Offenbachiade chez Max Reinhardt

Aus Dagmar Saval Wünsche

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Im Neuen Theater am Schiffbauerdamm wird eifrig probiert … ganz ungewohnte Klänge kommen aus dem kleinen Orchestergraben, der eigentlich keiner ist, es geigt, es trommelt, es flötet, Koloraturen perlen durch den Raum … Max Reinhardt bereitet mit seinen Schauspielern die Abschiedsvorstellung vor, bevor er als Direktor ein paar Straßen weiter zieht – in das Deutsche Theater in der Schumannstraße. „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach setzt mit 49 Vorstellungen einen triumphalen Schlußpunkt unter einen furiosen Anfang einer vielversprechenden Laufbahn als Regisseur und Schauspieldirektor.  

Aber „Orpheus in der Unterwelt“ -  eine  Operette nach deutscher  Definition , eine „opéra bouffe/bouffon“,  so bezeichnet sie der Komponist  – in einem Sprechtheater ? 

„Alles ist nur Theater“ … für den Bühnenmenschen Reinhardt gibt es keine Genregrenzen, wie der Puppenspieler, der an allen seinen Fäden zieht um – „die Puppen tanzen zu lassen“ greift Reinhardt nach allem, was seine Gestaltungsphantasie und seine Spiellaune aufblühen läßt – und wenn nötig, biegt er sich das Material eben zurecht. Doch bei der Durchsicht der Aufführungsdaten fällt eine merkwürdige Koinzidenz ins Auge: am 30. Dezember 1905 hatte in Wien, im Theater an der Wien eine Uraufführung stattgefunden, "Die lustige Witwe" von Franz Lehár und nach einem etwas zögerlichen Start trat diese "Witwe" eine bis dahin nie erlebten Siegeszug über die Operettentheaterbühnen an. Wollte der aufstrebende, erfolgsorientierte junge Theaterdirektor und Regisseur dieser neuen opulenten, sentimentalen Operette  ein Gegenmodell inszenieren ?    

Wenn Gottfried Reinhardt mit seiner Behauptung recht hat, daß Reinhardt "Musik als störend nur empfunden " ( ich höre Wilhelm Busch), dann hat er diesem Imperativ alles untergeordnet, Musik  ausschließlich als Spielement seiner Inszenierungen einzusetzen, wie bei seinen Sprechtheaterinszenierungen oder später bei den Pantomimen, dann  zerbricht Reinhardt  die  angestrebte Verschmelzung von Wort und Ton, die Musiktheater intendiert. War "Orpheus 'in der Unterwelt“ – als Experiment initiiert, eine „Offenbachiade“  mit Schauspielern, die singen zu spielen ?  'Er wagte den Versuch die Rollen mit Schauspielern zu besetzen, denn nach dem Textbuch, der Partitur müssen sie singen und sprechen können. Nur die Partie der Eurydike mußte  Reinhardt  - wollte er den Erfolg des Abends nicht verspielen und versingen  - mit einer Opernsängerin besetzen;  Eurydike hat einiges an virtuosen Koloraturen zu bewältigen.

Seine Wahl fiel auf einen jungen aufstrebenden lyrischen Sopran von der Dresdner Hofoper, Eva von der Osten. Sie kam aus einer Schauspielerfamilie, kannte also von Kindesbeinen an auch die darstellerischen Anforderungen;  auch optisch entsprach die  damals 25 jährige Sängerin den Vorstellungen des Regisseurs von „seiner“ Euridyke. 

Wie ging nun dieses Experiment auf ? -  eher zwiespältig, auch wenn retrospektiv von 49 umjubelten Vorstellungen berichtet wird. Ich habe ein wenig in den zeitgenössischen Berichten, Rezensionen geblättert: das Experiment mit Schauspielern Gesangspartien zu  realisieren um eine  Operette aus einem anderen Blickwinkel zu präsentieren  wird nicht verkannt, aber nicht unbedingt positiv gewürdigt. Die sängerischen Mängel werden doch als sehr störend empfunden, denn  nicht nur die Partie der Eurydike verlangt nach einer geschulten Singstimme, sondern auch die Partie des Styx; viel verliert die Partie an Wirkung, wenn die ironische , koloraturähnliche Diktion nicht perfekt dargeboten wird. - Hans Pagay als Styx wurde dem  keineswegs gerecht, so der allgemeine Tenor. 

Die theatralische Realisierung wird dagegen sehr positiv gewürdigt,  Details wie z.B. den Chor hinter einer Wolke im Olymp zu "verstecken", besonders betont, aber es wird kein Ganzes, es bleibt in Bruchstücken  positiv . Moniert wird vor allem die  Länge des Abends, Striche  wären als sehr positiv empfunden worden.  

Ein langjähriger Mitarbeiter von Max Reinhardt hat 1919 in einem Artikel einen kursorischen Einblick in die Zusammenarbeit gegeben. Der Komponist Einar Nilson 4), Gottfried Reinhardt bezeichnet ihn als  „Musikmanager“, analysiert in seinem Artikel in der Publikation „Reinhardt und seine Bühne“ 4) wie Max Reinhardt Musik für seine  Inszenierungen vorbereitet,  in seine Regie eingearbeitet hat, welche Rolle er innerhalb einer Inszenierung der Musik als „Mitspielerin“ zuteilt. Musik übernimmt die Funktion der Illustration bestimmter Stimmungen, unterstützt, hebt hervor, trägt zur Überhöhung der Bildwirkung bei.

Musik ,und dazu zählen auch Geräusche, ist  Stimmungsfaktor:  Donnern, Heulen o.ä. erzeugt Angst und Schrecken; ein Impromptu von Franz Schubert oder Frédéric Chopin versetzt den Zuschauer in Träumerei, Verliebtheit o.ä. – vergleichbar  der Programmmusik oder der Filmmusik. 

Die Anweisungen im Regiebuch geben den  Titel (die Form, z.B. fiktiv „Menuett“) und den Komponisten an;  andere Angaben fehlen, wie  z.B. soll eine Originalkomposition oder eine  Bearbeitung  gespielt werden, in welcher Tonart steht das ausgewählte Stück,  Klangvorstellung, Klangfarbe, Instrumentation usw. , das er gibt zusammengenommen  Auskunft darüber, welche „  Rolle “ das gewählte Musikstück spielen wird und soll. Aber enthält keine „Aussage“ über die Wertigkeit, die ästhetische Vorstellung der  tatsächlichen Rolle des musikalischen „Mitspielers“ (Klangfarbe, Klangvorstellung, hell oder dunkel usw.).     


Max Reinhardt  ist der Wiener Vorstadtaufgewachsen, dort beginnt seine Schauspielerlaufbahn.  Das Alltagsleben in den Vorstädten 5) war von vielerlei Geräuschen und von viel Musik bestimmt – da gibt es die Lavendelfrauen mit ihrem eintönigen diatonischen Singsang, die Scherenschleifer und andere vazierende Handwerker, den Harfenisten, den Werkelmann. Da ist der Geiger, der manches Mal in Begleitung einer Sängerin, eines Sängers auftritt und für wenige Heller in den dunklen Hinterhöfen etwas vorträgt, Klang in den grauen Alltag bringt. 6)  Die Musik aus den Wirtshausgärten rundet das akustische Alltagsleben ab.

Anfang der 1940er Jahre im New Yorker Exil begann Max Reinhardt mit der Niederschrift seiner Erinnerungen, in vielen Variationen begonnen, nie vollendet. Sie sind, wie viele ähnliche Aufzeichnungen, die in der Emigration, auf der Flucht vor dem braunen Terror entstanden sind, eine „recherche du temps perdu “ (Marcel Proust). Diese Erinnerungen erzählen von unwiederbringlichen Verlusten - von der eigenen Identität, von einer untergegangen Welt . Man muß sie mit verstehenden Augen sehr behutsam lesen, dann  findet man in diesen Aufzeichnungen  wertvolle Details zu Biographie und Werk, Spurenelemente.  

Arthur Kahane erzählt in seinem „Tagebuch eines Dramaturgen“ 7) wie er den Schauspielschüler Reinhardt auf der „ Vierten Galerie“, das ist der Stehplatz  im Burgtheater, kennengelernt hat.

Berlin 1902: Der Zufall ist oft der beste Regisseur, Max Reinhardt und Kahane begegnen sich im Café Monopol, in der Friedrichstraße 100; das Café Monopol ist kein gewöhnliches Café, es ist um 1900 die Künstlerbörse von Berlin. Reinhardt  und Kahane setzen sich in eine ruhige Ecke, beginnen ein ausführliches Gespräch. Max Reinhardt hat soeben das „Neue Theater“(das Theater am Schiffbauerdamm) als Direktor übernommen, er sucht einen Dramaturgen.  'Er erläutert Kahane seine Ideen. Kahane hat dieses Gespräch, eigentlich war es ein Monolog, notiert und in dem Kapitel „Max Reinhardt“ in seinem „Tagebuch eines Dramaturgen“ veröffentlicht.

Es ist ein bemerkenswerter Text, er jongliert sprachlich zwischen musikalischen Begriffen, theaterpraktischen Vergleichen und Alltagssprache; 'Max Reinhardt spricht für ein unsichtbares Publikum. Der Zuhörer erlebt bildhaft, akustisch unterlegt, was dem jungen Theaterdirektor Max Reinhardt wichtig ist, was er will. Das Diktum er ' 

              „[  …] will ein Theater, das den Menschen wieder Freude macht “

ist zum geflügelten Wort geworden.  Plötzlich erinnert  sich Max Reinhardt an einen gemeinsamen Konzertbesuch in Wien:

               '[…] Erinnern Sie sich an jene köstlichen Wiener Abende, die wir im Bösendorfer Saale        erlebten, wenn das Rosé Quartett Kammermusik von Haydn, Mozart und Beethoven            spielte . Etwas Ähnliches möchte ich erreichen. Das, was mir vorschwebt, ist eine Art        Kammermusik des Theaters. […]

Sein Vorbild für die Kammerspiele in der Schumannstraße in Berlin,  ist  das Erlebnis „Bösendorfersaal“. 8)

Stefan Zweig, in der „Welt von gestern“ über den Bösendorfersaal:

              […] war dieser kleine Konzertsaal, der ausschließlich der Kammermusik vorbehalten    war, ein ganz unkünstlerisches Bauwerk, […] und nur durch eine Holzverschalung völlig prunklos zu musikalischen Zwecken adaptiert. Aber er hatte die Resonanz einer            alten Violine, er war den Liebhabern der Musik geheiligte Stätte, weil Brahms, Liszt,               Rubinstein darin konzertiert, weil viele der berühmten Quartette hier zum ersten Male          erklungen sind. […] 9)

Das Besondere an diesem Saal war die schlackenlose Akustik, die Schmucklosigkeit des Raumes (in der dekorationsversessenen Gründerzeit eine absolute Rarität), und wie Zweig betont,  mit dem Klangerlebnis  wie von einem  sehr alten Streichinstrument,  wie von  einer Stradivari, einer Montagnana oder  einer Guarneri.

Diese Klangerfahrung in Verbindung mit dem Raumerlebnis wurde für Max Reinhardt zum Schlüssel für seine akustische Vorstellung und Forderung an einen Raum, in dem der Schauspieler  im Mittelpunkt steht, sein Sprechen zum Kammerton wird,  Schauspiel als Kammermusik.

Die nächste authentische Spur des musikalischen Erlebens führt in den Prater:

              [ … ] ich erinnere mich genau. Ich war auf einem Sängerfest im Prater, natürlich auf    der Galerie[ … ] 10')

1890 fand in Wien das „ Vierte allgemeine Deutsche Sängerbundfest  “ statt; 13. 000 Sänger „überschwemmmten“ die Stadt. Programmatisch und propagandistisch war dieses Fest extrem deutschnational aufgezogen. Veranstaltungsort war der Prater, denn nur dort war ausreichend Platz für die Massenveranstaltungen der Chorkonzerte, für diese Konzerte wurde eine eigene sehr große Festspielhalle gebaut. Es gab Massenumzüge,  quer durch den Prater, rund um den Ring, ein umfangreiches Rahmenprogramm. War der Besuch eines dieser Chorkonzerte, Max Reinhardts erstes Erlebnis „Großraumtheater“ ? 

Einen bleibenden Eindruck aus dieser fünfzehntägigen Monsterveranstaltung hat der junge Max Reinhardt sicher gespeichert: Wie man Massen gezielt steuert, wie man Chormassen einsetzt, als eine Stimme - monophon  oder aber polyphon.

Unumgänglich sind die Erinnerungen an die „Vierte Galerie “ im Burgtheater . Max Reinhardt beschreibt sie musikalisch vergleichend;  dazu möchte ich erwähnen, es ist sehr  bemerkenswert, wenn Reinhardt etwas besonders betont beschreiben, hervorheben möchte, dann benutzt er wie ein Musiker adäquate musikalischen Begriffe, Vergleiche, Vorstellungen: z.B.

               […]  Stimmen (der Schauspieler), die wie alte kostbare Instrumente ein unvergleichlich      abgetöntes Orchester bildeten […]

               […] wir konnten die Stücke auswendig, […]  wie man die Fünfte oder die Neunte von             Beethoven, Bach, Mozart immer wieder hören konnte [ …' ]11)

Wer jemals auf der Vierten Galerie im Burgtheater war, weiß, daß man de facto weder wirklich etwas sieht oder hört, besser gesagt, so hört, daß man auch versteht!  Aber: Der echte, wahre Stehplatzbesucher kennt jeden Text ! Nichts kann ihn, den Stehplatzbesucher, von seinem imaginierten Kunstgenuß abhalten oder gar stören !

Und in diesem Sinn trifft es zu, wenn Reinhardt von sich und seiner „musikalischen“ Geburt schreibt:

              [ …] ich bin auf der Vierten Galerie geboren worden [ …]

 'Ein langjähriger Weggefährte, Bruno Walter, der Dirigent, erinnert sich:

              […] ich lernte einen jungen Schauspieler kennen, der bereits allgemeine       Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war der 22 – jährige Max Reinhardt, und wir       pflegten, wenn wir die beiden Schwestern, denen unsere Neigung galt, verlassen            hatten, in langen Spaziergängen Fragen der Kunst vom Standpunkt tatendurstiger J   Jugend zu erörtern und was uns an theatralischen und musikalischen Ereignissen      bewegte, durchzusprechen. Reinhardt liebte Musik, war sehr musikalisch und in den               theatralischen Zukunftsträumen, von denen er phantasierte, war vielfach von der            Unentbehrlichkeit der Musik in allen bedeutenden Momenten des gesprochenen              Dramas die Rede. […]' 12)

Berlin 1894. Die Stadt,  in die der junge Schauspieler kam, stand ganz im Zeichen der Prosperität, der totalen Veränderung. Berlin war eine wachsende Stadt.

Die Metamorphose der Stadt: Aus einer gemütlichen, langweiligen Residenzstadt mit ehemals  880.000 Einwohnern wurde zwischen 1880 und 1914 eine Millionenmetropole.

Im Osten, im Norden entstanden riesige  Industrieanlagen mit rauchenden Schloten, tristen Mietskasernen, Massenquartieren für die Arbeiter.  Im Westen, im Südwesten, mit der alten Mitte, dem alten Stadtkern, das war das zweite Zentrum von Berlin, hier wohnten die „Reichen und Schönen“, die Beamten, die gehobene Mittelschicht. Hier pulsierte das Geschäftsleben, die Banken und Finanzwelt. Das Kulturleben prosperierte in dem Maße wie die Stadt industriell und finanziell wuchs . Der künstlerische und gesellschaftliche Erfolg des Theatermanns Max Reinhardt war Teil dieser Prosperität, er war an ihr beteiligt.

Das Kultur- und Gesellschaftsleben: Es gab das konservative, Wilhelminische, rückwärts gewandte, militärisch dominierte Berlin mit „Garde du corps“, das „Donnerwetter –tadellos!“ 13) - das war nicht nur der ironisch-lächelnde Titel einer Revue im Metropoltheater in der Behrensstraße.

Das progressive,  immer vorwärts drängende, sozial orientierte Berlin, das von Neuem und Neuerungen nie genug bekommen konnte; und bemerkenswert demokratisch – trotz Zensur und Militarismus  - seinen Kunstvisionen leben konnte.  Wohl weil die offizielle Kunst von „Wilhelm Zwo“ 13) bestimmt, diese Entwicklungen und Strömungen nicht zur Kenntnis nahm, nicht zur Kenntnis nehmen wollte,

Das Publikum  für das Max Reinhardt spielte: es war konservativ gemäßigt, aufgeschlossen, tolerant, aufgeklärt und im allgemeinen gut betucht. Einen beträchtlichen Anteil an diesem Publikum bildete das meist jüdische Großbürgertum wie z.B. Bankiers, Industrielle, die gehobene Mittelschicht.  Mit der Einrichtung der Besucherorganisationen (mit verbilligten Karten)  für die Berliner Theater, z.B. „Die Volksbühne“  erreichte das Theater Max Reinhardts auch mittel- und kleinbürgerliche Schichten.

Einen entscheidenden Anteil am kulturellen wie gesellschaftlichen Leben Berlins hatten seit den Tagen des Moses Mendelssohn, der Rahel Varnhagen, der Henriette Herz die „Salons“; sie waren und galten als  DIE Kreativzentren der Stadt. 14) In den Salons wurden die Novitäten gelesen, gehört, oft auch präsentiert, musiziert, diskutiert je nach Ausrichtung des Salons . Max Reinhardt war ein gern gesehener, wenn auch meist etwas schweigsamer Gast, so jedenfalls berichten die Zeitgenossen.

Sie erzählen auch von  der besonderen Gabe des jungen Darstellers, oft bewundernd, manchmal mit ein wenig Neid gepaart: Max Reinhardt „sammelte“ scheinbar mühelos  Anhänger,  Bewunderer;  er bildete um sich einen Kreis, wir  nennen es im 21. Jh. „Netzwerk“.

Kaum in Berlin angekommen, schreibt Max Reinhardt an seinen Freund Berthold Held, der noch im Engagement in Salzburg ist.

Berlin, am 4. Dezember 1894 :

              […] Verflossene Woche waren wir im hiesigen Konzerthaus. Herrliche Musik, gutes    gediegenes Orchester unter künstlerischer Leitung (70 Personen), prachtvoller Saal, distinguiertes Publikum, schöne Weiber u. gutes Bier. Wir haben die Absicht, den         Besuch dieser Konzerte zu forcieren. Ich verstehe von Musik nicht viel, bin aber           trotzdem oder vielleicht gerade darum sehr empfänglich für sie. Als Schuljunge          begann ich einige Monate herumzuklimpern, konnte dem Scalenspiel jedoch keinen               besonderen Geschmack abgewinnen und ließ es bald. Ich bin also in akademischer und technischer Beziehung ein Ignorant in der Musik. Aber ich habe mir jedenfalls die             volle empfängliche Naivität darin bewahrt, die mir als Zuschauer im Theater               naturgemäß schon öfters fehlt. Jedenfalls übt gute Musik stets eine mächtige Wirkung        auf mich aus, die mich überrascht und die ich mir nicht recht erklären kann. Neue      ungeahnte Stimmungen erwachen in mir. Alles erweitert sich u. ich freue u. wundere               mich darüber wie ein Kind mit einem farbigen Kaleidoskop.  […] ich glaube, daß      volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der' Volksbildung weit eher entsprächen als Theatervorstellungen, Bibliotheken … Musik verinnerlicht , befruchtet Seele        u.Phantasie.[…] 15)

Diese Zeilen enthalten Überraschendes:  bereits zu diesem Zeitpunkt, Max Reinhardt ist 21 Jahre alt, bringt der Briefschreiber sehr genau seine Ziele, seine Empfindungen zu Papier,  und er läßt nicht den geringsten Zweifel daran, was sein Ziel ist. 'Programm und Zukunftsversprechen, so könnte man diesen Brief  interpretieren.

Das „Volksstück mit Musik“  - wie oben genannt  - bleibt und ist - eine  „idée fixe“; der Schlüsselsatz,

              […] ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung    weit eher entsprächen […]

das Gedankenspiel dazu, nicht nur Sprechtheater zu inszenieren, kehrt in einer Variante in einem Briefentwurf wieder, geschrieben 1931.

Zitat:

              […] In der phantastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist Gelegenheit diese        beiden Elemente des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge diese Kunst(gattung)              einem großen Publikum nahezu bringen, so wäre die wesentliche Aufgabe eines           Volksstücks erfüllt. […] 16')

Der Weg des jungen Schauspielers Max Reinhardt, der 1894 beginnt Berlin für sich zu erobern,  dann als Mitglied eines Ensembles, das im Sommer auf Tournee geht, ein Kabarett gründet usw. …diese „Eroberungsgeschichte wird Madam Silhouette vortragen.

Auf  der kleinen Bühne von „Schall und Rauch“ /Kleines Theater gibt es einen vielfältigen breit gefächerten Spielplan: Opernparodie,  Kammermusik, Pantomime, Soloabende mit Volksstückcharakter und Einakter usw.  1893 hatte Reinhardt eine erste Begegnung mit Oeuvre von Jacques Offenbach: er spielte den Merkur in „Orpheus in der Unterwelt“ 17).  Das kleine einaktige Singspiel „Hanni weint, Hansi lacht. “ ist wahrscheinlich seine erste Begegnung als Regisseur mit dem Komponisten  18)

Bevor das Deutsche Theater in „Deutsches Theater“ umbenannt wurde, war es Berlins führendes Operettenhaus, als „ Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater“, mit einer  bis 1860 zurückreichenden Offenbach-Tradition.

Diese erste, kreative Begegnung mit dem Oeuvre von Offenbach als Regisseur blieb nicht folgenlos. Das nächste Stück von Offenbach, das er inszenieren wollte, auch schon plante, war „Das Pariser Leben“.  Es wurde nie realisiert, wurde zur Lieblingsidee, die Reinhardt mit Konsequenz und Nachdruck verfolgte bis in die 20er Jahre.

1906 brauchte der Theaterdirektor Reinhardt ein Zugstück um auch während der spielfreien Zeit sein Theater zu bespielen (Theater ohne Subventionen konnten sich spielfreie Wochen finanziell nicht erlauben); es sollte  zugleich ein  Abschiedstück sein, denn gab Reinhardt  das „Neue Theater“ auf um das „Deutsche Theater“ zu seinem Erfolgsmodell zu machen.

Nichts entsprach seinem unerschöpflichen Spieltrieb mehr als „Orpheus in der Unterwelt“ 19), eine Opéra bouffon.

In einer Opéra Bouffe/Bouffon, das ist „Orpheus in der Unterwelt“  ist alles erlaubt;  von der Mythentravestie bis zum Märchenspiel reicht der Bogen, musikalisch steht die hochgezüchtete Koloratur unverbunden neben dem Gassenhauer, der höfisch- gezirkelte Tanz neben dem scheinbar ungezügelten Cancan. Die Folie des Spiels ist die ungebändigte Lust am Schaugepränge, an der Illusion.

Otto Klemperer, der nach der Premiere die Vorstellung von Oskar Fried  übernommen hatte,  erinnert sich: 20)

              […] Reinhardt wollte Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ einstudieren, und zwar             mit Schauspielern. Vorher wollte er sich aber die Musik, die er nicht kannte,             vorspielen lassen. (Oskar) Fried, der singen sollte, bat mich ihn zu begleiten.  […]

              Nach dem Vorspiel fragte Reinhardt, wie lange es dauern würde, den Chor     vorzubereiten. „Ungefähr zwei Wochen“, antwortete ich  kühn. „Sie sind wohl noch              sehr jung,!“, war die trockene Antwort. Erst jetzt dämmerte mir, daß der Chor ja           auswendig singen mußte. […] Lernen mußte ich jedoch, daß Schauspieler, anders als          Sänger, für ihren Einsatz nicht auf den Dirigenten warten. […]

Reinhardt spielte erstmals genußvoll mit der „Offenbachiade“.

Was ist eine Offenbachiade:  Spiel im Spiel,  das Spiel mit der Maske; die Inversion, denn nichts ist so wie es scheint – Umkehrung einer Realität in die Irrealität. Gepaart mit der Lust am Schaugepränge,  an der Illusion  …  ein schwereloses,  unterhaltsames Spiel, doch nie nur Unterhaltung an sich, ironische – satirische Kritik am Zeitgeschehen, an den Zeitgenossen .

Gottfried Reinhardt berichtet sehr dezidiert, daß Max Reinhardt Operette, ausgenommen eben die Offenbach‘sche Operette  als theatralisches wie musikalisches Genre ablehnte. 21)

1929 ist Max Reinhardt erneut auf der Suche nach einem Erfolgsstück für die Sommerwochen; er denkt dabei an „ La Vie Parisienne“, er möchte diese Idee endlich realisieren. Daraus wurde „Die Fledermaus“ 22), von der Gottfried Reinhardt  nach der Premiere behauptet

              […] Reinhardt nahm der Verknüpfung von begnadeter Musik und billigem Schwank die Zufälligkeit. Er nahm dem Schwank das Billige und der Musik die theaterfeindliche    Vormachtstellung.[ …] 21)

Der Plot der „Fledermaus“ könnte von Offenbach sein – nichts ist so, wie es scheint. Was  hat Gottfried Reinhardt mißverstanden?

Die Idee, die „Fledermaus“ zu inszenieren hatte Erich Wolfgang Korngold, denn er wollte keinesfalls  das von Reinhardt vorgeschlagene  „Pariser Leben“ bearbeiten oder dirigieren. Mit der Zusammenarbeit an der „Fledermaus“, aus der Begegnung Korngold-Reinhardt beginnt ein ganz besonders Kapitel in der Werkbiographie der beiden Künstler, entsteht mehr als nur eine Arbeitsgemeinschaft.

Lucie Korngold 23), erinnert sich an die Anfänge:

              [… ]Max Reinhardt ließ anfragen , ob Erich „La Vie Parisienne“ von Offenbach für das         Deutsche Theater in Berlin bearbeiten und dirigieren wolle.  [ …] um nicht    unhöflich zu erscheinen , ging er doch zu Reinhardt ins Theater in der Josefstadt; er   kam mit einem amüsiert-verlegenen Lächeln und einem Kontrakt von dort zurück. Er          hatte Reinhardt seine Zweifel an „La Vie Parisienne “ mitgeteilt und die Sache damit               für erledigt gehalten . Der erwiderte aber nur ruhig: Was würden Sie sonst               vorschlagen?   Darauf Korngold: … warum machen Sie nicht die Fledermaus ?[ …]

Lucie Korngold erfährt von den Proben in Berlin, der Arbeitsatmosphäre aus den Briefen ihres Mannes:

              [ … ]Ich sollte erst zu den letzten Proben nachkommen und erhielt begeisterte, aber         kurze Briefe.   … Die Partitur des Werkes blieb unberührt. Was hinzukam – kleine     Szenen, alles von Strauß – begleitet Erich im Orchester vom Klavier aus.

              Reinhardt war unerschöpflich im Erfinden von Versen, die bald als Rezitativ, bald als        Gesangsnummern sich dem Werke einfügten. Erich fand für ihn die passenden      Straußwalzer, oft nur ein paar Takte. … Was stets Reinhardts Bestreben gewesen war:      das Publikum miteinzubeziehen, eine Brücke zwischen Bühne und Zuschauerraum zu               bauen, hier hatte es die höchste Vollendung gefunden.[ … ]

Es gibt aber auch gegenteilige Berichte von Musikern  nach dem Besuch einer Vorstellung der „Fledermaus“ : Reinhardt nahm keine Rücksicht auf die Sänger und ihre spezifischen vom Singen wie vom Musikalischen bestimmten Erfordernisse, das Spieltechnische stand absolut im Vordergrund.  Korngold begleitete und dirigierte vom Klavier aus,  er war  gezwungen, den Ton, die Einsätze ( für Sänger wie für das Orchester) „schweben“ zu lassen. 24)

Im Nachlaß Max Reinhardt in Wien im Theatermuseum liegt die Textfassung  zur „Fledermaus“ 25); zusammen mit dem nach der Aufführung  gedruckten Klavierauszug 26) , den Berichten  und Beschreibungen der Zeitgenossen ergibt sich ein instruktiver Einblick in die „Werkstatt“ der Zusammenarbeit von Regisseur und Komponist/Dirigent. Einige Beispiele zur Illustration:

Zur Ouvertüre gibt es den Reinhardt’sche Auftakt (man könnte diesen auch als „ Signet Reinhardt“ bezeichnen) – das ist hier die Auftrittspantomime des Dr. Falk als Fledermaus. (Nicht im Textbuch und nicht in der Partitur)

  1. Akt: Szene zwischen Rosalinde und Adele. Rosalinde entledigt sich kichernd mit Hilfe von Adele ihrer vielen Unterröcke. Dazu gibt es einen neuen Text, unterlegt mit Musik aus dem „Spitzentuch der Königin“ Operette von Johann Strauß).
  2. Akt: Die eintreffenden Gäste, geladen zum Ball bei Orlofsky, treten nicht einfach auf, formieren sich, stellen sich als Chor auf, sie kommen herein, in größeren oder kleineren Gruppen,  sehr animiert in eine Unterhaltung vertieft, begrüßen sich, stellen einander vor usw. ; dazu improvisiert  Korngold auf seinem kleinen Klavier, d.i. eine Art Reiseklavier, nach Musik von Johann Strauß.

Gottfried Reinhardt  schreibt über die Aufführung: 27)

              […] Der Akzent auf dem Schauspielerischen hatte Änderungen in der Partitur              notwendig gemacht. Melodien mußten ins Orchester verlegt werden. Im übrigen     erforderte der freie tänzerische und sprachlich-rhythmische  Stil der Regie mehrere musikalische Einlagen .

              Im ersten Bild der Auftakt, – eine stumme, von Musik begleitete Szene  schien den         Geist des Stückes zusammenzufassen und die Richtung anzugeben.  […] Musik liegt in             der Luft. Sie beschwingt den Gast. Die Zigarettenspitze wird zum zwanglosen           Taktstock […]. Der 2. Akt Die Gäste(versammeln) sich  […] Klatsch, parlando,         skandierte Vorfreude mit rhythmisch pointierten GestenVorstellung . […]Dieses Mm- ta-ta (1 – 2 - 3 /schwer – leicht- leicht/, Anm.d.Verf. ) explodiert in dem großen     Walzer, der die Bühne und die Paare zum Drehen bringt. Sie ergießen sich in den nun               in Blickfeld wirbelnden Ballsaal und werden vom Fest, das bereits im vollen Gange ist,          geschluckt. […] ein Menschenknäuel öffnet sich wie eine Blütendolde, deren Blätter –       die Oberkörper – sich rückwärts biegen, um den letzten Tropfen Champagner              auszuschlürfen … „Die Majestät wird anerkannt“ … alles ist ihr untertan . Komödie, Koloratur, schwingende Beine, .. das Cape der Fledermaus… tauchen unter in der     quirlenden, jubelnden Polyphonie, über der der Vorhang fällt. […]

1931: Offenbach: „Hoffmanns Erzählungen“. 28)

Offenbach’s Oeuvre für Reinhardt mehr als eine künstlerische Herausforderung, eine Obsession ? Wie Gottfried Reinhardt meint, waren  es das „Phantastische“, die „Groteske“, die Reinhardt faszinierten, magisch anzogen?

Ich meine, es ist die komponierte Grenzüberschreitung,  „Kunst und Wahn“, das „Unbewußte“ , der „Traum“ ,  der den Künstler Reinhardt fesselte, magisch anzog,  der Regisseur suchte die Herausforderung ? –

Im Nachlaß Reinhardt im Theatermuseum,  fand ich einen Briefentwurf 29), der anfänglich sehr nüchtern auf die alltäglichen Überlegungen zur Regie, zur Zusammenarbeit eingeht, auf die „Publikumsverführung“ durch gesteigerte Wirkung des Szenischen abzielt. Es folgen Bemerkungen zur Gattung Oper, Steigerung der Wirkung  durch die Bearbeitung des Textbuchs mit den eingestreuten (neuen) Prosaszenen,

doch in den Nebensätzen verbirgt sich Reinhardt’sche Vision.

Max Reinhardt  an Leo Blech, den Dirigenten, der auch für die musikalische Fassung der  Oper verantwortlich sein wird:

              […] Hoffmanns Erzählungen zu inszenieren ist schon ein alter Traum von mir. Ich      glaube überhaupt, daß die nächste Zukunft eine engere Verbindung von Schauspiel     und Musik bringen wird. In der phantastischen Welt des Offenbach‘schen Werkes ist              Gelegenheit diese beiden Elemente  des Th(eaters) zu gestalten, wenn es gelänge      diese Kunst(gattung) einem großen Publikum nahezu bringen so wäre die               wesentliche Aufgabe eines Volksstücks erfüllt. […]

Mit dem Hinweis , daß die nächste Zukunft eine engere Verbindung von Schauspiel und Musik bringen wird ,formuliert Reinhardt den Trend der Zeit, wie auch seinen angestrebten, immer wieder formulierten  Anspruch Wort und Ton dem Drama gemäß  zusammenzubringen. Musiktheater zu inszenieren.

Aber konnte der Showman Reinhardt, dem alles, was er in die Hände nahm zum phantastischen Spiel geriet, im Fall von „Hoffmanns Erzählungen“ diesen Spieltrieb zügeln , der Versuchung widerstehen aus dem rätselhaften Torso des Komponisten Offenbach das herauslösen, was sein innerstes Wesen ausmacht ?  Das Unbewußte, der Traum, der Albtraum, das Böse , die Gratwanderung zwischen Kunst und Wahn?

Nach der Analyse der Rezensionen zu „Hoffmann’s Erzählungen“ fällt auf:

Es wird akribisch und getrennt berichtet über die Leistungen der Schauspieler, die auch singen müssen sowie über die der Sänger, das Orchester und den Dirigenten.

Einzig Alfred Polgar unternimmt in seiner Rezension den Versuch einer Gesamtbeurteilung.  30)

              […] Offenbachs phantastische Oper, durch Kulissenzauber, Ballett, musikalische    Zutaten, wie auch durch harte Mittel des Dialogs, zu einem pompösen Schaustück              gestreckt. Mächtig aufgeblasenes Theater – Reinhardt hat großen Atem. …

              In den Absichten Reinhardts lag es wohl, ein Theaterwerk herzustellen, das breitestem wie auch sogenanntem besserem Publikum behagen, das Massenabsatz finden und          doch hohem Anspruch genügen soll. […]

Aber, so meint Polgar weiter, es wäre eben  

              […]Theater im Theater, Theater zum Quadrat, ist nun einmal ein Lieblingsspiel des         potenzierten und potenzierenden Theatermannes Reinhardt .[…]

Erleichtert stellt Alfred Polgar dann abschließend fest, daß Leo Blech seine schützende, abwehrende Hand über den Komponisten Offenbach und seine Musik hält:

              […] über Offenbachs noch im Schweren geisterhaft leichte, hier auch dunkle  Fittiche             tragende Hoffmann-Musik, die Lebensfreude nicht verneint, aber Lebensangst     bekennt … Er macht den besonderen Absichten der Neuinszenierung ein Mindestmaß            an Zugeständnissen: fast hat man den Eindruck, als wäre manchmal, um der Oper zu   sichern, was der Oper ist, sein Taktstock dem viel zitierten Zauberstab Reinhardts in die Quere gekommen.[…]

Polgar legt mit einem Satz bloß, was den Sprechtheaterregisseur Reinhardt  - vielleicht -auch zu einem kongenialen Musiktheaterregisseur hätte werden lassen können:

              [… ] Zur Gipfelhöhe gelangt das Musikalische der Aufführung in der Antonia-Szene, da        wo es auch im Oeuvre selbst an die Bezirke des Ekstatischen und Tragischem rührt.   Hier hat auch Reinhardt seine beste halbe Stunde. Hier sind seine Sänger               schauspielerisch gelockert, die dramatische Bewegung groß, in steter Steigerung [ …]

Max Reinhardt,  1943,  in einem undatierten Briefentwurf , geschrieben für den Drehbuchautor  Ben Hecht 31), entwirft den Plan zu einer amerikanisierten „Schönen Helena“.  Er beschreibt seine große Faszination, die das Offenbach‘sche Oeuvre auf ihn ausübt;  allerdings geht seine Phantasie ganz andere Wege. Die Reinhardt‘sche Vorstellung einer theatralischen Präsentation der  „Belle Hélène“  32),  von Jacques Offenbach als Einheit von Wort und Ton als satirisch-ironisches Spiel komponiert, führt  zu  einer Art Kettenreaktion  von Überarbeitungsmechanismen, endet in der Vision einer  (sehr puritanischen)  Neufassung.  Reinhardt ist der Meinung,

              [' …] daß in […] dem französischen Original, die Musik einen großen, der Dialog einen viel zu kleinen Spielraum hatte […] 31),

der Theatermann Reinhardt, der Regisseur Reinhardt fühlt sich von der Musik Offenbachs  „ entmachtet “.  -  Aber ist  diese meine Überlegung zu  Reinhardt und "Hoffmanns Erzählungen"  ' auch schlüssig? - Für den Vortrag, und das war dieser Text ursprünglich brauchte ich einen guten Schlußsatz, der auch eine, die, Quintessenz einer ersten, ausführlicheren Rechereche zu Max Reinhardt und das Musiktheater sein sollte.  Offenbach und Max Reinhardt haben mich nach diesem Vortrag von 2018 weiter begleitet.  Die Textbearbeiter von "Hoffmanns Erzählungen"

verwandeln die Figur des "Hoffmann" von Jules Barbier  in ein fiktives Porträt  des Dichters E.T.A.Hoffmann - in den "Gespensterhoffmann", wie man vor allem in den 20er Jahren die Künstlerfigur des Dichters und Menschen ETA Hoffmann interpretierte.  Für mich ist die Figur des Hoffmann  von Barbier und Offenbach , eigentlich die Gesamtheit  eines Musiktheateroeuvre  immer die Doppelgesichtigkeit, das doppelte  Interpretieren  - Wort und Ton verbinden sich im Musiktheater zu einer untrennbaren Einheit.  Zurück zu Hoffmann: er ist  - und so hat ihn Barbier der Texter geschrieben, der Dichter, der Schriftsteller des "Phantastischen", Hoffmann , wie ihn Offenbach komponiert hat, ist ein musikalisches  Komponistenporträt - ein Selbstporträt des Komponisten Jacques Offenbach? 


   

 

 

1)  Gottfried Reinhardt, Der Liebhaber, S. 62




4) Einar Nilsson, Musik bei Max Reinhardt, S. 186, in: Ernst Stern, Heinz Herald, Hg., Reinhardt und seine Bühne. Bilder von der Arbeit des Deutschen Theaters. Eingel.v. Hugo von Hofmannsthal, Berlin 1919 

5) Die Wiener Vorstadt: volkstümliche Bezeichnung für Stadtteile von Wien: a) außerhalb der Ringstraße (angelegt nach 1857anstelle der geschleiften Stadtmauern), dem Stadtzentrum sowie b) außerhalb der Gürtellinie (das ist der abgerissene Linienwall,der  zweite Befestigungsring um Wien.

6) Die Wandermusikanten  waren meist Kriegsveteranen, die, ausgestattet mit der erforderlichen behördlichen Lizenz, sich auf diese Weise ihr kärgliches Überleben sicherten.

7) Arthur Kahane, Tagebuch eines Dramaturgen, S. 114 f., S.117. Der Stehplatz ist eine wichtige soziale Einrichtung: Stehvermögen vorausgesetzt, kann man für wenig Geld ins Konzert oder ins Theater gehen.

8) Der Bösendorfersaal. Herrengasse 6, Wiener Innenstadt,  war eine nicht mehr genutzte Reithalle auf dem Liechtensteinischen Areal rund um das Stadtpalais.  Ludwig Bösendorfer hatte Teile der Liechtenstein‘schen Räume gemietet: für die Schau-und Verkaufsräume sowie für seine Wohnung. Bösendorfer ließ die alte Reithalle zum Konzertsaal umbauen; der Bösendorfersaal war von 1872-1913 Wiens wichtigster und bedeutendster Kammermusiksaal.  

9) Stefan Zweig, Die Welt von gestern, S. 33

10) Gusti Adler, … und vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen, S. 21

1892 fand die Internationale Musik- und Theaterausstellung statt. Es war ein Leistungsschau kultureller Identität europaübergreifend, mit einem umfangreichen Festspielprogramm.

Im nachgebauten Alt-Wien gab es eine Stegreifbühne. Dort trat u.a. auch der Komiker Ludwig Gottsleben als Hanswurst auf. Gottsleben (1836 – 1911) war eine Lokalgröße der Wiener Vorstadtbühnen.

Gusti Adler, S. 27 : … Am dortigen Hanswurst -Theater sah Reinhardt noch den Komiker Ludwig Gottsleben. Bis an sein Lebensende begleitete ihn die Erinnerung an dieses letzte Aufflackern der Commedia dell’arte. Lebendig griff hier Vergangenheit noch einmal in die Gegenwart. …

Der zweite Teil des Zitats: Commedia dell’arte bezieht sich auf einen anderen Programmpunkt, der unvergessen blieb: Was als  „letztes Aufflackern“ der Commedia dell’arte beschrieben wird, ist

das Gastspiel der Compagnia Comica Goldoniana, die mit  „I Rusteghi“ und  „Le Baroffe Chiozzote“ gastierte. 

Das Deutsche Theater unter Direktion L’Arronge gastierte mit „Stella“ und „Die Mitschuldigen“  (Goethe)

11) Gusti Adler, op.cit., S. 24

12) Bruno Walter (1876-1962), „Thema und Variationen“, S. 136.

1943 : Bruno Walter organisierte und dirigierte die Trauerfeier für Max Reinhardt in der Carnegie Hall in New York, 30.November 1943. Es spielten die New Yorker Philharmoniker .

Bruno Walter war von Gustav Mahler an die Wiener Hofoper engagiert worden; Bruno Walter vermittelte  die Bekanntschaft zwischen Max Reinhardt und Gustav Mahler.

[…] ich besinne mich auf eine Zusammenkunft zwischen ihm und Reinhardt. Max Reinhardt brachte seine Aufführung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ nach Wien, Pfitzner dirigierte die Mendelssohn‘sche Musik. […] Mahler genoß die Aufführung. ['…] 'Aus: „Thema und Variationen“,  S.257

             

13) „Donnerwetter tadellos“ , Revue. Musik: Paul Lincke. Berlin, Metropol-Theater, 5.9. 1908. – „Wilhelm Zwo“ wie er von den immer respektlosen Berlinern genannt wurde, verbot seinen Offizieren den Besuch der Revue; er spürte die Ironie, die Kritik.

14) Zur Geschichte der Berliner Salons, vgl. Petra Wilhelmy-Dollinger, Die Berliner Salons, 2000.

Salon der Marie Schleinitz, Gräfin Wolkenstein. Ihr Name ist eng mit Richard Wagner verbunden, in ihrem Berliner Salon traf sich Künstler jeglicher Sparte - Musiker, Schauspieler, Literaten und sie beteiligten sich 'an den musikalischen Soireen. Ausrichtung eher konservativ.

Cornelie Richter (1842 -1922), geborene Meyerbeer, verehel. Richter. Ihr Mann war der Historienmaler Gustav Richter, in ihrem Salon trafen sich Literaten ebenso wie Maler oder Musiker. Ihr Salon war Schnittstelle zwischen von Alt und Neu, Tradition und Moderne.

Die Abende in der Villa Mendelssohn im Grunewald, ohne einen bestimmten Schwerpunkt, es wurde viel musiziert . Robert Mendelssohn spielte Cello, seine Frau war Pianistin, Sohn Francesco, der später bei Reinhardt Assistent wurde, war ein herausragender Cellist – und das enfant terrible der 20er Jahre.

Der Salon der Betty Stern: man weiß, daß es ihn gegeben hat, mehr nicht. Er lebt weiter in der niedergeschriebenen' oder gesprochenen Erinnerung vieler Künstler, denen die alte Dame zur Karriere verholfen hat, ihr den nötigen Schwung verliehen hat - … wie z.B. Marlene Dietrich.

Ähnliches gilt für Emmy Löwenfeld (1914-1912). Von ihr kennt man wenigstens eine Adresse, wohnhaft Berlin Landgrafenstraße 10. Zit. nach:

 „Berlin und die Berliner“, Verzeichnis 1905, S.28 wird Dr. Emmy Löwenfeld als Kapitalistin des Neuen Theaters genannt, wohnhaft Landgrafenstraße 10


15) Max Reinhardt an seinen Freund Berthold Held, aus Berlin am 4.Dezember 1894, zit. nach Fetting 1974, S. 47.

Mit Concerthaus meint Reinhardt das Berliner Concerthaus in der Leipziger Straße, Berlin-Mitte.

Benjamin Bilse'', (1816-1902) gebürtiger Wiener, erst Mitglied des Johann Strauß-Orchester, später mit einer eigenen Tanzkapelle unterwegs, hatte sich in Berlin niedergelassen, ein Orchester gegründet,  mit dem er die weit über Berlin hinaus berühmten „Bilse-Konzert“ gab. Berühmt wegen ihrer Programmgestaltung, ihrer hohen musikalischen und spieltechnischen Qualität.  1882 gab es Streit, 54 Musiker trennten sich und gründeten ein neues Orchester unter dem Namen Berliner Philharmonisches Orchester.

16) MR  inszeniert „Hoffmanns Erzählungen“ (Offenbach) im Großen Schauspielhaus

17) „Orpheus in der Unterwelt“ (Offenbach), Wien, Theater Rudolfsheim, Mai 1893 (kein genaues Datum bekannt).

  1. Agnes Broessler, Max Reinhardt in seiner Entwicklung vom Schauspieler zum Regisseur. Wien 1986

Wien hatte – wie Berlin – eine sehr weit zurückreichende und sehr erfolgreiche Offenbachtradition.

18) „Jean qui rit et Jeanne qui pleurt“, Opérette

Jacques Offenbach. Text: Hector Crémieux, Philippe Gille (lt. Alexander Faris, 1982, Werkverzeichnis; lt. Internet Werkverzeichnis:  Charles Nuitter, Etienne Tréfeu als Textdichter

1864 für den Kursaal in Bad Ems komponiert, 1865 wiederaufgeführt in Paris.

Berlin, Schall und Rauch, 8. 12.1901

„HANNI WEINT, HANSI LACHT“

von Charles Nuitter, Etienne Tréfeu (lt.Werkverzeichnis Alexander Faris), sonst:

Hector Crémieux, Philippe Gille

Musik: Jacques Offenbach

Huesmann, Weltheater Reinhardt,  gibt keinen Regisseur an. Das von Reinhardt favorisierte Stück „Pariser Leben“ -„ La Vie Parisienne“ ist eine „pièce ein cinq actes mêlée de chant“, 1866, ein Sprechstück mit Gesangseinlagen . 

 

19) Berlin, Neues Theater, 13.5.1906

„ORPHEUS IN DER UNTERWELT“

von Hector Crémieux, deutsche Fassung: Arthur Pserhofer

Musik: Jacques Offenbach

20) Otto Klemperer (1885-1973), Dirigent

21) Gottfried Reinhardt, S. 60.

22) Offenbach trifft Johann Strauß in Wien. Er regt ihn an Operetten zu komponieren. „DIE FLEDERMAUS“

Komische Operette von Richard Genée, Karl Haffner

Textbearbeitung: Marcellus Schiffer, Carl Rössler

Musik: Johann Strauß

Musikalische Bearbeitung: Erich Wolfgang Korngold

Deutsches Theater 8.Juni 1929

144 ausverkaufte Vorstellungen im Deutschen Theater, Berlin.

 

23) Lucie Korngold die Frau von Korngold, Sängerin, Pianistin und eine hervorragende Zeichnerin,   erinnert sich :, S. 50

24) Berichtet von Emil Kraemer, Freund des Dirigenten Kurt Sanderling (1912-2011)

25) ThM, Teilnachlaß MR Die Fledermaus

26) Klavierauszug Fledermaus

27) Gottfried Reinhardt, Fledermaus, S. ?

28 ) 'Berlin, Großes Schauspielhaus, 27.11.1931

„HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN“

Phantastische Oper in dreizehn Bildern

Neufassung des Librettos von Jules Barbier und Jacques Offenbach von

Egon Friedell, Hans Sassmann

Musik: Jacques Offenbach

Musikalische Bearbeitung: Leo Blech

29) ThM, Briefentw.MR an Leo Blech VM 1529 = 7/97, 18-56, Bl. 20-24

30)Alfred Polgar, „Hoffmanns Erzählungen“ in : Die Weltbühne, 1931, Jg. 49, S. 862 ff.

Alfred Polgar, (1873 -1955), eigentlich Alfred Polak, pseud. Archibald Douglas, Schriftsteller, Kritiker

31) Ben Hecht (1894-1964), Journalist, Schriftsteller, Drehbuchautor. Max Reinhardt, Briefentwurf, o. Dat., 3 Bl. hs., HS AM 13361 Re, Teilnachlaß  Max Reinhardt, Theatermuseum Wien 

32) „La belle Hélène“, Opéra bouffe in drei Akten, Text von Henri Meilhac und Louis Halévy , Musik von Jacques Offenbach. Uraufführung: Paris, Variétés, 17. Dezember 1864.

Ein ironisch-satirisches Spiegelbild der Gesellschaft des „Troisième Empire“ Napoléons III.; der Höhepunkt im 2.Akt „La Belle Hélène“ ist die „Traumerzählung“, das Duett zwischen Paris und Helena – ist ihre  -musikalische Liebesnacht.'