele ehemals berühmte, zur Legende geronnene Namen, Menschen, zusammen um den zu ehren, der ihnen zur Größe, zur Legende verholfen hatte, der ihr künstlerisches Zentrum gewesen war, Max Reinhardt, den Regisseur, den Schauspieler, den Bühnenmenschen.
Sie kamen, sie erzählten, sie erinnerten sich ... und dieses einmalige Treffen wäre DER Anlaß gewesen um den mit jahrelanger Verspätung, genau 50 Jahre zu spät publizierten Briefwechsel, anzuregen, anzudenken, zu publizieren; denn wie sagt Hans Sahl – „Wir sind die Letzten, fragt uns aus.“
Die Briefe spiegeln das ganze „Elend“, die Problematik des Exils von 1933 – 1945 in allen seinen Facetten wider, künstlerisch, psychologisch, materiell.
... Das Klima macht mich am traurigsten hier. Weil es heimatlich ist. Bedeckter Himmel, worüber die Kalifornier und speziell die Warner-Truppe stöhnt, und grün, grün, grün. Ich könnte mich hinlegen und weinen, ... Aber kaum liege ich, kommen diese vielen zahllosen Sorgen, diese unwahrscheinliche Zusammenhäufung von Dingen, die der Lösung harren. ... Ich liebe das Schöne auch - es klingt so dumm, es zu sagen, aber bloß, weil du Angst hast, ich will das Schöne abbauen. Ich sehe halt bloß notgedrungen realer, daß gewisse Änderungen vollzogen werden müssen, und dazu müssen halt die Mittel gefunden werden. ...
Helene Thimig an Max Reinhardt, Hotel Del Monte, 7.September 1942, S.248f.
Helene Thimig spielt immer wieder kleinere (stumme)Filmrollen um das benötigte Budget aufrecht zu erhalten (davon später). Sie ist mit der Film-Crew von Warner-Brothers nach Carmel gereist; Film: "Edge of Darkness".
Bevor ich auf die Briefe eingehe, einzelne auch herausgreife, einige Notate zur Edition. Die Briefe, die Max Reinhardt und Helene Thimig zwischen 1937 - 1943 von Hollywood nach New York und umgekehrt sandten, werden von einem chronologisch aufgebauten Anmerkungsapparat begleitet (etliche Anmerkungen sind als [-] in den Text eingebaut), es gibt eine tabellarische Kurzvita beider Protagonisten, den Bildnachweis und das Namensregister, einen editorischen Hinweis sowie die obligatorische Danksagung. Undatierte Abbildungen , „lockern“ den Textteil auf.
Schon beim ersten, sehr kursorischen“ Quer-Lesen fielen mir etliche Details auf, in den Bildunterschriften, in den begleitenden Kommentaren, in den Anmerkungen, die mich „stolpern „ ließen.
Da lese ich z.B. auf S. 551 (d.i. der editorische Hinweis) :
… Nach reiflicher Überlegung wurden Inhalte, die das heutige Empfinden verletzen mögen, beibehalten. Die Authenzität der Briefe schien uns in diesem Falle wichtiger als die political Correctness.
Zugegeben es ist keine historisch kritische Briefedition, dennoch: jeder Eingriff in einen historischen Text ist Fälschung, Manipulation. Diese sogen.political correctness hat in einer Publikation historischer Texte keinen Platz.
Noch ein kleiner editorischer Stolperstein:
Die Briefe "wandern" von Ost nach West und umgekehrt, ihr Weg ist lang – sie müssen einen ganzen Kontinent queren, für die rasche Kommunikation wählen beide nicht selten die Western Union – das „Kabel“, wie im Buch genannt. Diese Kommunikation hat den großen Vorteil, daß der Text auch telephonisch übermittelt werden kann; der Zeitunterschied zwischen Ostküste und Westküste wird damit noch einmal verkürzt. – Zum besseren Verständnis: die Entfernung Los Angeles- New York etwas mehr als 4.600 km, der Zeitunterschied beträgt drei(3) Stunden.
Dieser Hinweis könnte ein eiliger Leser als quantité négligeable beiseite schieben; in so manchem Brief geht es inhaltlich um wichtige, oft zeitlich begrenzte Entscheidungen - ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Eine weitere Informationslücke: Der editorische Hinweis gibt als Provenienz-Vermerk an, der Briefbestand des Reinhardt-Nachlasses der Wienbibliothek wäre um einige Briefe und Kabel aus dem Reinhardt-Archiv der State University of New York, Binghamton ergänzt und erweitert worden. Am Ende eines jeden Dokuments/Objekts verweisen Zahlen/Buchstabenkombinationen auf die Provenienz. Für den archivarisch nicht geschulten Leser sind diese Ziffern – und Buchstabenfolgen allerdings ein „Buch mit sieben Siegeln“, daher wenig aussagekräftig. Ein Hinweis wo welche Signatur zu verorten ist, fehlt.
Die eine Herausgeberin ist die Journalistin Sybille ZEHLE, sie „dichtet“ gerne, das sei ihr unbenommen.
Auf S. 11 schreibt Frau Zehle, Max Reinhardt (zum Namen s. weiter unten) wäre Ostjude gewesen.
Die Familie Goldmann war gebürtig aus Westungarn, der Wohnsitz war in Stupava/Stampfen (daher auch die Zuständigkeit des königl.ungarischen Innenministerium für den Namenstausch. Heute gehört Stupava zur Slowakei).
Ohne historisch weiter auszuholen: Die Bezeichnung „Ostjuden“ bürgerte sich um 1900 ein; in der k.u.k. Monarchie wie auch im Deutschen Kaiserreich. Es war die Reaktion auf die stetig steigende Zuwanderung aus dem Osten Europas, aus Galizien, aus Polen, aus dem Zarenreich/Russland; zunächst wurde dieser Begriff als Abgrenzung gebraucht von der (weitgehend) assimilierten jüdischen (westlichen) Minderheit, die sich selbst als gesellschaftlich etabliert und integriert fühlte.
Das Ostjudentum, Aschkenasim, war tief religiös; die Sprache dieser Einwanderer war im allgemeinen „jiddisch“, der soziale Status (zuvor lebten sie in der Regel noch im Schtetl, im Ghetto – vgl. dazu Alexander Granach, Da geht ein Mensch, oder die Bücher von Isaac B.Singer) war sehr niedrig; sie waren herumziehende Händler, sammelten und verkauften alles, was sich ihnen bot. Aber: sie konnten lesen, schreiben, wenn auch nur hebräisch.
Der sozio-kulturelle Gebrauch der Begriffe Ostjude-Westjude erhielt mit dem zunehmendem Antisemitismus seinen nationalistisch geprägten Sprachgebrauch, wurde zum Schlagwort für die völkisch antisemitische Publizistik usw. .
Weiters ist Frau Zehle (S.11) der Ansicht, Wilhelm Goldmann, der Vater von Max Reinhardt, wäre ein „verkrachter!“ Kaufmann gewesen; das ist zwar ihr gutes Recht, aber sie übersieht dabei im journalistischen Eifer ein gewichtiges historisches Faktum.
Als die Goldmanns 1877 von Stupava nach Wien übersiedelten, waren Folgen des Börsencrash von 1873, des „Schwarzen Freitags“, der den Boom der Gründerjahre jäh beendet hatte, noch immer vorherrschend; die k.u.k. Residenzstadt, der Wirtschaftsraum der Monarchie, der anderen europäischen Staaten litten an der darauf folgenden Depression bis tief in die 1890er Jahre.
Wilhelm Goldmann war vermutlich kein sehr geschickter und gewiefter Kaufmann, es gelang ihm nicht auf diese schwierige wirtschaftliche Situation entsprechend zu reagieren. Ihn deswegen zum „verkrachten“ Kaufmann zu stilisieren ist, sehr zuückhaltend formuliert, diskriminierend.
Für den historisch wenig informierten Leser wäre es sicher ganz hilfreich gewesen, den Hinweis auf die 1904 erfolgte Namensänderung zu formulieren; die Goldmanns waren ungarische Staatsbürger.
Die Familie Goldmann, Max Goldmann, änderte 1904 mit der Bewilligung des königl.ungarischen Innenministeriums den Namen Goldmann offiziell in den Namen Reinhardt.
Das „poetisch-journalistische“ Vorwort von Frau Zehle unternimmt den Versuch für den interessierten Leser sehr kursorisch und sehr pauschal etwas von der komplexen Zeit der Weimarer Republik (9.11.1918-1933, 30.1.) zu berichten, vor allem über die „glänzenden“ schwierigen Theaterverhältnisse nach einer kurzen Phase der Konsolidierung (nach der Inflation, nach 1924 beginnt, bis ungefähr 1929 anhält um dann mit den immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen ein abruptes Ende zu finden.
Mit dem 30.Januar 1933 (Hitler wird Reichskanzler, das Datum firmiert unter dem Etikett „Machtergreifung“) übernehmen die Nationalsozialisten die Macht und die Gleichschaltung aller Institutionen (und das betrift sämtliche Theater) wird unmittelbar in Gang gesetzt, sowie die Verfolgung der jüdischen Minderheit.
Doch: um die in den Briefen, vor allem in den monologisierenden Texten von Max Reinhardt – oft sehr verklausuliert –angesprochenen Fakten einordnen zu können, ist diese Darstellung wenig hilfreich. Eine Zeittafel wäre für den Leser eine - wenn auch bescheidene Orientierungshilfe - gewesen.
Die zweite Herausgeberin, Frau Dr. Edda FUHRICH, war Teil des Teams der Max-Reinhardt-Forschungs-und Gedenkstätte, gegründet 1966. Sie hat ihr gesamtes wissenschaftliches Leben Max Reinhardt und seinem Schaffen gewidmet – man muß es schon so pathetisch formulieren – und die Herausgabe dieser Briefe war ihr ein ganz besonders Anliegen, über die Jahre hinweg immer wieder verfolgt. Sie hat diesem Briefwechsel ihre begleitenden, einfühlsamen Texte beigegeben; warum ihre Wahl auf Frau Zehle als zweite Herausgeberin gefallen ist, bleibt wohl ihr Geheimnis.
Beim Lesen des einleitenden/ begleitenden Textes als Einschub zwischen einem Kabel von Helene Thimig aus Santa Monica vom 18. Juni 1943 auf S.358 und einem Brief von Helene Thimig aus Los Angeles vom 18.Juni 1943 auf der S. 362 (dazwischen sind Photos) blien etliche Irritation zurück. Es wird von einem ... Konflikt Reinhardt/Korngold“ rund um „Rosalinda“/“Die Fledermaus ... berichtet.
Dazu möchte ich gerne etwas weiter ausholen, denn dieser „Konflikt“ dürfte bestenfalls die theater-übliche Konfliktsituation gewesen sein, wie sie immer wieder auftritt, wenn es um Nennung und Wertung (auf dem Theaterzettel/Programm gegenüber der Öffentlichkeit geht.
Von der „Fledermaus“ zu Rosalinda“, 1929 – 1943
Der Name (Erich Wolfgang) Korngold zieht sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz. Nicht nur durch die Korrespondenz; seit ihrem ersten Gespräch im Theater in der Josefstadt, 1929 „sinnen“ nach Luzi Korngold „ Max und Erich nur auf Possen“ – so in einem dem Wilhelm Busch „Max und Moritz“ abgelauschtes „Streich-Büchlein“, datiert 1933, gedichtet und gezeichnet von Luzi Korngold. Inhalt: die Abenteuer „einer Fledermaus“.
1934/35 dann die Zusammenarbeit für den Film „Ein Sommernachtstraum“- A Midsummer Night‘s Dream“ für Warner in Hollywood. Korngolds Arbeitsweise (ohne hier näher darauf einzugehen, nachzulesen in Guy Wagner, op.cit.) gefällt den „Filmgewaltigen“ und es folgen weitere Einladungen für den Film zu komponieren. Als auch in Österreich der Nationalsozialismus an die Macht kommt, sind die Korngolds längst in Hollywood – und Erich Wolfgang Korngold betont immer wieder, daß er sein Leben, seine spätere Existenz in Hollywood Max Reinhardt verdankt.
Die Vorgeschichte in Kürze:
1929 vereinbarten Reinhardt und Korngold die Aufführung einer „Fledermaus“ für Schauspieler, nur die beiden Frauenpartien, weil z.T. Koloraturpartien sollten von Sängerinnen übernommen werden. Eine Neufassung des Textes wurde vereinbart.
Auf dem Titelblatt des bei August Cranz erschienen Klavier-Auszug, N° 770, finden sich folgende Angaben:
Johann Strauss/Die Fledermaus/in der Neugestaltung Max Reinhardt’s/nach dem französischen Originaltext neu bearbeitet von/Carl Rössler und Marcellus Schiffer.
Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, die Details der Bearbeitung, der szenischen Veränderungen, der musikalischen Veränderungen anzuführen.
Zu dieser „Fledermaus“ von 1929 /30(es gab 86 Vorstellungen) gibt es einen Bericht von einem später sehr berühmten Dirigenten, Kurt Sanderling, der als junger Mann in einer Vorstellung der „Fledermaus“ war und seinem Assistenten Emile Kraemer davon erzählte.
... Reinhardt nahm als Regisseur kaum Rücksichtauf die besonderen Anforderungen der Musik … Dadurch war Korngold gezwungen, den Ton und die Instrumenteneinsätze einfh „scheben“ zu lassen. … [waren] die Einsätze gegeben, brachte er erst das Orcheser zum vom vollen Klang , um die Stimmen zu tragen.“
s. Guy Wagner, Korngold. Musik ist Musik. Berlin 2008, S. 210 und Anm.10
s. Kurt Sanderling, Andere machten Geschichte, ich machte Musik. Berlin 2002, S.37
Der Theaterzettel vom 28.10.1942
Forty-Fourth Street Theatre
The New Opera Company (Lytle Hull, President, Yolanda Merio-Irion, General Manager Production)
„Rosalinda“ (Die Fledermaus)
Music by Johann Strauss
Version Max Reinhardt/ Amerikanische Adaptation Gottfried Reinhardt, John Meehann jr./Lyrics (damit sind die Gesangstexte gemeint) Paul Kerby
Dirigent Erich Wolfgang Korngold/Choreographie Georges Balanchine/Inspizient Felix Brentano(d.i. Felix Weissgeber), Bühne Oliver Smith/Kostüme Ladislaus Czettel
… Eines Tages erhielt Erich von der New Opera Company in New York ein Telegramm mit der Anfrage, ob er bereit wäre, dort die „Fledermaus“ zu dirigieren. …
Es folgt der Bericht von Luzi Korngold, wie es Korngold gelang, Max Reinhardt als „Producer“ durchzusetzen, denn dieser war ursprünglich nicht dafür vorgesehen. Sie erzählt von der Produktion, von ihren Spaziergängen mit Reinhardt durch New York – und von dem Erfolg des Abends, bei dem Erich Wolfgang Korngold vom Klavier aus dirigiert hatte.
Luzi Korngold, Erich Wolfgang Korngold, Ein Lebensbild. Wien 1967, S. 83f.
Der Konflikt entzündete sich daran, daß Korngold nur noch als Dirigent genannt wird, seine Bearbeitung, die die Grundlage für die Broadway –Version war, mit keinem Wort erwähnt wird. Dies nicht zuletzt auch eine Frage der Tantiemen.
Ergänzend möchte ich hinzufügen, daß Erich Wolfgang Korngold mit seinen für die Filme komponierten Musiken mehrere Haushalte – neben seinem eigenen vierköpfigen - finanziell unterstützte: seine Eltern, Julius und Sophie Korngold, die angeheirateten Familienenmitglieder Witrowsky (sofern sie flüchten konnten) u. auch die Reinhardts. Vgl. dazu: Guy Wagner, op.cit. , S.315f.
Spannungen, Auseinandersetzungen, auch um Tantiemen, sind unausweichlich, vor allem dann, wenn zwei „Alpha-Tiere“ sich nicht einigen können und die Umgebung auch noch ihr Spielchen dazu spielt.
So viel zu diesem Thema Spannungen zwischen Korngold und Reinhardt.
Seite in Bearbeitung