Max Reinhardt-Helene Thimig, ein Briefwechsel
Aus Dagmar Saval Wünsche
Max Reinhardt-Helene Thimig
Briefe zwischen 1937 - 1943
Nachgedanken und Notizen zu der Briefausgabe:
Briefe im Exil, Max Reinhardt-Helene Thimig, 1937-1943, herausgegeben von Edda Fuhrich und Sybille Zehle. Wien, Salzburg, Brandstätter Verlag 2023
Der Anlaß war der 150. Geburtstag von Max Reinhardt (1873-1943)
Hans Sahl, Die Letzten, 1973
In diesem Jahr 1973, als Hans Sahl sein Gedicht veröffentlichte, kamen in der Stadt Salzburg zur Festspielzeit viele ehemals berühmte, zur Legende geronnene Namen, Menschen, zusammen um den zu ehren, der ihnen zur Größe, zur Legende verholfen hatte, der ihr künstlerisches Zentrum gewesen war, Max Reinhardt, den Regisseur, den Schauspieler, den Bühnenmenschen.
Sie kamen, sie erzählten, sie erinnerten sich ... und dieses einmalige Treffen wäre DER Anlaß gewesen um den mit jahrelanger Verspätung, genau 50 Jahre zu spät publizierten Briefwechsel, anzuregen, anzudenken, zu publizieren; denn wie sagt Hans Sahl – „Wir sind die Letzten, fragt uns aus.“
Die Briefe spiegeln das ganze „Elend“, die Problematik des Exils von 1933 – 1945 in allen seinen Facetten wider, künstlerisch, psychologisch, materiell.
... Das Klima macht mich am traurigsten hier. Weil es heimatlich ist. Bedeckter Himmel, worüber die Kalifornier und speziell die Warner-Truppe stöhnt, und grün, grün, grün. Ich könnte mich hinlegen und weinen, ... Aber kaum liege ich, kommen diese vielen zahllosen Sorgen, diese unwahrscheinliche Zusammenhäufung von Dingen, die der Lösung harren. ... Ich liebe das Schöne auch - es klingt so dumm, es zu sagen, aber bloß, weil du Angst hast, ich will das Schöne abbauen. Ich sehe halt bloß notgedrungen realer, daß gewisse Änderungen vollzogen werden müssen, und dazu müssen halt die Mittel gefunden werden. ...
Helene Thimig an Max Reinhardt, Hotel Del Monte, 7.September 1942, S.248f.
Helene Thimig spielt immer wieder kleinere (stumme)Filmrollen um das benötigte Budget aufrecht zu erhalten (davon später). Sie ist mit der Film-Crew von Warner-Brothers nach Carmel gereist; Film: "Edge of Darkness".
Bevor ich auf die Briefe eingehe, einzelne auch herausgreife, einige Notate zur Edition. Die Briefe, die Max Reinhardt und Helene Thimig zwischen 1937 - 1943 von Hollywood nach New York und umgekehrt sandten, werden von einem chronologisch aufgebauten Anmerkungsapparat begleitet (etliche Anmerkungen sind als [-] in den Text eingebaut), es gibt eine tabellarische Kurzvita beider Protagonisten, den Bildnachweis und das Namensregister, einen editorischen Hinweis sowie die obligatorische Danksagung. Undatierte Abbildungen(mit zum Teil etwas fragwürdigen, weil nicht wirklich korrekten Bildunterschriften) „lockern“ den Textteil auf; S.30 meint der/die Verfasser/in der Bildunterschrift:
Der Erfolgsregisseur bei der Ankunft: er kennt New York, die Stadt hat ihn gefeiert. Da kommt man nicht als Emigrant ...
Bedauerlicherweise ist dieses Photo bereits in den 20er Jahren entstanden, als Reinhardt mehrfach zu Gastspielen, auch Gesamtgaststpielen in den USA war.
Reinhardt kam 1937 mit einem Besuchervisum, wie zahlreiche andere Emigranten vor und nach ihm.
Schon beim ersten, sehr kursorischen“ Quer-Lesen fielen mir etliche Details auf, in den Bildunterschriften (s.o.), in den begleitenden Kommentaren, in den Anmerkungen, die mich „stolpern „ ließen.
Da lese ich z.B. auf S. 551 (d.i. der editorische Hinweis) :
… Nach reiflicher Überlegung wurden Inhalte, die das heutige Empfinden verletzen mögen, beibehalten. Die Authenzität der Briefe schien uns in diesem Falle wichtiger als die political Correctness.
Zugegeben es ist keine historisch kritische Briefedition, dennoch: jeder Eingriff in einen historischen Text ist Fälschung, Manipulation. Diese sogen. political correctness hat in einer Publikation historischer Texte keinen Platz.
Noch ein kleiner editorischer Stolperstein:
Die Briefe "wandern" von Ost nach West und umgekehrt, ihr Weg ist lang – sie müssen einen ganzen Kontinent queren, für die rasche Kommunikation wählen beide nicht selten die Western Union – das „Kabel“, wie im Buch genannt. Diese Kommunikation hat den großen Vorteil, daß der Text auch telephonisch übermittelt werden kann; der Zeitunterschied zwischen Ostküste und Westküste wird damit noch einmal verkürzt. – Zum besseren Verständnis: die Entfernung Los Angeles- New York etwas mehr als 4.600 km, der Zeitunterschied beträgt drei(3) Stunden.
Dieser Hinweis könnte ein eiliger Leser als quantité négligeable beiseite schieben; in so manchem Brief geht es inhaltlich um wichtige, oft zeitlich begrenzte Entscheidungen - ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Eine weitere Informationslücke: Der editorische Hinweis gibt als Provenienz-Vermerk an, der Briefbestand des Reinhardt-Nachlasses der Wienbibliothek wäre um einige Briefe und Kabel aus dem Reinhardt-Archiv der State University of New York, Binghamton ergänzt und erweitert worden. Am Ende eines jeden Dokuments/Objekts verweisen Zahlen/Buchstabenkombinationen auf die Provenienz. Für den archivarisch nicht geschulten Leser sind diese Ziffern – und Buchstabenfolgen allerdings ein „Buch mit sieben Siegeln“, daher wenig aussagekräftig. Ein Hinweis wo welche Signatur zu verorten ist, fehlt.
Die eine Herausgeberin ist die Journalistin Sybille ZEHLE, sie „dichtet“ gerne, das sei ihr unbenommen.
Auf S. 11 schreibt Frau Zehle, Max Reinhardt (zum Namen s. weiter unten) wäre Ostjude gewesen.
Die Familie Goldmann war gebürtig aus Westungarn, der Wohnsitz war in Stupava/Stampfen (daher auch die Zuständigkeit des königl.ungarischen Innenministerium für den Namenstausch. Heute gehört Stupava zur Slowakei).
Ohne historisch weiter auszuholen: Die Bezeichnung „Ostjuden“ bürgerte sich um 1900 ein; in der k.u.k. Monarchie wie auch im Deutschen Kaiserreich. Es war die Reaktion auf die stetig steigende Zuwanderung aus dem Osten Europas, aus Galizien, aus Polen, aus dem Zarenreich/Russland; zunächst wurde dieser Begriff als Abgrenzung gebraucht von der (weitgehend) assimilierten jüdischen (westlichen) Minderheit, die sich selbst als gesellschaftlich etabliert und integriert fühlte.
Das Ostjudentum, Aschkenasim, war tief religiös; die Sprache dieser Einwanderer war im allgemeinen „jiddisch“, der soziale Status (zuvor lebten sie in der Regel noch im Schtetl, im Ghetto – vgl. dazu Alexander Granach, Da geht ein Mensch, oder die Bücher von Isaac B.Singer) war sehr niedrig; sie waren herumziehende Händler, sammelten und verkauften alles, was sich ihnen bot. Aber: sie konnten lesen, schreiben, wenn auch nur hebräisch.
Der sozio-kulturelle Gebrauch der Begriffe Ostjude-Westjude erhielt mit dem zunehmendem Antisemitismus seinen nationalistisch geprägten Sprachgebrauch, wurde zum Schlagwort für die völkisch antisemitische Publizistik usw. .
Weiters ist Frau Zehle (S.11) der Ansicht, Wilhelm Goldmann, der Vater von Max Reinhardt, wäre ein „verkrachter!“ Kaufmann gewesen; das ist zwar ihr gutes Recht, aber sie übersieht dabei im journalistischen Eifer ein gewichtiges historisches Faktum.
Als die Goldmanns 1877 von Stupava nach Wien übersiedelten, waren Folgen des Börsencrash von 1873, des „Schwarzen Freitags“, der den Boom der Gründerjahre jäh beendet hatte, noch immer vorherrschend; die k.u.k. Residenzstadt, der Wirtschaftsraum der Monarchie, der anderen europäischen Staaten litten an der darauf folgenden Depression bis tief in die 1890er Jahre.
Wilhelm Goldmann war vermutlich kein sehr geschickter und gewiefter Kaufmann, es gelang ihm nicht auf diese schwierige wirtschaftliche Situation entsprechend zu reagieren. Ihn deswegen zum „verkrachten“ Kaufmann zu stilisieren ist, sehr zuückhaltend formuliert, diskriminierend.
Für den historisch wenig informierten Leser wäre es sicher ganz hilfreich gewesen, den Hinweis auf die 1904 erfolgte Namensänderung zu formulieren; die Goldmanns waren ungarische Staatsbürger.
Die Familie Goldmann, Max Goldmann, änderte 1904 mit der Bewilligung des königl.ungarischen Innenministeriums den Namen Goldmann offiziell in den Namen Reinhardt.
Das „poetisch-journalistische“ Vorwort von Frau Zehle unternimmt den Versuch für den interessierten Leser sehr kursorisch und sehr pauschal etwas von der komplexen Zeit der Weimarer Republik (9.11.1918-1933, 30.1.) zu berichten, vor allem über die „glänzenden“ schwierigen Theaterverhältnisse nach einer kurzen Phase der Konsolidierung (nach der Inflation, nach 1924 beginnt, bis ungefähr 1929 anhält um dann mit den immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen ein abruptes Ende zu finden.
Mit dem 30.Januar 1933 (Hitler wird Reichskanzler, das Datum firmiert unter dem Etikett „Machtergreifung“) übernehmen die Nationalsozialisten die Macht und die Gleichschaltung aller Institutionen (und das betrift sämtliche Theater) wird unmittelbar in Gang gesetzt, sowie die Verfolgung der jüdischen Minderheit.
Doch: um die in den Briefen, vor allem in den monologisierenden Texten von Max Reinhardt – oft sehr verklausuliert –angesprochenen Fakten einordnen zu können, ist diese Darstellung wenig hilfreich. Eine Zeittafel wäre für den Leser eine - wenn auch bescheidene Orientierungshilfe - gewesen.
Die zweite Herausgeberin, Frau Dr. Edda FUHRICH, war Teil des Teams der Max-Reinhardt-Forschungs-und Gedenkstätte, gegründet 1966. Sie hat ihr gesamtes wissenschaftliches Leben Max Reinhardt und seinem Schaffen gewidmet – man muß es schon so pathetisch formulieren – und die Herausgabe dieser Briefe war ihr ein ganz besonders Anliegen, über die Jahre hinweg immer wieder verfolgt. Sie hat diesem Briefwechsel ihre begleitenden, einfühlsamen Texte beigegeben; warum ihre Wahl auf Frau Zehle als zweite Herausgeberin gefallen ist, bleibt wohl ihr Geheimnis.
Beim Lesen des einleitenden/ begleitenden Textes als Einschub zwischen einem Kabel von Helene Thimig aus Santa Monica vom 18. Juni 1943 auf S.358 und einem Brief von Helene Thimig aus Los Angeles vom 18.Juni 1943 auf der S. 362ff. Der inhaltlichen Bezug des BRiefes vom 18.Juni 1943 auf den der Begleittext
... Konflikt Reinhardt/Korngold“ rund um „Rosalinda“/“Die Fledermaus ... berichtet, ist auf S. 364 nachzulesen. Helene Thimig berichtet von der Verstimmung in der Familie Korngold über die fehlende Nennung von Erich Wolfgang Korngold als musikalischer Bearbeiter der "Fledermaus"/alias "Rosalinda", 1942. Korngold wird "nur" als Dirigent der Aufführung namentlich genannt. Ein Verweis auf die entsprechende Seite im Begleittext wäre als Orientierungshilfe sehr hilfreich gewesen. Ohne nun weiter in de Details der Aufführungsgeschichte der "Rosalinda" "einzusteigen"(die kann man in der einschlägigen Reinhardt-Literatur nachlesen), nur so viel: es war Korngold, der darauf bestanden hatte, daß Reinhardt als "producer" in das Team kam. Und last but not least: es geht bei Auseinandersetzungen dieser Größenordnung nicht zuletzt auch um Tantiemen. Es ist nicht bekannt, welchen musikalisch-bearbeitenden Anteil Korngold bei der "Rosalinda", 1942, tatsächlich gehabt hat. Hat er auf die "Fledermaus"-Version von 1929 zurückgegriffen?
Nur ein Beispiel für die musikalische "Bearbeitung" durch Korngold aus der "Fledermaus" von 1929: s. Klavierauszug S.12f.
1.Akt, 1. Szene - Falke, Alfred, Adele. Der Auftritt Falke (der tanzend eintritt) erklingt der Beginn/Introitus/Einleitung aus dem Walzer "Geschichten aus dem Wiener Wald" bis Tempo di valse. Nr.4 musikalisch verkürzter Auftrit des Alfred, hinter der Szene, "Täubchen, das entflattert ist ... "
Die "Rosalinda" lief seit ihrer Premiere am 28. Oktober 1942 als Erfolgsstück am Broadway. Fast bin ich versucht zu sagen, dieser große Erfolg - der letzte den Reinhardt erlebte - und diese letzte Bühnenarbeit könnte als sein "Schwanengesang" gesehen werden. Entre parenthèse: den Erfolg von "Helen goes to Troye"/nach der "Schönen Helena" von Jacques Offenbach, 1944 hat Reinhardt nicht mehr erlebt. Er starb am 31.Oktober 1943, noch bevor die eigentliche Bühnenarbeit überhaupt begonnen hatte.
Von der „Fledermaus“ zu Rosalinda“, 1929 – 1943
Der Name (Erich Wolfgang) Korngold zieht sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz. Nicht nur durch die Korrespondenz; seit ihrem ersten Gespräch im Theater in der Josefstadt, 1929 „sinnen“ nach Luzi Korngold „ Max und Erich nur auf Possen“ – so in einem dem Wilhelm Busch „Max und Moritz“ abgelauschtes „Streich-Büchlein“, datiert 1933, gedichtet und gezeichnet von Luzi Korngold. Inhalt: die Abenteuer „einer Fledermaus“.
1934/35 dann die Zusammenarbeit für den Film „Ein Sommernachtstraum“- "A Midsummer Night‘s Dream“ für Warner in Hollywood. Korngolds Arbeitsweise (ohne hier näher darauf einzugehen, nachzulesen in Guy Wagner, op.cit.) gefällt den „Filmgewaltigen“ und es folgen weitere Einladungen für den Film zu komponieren. Als auch in Österreich der Nationalsozialismus an die Macht kommt, sind die Korngolds längst in Hollywood – und Erich Wolfgang Korngold betont immer wieder, daß er sein Leben, seine spätere Existenz in Hollywood Max Reinhardt verdankt.
"Die Fledermaus"
Die Vorgeschichte in Kürze:
1929 vereinbarten Reinhardt und Korngold die Aufführung einer „Fledermaus“ für Schauspieler, nur die beiden Frauenpartien, weil z.T. Koloraturpartien sollten von Sängerinnen übernommen werden. Eine Neufassung des Textes wurde vereinbart.
Auf dem Titelblatt des bei August Cranz ( Der Verlag August Cranz ist der Nachfolge Verlag von Spina, der zuerst die Kompositionen der "Sträuße" verlegt hat) erschienen Klavier-Auszug, Verlags N° 770, (Ex. ÖNB, Musikslg. M.S.15997) finden sich folgende Angaben:
Johann Strauss/Die Fledermaus/in der Neugestaltung Max Reinhardt’s/nach dem französischen Originaltext neu bearbeitet von/Carl Rössler und Marcellus Schiffer.
Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, die Details der Bearbeitung, der szenischen Veränderungen, der musikalischen Veränderungen anzuführen.
Zu dieser „Fledermaus“ von 1929 /30(es gab 86 Vorstellungen) gibt es einen Bericht von einem später sehr berühmten Dirigenten, Kurt Sanderling, der als junger Mann in einer Vorstellung der „Fledermaus“ war und seinem Assistenten Emile Kraemer davon erzählte.
... Reinhardt nahm als Regisseur kaum Rücksicht auf die besonderen Anforderungen der Musik … Dadurch war Korngold gezwungen, den Ton und die Instrumenteneinsätze einfh „scheben“ zu lassen. … [waren] die Einsätze gegeben, brachte er erst das Orcheser zum vom vollen Klang , um die Stimmen zu tragen.“
s. Guy Wagner, Korngold. Musik ist Musik. Berlin 2008, S. 210 und Anm.10
s. Kurt Sanderling, Andere machten Geschichte, ich machte Musik. Berlin 2002, S.37
"Rosalinda"
Der Theaterzettel vom 28.10.1942
Forty-Fourth Street Theatre
The New Opera Company (Lytle Hull, President, Yolanda Merio-Irion, General Manager Production)
„Rosalinda“ (Die Fledermaus)
Music by Johann Strauss
Version Max Reinhardt/ Amerikanische Adaptation Gottfried Reinhardt, John Meehann jr./Lyrics (damit sind die Gesangstexte gemeint) Paul Kerby
Dirigent Erich Wolfgang Korngold/Choreographie Georges Balanchine/Inspizient Felix Brentano(d.i. Felix Weissgeber), Bühne Oliver Smith/Kostüme Ladislaus Czettel
… Eines Tages erhielt Erich von der New Opera Company in New York ein Telegramm mit der Anfrage, ob er bereit wäre, dort die „Fledermaus“ zu dirigieren. …
Es folgt der Bericht von Luzi Korngold, wie es Korngold gelang, Max Reinhardt als „Producer“ durchzusetzen, denn dieser war ursprünglich nicht dafür vorgesehen. Sie erzählt von der Produktion, von ihren Spaziergängen mit Reinhardt durch New York – und von dem Erfolg des Abends, bei dem Erich Wolfgang Korngold vom Klavier aus dirigiert hatte.
Luzi Korngold, Erich Wolfgang Korngold, Ein Lebensbild. Wien 1967, S. 83f.
Ergänzend möchte ich hinzufügen, daß Erich Wolfgang Korngold mit seinen für die Filme komponierten Musiken mehrere Haushalte – neben seinem eigenen vierköpfigen - finanziell unterstützte: seine Eltern, Julius und Sophie Korngold, die angeheirateten Familienenmitglieder Witrowsky (sofern sie flüchten konnten) u. auch die Reinhardts. Vgl. dazu: Guy Wagner, op.cit. , S.315f.
Spannungen, Auseinandersetzungen, auch um Tantiemen, sind unausweichlich, vor allem dann, wenn zwei „Alpha-Tiere“ sich nicht einigen können und die Umgebung auch noch ihr Spielchen dazu spielt.
So viel zu diesem Thema Spannungen zwischen Korngold und Reinhardt.
Der Verlust der - seiner - Berliner Bühnen.
Der Verlust des - seines -Berliner Theater-Imperiums - seines "Theater-Traum"-"Traum-Theater" beginnt "schleichend" und endet abrupt mit der Enteignung.
Diese verlorene, de facto „dreidimensionale“ Realität möchte ich – sehr kursorisch – (die Faktenlage ist sehr komplex und würde den gegebenen Rahmen übersteigen) nachzeichnen – um viele der in Briefen Reinhardts notierten Details des Verlusts ein wenig transparenter zu machen.
Als Reinhardt im März 1933 Berlin verließ, wußte er, daß er sein Theater-Imperium, seine von ihm erschaffene Theaterwelt verlieren würde, mehr noch, daß er sie bereits verloren hatte.
Hinter dieser "poetischen" Formulierung des Verlust, verbirgt sich ein Zusammenbruch in mehreren Phasen; ausgelöst zunächst durch wirtschaftliche Gegebenheiten der Weimarer Republik, dann ab dem 30.Januar 1933 durch die Eingriffe der Gleichschaltung der soeben etablierten Diktatur des Nationalsozialismus.
Die große Krise, die zum Zusammenbruch der Berliner Theaterbetriebe führt, setzt Ende 1929 ein. In den Jahren davor war die finanzielle Lage zwar angespannt, aber nicht unbedingt existenzbedrohend.
Um wirtschaftlich besser zu überleben hatten sich verschiedene Bühnen zu einem Theater Konzern zusammengeschlossen; die als Rei(nhardt)-Ba(rnowksy)-Ro(tter) –Theaterbetriebe bezeichnete Gesellschaft dominierte das Berliner Theaterleben. In der Reibaro waren neben dem Sprechtheater vor allem Revue – und Operettentheater mit eingeschlossen, die aufgrund der Publikumsfrequenz, den preisgünstigen Plätzen über den Verkauf des Vereins „Volksbühne“ für gute Auslastung sorgten. (Diese sehr verkürzte Beschreibung sollte als Grundinformation genügen).
Dieser Zusammenschluß führte vorübergehend zu einer leichten wirtschaftlichen Besserung der Theaterbetriebe, insbesondere der Reinhardt-Bühnen.
Mit der Regierung Brüning (Heinrich Brüning, Reichskanzler) beginnt der allgemeine wirtschaftliche Zusammenbruch des „Deutsche Reich“: die Weimarer Republik versinkt im Chaos der Arbeitslosigkeit, der kaum noch existenten Wirtschaftsleistung.
Die Regierung Brüning (März 1930-März 1932) unternimmt den Versuch der Konsolidierung der Staatsfinanzen über den Weg des „Totgesparens“ – „das Heer der Arbeitslosen“ wird unübersehbar. Die Krise führt in der Folge zu den großen Wahlsiegen der NSDAP. Auf Brüning folgt Franz von Papen als Reichskanzler von Juni 1932- Dezember 1932. Sein Nachfolger, Kurt von Schleicher, demissioniert am 28.Januar 1933. Staatspräsident Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das ist - in Stichworten, die politische Bühne, der Hintergrund vor dem sich u.a. auch der Zerfall der Berlin Theaterwelt abspielt.
Von den Reinhardt-Bühnen schließen die Kammerspiele mangels Besucher.
Am 1.2.1932 gibt Reinhardt die beiden Theater am Kurfürstendamm (Komödie und Theater am Kurfürstendamm) auf.
Anfang 1933 muß Reinhardt, um den Theaterbetrieb weiterzuführen, das Deutsche Theater verpachten. Für 275.000.- wurde das Theater an die Bank verpfändet und anschließend verpachtet. Wenig später(am 14.1.1933) waren die neuen Pächter pleite; der tägliche Betrieb „fraß“ das Stammkapital auf.
Unter dem Druck der Gläubigerbank(Gewerkschaftsbank) wird ein neuer Pächter für die Theater (Deutsches Theater, Kammerspiele, Großes Schauspielhaus) gesucht.
Der neue Pächter ist Carl Ludwig [Achaz, Künstlername] Duisberg(1889-1958); als gefordertes Kapital für die Pacht bringt Achaz/Duisberg, Sohn des Direktors der IG Farben, Carl Duisberg, die geforderte Summe von 500.000.- Mark ein.
Am 30.1.1933 wurden die Pachtverhandlungen für erfolgreich abgeschlossen erklärt. Die Übernahme für das Deutsche Theater/Kammerspiele wird für den 1.3.1933 vereinbart.
Reinhardt gibt mit der Verpachtung des Theaters auch die Leitung ab, er arbeitet nunmehr als „Gast“ im eigenen Haus (die Immobilie, das Grundstück, ist immer noch sein Eigentum).
Der Hauptgläubiger von Reinhardt ist die Gewerkschaftsbank – bis 30.3.1933; danach erfolgt die Übernahme der Gewerkschaftsbank durch die nationalsozialistische Arbeitsbank.
Eine der ersten Maßnahmen nach dem politischen Machtwechsel vom 30.Januar 1933 ist die Gleichschaltung der Institutionen, insbesondere der Theater. Dieser Prozess der Gleichschaltung dauert bis ungefähr Anfang Mai 1933.
Der nächste Schritt ist die Enteignung des jüdischen Eigentums, die „Arisierung“.
Die von den nationalsozialistischen Machthabern eingeführten Mechanismen zur Enteignung der jüdischen Minderheit setzten unmittelbar mit dem 30.Januar 1933 ein, und wurden im Laufe der Jahre immer mehr „verfeinert“. Max Reinhardt zählte unter den Künstlern zu einem der ersten prominenten Opfer.
Die Enteignung des Reinhardt’schen Theater-Imperium ist im April 1934 abgeschlossen mit der Löschung des Namens „Max Reinhardt“ aus dem Grundbuch.
Wie informiert oder inwieweit Reinhardt die sich ausbreitende „braune“ Alltags-Realität von vor dem 30.Januar 1933 wahrgenommen hat, die Folgerungen daraus auch für sich gezogen hat, läßt sich retrospektiv – ohne zu spekulieren - nicht feststellen. Aus seinen Briefen im Exil kann man allerdings Hinweise, Spuren herauslesen, oft nur als „Text zwischen den Zeilen“, in „Kürzeln“ formuliert.
Max Reinhardt verließ Berlin wenige Tage nach der Premiere von Hugo von Hofmannsthals „Großem Welttheater“, Deutsches Theater am 1.März 1933. Helene Thimig folgte ihm wenig später; der Berliner Haushalt wird komplett aufgelöst.
Reinhardt und Helene Thimig hatten im Schloß Bellevue im Tiergarten-Viertel (heute Wohnsitz des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland) ihren Wohnsitz; um aus dem Mietvertrag entlassen zu werden sorgten sie für einen Nachmieter. Dieser Nachmieter war Paul von Mendelssohn und seine Frau Elsa, die auch das gesamte Inventar übernahmen. Im Gegenzug zahlten sie 16 000 Reichsmark an das Deutsche Theater; mit dieser Summe bezahlte das Theater Sozialabgaben, ausstehende Gehälter sowie Unterstützungszahlungen für Familienmitglieder und Else Heims.
Max Reinhardt finanzierte aus den Gewinnen seines Theatergeschäfts auch diverse Familienmitglieder; diese Zahlungen waren Teil der hohen finanziellen Belastung, die er auch in der Emigration zu leisten hatte.
Weitere Details in:
Julius H.Schoeps, Das Erbe der Mendelssohns, Biographie einer Familie, Frankfurt/M.³, S. 354f.
Der viel diskutierte, immer wieder neu interpretierte „Oxford-Brief“ vom 16.Juni 1933 (Max Reinhardt schenkt dem Deutschen Volk sein Theater, Kurzfassung) ist eine sehr berührende, ergreifende poetische Geste, traumwandlerisch, in die Zukunft weisend vergleichbar einer der Weissagungen der Seherin Kassandra. Reinhardt weiß, daß ihm sein Lebenswerk gewaltsam und illegal gestohlen wurde. Er weiß, was er verloren hat, er weiß, was diese Stadt, dieses Land mit der Errichtung „Diktatur des Hausknechts“(Alfred Kerr) für immer und unwiederbringlich verloren hat.
Als ich diesen dicken Briefband in die Hände nahm, war meine erste Reaktion – wie schon gesagt - ZU SPÄT! Vieles, was in diesen Briefen oft nur andeutungsweise erwähnt wird, kann entschlüsselt werden, doch welcher Leser, anno 2023 - trotz immer mehr sich ausbreitendem Antisemitismus- ist historisch so informiert, daß er den historischen Wert dieser Korrespondenz in seinem vollen Umfang erfassen kann.
Wer diese Dokumente ohne Wissen um den historischen Hintergrund (gleichermaßen für Europa wie für die USA) liest, wird wie ein Rezensent so freundlich nach dem Erscheinen des Briefbandes anmerkte, diese Briefe sehr persönlich, sehr berührend finden, nicht aber ihre tatsächliche historische Bedeutung erkennen.
Max Reinhardt übersiedelt nach New York – SEINE Theaterträume ließen sich nur in New York, am Broadway verwirklichen – europäisches Theater dem kommerziell bestimmten amerikanischen Theater kontrastierend gegenüberzustellen? - war es so?
Helene Thimig bleibt in Hollywood, versucht den „Workshop“ zu retten, unterrichtet, auch Privatschüler und spielt kleine Filmrollen um das tägliche Überleben, den Alltag abzusichern.
Die Briefe, die Reinhardt zwischen 1937 – 1943 geschrieben hat – sind - jeder für sich – ein Dokument der Einsamkeit eines Menschen, der seine Welt verloren hat und sich in der neuen nicht wiederfindet. Reinhardts Briefe wie auch die Briefe von Helene Thimig mit ihrem verstörenden Inhalt sind – kennt man nur einiges aus den vielen überlieferten Korrespondenzen der Emigranten von 1933-1945 - kein Einzelfal; die Ausführlichkeit, das Ausmaß der Verstörung verleiht ihnen die Aura des Besonderen.
Der Wohnort Hollywood, Santa Monica, wird in der Retrospektive häufig als „Neu-Weimar“ beschrieben; die „deutsche Kolonie“( gemeint sind die deutschsprachigen Emigranten) , folgt man der Beschreibung von Salka Viertel, bestand aus mehreren Gruppen.
… Die repräsentative, offizielle literarische Persönlichkeit war Thomas Mann, dessen Einfluß bis ins Weiße Haus reichte. Dann gab es eine kleine politische linksstehende Gruppe um [Fritz] Kortner, die hauptsächlich aus emigrierten Schauspielern bestand. Bruno und Liesl Frank waren mit Thomas Mann und seiner Familie schon seit vielen Jahren gut befreundet und blieben es auch in Hollywood. Zu diesem Kreis gehörten auch die Feuchtwangers[ Lion und Marta], die Polgars[Alfred und xxx], Franz und Alma Werfel, Bruno Walter und seine Tochter Lotte, später 'Liesls charmante und berühmte Mutter Fritzi Massary, sowie William und Charlotte Dieterle.
Max Reinhardt und Helene Thimig bildeten eine andere Insel und waren in ihrer „Werkstatt“ stark mit der Planung und Vorbereitung und Stücken beschäftigt. Sie hatten nur selten Gäste, und die wenigen Parties, die sie gaben, waren international. Eines Abends luden sie mich und Gottfried[Reinhardt, er war zu dieser Zeit mit Salka Viertel liiert, Anm.d.Verf.] zusammen mit Sam Be(h)rmann; Franz und Alma Werfel, Erich Korngold und seiner Frau ein. …
Salka Viertel, Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films. Mit einem Vorwort von Carl Zuckmayer. Reinbek bei Hamburg 1979, Taschenbuch Ausgabe 4320, S. 269 f.
Mit dem Zitat aus der Autobiographie von Salka Viertel erlaube ich mir die kritische Bemerkung, daß weder im Anmerkungsapparat noch in den begleitenden Texten der potentielle Leser dieser Briefe Reinhardt-Thimig nichts über die komplexe Lebenssituation der beiden tatsächlich erfährt; es fehlt – um bei einem Theaterbegriff zu bleiben – der Hintergrund, die Soffitten, es fehlt die Beleuchtung, es fehlen die Spots für besondere Ereignisse …
Salka Viertel und Berthold Viertel gehören zu dem Kreis der bereits in den 20er Jahren nach Hollywood eingewanderten Berliner Künstler. So subjektiv ein autobiographischer Text auch immer ist, ihre Autobiographie ist eine nahezu unerschöpfliche Quelle zur Geschichte der deutschsprachigen Emigration in Hollywood.
Hollywood ist in diesem Exil-Zusammenhang als Sammelbegriff zu verstehen; dahinter verbergen sich die Studios, Arbeitsplatz für Emigranten(der 100 $ -Job für Emigranten), Beverly Hills, Santa Monica usw.
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