Offenbachiade chez Max Reinhardt
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Offenbachiade ? chez Max Reinhardt
Für ein Reinhardt-Symposium in Bratislava sollte ich über Max Reinhardt und seine Musiktheater-Inszenierungen, seine „musikalische Prägungen“ wie ich es nannte , erzählen. Ich habe es damals 2018 auf vier Inszenierungen reduziert; der innere Zusammenhang war so sehr evident: dreimal Offenbach und einmal Johann Strauß. Offenbach und Johann Strauß haben sich 1864 in Wien getroffen, Offenbach gab Strauß die musikalische Anregung: Warum komponieren Sie nicht Operette ? – und zehn Jahre später kam die Operette aller Operetten auf die Bühne des Theater an der Wien: „Die Fledermaus“. Nichts ist so wie es scheint, wie in einer OFFENBACHIADE das ist „Die Fledermaus“. 1)
Die Werke Offenbachs waren auf den Wiener Bühnen heimisch, auch lange noch Nestroys Tod; wenn auch nicht mehr mit der Frequenz wie zu seinen Lebzeiten. Die glanzvolle Wiener Erstaufführung von „Hoffmanns Erzählungen wurde verdrängt, verschüttet durch die Katastrophe des Ringtheater-Brands, stigmatisierte dieses Offenbach’sche Werk für viele Jahre. Erst im 20.Jahrhundert begannen deutschsprachige Bühnen zögernd das letzte Werk von Offenbach aufzuführen. 2)
Max Reinhardt, 1893 im Volkstheater Rudolfsheim 3) engagiert, war der Darsteller des Merkur in „Orpheus in der Unterwelt“; von Offenbach als Mythentravestie komponiert. Er liebte – so die Aussage seines Sohnes Gottfried – die Operetten von Jacques Offenbach. (Ich bleibe bei der Bezeichnung Operette, wie sie sich als deutschsprachige Definition für das Offenbach’sche Musiktheater eingebürgert hat).
Den in Bratislava präsentierten Text zu drei Inszenierungen von Max Reinhardt: „Orpheus in der Unterwelt“, „Die schöne Helena“ und „Hoffmann‘s Erzählungen“ von Jacques Offenbach sowie “ Die Fledermaus“ von Johann Strauß, die bei Reinhardt wie eine Offenbachiade über die Rampe kam, wollte ich zu einem feuilletonistischen Apercu erweitern; es entstand am Ende meiner Auseinandersetzung zwischen Offenbach und Reinhardt, zwischen Musik und Theater, Wort oder Ton, entstand ein neuer, veränderter, erweiterter Text.
Lachen, Lachen; Lachen – das war die Reinhardt’sche Intention der Offenbachiade so wie es auch Offenbach gewollt hatte – ein genußvolles Lachen, wertfrei, ungebunden – vielleicht auch Höllengelächter ? Es gab Zeitgenossen, wie Erich Mühsam, die nach dem Besuch der Münchner „Schönen Helena“, die Aufführung wie einen Zaubertrank des Lachens genossen haben.
Die Säle waren ausgebucht, der Erfolg gab Reinhardt recht, die ausgewählten Werke dem Zeitgeist entsprechend anzupassen. Einspruch: war diese umfangreiche Bearbeitung von „Hoffmanns Erzählungen“(wie sie in den Nachlaßpapieren vorliegt, von den )Rezensenten sehr kontrovers rezipiert wird) in diesem Umfang gerechtfertigt? Ich komme später darauf zurück.
Der Perfektionist Reinhardt besetzte die Rollen (bis auf wenige Ausnahmen) mit Schauspielern, die singen konnten.Das ist uralte Theatertradition – wer auf der Schaubühne Furore machen wollte, der mußte ebenso gut singen und tanzen können wie sprechen.
Offenbach komponierte die Rollen seiner Operetten für Sänger, die Schauspieler - oder umgekehrt - waren, schrieb ihnen die Rollen in die Stimme, „auf den Leib“. Das trifft auch auf die unvollendet gebliebenen „Hoffmann’s Erzählungen “ zu. Reinhardt wählte sehr bewußt das Unvollkommene, das Fragmentarische der Rollengestaltung – denn „ nicht ist so wie es scheint“!
Die Kritik sah das natürlich anders, man wollte „Schöngesang“, perfekte Darstellung und begriff nicht, daß im Fragment, dem Unvollendeten, die eigentliche Perfektion verborgen ist. Dem Publikum war‘s egal, es kam zahlreich, amüsierte sich und war begeistert.
Träger und Teil dieser Erfolge war die Wahl der Protagonisten; wenn Reinhardt für die Münchner Inszenierung, 1911, der „Schönen Helena“ Fritzi Massary für die Titelrolle (alternierend mit Maria Jeritza, damals noch am Beginn ihrer Karriere) gewinnen konnte, so landete er einen „Volltreffer“. 4)
- … Sie war in reinster Ausprägung , was der ‚Herr‘ ihrer Zeit liebte und ‚die Dame‘ neidvoll verehrte … Sie sang etwas näselnd, ihre Stimme brach ab und zu weg, aber die Suggestion der Massary auf ihr Publikum war so stark, daß sie ihm war, was sie ihm sein wollte. … ihre Gabe der raffinierten Andeutung, der scharf pointierten Treffsicherheit in Ton und Geste, war ihr … Vermögen , etwas durch Verschweigen auszudrücken, Zweideutiges durch geschickt genutzte
- Vieldeutigkeit eindeutig werden zu lassen. …
- Otto Schneidereit, zit. nach Wolfgang Jansen, Glanzrevuen der Zwanziger Jahre, S. 32
Ein kleiner Exkurs: Berlin um 1890
Max Reinhardt kam 1894 in eine Stadt, die im Begriff war sich einer gewaltigen Metamorphose zu unterziehen. Aus einer gemütlichen, langweiligen Residenzstadt mit ehemals 880.000 Einwohnern wurde zwischen 1880 und 1914 eine Millionenmetropole. Im Osten, im Norden entstanden riesige Industrieanlagen mit rauchenden Schloten, tristen Mietskasernen, Massenquartieren für die Arbeiter. Im Westen, im Südwesten, mit der alten Mitte, dem alten Stadtkern, das war das zweite Zentrum von Berlin, hier wohnten die „Reichen und Schönen“, die Beamten, die gehobene Mittelschicht. Hier pulsierte das Geschäftsleben, die Banken und Finanzwelt. Das Kulturleben prosperierte in dem Maße wie die Stadt industriell und finanziell wuchs . Der künstlerische und gesellschaftliche Erfolg des Theatermanns Max Reinhardt war Teil dieser Prosperität, er war an ihr beteiligt.
Das Kultur- und Gesellschaftsleben: Es gab das konservative, Wilhelminische, rückwärts
gewandte, militärisch dominierte Berlin mit „Garde du corps“, das „Donnerwetter –tadellos!“ - das war nicht nur der ironisch-lächelnde Titel einer Revue im Metropol-Theater in der Behrensstraße. Das progressive, immer vorwärts drängende, sozial orientierte Berlin, das von Neuem und Neuerungen nie genug bekommen konnte; und bemerkenswert demokratisch – trotz Zensur und Militarismus - seinen Kunstvisionen leben konnte. Wohl weil die offizielle Kunst von „Wilhelm Zwo“ bestimmt, diese Entwicklungen und Strömungen nicht zur Kenntnis nahm, nicht zur Kenntnis nehmen wollte.
Das Publikum für das Max Reinhardt spielte: es war konservativ gemäßigt, aufgeschlossen, tolerant, aufgeklärt und im allgemeinen gut betucht. Einen beträchtlichen Anteil an diesem Publikum bildete das meist jüdische Großbürgertum wie z.B. Bankiers, Industrielle, die gehobene oft auch jüdische Mittelschicht. Die jüdische Minderheit hat sich weitgehend assimiliert.
Bahnhof Friedrichstraße 1894: Reinhardt kommt in Berlin an, nur wenige Straßen entfernt von seinem zukünftigen Arbeitsplatz entfernt. Die S-Bahn ratterte mit Dampfloks betrieben an ihm vorbei, Droschken und Autos lieferten sich bereits eine heldenhaften Verdrängungswettbewerb. Er nimmt Quartier in der Friedrichstraße 134, dazu muß er über die Spree, auf der Weidendammer Brücke, vorbei an der Komischen Oper (heute zerstört).
Ganz Berlin ist eine Baustelle Straßen werden gebaut, die Gasbeleuchtung, die elektrifiziert wird, auf Brachen werden Bauten hochgezogen – der Westen der Stadt wächst mit dem Ostteil zusammen. Der Kurfürstendamm, liebevoll spöttisch berlinisch Ku-damm genannt, ist noch Baustelle. Im wesentlichen konzentrierte sich – noch – alles in „Mitte“, das war: die Dorotheenstadt ( mit vielen Kasernen, auch in unmittelbarer Nähe des Deutschen Theaters), die Luisenstadt, die Friedrichstadt und der ständig wachsende Ostteil mit seinen Fabrik- und Industrieanlagen und Mietskasernen. Die Friedrichstraße vom Oranienburgertor bis zur Leipziger Straße war die „Schlagader “ in „Mitte“, Zentrum, Flaniermeile. Hier spielte sich alles ab, das kulturelle Leben, die Theater, die Amüsiertempel , die großen Einkaufstempel, die Warenhäuser wie Tietz, Gerson, die Banken, das Zeitungsviertel, die Museumsinsel, die Hofbibliothek, heute Staatsbibliothek.
Aus den Berliner Anfangsjahren gibt es nur wenig schriftliche Dokumente von Max Reinhardt, Briefe, Tagebuchfragmente. Sie erzählen von Theaterproblemen, Rollenstudium, wann er spielfrei hat, - und der junge Mann stürzt sich vehement und genußfreudig in das chaotische Durcheinander der Großstadt, notiert mit gelegentlicher Bissigkeit seine Beobachtungen.
Berlin um 1890 ist auch das Berlin des Hofpredigers Adolf Stoecker (1835-1909). Von der Kanzel, als Politiker macht Adolf Stoecker den modernen Antisemitismus gesellschaftsfähig. Sein Vokabular: „verjudeter “ Großkapitalismus, „verjudete Linke“ usw. Seine Programmatik: protestantisch ausgerichtet, antikapitalistisch, antiliberal, antisozialistisch, verknüpft mit einem scharfen Antisemitismus, nachEinschätzung der Historiker des 20.Jh. war es „die Politik der Gosse“, die Stoecker erfolgreich vertrat.
Reinhardt war sich seiner jüdischen Herkunft sehr bewußt, notiert wohl auch immer wieder mal „weniger gejüdelt“. Aufhorchen läßt aber die Notiz aus seinem Tagebuch, vom April 1895. Nach einer ausführlichen Analyse und Auseinandersetzung mit Rudolf Rittners Talent und Persönlichkeit (er wurde wie Reinhardt 1894 an das DT engagiert), notiert Reinhardt:
- … Zwischen Ariern und Semiten besteht eine gegenseitige Assimilation, die bald einen totalen Umschwung der Verhältnisse zur Folge haben kann. Der Jude veridealisiert sich immer mehr. In allen Wissenschaften, in geistigen Fragen dominiert er u. bildet das Hauptkontigent. Er wird abstrakter u. verliert ganz den Boden des Lebens unter seinen Füßen. Immer mehr geht die unpraktische Träumerei u.Sentimentalität (des Deutschen) auf ihn über. Der Arier jedoch eignet sich immer mehr von der jüdischen Geschäftsschlauheit an und gewinnt immer mehr Fuß auf dem realen Boden des Daseins, den der Jude verläßt. Das ist praktischer, jenes idealer. …
Ich lasse dieses Zitat sehr bewußt unkommentiert stehen. Wollte ich diese vom jungen Reinhardt notierten Überlegungen zeithistorisch etc. analysieren, würde ich mein eigentliches Thema glatt verfehlen, das Zitat von 1895 „legt den Finger auf die Wunde“ der Assimiliation einer Minderheit. Reinhardt, der sich nie taufen ließ, ahnte die Problematik der – vor allem assimilierten - jüdischen Minderheit.
- … Reinhardt war ein gläubiger Jude, wenn er auch nur einmal im Jahr in den Tempel ging: zum Yom Kippur. Wo immer er auch sein mochte, an diesem Tag fastete er und blieb viele Stunden lang im Tempel. …
- Gusti Adler, … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen. Erinnerungen an Max Reinhardt, …..S. 385
- Gusti Adler war seit 1919 die engste Vertraute von Max Reinhardt, befreundet mit Helene Thimig seit ihrer Kindheit. Viele Details ihrer Aufzeichnungen sind – wenn auch subjektiv verfremdet- eine unerschöpfliche Quelle auch über den Alltag des Regisseurs Max Reinhardt .
- Reinhardt spielte auf seinem Bühnen für ein mittelständisches, großbürgerliches – oft jüdisches - Publikum, aber auch für ein weniger gut betuchtes, weniger gebildetes Publikum, das er – immer mit der Prätention „Volksbühne“ mit Hilfe der Besucherorganisation „Volksbühne“ erreichte.
- „Die Beziehungen Reinhardts zur Volksbühne reichten bis in seine eigenen direktorialen Anfänge zurück … Vor allem war es das Neue Theater unter der Führung des jungen Max Reinhardt, das von der Volksbühne bevorzugt wurde. Gleichzeitig mit dem Pachtvertrag hatte der Vorstand die damals leitenden Köpfe der Reinhardt-Betriebe, Max Reinhardt und dessen Mitarbeiter Felix Hollaender, in den Künstlerischen Ausschuß der Volksbühne aufgenommen. Die Volksbühnenbewegung …. hatte sich am Beginn des neuen Jahrhunderts zu dessen(Max Reinhardtbühne) Kapitalzubringer gewandelt. …. Dem jungen Direktor Max Reinhardt konnte der auf Pachtvorstellungen bedachte Geschäftsbetrieb der Neuen Freien Volksbühne nur angenehm sein. Zu den Abendvorstellungen im Neuen Theater gesellten sich jetzt für ihn ertragreiche Nachmittagsvorstellungen. … 'Als Reinhardt das Deutsche Theater übernahm, begleitete ihn die Neue Freie Volksbühne. 'Der starke Mann der Volksbühne … und nunmehriger Kassierer, Heinrich Neft, boxte den zweiten Vertrag mit Reinhardt gegen die Bedenken der Mitglieder durch ….
- Die Verbindung mit Reinhardt wurde zu einer andauernden. Als die Volksbühne 1915 das Risiko für das eben erst am Bülowplatz eröffnete große Haus nicht mehr tragen wollte, übergab sie es für die drei Spielzeiten 1915/16 – 1917/1918 ... pachtweise an Max Reinhardt . ... Zu kostenloser Pacht…
- Heinrich Braulich, Max Reinhardt, Theater zwischen Traum und Wirklichkeit, S. 154 ff. Reinhardt berichtet dem Freund Berthold Held seine Berliner Erlebnisse, Eindrücke und am 4. Dezember 1894 schreibt er von seiner Idee „volkstümliche Aufführungen“ zum Zwecke „der Volksbildung“ zu machen:
- An Berthold Held am 4. Dez.1894 aus Berlin
- … Publikum, schöne Weiber u. gutes Bier. Wir haben die Absicht, den Besuch dieser Konzerte zu forcieren. Ich verstehe von Musik nicht viel, bin aber trotzdem oder vielleicht gerade darum sehr empfänglich für sie. Als Schuljunge begann ich einige Monate herumzuklimpern, konnte dem Scalenspiel jedoch keinen besonderen Geschmack abgewinnen und ließ es bald. Ich bin also in akademischer und technischer Beziehung ein Ignorant in der Musik. Aber ich habe mir jedenfalls die volle empfängliche Naivität darin bewahrt, die mir als Zuschauer im Theater naturgemäß schon öfters fehlt. Jedenfalls übt gute Musik stets eine mächtige Wirkung auf mich aus, die mich überrascht und die ich mir nicht recht erklären kann. Neue ungeahnte Stimmungen erwachen in mir. Alles erweitert sich u. ich freue u. wundere mich darüber wie ein Kind mit einem farbigen Kaleidoskop. […] ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung weit eher entsprächen als Theatervorstellungen, Bibliotheken … Musik verinnerlicht , befruchtet Seele u.Phantasie."
- Das Gedankenspiel von 1894 nicht nur Sprechtheater zu inszenieren, kehrt in einer Variante in einem Briefentwurf wieder, geschrieben 1931, anläßlich der Inszenierung von „Hoffmanns Erzählungen.“
- … ich glaube, daß volkstümliche Musikaufführungen dem Zweck der Volksbildung weit eher entsprächen …
- Im Neuen Theater am Schiffbauerdamm wird eifrig probiert … ganz ungewohnte Klänge kommen aus dem kleinen Orchestergraben, der eigentlich keiner ist, es geigt, es trommelt, es flötet, Koloraturen perlen durch den Raum … Max Reinhardt bereitet mit seinen Schauspielern die Abschiedsvorstellung vor, bevor er als Direktor ein paar Straßen weiter zieht – in das Deutsche Theater , Schumannstraße 5. 5)
- „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach setzt mit 49 Vorstellungen einen triumphalen Zwischenpunkt unter den furiosen Beginn seiner Karriere als Regisseur und Schauspieldirektor.
Aber „Orpheus in der Unterwelt“ - eine Operette, eine „opéra bouffe/bouffon“, so bezeichnet sie der Komponist – in einem Sprechtheater ?
Ich gehe zurück in die Anfänge des Regisseurs, in das Jahr 1893. Auf dem Spielplan des Volkstheaters in Rudolfsheim steht neben anderen Unterhaltungsstücken „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan.
Das Theater war Teil des Vergnügungsareals „Schwenders Colosseum“ in Rudolfsheim-Fünfhaus. Rudolfsheim war Ende des 19.Jh. ein Arbeiterviertel, mit vielen kleinen Handwerksbetrieben. ( Von 1880 – 1886 wohnt die Familie Reinhardt in der Schönbrunnerstraße 22 , d.i. heute Äußere Mariahilferstraße 150, - unweit von „Schwenders Colosseum“.) Nicht vergessen: Rudolfsheim liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schloß Schönbrunn und seinen ausgedehnten Gartenanlagen.
Das Vorstadttheater spielt alles, was unterhält, von der Klassik bis zur Operette; 1893 stand „Orpheus in der Unterwelt“ auf dem Spielplan. Die Besetzungsliste verzeichnet für die Rolle Merkur - Max Reinhardt/Goldmann. Anzunehmen, daß das Vorstadttheater keine erstklassigen Gesangskräfte engagiert hatte, sondern mit dem hauseigenen Personal besetzt hatte, das sang und tanzte, spielte. Die Anregung Operette mit Schauspielern zu besetzen könnte Reinhardt aus dieser eigenen Erfahrung von diesem Engagement in Rudolfsheim mitgenommen haben.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Wiener Vorstadtbühnen – wie z.B. das Carltheater eine ausgeprägte Offenbachtradition hatten; der Komponist war häufiger Gast in Wien. Johann Nestroy war der erste „Offenbach-/Darsteller/ Fan“ – und da er über einen ausgebildeten Bariton verfügte, auch als Sängerdarsteller dafür prädestiniert war. Soviel zur Tradition Wien und Offenbach. Die Spieltradition für die sogen. leichte Muse verlangte Sängerdarsteller – sie mußten singen, sprechen und tanzen können.
„Alles ist nur Theater“ … für den Bühnenmenschen Reinhardt gibt es keine Genregrenzen. Wie der Puppenspieler, der an allen seinen Fäden zieht um – „die Puppen tanzen zu lassen“ – oder wie der Theaterdirektor in Goethes „Faust“ greift Reinhardt nach allem, was seine Gestaltungsphantasie und seine Spiellaune aufblühen läßt – und wenn nötig, biegt er sich das Material zurecht. Doch bei der Durchsicht der Aufführungsdaten fällt eine merkwürdige Koinzidenz ins Auge: am 30. Dezember 1905 hatte in Wien, im Theater an der Wien eine Uraufführung stattgefunden, "Die lustige Witwe" von Franz Lehár und nach einem etwas zögerlichen Start trat diese "Witwe" eine bis dahin nie erlebten Siegeszug über die Operettentheaterbühnen an. Wollte der aufstrebende, erfolgsorientierte junge Theaterdirektor und Regisseur zu dieser neuen opulenten, sentimentalen Operettengattung ein Gegenmodell präsentieren ?
Wenn Gottfried Reinhardt mit seiner Behauptung recht hat, daß Reinhardt "Musik als störend nur empfunden " ( ich höre Wilhelm Busch), dann hat er diesem Imperativ alles untergeordnet, Musik ausschließlich als Spielelement seiner Inszenierungen einzusetzen, wie bei seinen Sprechtheaterinszenierungen oder später bei den Pantomimen, dann zerbricht Reinhardt die angestrebte Verschmelzung von Wort und Ton, die Musiktheater intendiert.
War "Orpheus in der Unterwelt“ – als Experiment initiiert, als eine „Offenbachiade“ mit Schauspielern besetzt, die singen, zu spielen? Er wagte den Versuch die Rollen mit Schauspielern zu besetzen, denn nach dem Textbuch, der Partitur müssen sie singen und sprechen können( das wäre der Rückgriff auf alte Spieltraditionen der Unterhaltungstheater). Ganz ging dieses Konzept nicht auf, denn allein die Rolle der Euridike (unerheblich welche Fassung Reinhardt als Spielvorlage gewählt haben mochte) verlangt einen leichten, hohen Koloratursopran in der heutigen Diktion würde man eine „Soubrette“ für die Besetzung wählen. Reinhardt mußte also - wollte er den Erfolg des Abends nicht verspielen und versingen - mit einer Sängerin besetzen, denn in seinem Ensemble gab es keine Darstellerin, die den sängerischen Anforderungen auch nur im entferntesten entsprochen hätte.
Seine Wahl fiel auf einen jungen aufstrebenden lyrischen Sopran von der Dresdner Hofoper, Eva von der Osten. Sie kam aus einer Schauspielerfamilie, kannte auch die darstellerischen Anforderungen einer Rolle. Beide sollten sich bei Uraufführung des „Rosenkavalier, 1911 in Dresden wieder begegnen. (Wie immer bei Reinhardt, die Premierenbesetzung ist nicht „langlebig“, es finden sehr bald Umbesetzungen statt.)
Ich habe in zeitgenössischen Berichten, Rezensionen geblättert: das Experiment mit Schauspielern Gesangspartien zu realisieren um eine Operette aus einem anderen Blickwinkel zu präsentieren – nicht als verkappte Spieloper - wird nicht verkannt, aber nicht unbedingt positiv gewürdigt.
„Orpheus in der Unterwelt“ ist – auch wenn der sogenannten „leichten Muse“ zugeordnet, aber nicht ist schwerer als die „leichte Muse“ – verlangt den Darstellern der Hauptpartien, von Euridike war schon die Rede, einiges an sängerischem Können ab (Orpheus, Pluto, Jupiter, Amor, Styx). Auch wenn die Darsteller Gesangsstunden genommen haben, es reichte nicht. Die sängerischen Mängel wurden von der Kritik doch als sehr störend empfunden. Die Partie des Styx verliert an Wirkung, wenn die ironische , koloraturähnliche Diktion nicht perfekt dargeboten wird. - Hans Pagay als Styx wurde dem keineswegs gerecht, so der allgemeine Tenor. Auch Alexander Moissi/Pluto, der tatsächlich über eine Singstimme verfügte, muß sich kritisieren lassen. Nur wenn Singen und Darstellen auch mit Sprechgesang zu bewältigen waren, gab es Zustimmung. Große Begeisterung dagegen für die szenische Realisierung, auch für szenische „Kniffe“. wie z.B. den Chor hinter einer Wolke im Olymp zu "verstecken", wie man auf der Abbildung , wenn auch von sehr schlechter Bildqualität sehen kann. Die Dame im Abendkleid (li.) ist Die Öffentliche Meinung, rechts steht Pluto/Aristeus im Frack ( er sieht ein wenig wie eine schlechte Kopie von Johann Strauß aus) und zwischen beiden Orpheus?/Merkur? als Bauernbub verkleidet!
Um es kurz zusammenzufassen: die Kritiker sind nicht wirklich einverstanden mit dem Experiment,
das Publikum dagegen jubelt , was die Kritik kommentarlos bestätigt.
Die Kritik in der Vossischen Zeitung ist auch eine ausführliche Auseinandersetzung zwischen dem Oeuvre Offenbach als Operettenkomponist, wie man es anno 1906 verstand und der Inszenierung von Max Reinhardt, die zweifellos auch als Experiment gemeint war – in dem Sinn „kann ich auch Musiktheater?“
Für den Theaterhistoriker nicht unwesentlich die Hinweise auf Aussstattungs- und Inszenierungsdetails, die Reinhardt immer wieder – in Varianten, verbessert, erweitert – einsetzen wird – auffällig auch der Zug zum Pomp und Pracht, zur Übersteigerung als Ausdrucksmittel?
- ... Heute sehen wir in den wilden Späßen [ Offenbachs] nicht nur den Mutwillen, sondern auch eine Zug von Genialität und auch die musikalische Welt scheint geneigt, den übermütigen Hexenmeister [ Offenbach] , … der alle Taschen voll Talent hatte und mit diesem Reichtum Verschwendung trieb, anders zu werten als ehemals.
- Aber gerade in dieser veränderten Stellung … lag das Verhängnis der … Neuaufführung. … Programmatisch war ein großer Ulk vorbereitet … [doch] immer wieder meldete sich ein Respekt, der mit seinen Umständlichkeiten … das natürliche rasche Tempo gefährdete … . Man hatte viele Striche aufgemacht, sodaß die Farce … die Ausdehnung einer großen Oper erhielt ['''vier Stunden Dauer, Anm.d.Verf'''.].
- Der Text war neu redigiert worden … [aber] man hätte besser getan, die unverständlich gewordenen Scherze … zu beseitigen['''z.B. Anspielung auf die Marokko-Konferenz, Anm.d.Verf.''']. … Zum Schluß des zweiten Aktes gab es einen wilden Göttercancan, der Zug in die Unterwelt, … flutete auf einer improvisierten Brücke über das Orchester weg ins Parterre hinein… . Aber zu diesem … Übermut wollte die viel zu prächtige und komplizierte, mit ernsthafter Romantik spielende Ausstattung nicht recht stimmen. Da gab es einen Himmel mit phantastischen Wolkenlagern, in die Sterne unmittelbar hineinleuchteten, ein Plutogemach mit bizarren Bildern im Totentanzgeschmack und im Kuppelsaal des Unterwelt-Banketts ein dämonisches Schattenspiel hinter den schwarzen Gittern – malerische Cappriccios, deren dämonischer Humor einen ganz fremdartigen Rahmen zu dem rationalischen Hohn der Parodie bildete … . Alles drängt in dieser Skizze ['''gemeint ist die opéra bouffe von Offenbach, Anm.d. Verf'''.] zum einfachen, treffenden , karikaturistischen Streich, nicht zur bizarren Romantik hin, und die verlotterte Götterwelt der Offenbachiade verliert ein Gutteil ihres Charakters, wenn ihre Kostüme in allzu großer Pracht entgegenschimmern … .
- Das Überwiegen des schauspielerischen Teils über den gesanglichen war vielfach unverkennbar. Ob es dem Geist der Offenbachiade entsprach, ist eine andere Frage. …
- Vossische Zeitung, 14.Mai 1906, Nr.233, Zweite Beilage
- „Orpheus in der Unterwelt“ so hat es Offenbach erdacht und komponiert, endet in der Unterwelt mit einem Bacchanal, mit dem „Galop infernal“ , der unerkannt als „Cancan“ durch die Literatur, die Gazetten etc. wandert. Getanzt mit Spitzenhöschen, Röcke und Beine werfen, so wie es eben die Touristen(und nicht nur diese!) vom Montmartre gerne sehen. WIE Offenbach das Finale erdacht, gespielt hatte, überliefert eine Zeichnung nach einem Gemälde von Gustave Doré. Alle, die Solisten, der Chor tragen völlig ver- rückte Kostüme und sie feiern ein Bacchanal unter der Regie des Höllenfürsten Pluto.
Musikalisch (kurz skizziert)ist der Galop infernal im 2/4 Takt, ein rascher um-pa, umpa-Rhythmus in Achteln, im Baß in Vierteln (1/4=2 1/8) also: um-pa –gegen um= ¼ (als pochender beat), Melodik in 4 oder 8er Gruppen.
Die Inszenierung von „Orpheus in der Unterwelt“ wird Reinhardt bis Anfang der 20 Jahre immer wieder auf die Bühne bringen; in München, in Berlin, im Großen Schauspielhaus und bei Gastspielen in Dänemark und Schweden, den Bühnenverhältnissen angepaßt, in Übersetzung für die Gastspiele in Dänemark und Schweden. Grundlage ist die von ihm 1906 erarbeitete Fassung. Die im Nachlaß überlieferte notierte szenische Abfolge habe ich mit einer französischen CD-Einspielung von 1953 verglichen – es ist die gebräuchliche Spielfassung, wie sie in „Musik für alle“ für die Hausmusik gedruckt wurde .
Das Copyrigth vermerkt 1911. Die Szenenfolge, eine Kurzfassung ohne Zwischenspiele und Textteile/Rezitative?, ist vermutlich nach der Reinhardt-Aufführung entstanden. (Der Copyright-Vermerk 1911 sagt nichts über das tatsächliche Erscheinungsdatum aus.
Einar Nilson, Komponist und ein langjähriger Mitarbeiter von Max Reinhardt, von Gottfried Reinhardt auch als Reinhardts Musikmanager apostrophiert,
stellt sehr nüchtern fest, welchen Stellenwert und welche Rolle Reinhardt, der Sprechtheaterregisseur der Musik als Teil/Bestandteil eines Werkes, das er inszenierte zuordnete: Musik übernahm die Rolle des Funktionsträgers, illustriert, überhöht die Bildwirkung. Geräusche werden gleichwertig wie Musik eingesetzt.
Donnern, Heulen o..ä. erzeugt Angst und Schrecken; ein Impromptu von Franz Schubert oder Frédéric Chopin versetzt den Zuschauer in Träumerei, Verliebtheit o.ä. – vergleichbar der Programmmusik oder der Filmmusik.
Aus dieser Perspektive sei die Frage gestellt: hat Reinhardt Musik also nicht eigenständige Sprache gewertet, erkannt, was aber oder vielmehr wie stand er zum Musiktheater als Gesamtkunstwerk, war res für eine theatralische Form ?
Gottfried Reinhardt war ein bemerkenswert treuer Chronist der Arbeit seines Vaters, und wenn das folgende auch aus der Zeit der „Fledermaus“ stammt, so decouvriert es doch erbarmungslos den Umgang des Regisseurs mit einem Gesamtkunstwerk „Musiktheater“:
Der Akzent lag auf dem Schauspielerischen und das machte Änderungen in der Partitur notwendig, Melodien mußten ins Orchester verlegt werden (weil die Schauspieler den gesangstechnischen Anforderung nicht genügen konnten, z.B. Koloraturen oder andere musikalische Verzierungen singen, Melodien aber schon). Im übrigen erforderte der freie tänzerische und sprachlich-rhythmische Stil der Regie mehrere musikalische Einlagen(die nicht in der Partitur stehen)vgl. Anm. 27 Text Gottfried Reinhardt
Musiker sind von Natur aus neugieriges Publikum und es gibt einige Berichte von Besuchen der Fledermaus; übereinstimmend beschreiben sie, daß Reinhardt keine Rücksicht auf die Sänger nahm. Das bedeutet: Sänger haben ihre spezifischen vom Singen, Atmen und Musikalischen bestimmte Erfordernisse; Reinhardt nahm darauf keine Rücksicht, er allein bestimmte die Gestaltung der Bewegungsabläufe, Stellungen usw. Das dürfte nicht erst bei der „Fledermaus“ so gewesen sein – hier dominierten die Sänger die Besetzung, sondern – es bestimmte seine Grundeinstellung, und somit dürfte Gottfrieds Reinhardt Anmerkung zutreffen, wenn er schreibt: “ er nahm der Musik das Dominierende, das Störende“ – was immer man darunter verstehen mag, denn warum dann inszeniert er Musiktheater?
Gottfried Reinhardt berichtet sehr dezidiert, daß Max Reinhardt Operette, ausgenommen eben die Offenbach‘sche Operette als theatralisches wie musikalisches Genre ablehnte, aber das allein wäre als begründung nicht ausreichend für die – glaubt man den Berichten – für den etwas anderen „Umgang mit Musik“.
An einem aber besteht kein Zweifel: Reinhardt spielte genußvoll mit der „Offenbachiade“, beim „Orpheus“, bei der „Schönen Helena“.
Was ist eine Offenbachiade: Spiel im Spiel, das Spiel mit der Maske; die Inversion, denn nichts ist so wie es scheint – Umkehrung einer Realität in die Irrealität. Gepaart mit der Lust am Schaugepränge, an der Illusion … ein schwereloses, unterhaltsames Spiel, doch nie nur Unterhaltung an sich, ironische – satirische Kritik am Zeitgeschehen, an den Zeitgenossen.
In „Orpheus in der Unterwelt“ geht es um außereheliches Vergnügen aus Langeweile, Frustration; Orpheus ist ein langweiliger Konservatoriumsprofessor, der auch zu allem Überdruß auch noch komponiert und mit seinen Kompositionen Euridike, seine Frau quält, worauf sie sich anderweitig – als Revanche – vergnügen will. In der „Schönen Helena“ geht es nur noch um Sex, Liebe und Vergnügen. Musikalisch ist „Orpheus“ eher ein Pasticcio, mit musikalischen Zitaten, Anspielungen auf Volkslieder u.a. Lieder (Zitat der „Marseillaise“ beim Aufstand der Götter), Komponisten – Verstorbene wie Zeitgenossen(Meyerbeer).
„ Die Schöne Helena“ hat Offenbach musikalisch „befreit“, er hat an musikalischer Ausdruckskraft gewonnen (das soll genügen, alle weiteren Details findet man in der einschlägigen Literatur). Anders als im „Orpheus“ – die Verführung setzt die Handlung erst in Gang – ist in der „Schönen Helena“ die Verführungszene , d.i, die Traumszene – „Es ist ein Traum …“ der Höhepunkt und Drehpunkt der Handlung. Und sie ist im Sinne Offenbachs keine Offenbachiade. Sie ist ein Spiel um Sex und Liebe mit etwas Zeitsatire.
Erich Mühsam bekommt von Max Pallenberg „ein prächtiges Freibillett“ in dem fast ausverkauften Haus und notiert in seinem Tagebuch (Heft 5) am 16.Juli 1911:
- … Die Schöne Helena von Offenbach ist unter Reinhardts Regie zu einer ganz köstlichen Humorleistung geworden. Man mag gegen Reinhardt sagen was man will, er ist doch der einzige, der Theater spielen kann, und das ist wohl sein wertvollstes Verdienst, daß er einem wieder ins Bewußtsein gebracht hat, daß Theater Theater und nicht Wirklichkeitskopie ist. Er arbeitet mit Farben, Bewegung, Tönen, Abstimmungen – und so gehört es sich auf der Bühne. Es gab Bühnenbilder (Ausstattung von Ernst Stern), die ganz blenden schön waren. Die Offenbachsche Musik klang herrlich durch den Raum, eine so einschmeichelnde, tänzerische, zierliche Musik, wie sie wohl nie wieder geschrieben werden wird. Und gespielt wurde köstlich. Der Menelaus von Pallenberg wird mir in seiner Komik unvergesslich sein. Den Agamemnon gab Zettl in meiner Maske, sogar der Kneifer fehlte nicht, blos war er viel länger als ich. Die Helena spielte Mizzi Jeritza , die eine sehr schöne Stimme hat, den Calchas Gustav Charlé sehr lustig. Rudolf Ritter sah als Paris sehr gut aus und sang recht schön. … Die Inszenierung war ganz glänzend. Sehr wirksam ein Steg, der durch den Zuschauerraum auf die Bühne führte, und von dem aus – also mitten durch die Zuschauer hindurch ein großer Teil der Mitwirkenden auftrat.. Lustige Einfälle in hellen Haufen. Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht. …
Erich Mühsam ist kein berufsmäßiger Theaterrezensent, sondern Schriftsteller, er notiert spontan und kreativ seine Eindrücke … Eine Glanzleistung Reinhardts, deren Eindruck sich in stiller Selbsteinkehr sicher kein Snob entzieht. … und überliefert ein sehr lebendiges, fast greifbares Theatererlebnis.
Der Steg durch den Zuschauerraum , der ihn so sehr beeindruckt, hat Reinhardt schon in der Inszenierung des „Orpheus“ 1906 als „Überraschungseffekt“ eingesetzt – in „Sumurûn“ 1910, von Reinhardt erneut verwendet, wird in der einschlägigen Literatur als „japanischer Blumensteg“ definiert.
Für „Die schöne Helena“ von 1911 und später liegt kein Material im Nachlaß Reinhardt, bis 1931 - wie beim „Orpheus“ ein ähnliches Bild: kein Zensurexemplar (vor 1918, danach wurde die Zensur abgeschafft), kein musikalisches Material.
Aber ähnlich wie beim „Orpheus in der Unterwelt“ gibt der Ullstein – Verlag eine für Klavier arrangierte Fassung mit Text für die Hausmusik in der Reihe „Musik für alle “ heraus, mit dem Copyrigth Vermerk 1911. Ob dieses Notenmaterial nach der Vorlage der Reinhardt-Inszenierung, der dazugehörigen Textbearbeitung und musikalischen Fassung zusammengestellt wurde, verrät der Begleittext leider nicht.
1911, nach dem Münchner Erfolg gastiert die Inszenierung in Wien im Theater in der Josefstadt . Es folgt eine Aufführungsserie in Berlin, im Theater des Westens (93) 1912.
Ende 1912/Anfang 1913 zeigt das Theater am Nollendorfplatz eine „Helena“, die – so die Angaben (bei Huesman) - die Replik einer Reinhardt-Inszenierung ist, mit der Massary als Helena und Pallenberg als Menelaus .
Ende der 20er Jahre, zu Beginn der 30er Jahre bietet sich das Bild einer völlig veränderte Theaterlandschaft – nicht nur in Berlin, hier ganz besonders. Sondern auch in anderen deutschsprachigen Städten. Der Theaterkonzern Max Reinhardt ist in größerem Ausmaß davon betroffen.[index.php?title=Offenbachiade_chez_Max_Reinhardt&action=edit ]
Dazu ein Rückblick:
1920 gibt Max Reinhardt die Direktionsgeschäfte seiner Berliner Theater auf, die Leitung übernehmen wechselnde Direktoren, die Geschäftsführung verbleibt bei Edmund Reinhardt. 1929 stirbt
Edmund Reinhardt und Max Reinhardt übernimmt erneut die „Oberhoheit“ über seinen Berliner Theaterimperium (Deutsches Theater und die Kammerspiele, Komödie und Theater am Kurfürstendamm , Großes Schauspielhaus).
Das Große Schauspielhaus ist Teil der Deutsche Nationaltheater AG (DNT) Die DNT AG, d.s. Max Reinhardt und 59 Aktionäre, Vorstand und Vorsitz Edmund Reinhardt, erwirbt 1918 das Areal des Zirkus Schumann (Am Zirkus 1, Berlin-Mitte), der als Großes Schauspielhaus umgebaut wird, als Spielstätte für das Massentheater „Volkstheater“ genutzt werden soll – für die Reinhardt’schen Großraum-Inszenierungen (nach seiner Idee eines „Volkstheaters“, vgl. dazu den Brief an Berthold Held von 1894).
Den Umbau übernimmt Hans Poelzig , 1919 ; das neue Haus wird von den Berliner spöttisch-liebevoll „Tropfsteinhöhle“ getauft.
1924 verpachtet die Theaterdirektion Reinhardt das Schauspielhaus an Erik Charell. Erik Charell hatte Reinhardt auf dessen ausgedehnter Tournee „Mirakel “ ( sie startet in New York , 15.1.1924) in den USA begleitet; er nutzte diese Zeit auch um sich ausführlich mit dem amerikanischen Revuetheater zu beschäftigen. Nach der Übernahme von Reinhardt führte Charell das Große Schauspielhaus als Revuetheater und Operettentheater weiter, bis er 1930/31 aufgeben mußte. Die Ära Charell endet mit dem Serienerfolg der Operette „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ (Ralph Benatzky u.a.). Dieser Publikumserfolg konnte das sich abzeichnende finanzielle Desaster nicht aufhalten. Die Gründe für den finanziellen Niedergang (der betraf auch andere Revuetheater) sind vor allem in innerbetrieblichen Abläufen sowie einem enormen Kostenaufwand für die opulenten Ausstattungen zu finden. (Mehr dazu in der einschlägigen Literatur, s. dazu vor allem in Wolfgang Jansen, Glanzrevuen der Zwanziger Jahre).
Nach dem Ende der Ära Charell übernimmt Reinhardt erneut die Direktionsgeschäfte und bespielt das Große Schauspielhaus für eine kurze Zeit wieder in Eigenregie.
Am 19. April 1932 heißt es „Bühne frei“ für die „Schöne Helena“ im Großen Schauspielhaus als „Burleske Operette“ für 43 Vorstellungen.
Doch bevor die „Schöne Helena“ den Weg in das Große Schauspielhaus findet, muß sie einige Umwege in Kauf nehmen.
Zunächst startet sie erfolgreich am 15.Juni 1931 im Theater am Kurfürstendamm. Als Buffo-Oper in zwei Teilen und lief mit 144 Vorstellungen bis zum 15. November 1931.
- … gleich zu Anfang - der „Schönen Helena“ - wurde zu den Klängen der Ouvertüre auf der Vorderbühne aus einer Kiste (über der Versenkung) tänzerisch ein Arsenal homerischer Klamotten gefischt … die Requisiten des Abends - das Spiel kann beginnen … das ist der Reinhardt’sche Auftakt .
- … Die alabasterne Schönheit und glockenreine Stimme der Novotna verlieh der Heldin … Noblesse und Lyrik, aber keinen Sex-Appeal. Hans Moser war ein zwerchfellerschütternder Menelaus, aber kein KÖNIGLICH komischer.
- … Ein Meistergriff: das Urteil des Paris – nicht die ursprüngliche Arie, keine Erzählung, sondern aufgelöst in ein Quartett mit den drei visionär erscheinenden Göttinnen – mit einem Knalleffekt: das Striptease der aus dem Schaum des Berliner Landwehrkanals geborenen La Jana. …
- Gottfried Reinhardt über die Aufführung von 1931, aber er ist nicht wirklich zufrieden mit dieser Aufführung im Theater am Kurfürstendamm; seiner Meinung nach sei sie „zerflattert“, weil zu episodisch, de große alles verbindende Bogen fehlt; auch die Besetzung ist seiner Meinung nach nicht gut gewählt .
- Die musikalische Bearbeitung lag in den Händen von Erich Wolfgang Korngold. Wie diese Bearbeitung geklungen hat, davon gibt eine kurze Aufnahme des Traumduetts zwischen Helena (Jarmila Novotna)und Paris (Gerd Niemar) eine sehr oberflächlichen (eben weil zu kurz) Eindruck. Zu dieser Aufnahme, die 1932 in Berlin entstanden ist, mit der Korngold’schen Bearbeitung. Das Eingangssolo des Paris läßt Offenbach ahnen – mit den Koloraturparaphrasen. Offenbach setzte den Koloraturgesang als Stilmittel ein – nicht erst mit der „Schönen Helena“. Stilistisch jedenfalls klingt das Duett so als sängen beide ein Duett von Franz Lehàr.
- Charles B. Cochran, der berühmte englische Theatermanager „and starmaker“ lädt Max Reinhardt ein, die „Schöne Helena“ im Adelphi-Theatre, London zu inszenieren; dafür muß allerdings eine völlig neue Textfassung erstellt werden, die von A.P.Herbert geschrieben wird auf der Basis der Fassung von Egon Friedell und Hans Sassman. Außer dem Plot ist von der Offenbach’schen Opéra bouffe wohl kaum noch etwas übrig geblieben. (Textvergleiche mögen andere durchführen, jedenfalls liest sich die englische Fassung sehr puritanisch. In dem von ihm geschriebenen neuen dritten Akt kehrt das königliche Paar Helena und Menelaus nach Sparta zurück, friedlich vereint, aber genervt, grantig. Der Krieg ist vorbei; der graue alte Alltag hat uns wieder! Offenbachs Komposition wurde von Erich Wolfgang Korngold für London neu bearbeitet; da es keine überliefertes musikalisches Material gibt, bleibt es bei dem Hinweis, eine Einschätzung wie diese "Helena" geklungen hat, was noch Offenbach und was Korngold , darüber geben die Rezensionen keine Auskunft. Mancher Kritiker stellt die (provokante?) Frage<. Was soll uns dieses altmodische Stück!
- Die Premiere, nach einer Voraufführung in Manchester(26.12.1931), in London war am 30.1.1932. Die Kritiken gerieten eher ablehnend, wenig positiv, Zustimmung gab es zu der opulenten Ausstattung von Oliver Messel und zu dem Star Evelyn Laye (von Charles B. Cochran als Star lanciert), die die Helen(a) gab.
- Dennoch: Charles B. Cochran, ständig auf der Suche neuen, erfolgsträchtigen Revuen, Musicals, Varietés, bietet Max Reinhardt ein weiteres Offenbach-Projekt an: „Les Brigands“ /Die Banditen, eine dreiaktige opéra bouffe, die 1869 im Théâtre Varietés, Paris, uraufgeführt worden war und noch im gleichen Jahr in London unter dem Titel „Falsa Cappa“. Dazu eine kurze Anmerkung<<<<<. Offenbach hatte zuerst als Cellist in London sehr erfolgreich gastiert; später wurde der Operettenkomponist ebenso geliebt und feierte auf den Londoner Bühnen so manchen Triumph.
Danach übersiedelte die Londoner Fassung der „Schönen Helena“ nach Berlin, an das Große Schauspielhaus , Premiere war am 19. April 1932.
Für die Textbearbeitung oder besser gesagt Neufassung des Textes (der alten Übersetzung) liegen im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek mehrere Typoskripte, laut Titelblatt als „Regiebuch“ Max Reinhardt bezeichnet. Es sind unkorrigierte, vor allem undatierte Textexemplare im Teilnachlaß Hans Sassman.
Kein Regiebuch von Max Reinhardt; vielleicht sollte das Typoskript die Vorlage für ein Regiebuch Max Reinhardts werden, in das der Regisseur dann akribisch seine Anweisungen – wie gewohnt eintragen würde und es mit seinem berühmten Signet als endgültig zeichnen.
Das autographe musikalischen Material von Erich Wolfgang Korngold(Bearbeitung für die Aufführung von 1931, oder zu späteren, der Londoner Bearbeitung von 1932), ist bisher nicht nachweisbar.
Für die New Yorker Fassung „Helen goes to Troye“ (auf die ich nicht eingehen werde) von 1943/44 liegt das Material gedruckt vor: gedruckt erschienen bei Chappel & Co. Das dazugehörige autographe Material in der Public Library, New York.
1928/29 hält sich Reinhardt wieder einmal in Wien auf und lädt Erich Wolfgang Korngold zu sich ein ins Theater in der Josefstadt; er möchte ihm anbieten für seine Inszenierung die musikalische Bearbeitung und Leitung zu übernehmen.
Aber Korngold kann dieser Idee leider gar nichts abgewinnen und lehnt ab. Doch Reinhardt läßt nicht locker.
Lucie Korngold, die Frau des Komponisten, erinnert sich:
- … Max Reinhardt ließ anfragen , ob Erich „La Vie Parisienne“ von Offenbach für das Deutsche Theater in Berlin bearbeiten und dirigieren wolle. … um nicht unhöflich zu erscheinen , ging er doch zu Reinhardt ins Theater in der Josefstadt; er kam mit einem amüsiert-verlegenen Lächeln und einem Kontrakt von dort zurück. Er hatte Reinhardt seine Zweifel an „La Vie Parisienne “ mitgeteilt und die Sache damit für erledigt gehalten . Der erwiderte aber nur ruhig: Was würden Sie sonst vorschlagen? Darauf Korngold: … warum machen Sie nicht die Fledermaus ? …
Korngold, der Spätromantiker, hatte – so steht zu vermuten – zu der leichtfüßigen, durchsichtigen, ironischen Eleganz der Offenbach‘schen Musik keinen wirklichen Zugang. Johann Strauß und dessen wiegende Melancholie lagen ihm da wohl näher. Entre parenthèse: Vielleicht spielte nicht zuletzt auch seine große Nähe zur Witwe Adele Strauß mit.
Ich habe mir die Frage gestellt, was Reinhardt an „La Vie Parisienne“ so fasziniert haben könnte, daß er dieses Projekt wie einen unerfüllten Traum immer wieder versuchte zu realisieren, zu inszenieren.
Theaterpraktisch: die Story, (Musik war für Reinhardt nur „Illustration“, kein realer Mitspieler), mit vielen größeren und kleineren Ensembleszenen – vom kammermusikalischen Quartett bis zur Massenszene , mit denen es sich reizvoll spielen ließ. Anders als im „Orpheus“ oder in der „Schönen Helena“ – in beiden gibt es die noch einigermaßen klaren Trennung zwischen Solo, Duo und Ensemble .
Vielleicht auch ein wenig Nostalgie, in Erinnerung an den eigenen Beginn in Berlin, einer Stadt im Aufbruch – und für Reinhardt der Aufbruch ins Leben, in seine Theaterträume.
„La Vie Parisienne“ spielt in einem Paris der Aufbruchsstimmung – mit der Projektion auf Zukunft, ihr Symbol ist die Eisenbahn. „ La Vie parisienne“ wurde komponiert, als Hausmann auf Befehl Napoleon III. aus dem mittelalterlichen Paris eine moderne Großstadt werden ließ – so wie wir es heute kennen – mit einer perfekten Infrastruktur
(z..B. Métro), Kanalisation, breiten Straßen und Plätzen, Kaufhäusern, viel Grün … Wollte Reinhardt mit dieser Regie vielleicht seine eigenen Erfahrungen, Beobachtungen widerspiegeln, verarbeiten, als er 1894 nach Berlin, in die Stadt des Aufbruchs, kam?
Doch der Wunsch blieb ein Wunschtraum … Reinhardt nahm den Vorschlag von Erich Wolfgang Korngold an, statt „La Vie Parisienne“ zu inszenieren, die „Fledermaus“ herauszubringen. Es ist müßig nun zu spekulieren, welche Beweggründe ihn zu dieser Entscheidung geführt haben. Eines aber läßt sich mit Sicherheit sagen: die „Fledermaus“ kam als „Offenbachiade“ über die Rampe .
Gottfried Reinhardt behauptet zwar nach der Premiere
- ... Reinhardt nahm der Verknüpfung von begnadeter Musik und billigem Schwank die Zufälligkeit. Er nahm dem Schwank das Billige und der Musik die theaterfeindliche Vormachtstellung. …
- Da hat Gottfried Reinhardt wohl so einiges mißverstanden. Die Textvorlage zur „Fledermaus“ stammt von zwei französischen Librettisten, die zahlreiche Libretti für Offenbach geschrieben haben: Henri Meilhac und Ludovic Halévy, nach einem deutschen Lustspiel „Das Gefängnis“ von Roderich Benedix. Daraus wurde im französischen Lustspiel „Le Reveillon“ . Le Reveillon bezeichnet im Französischen die Weihnachtsfeiertage bis zum Jahreswechsel (vergleichbar dem italienischen „cappodanno“). Der Plot der „Fledermaus“ , den Karl Haffner und Richard Genée aus dem französischen Libretto geformt haben, könnte von Offenbach sein – Nichts ist so, wie es scheint. Lucie Korngold erinnert sich :
- Die Partitur des Werkes blieb unberührt. Was hinzukam – kleine Szenen, alles von Strauß – begleitete Erich im Orchester vom Klavier aus. Reinhardt war unerschöpflich im Erfinden von Versen, die bald als Rezitativ, bald als Gesangsnummern sich dem Werke einfügten. Erich fand für ihn die passenden Straußwalzer, oft nur ein paar Takte. … Was stets Reinhardts Bestreben gewesen war: das Publikum miteinzubeziehen, eine Brücke zwischen Bühne und Zuschauerraum zu bauen, hier hatte es die höchste Vollendung gefunden. ...
- Es gibt aber auch gegenteilige Berichte von Musikern nach dem Besuch einer Vorstellung der „Fledermaus“: Reinhardt nahm keine Rücksicht auf die Sänger und ihre spezifischen vom Singen wie vom Musikalischen bestimmten Erfordernisse, das Spieltechnische stand absolut im Vordergrund.
- Dennnoch: Der Erfolg der „Fledermaus“ füllte die Kasse, das Publikum strömte ins Theater. Die Krise der Theater, die um 1930 ausbrach, lag – scheinbar – noch in weiter der Ferne.
F'ortsetzung folgt'